Infrastrukturen des Glücks – Kulturinstitutionen erhalten, fördern und öffnen

Infrastrukturen des Glücks
Kulturinstitutionen erhalten, fördern und öffnen

Anrede,
vielen Dank, liebe Agnes. Ich hoffe, Du bist zufrieden, dass wir heute Dir zu Ehren in St. Agnes feiern.
Überall in unserem Land gibt es Gemeinden, die ihr Gotteshaus nicht länger mit Kirchgängern füllen. Also werden Gemeinden zusammengelegt. Leer stehende Kirchen werden verkauft, weil sie nicht mehr genutzt werden, ihre Instandhaltung und ihre laufenden Kosten zu hoch sind. Auch der Kirche von St. Agnes ist es so ergangen.
St. Agnes wird in Zukunft als Galerie genutzt werden – und so trifft sich hier in den kommen-den Jahren die Gemeinde der Kunstliebhaber.
So sehr mir der Gedanke gefällt, dass das Ende der ursprünglichen Nutzung die Chance einer neuen kreativen Zukunft bringt, so sehr beunru-higt die Parallele zum Kulturbereich.
Auch im Kulturbereich wird zusammengelegt. Auch hier schrumpft die „Theatergemeinde“, Häuser werden geschlossen, weil sie im Unterhalt zu teuer werden oder weil sich Sanierungen nicht mehr lohnen.
Und so ist auch die kulturelle Infrastruktur, auf die Infrastruktur des Glücks – so der Titel des heutigen Abends, heute in Deutschland bedroht.

1 Vorbemerkung
Doch ist kulturelle Infrastruktur eine des Glücks?
Ja Kunst und Kultur – Musik, ein Bild, ein Theaterstück, ein Buch können glücklich machen – aber Kunst und Kultur erschöpfen sich nicht in Glückstiftung.
Kunst und Kultur können die Welt erschließen, unser Verständnis der Welt fördern, unsere Wahrnehmung verändern, anreichern, verschieben.
Sie können natürlich auch ganz das Gegenteil von Glück erreichen, sie können verstörend wirken, kritische Perspektiven eröffnen, irritieren.
Wenn mit Walter Benjamin auf die Ästhetisierung der Politik, die der Faschismus betrieben hat, mit der Politisierung der Ästhetik geantwortet wurde, dann liegt es nahe in der Setzung von Glück als Kunstziel eine Regression in die bürgerlichen Erbauungskunst, den Eskapismus zu sehen.
Und doch spricht nicht nur grüne Politik vermehrt von Glück. In einer Enquetekommission zu Wohlstand und Wachstum hat sich der Bundes-tag zu alternativen Indikatoren Gedanken gemacht und das Königreich Bhutan misst regelmäßig das Glück seiner Bevölkerung.
Nun muss man mit direkten Glücksversprechen vorsichtig sein. Oft genug kam dabei Furchterregendes heraus.
Aber es geht um Rahmenbedingungen, in denen sich das Glück der Menschen entfalten kann – Rahmenbedingungen für ein gelingendes Leben von der Gesundheitspolitik, der Wirtschaftspolitik, einer gerechten Verteilungs- und Bildungspolitik, einer modernen Gesellschaftspolitik, die allen Lebensentwürfen und Lebensstilen gleiche Chancen ermöglichen will.
Und zu diesen Rahmenbedingungen menschlichen Glücks zählt auch der Zugang zu Kunst und Kultur.
Zugang zu Kultur sicherzustellen – das meinen wir mit Infrastrukturen des Glücks. Kunst und Kultur sind neben der Wissenschaft nach wie vor die fundamentalen Instrumente der Menschen, einen echten Fortschritt unseres Zusammenlebens und unseres Weltverständnisses zu erreichen.
Heute – am 80. Jahrestag der Machtübertragung an Hitler – erinnerte Inge Deutschkron in ihrer Rede im Bundestag daran, dass eines der ersten Dinge, die den Juden von den Nazis verboten wurde, der Zugang zu Kultur war.

2 Verfall der Infrastrukturen des Glücks
Die Infrastrukturen des Glücks sehen wir in einer prekären Lage.
Quer durch die Bundesrepublik sind Kulturinstitutionen von Schließungen bedroht, ich könnte eine lange Liste von geschlossenen oder von der Schließung
bedrohten Kulturorten aufzählen. Aber diese Liste kennen Sie alle besser als ich.
Nicht jede Gründung eines Wandertheaters wie in Mecklenburg-Vorpommern angedacht und nicht alle Zusammenschlüsse von Orchestern sind Teufelszeug. Manches Mal birgt die Neuordnung auch Chancen, nicht jeder Wandel ist eine Entwicklung zum schlechteren.
Wo aber am Ende keine Kultur mehr verfügbar ist, da verarmen Gemeinden und Regionen.
Kulturlose Landstriche sind bitter für die Bewohnerinnen und Bewohner, denn ihnen wird die Möglichkeit der gemeinschaftlichen Zusammenkunft in Theatern oder bei Musikfesten genommen, der niedrigschwellige Zugang zur Literatur durch öffentliche Bibliotheken, die Jugendangebote in Jugend- und Soziokulturellen Zentren und vor allem die gesellschaftliche Reflexion durch die Auseinandersetzung mit Kunst. Auch für Unternehmensansiedlungen, für Kreative und für Touristen verlieren die Regionen Anziehungskraft.
Für uns Grüne ist klar: wir wollen keine kulturell verödeten Landstriche. Trotz Finanzkrise und Schuldenbremse darf es keinen Raubbau an kultureller Infrastruktur geben.
Denn gerade hier gilt: was einmal weg ist, kommt nicht wieder. Unser Ziel ist, Kulturfinanzierung auf ein sicheres Fundament zu stellen, damit Länder und Kommunen ihre wichtige Aufgabe der Kulturfinanzierung nachkommen können. Wir stellen uns deshalb die Frage: Wie schaffen wir adäquate Rahmenbedingungen für die Kulturfinanzierung, damit sie trotz Schuldenbremse funktionieren kann?
Für eine Bundestagsfraktion ist das eine heikle Aufgabe. Für Kultur sind im föderalen Deutschland die Länder zuständig. Man ist da leicht Verfassungsfeind.
Doch allem Kooperationsverbot zum Trotze leistet der Bund fast 13 % der staatlichen Kulturausgaben in diesem Jahr. Unser Ziel ist, zu einer transparenten, gerechten und zukunftsgerichteten Verteilung zu kommen – wie wir gerade in einem Antrag klar gestellt haben.
Für Länder und Kommunen aber wird ihre finanzielle Verantwortung für Kultur in Zeiten von Finanzkrise und Schuldenbremse zum Problem. Viele Länder und Kommunen stehen noch immer unter finanziellem Druck, Spielräume für Kulturausgaben gibt es kaum bis gar nicht.
Überschuldete Kommunen müssen auch auf Druck der Kommunalaufsicht des Landes genau überprüfen, welche Kulturprojekte, welche Kulturhäuser und Institutionen sich die Stadt oder Gemeinde „noch leisten“ können.
Kultur ist aber kein Zückerli, das es oben drauf gibt, wenn noch was übrig ist. Freiwillige Leistungen sind der Kern kommunaler Freiheit, der Kern kommunaler Demokratie.
Hier liegt die Verantwortung des Bundes für die gesamtstaatliche Aufgabe bei der Sicherung der kulturellen Infrastruktur.
Wir müssen die strukturelle Unterfinanzierung unseres Gemeinwesens – vor allem unserer Städte und Kreise mindern.
Wir müssen das tun in einem Dreiklang von Sparen, Subventionsabbau und Einnahmeverbesserung.
Dazu gehört eine Reform der Einkommenssteuer mit einer Entlastung von Normalverdienern und einer Anhebung des Spitzensteuersatzes, eine Abschaffung der Abgeltungssteuer und die Streichung sinnloser Mehrwertsteuer-Subventionen wie der Mövenpicksteuer oder der Skiliftbefreiung. Wir haben errechnet, dass das den Ländern über 9 Mrd. Euro Einnahmen bringt und den Kommunen gut 1,5 Mrd. Sie sehen Glück hat auch etwas mit Geld zu tun.
Hierzu gehört eine Reform der Erbschaftssteuer Das würde den Ländern, denen es allein zusteht, rund 7 Mrd. bringen. Wir alle sollten dafür werben, damit diese Zuwächse in Bildung und Teilhabe eben auch und gerade in Teilhabe an Kunst und Kultur investiert werden.
Wir glauben, dass es gerecht ist, wenn gerade diejenigen, die viel haben oder erben zur Verbesserung und Verstetigung der Kulturförderung beitragen.

3 Kultur für alle: Teilhabe verbessern
Die Finanzierung von Kultur in Zeiten knapper Kassen lässt sich nur dann rechtfertigen, wenn Kultur mehr als nur einen exklusiven Teil der Bevölkerung anspricht, wenn sie sich in die Gesellschaft hinein öffnet.
Das ist kein
Appell für eine Mainstream-Kultur, die sich anbiedert und es jedem und jeder Recht macht. Nein, mir geht es darum, dass Zugänge zu Kultur und Teilhabe an Kultur erleichtert werden. Das ist natürlich vor allem auch eine Bildungsaufgabe, eine Frage der kulturellen Pädagogik, des Heranführens an die verschiedenen Formen von Kunst und Kultur. Es macht aber auch eine neue Vielfalt in der Programmgestaltung notwendig, damit sich auch Kinder, junge Familien, Jugendliche und MigrantInnen angesprochen fühlen. Das macht neue Kooperationen notwendig.
Die Kulturstiftung des Bundes macht es zudem vor, indem sie mit ihrem Programm Doppelpass erfolgreiche Kooperationen zwischen freien Gruppen und festen Tanz- und Theaterhäusern schafft. Hiervon brauchen wir mehr.
Viele Theater, Konzerthäuser, viele Filmproduzenten und freie Gruppen beherzigen diese Forderung schon seit langem. Es geht um eine Erweiterung, eine Öffnung, eine inklusive Botschaft der Kultur.
Es bleibt aber natürlich auch richtig, dass wir gerade deshalb öffentliche Kulturfinanzierung brauchen, weil die Nachfrage am Markt natürlich nicht immer das Neue, Sperrige, Komplexe, das Ästhetisch noch Ungewohnte, oder Unverständliche auch nachfragt. Würden wir die Kultur alleine dem Markt überlassen, würde vieles gar nicht erst entstehen.
Der Markt als solcher ist apologetisch und produziert nur allzu leicht ein reines Oldie-Programm.
Wir brauchen immer noch Experiment und Avantgarde. Wie oft schon haben wir die Erfahrung gemacht, das neue Formen etwa des post-dramatischen Theaters, des avantgardistischen Filmschnitts, der neu tönenden Musik erst auf hysterischen Widerstand oder völlige Ignoranz trafen und einige Jahrzehnte später breite Beachtung fanden.
Um solche Schutzräume für Avantgarde nicht ausschließlich der Willkür der Mäzene und dem Glück privilegierter Geburt zu überlassen, brauchen wir die Schutzräume öffentlicher Finanzierung. Auch in Zeiten knapper Kassen.
Das heißt nicht, dass Kulturinstitutionen die einmal Steuergeld bekommen haben, von jeder Kürzung für immer sakrosankt sein sollen. Wenn das Geld knapp ist, wird da gekürzt, wo am wenigsten für die Allgemeinheit getan wird, wo am wenigsten Menschen profitieren. Deshalb ist es auch im Interesse der Häuser, eine breitere Teilhabe zu erreichen.
Da werbe ich schon auch um Verständnis für die grimmigen Kämmerer und Finanzminister, die bei Kindertagesstätten, bei Schulen, Lehrerstellen, bei der Polizei kürzen sollen und vor dem Kulturtempel halt machen sollen.
Das Problem kann nicht in der Logik der Verteilungskämpfe zwischen den Politikbereichen gelöst werden. In dem übrigens die Kultur in Deutschland gar nicht so schlechte Karten hat.
Es geht um Grundsätzliches. Es geht um die Frage, ob wir vom Wohlstand dieses Landes, der sich in mittlerweile fast fünf Billionen privatem Geldvermögen ausdrückt, genug für die Finanzierung öffentlicher Güter wie Sicherheit, Infrastruktur, Bildung, Kulturelle Infrastruktur einzusetzen.
Und Zugang zur Kultur ist ein öffentliches Gut!

