Nord Stream 2: Eine Wette gegen die europäische Klimapolitik

Das Recht Geld zu verbrennen: In der Ablehnung der Gaspipeline Nord Stream 2 treffen sich sehr unterschiedliche politische Kräfte. Bei einem Fachgespräch befasste sich auch die grüne Bundestagsfraktion im Februar 2016 mit Nord Stream 2. 

Zwei neue Stränge, die die Kapazität der schon bestehenden Ostseepipeline Nord Stream 1 nach Lubmin um 55 Mrd. m³ verdoppeln sollen, bedrohen danach Europas Energiesicherheit und den inneren Zusammenhalt der Europäischen Union. Für Norbert Röttgen (CDU) „konterkariert“ Nord Stream 2 so „die Ziele europäischer Sicherheitspolitik“. Die polnische Regierung beklagt eine wachsende Abhängigkeit von Russland. Grüne sehen in Nord Stream 2 einen Anschlag auf die  „Dekarbonisierung“ (G7) der Weltwirtschaft.

Wenn die ebenso klimafeindliche wie kohlefanatische PIS-Regierung etwas ebenso ablehnt wie die Klima- und Kohleausstiegspartei Grüne kann etwas nicht stimmen. Tatsächlich ist die Gegnerschaft der polnischen Regierung keine fundamentale. Ihr Präsident Duda hält die Abhängigkeit vom Russengas dann nicht mehr für so gravierend, wenn Nord Stream 2 über ihr Hoheitsgebiet geführt werden würde und sie dafür Durchleitungsgebühren kassieren kann.

Versorgungssicherheit

Doch gefährdet Nord Stream 2 tatsächlich die Versorgungssicherheit? Wohl kaum, aber sie erhöht sie auch nicht.

Zunächst erzeugt pipelinegebundene Energie ein höheres Maß wechselseitiger Abhängigkeit zwischen Erzeuger und Verbraucher. Der Erzeuger kann den Kunden nur zu hohen Kosten wechseln. Die enormen Kosten des großen Pipelineprojekts Die Stärke Sibiriens mit 61 Mrd. m³ Kapazität zur Versorgung Chinas sind ein Beleg dafür. So einfach kann Russland seine Kunden nicht wechseln.

Die Versorgungssicherheit Europas mit russischem Gas war über Jahrzehnte – vom Kalten Krieg bis zum  Zusammenbruch der Sowjetunion zuverlässig gesichert. Lediglich die kleptomanische Bereicherung durch eine korrupte Elite in der Ukraine hat diese Versorgungssicherheit vorübergehend in Frage gestellt.

Dem russischen Staatshaushalt steht das Wasser bis zum Hals. Einst auf 115 Dollar je Barrel geplant, dann mit abfallendem Ölpreis auf 50 Dollar radikal zusammengestrichen, ist selbst dieses Szenario bei aktuellen Ölpreis von knapp 30 Dollar nicht mehr haltbar. Russland ist auf den Gasverkauf nach Europa angewiesen. Vielleicht sogar mehr, als Europa auf das Gas aus Russland. Nicht zuletzt deshalb hat Renzis Italien laut Standard eine 180 Grad-Wende hingelegt. Es soll sich nach erstem Protest am Bau von Nord Stream 2 beteiligen.

Es erhöht die Versorgungssicherheit, wenn es einen direkten Transitweg zwischen Erzeugern und Verbrauchern gibt. Allein die Ukraine erhält 2 Mrd. Durchleitungsgebühren, die Slowakei 400 Mio. jährlich. Die Ukraine beabsichtigt diese zu fast verdreifachen.[1] Zu zahlen haben diese Gebühren private Haushalte und die Industrie.

Viele Osteuropäer befürchten, Gazprom wolle mit dem Neubau die Ukraine von Europa abgekoppelt. Doch nur mit Nord Stream 2 wird das nicht gelingen. Um die gesamten durch die Ukraine fließenden Transportmengen – aktuell ca. 120Mrd. m3 – zu substituieren wären mehr als zwei neue Stränge durch die Ostsee nötig. Gerade sind aber die Southstream  und Turkishstream gescheitert. Zudem müssten für Nord Stream 2 die Anschlussleitungen nach Großbritannien – NEL und nach Tschechien erweitert werden.

Ein anderes Problem sollte die Europäer hingegen umtreiben. Die Ukraine droht sich gerade selbst von Europa abzukoppeln. In die Instandhaltung ihres Gasnetz müssen 3 bis 4 Mrd. € investiert werden – aber angesichts der unsicheren ökonomischen Lage, ist niemand bereit, dieses Geld aufzubringen.

Gerade für Grüne ist das Hochhalten des Transitlandes Ukraine schwierig. Setzen sich grüne Vorstellungen für eine Reduzierung des Gasverbrauchs durch mehr Effizienz um, wird es in der Ukraine zu einem massiven Einbruch des Transits und der damit verbundenen Einnahmen kommen.

Marktanteile

Bei genauerem Hinsehen geht es in der Debatte um Nord Stream 2 weniger um Versorgungssicherheit als um Marktanteile. Es steht die Frage auf der Tagesordnung wer darf wieviel welchen Gases auf den europäischen Markt bringen?

Eine solche Marktentscheidung findet zwar in einem komplex regulierten Markt statt, ist aber am Ende durch die Marktteilnehmer zu entscheiden. Dieser Markt ist heute schon von massiven Überkapazitäten geprägt. So sind die Flüssiggasterminals in Europa gerade zu 25 % ausgelastet – das gilt auch für das neue polnische in Świnoujście.

Es gibt auch in der Energiewirtschaft das Recht, sein Geld zu verbrennen. Dennoch ist es nicht rational zu unterstellen, das Nord Stream 2 Konsortium aus Gazprom, BASF, E.ON, Shell, OMV und Engie würde  9,9 Mrd. im Schlick der Ostsee versenken wollen.

Die Hoffnung auf ein rentierliches Investment hat eine Ursache. Ölpreisindexiertes Pipeline-Gas profitiert vom aktuell niedrigen Ölpreis. