Flüchtlingspolitik – Ein Schritt zurück

Fakten zum Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz

Warum die Übernahme von CDU-Positionen kein GRÜNEN-Erfolg ist

Am Donnerstag debattierte der Deutsche Bundestag über Asylpolitik. Bei der Bewertung des auf dem Flüchtlingsgipfel vereinbarten Artikelgesetzes – Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz – dominiert bisher auf Grüner Seite eine Interpretation, hier gäbe es „Licht und Schatten“ (Brief der Partei- und Fraktionsvorsitzenden).

Außerhalb der Grünen wird diese Sicht eines Sowohl als Auch nicht geteilt. Der Rat für Migration kritisiert massiv das Ergebnis. Pro Asyl spricht genauso wie Jens Spahn (CDU) von dem härtesten Eingriff in das Asylrecht seit Jahren. Nur während Pro Asyl das verurteilt, bejubelt es Spahn.

Die Rede von Licht und Schatten verkennt, dass beide auf unterschiedlichen Ebenen liegen: Die Länder waren gezwungen, einen aktuellen taktischen Vorteil mit gewaltigen strategischen Niederlagen in der Zukunft zu erkaufen.

Taktischer Vorteil

Akut konnten die Länder und die hinter ihnen stehenden Kommunen sich einer Einigung nicht entziehen. Aufgrund der sprunghaft wachsenden Zahl von Flüchtlingen und Migranten ist die Lage in vielen Gemeinden, in Aufnahmeeinrichtungen, Sammelunterkünften, in den Zelten und Notunterkünften katastrophal. Verschärft wurde die Krise dadurch, dass das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge über eine Viertelmillion Anträge vor sich herschiebt und die Bundesregierung die „offensichtlich absehbare Situation“ (Migrationsrat) monatelang ignorierte.

Mit dem Rücken an der Wand ist schlecht verhandeln. Deshalb unterbreitete die Große Koalition den Ländern „ein Angebot, dass sie nicht ablehnen konnten“ (Vito Corleone).

Nun übernimmt der Bund 2/3 der Kosten für die Flüchtlinge während des Asylverfahrens. Er geht damit auch ins finanzielle Risiko für die Dauer der Verfahren – die in 2016 noch fünf Monate dauern sollen.

Die Kosten für die nachfolgende Integration – von Kitas über Schulen bis zu Wohnungen – werden trotz weiterer Bundesmittel aber vor allem bei den Ländern bleiben.

Strategische Niederlagen

Strategisch musste dafür ein sehr hoher Preis bezahlt werden. Übernommen wurde die Forderung der CSU, wonach „Fehlanreize“ (Erklärung der Ministerpräsidenten) vermieden werden sollen. Damit sollen aber nur die Löcher in der Festungsmauer Europas wieder zugenagelt werden, die das Scheitern des Systems von Dublin aufgesprengt hat. Die Idee, die Flüchtlinge an den Außen-grenzen der Europäischen Union zu halten ist zusammengebrochen.
Am deutlichsten wird dies an dem, was nicht in der Vereinbarung steht. Es gibt nicht nur keine zeitliche Befristung für die sicheren Herkunftsstaaten, sondern nur eine Berichtspflicht der Bundesregierung, ob diese Staaten weiterhin sicher sind.
Es gibt keine pauschale Anerkennung aller Syrer und Iraker, obwohl das die Verfahren wirklich dramatisch verkürzt hätte.

Die Vereinbarung enthält keinerlei verbesserten legalen Zugang von Flüchtlingen aus den Lagern in der Türkei, dem Libanon und Jordanien nach Europa. Das hätte die Aufnahme kalkulierbarer und steuerbarer gemacht. Aber anstatt den Schleppern so die Geschäftsgrundlage zu entziehen, wird die Mindeststrafe für sie auf drei Monate heraufgesetzt.Während die Ministerpräsidenten legale Wege für Flüchtlinge aus Kriegsgebieten verweigern, bereitet die Bundesregierung eine Militäroperation vor, um vor – und später in – Libyen Boote zu zerstören. Und die von EUNAVFOR MED in Operation Sophia umbenannte Intervention soll künftig Flüchtlinge wieder nach Afrika zurückbringen. Das Flüchtlingsmädchen Sophia würde mit dem neuen Mandat der Bundeswehr hier nie ankommen.
Für GRÜNE besonders bitter: Anstelle der Abschaffung des Asylbewerberleistungsgesetzes wird es mit der Vereinbarung deutlich verschärft und bestätigt. Schlimmer noch. Alle Zugeständnisse an die Länder vom letzten Jahr werden kassiert:

  • Herabsetzung des Arbeitsverbots – Das Gesetz untersagt jetzt ausdrücklich die Beschäftigung für die Dauer des Aufenthalts in den Erstaufnahmeeinrichtungen, der fortan für die ersten 6 Monate des Verfahrens gelten soll. Dass dies eine Kann-Regelung ist, kann man getrost vergessen. Kein Land wird eine vorzeitige Verteilung gegen seine Kommunen ernsthaft durchsetzen können. Baden-Württemberg hat gerade angekündigt, dafür ein Zentrum in Heidelberg zu schaffen. Bewerber aus sicheren Herkunftsstaaten sollen dauerhaft in den Lagern bleiben und haben Arbeitsverbot.
  • Abschaffung der Sachleistungen – In den Erstaufnahmeeinrichtungen „soll künftig“ das „Taschengeld“ (Sicherung des Existenzminimums) als Sachleistung gewährt werden. Soll heißt nicht Muss – aber noch weniger Darf oder Kann. Es bedarf einer Begründung, wenn man von der Sollvorschrift abweicht – das gilt auch in den Gemeinschaftsunterkünften der Kommunen.
  • Bundesweite Gesundheitskarte – gibt es nicht. Wie bisher dürfen die Länder eine ausgeben, aber es wird ausdrücklich festgehalten: „Die Leistungen sollen sich wie bisher im Rahmen des AsylbLG (Asylbewerberleistungsgesetzes) bewegen“. Damit ist die Karte in NRW und Bremen unter Druck. In Sachsen und Bayern gibt es auch künftig keine. Überall aber bleiben Flüchtlinge Patienten zweiter Klasse, die sich mit einer Notversorgung zu begnügen haben.

Dagegen sind die Verbesserungen überaus bescheiden. Für Flüchtlinge zweiter Klasse vom Westbalkan gilt Arbeitsverbot, die anderen werden nach 3 Mona-ten (Fachkräfte) oder sogar erst nach 15 Monaten (Geringqualifizierte) nur im Bereich Leiharbeit mit EU-Bürgern gleich gestellt.
Bewohner des Balkans, die die letzten zwei Jahre keinen Asylantrag gestellt haben und über einen unterschriebenen Arbeits- oder Ausbildungsvertrag verfügen, dürfen dafür künftig einreisen. Das ist kein „Einstieg in ein Einwanderungsgesetz“. Es ist auf 5 Jahre befristet und endet somit automatisch 2020. Es ist die Wiederkehr des aus den 60er Jahren bekannten Modells der Gastarbeiteranwerbung.

Konsequenzen

In der Realität wird das Licht, das manche zu sehen glauben, sehr schnell durch sehr viel Schatten verdunkelt werden.
Mit der Einstufung als sichere Herkunftsstaaten kommen gravierende Beschränkungen von Rechten und Rechtsschutz daher – für viele hier lebende Menschen. Als Konsequenz aus der Vereinbarung gibt es ab jetzt eine neue Gruppe von Flüchtlingen 2. Klasse – die Balkanflüchtlinge.

Sie dürfen während des Verfahrens das Sammellager nicht verlassen. Sie haben in der Zeit Arbeitsverbot. Ist ihr Antrag abgelehnt, müssen sie binnen Monatsfrist ausreisen. Danach werden ihre Leistungen auf das “unabdingbar Notwendige gekürzt“ (sehr wahrscheinlich verfassungswidrig). Spätestens nach drei Monaten müssen die Länder sie – „unangekündigt“ – abgeschoben haben.
Die Folgen liegen auf der Hand. Anlaufstellen wie Bramsche werden de facto Abschiebelager. Hier leben Hunderte – die Hälfte davon Kinder und Jugendliche. Auf reduzierte Sachleistungen angewiesen werden diese ins Betteln und die Kriminalität getrieben. Die Situation rund um diese Lager droht die reale Willkommenskultur im Land erodieren zu lassen.

So wird das Narrativ der CSU bebildert. Seit „Wer betrügt fliegt“ versucht sie mit der Erzählung über die Balkanflüchtlinge von der Tatsache abzulenken, dass gut 80 % der weltweiten Flüchtlinge (so Außenminister Steinmeier) aus existentieller Not vor Krieg und Verfolgung fliehen.
Die neuen Regeln zur Abschiebung machen reihenweise anderslautende Koalitionsvereinbarungen von Rot und Grün in den Ländern zur Makulatur.

Allein in Niedersachsen gibt es über 16 000 vollziehbar Ausreisepflichtige. Rot-Grün hat die vorher geübte schwarz-gelbe Abschiebepraxis geändert – zugunsten der Flüchtlinge gab es humanitäre Aufschübe. Diesen wird durch den Beschluss der Ministerpräsidenten der Spielraum genommen. Es drohen Massenabschiebungen.
Nicht nur in Niedersachsen werden Rote und Grüne erleben, dass dann genau diejenigen lautstark gegen sie protestieren, die sich heute so großartig um Flüchtlinge kümmern. Dass davon die CDU bei den anstehenden Wahlen eher profitiert als GRÜNE und SPD dürfte beabsichtigt sein.

So droht aus der politischen Niederlage in der Flüchtlingspolitik eine machtpolitische zu werden.

Das hierauf fußende Asylverfahrensbeschleunigungsgesetz ist ein Schritt zurück zu einer gescheiterten Flüchtlingspolitik.

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