4 Glück allein reicht nicht – Soziale Sicherung für Kreative
Das Glück, kreativ tätig zu sein, in Infrastrukturen des Glücks eingebunden zu sein, zu deren Erhalt beizutragen, reicht irgendwann nicht mehr aus. Dann muss zu dem Glück auch soziale Sicherung kommen. Dann braucht es auch einen Mindestlohn oder eine Mindestgage.
Wir haben in den letzten Jahren Kulturpolitik einen Schwerpunkt auf die soziale Lage von Kulturschaffenden gelegt.

  • Gerade haben wir einen Antrag in den Bundestag eingebracht, in dem wir einen Anspruch auf Krankengeld ab dem ersten Tag der Arbeitsunfähigkeit für unständig und kurzfristig Beschäftigte sowie Selbständige fordern.
  • Auch der Anspruch auf Arbeitslosengeld für Kulturschaffende, die innerhalb von zwei Jahren mindestens vier Monate in die Arbeitslosenversicherung einbezahlt haben sowie Honoraruntergrenzen für Lehrtätige ohne Festanstellung sind in unseren Augen entscheidend für eine Berufsgruppe, die sich oft
    von prekärer Beschäftigung zu prekärer Beschäftigung hangelt.
  • In unseren grünen Maßnahmenkatalog zur Verbesserung der sozialen Lage der Kulturschaffenden gehört unsere Forderung, dass der Bund eine verpflichtende Ausstellungszahlung an bildende Künstlerinnen und Künstler sowie Fotografinnen und Fotografen in seine Förderkriterien aufnimmt. Wir versprechen uns davon eine Vorbildfunktion des Bundes für Länder, Kommunen und private Aussteller.
  • Auch im Urhebervertragsrecht müssen wir dringend nachjustieren. Faire Vertragsverhältnisse gibt es nur, wenn Urheberinnen und Urheber mit ihren Verwertern auf Augenhöhe verhandeln können. In den vergangenen Jahren hat sich gezeigt, dass dies nicht gegeben ist. Deshalb fordern wir eine Stärkung der Rechte der Urheberinnen und Urheber.
  • Ein essentieller Punkt ist in unseren Augen, die Schlichtungsverfahren über Vergütungsregeln Kreativen und Verwertern so zu gestalten, dass am es am Ende zu einem für beide Seiten bindenden Ergebnis führt.

5 Glück ist Vielfalt
Aber es geht auch um den Erhalt kultureller Vielfalt. Übergroße Marktmacht gefährdet etwa die Vielfalt unserer Literatur. Die Monopolisierung des Buchhandels bei Thalia und Hugendubel – die nicht nur die Buchpreisbindung unterläuft – mit der stürmischen Entwicklung des Online-Vertriebs vor allem über Amazon wird für mehr kleine, wichtige Verlage zu einen Problem.
Sie finden keinen Zugang zum Markt – weil der Zugang zu Markt monopolisiert wird.
Verlagsvertreter kleiner Verlage werden vielfach nicht mehr über die Schwelle von Buchhandlun-gen gelassen. Es werden immer weniger Buchhandlungen, die ihre Bücher vertreiben.
Hier werden wir gegensteuern müssen. Es gibt einen Vorschlag, gerade den kleinen Buchhandel zu fördern – in dem gleichen System wie lange schon Programmkinos gefördert wurden, durch einen Wettbewerb.
Ich möchte für eine solche Idee heute hier werben – und ich freue mich, dass es seit der Leipziger Buchmesse für diese Idee einen bekannten Unterstützer gibt. Unseren Bundespräsidenten Joachim Gauck.
Grüne Kulturpolitik möchte, dass solche Idee Realität wird.
Das Glück ein Buch zu lesen, gibt es auch jenseits der SPIEGEL-Bestsellerliste und nicht nur auf dem Kindle.
Glück ist auch Vielfalt.
Wir freuen uns auf rege Diskussionen an den Tischen. Vielen Dank.

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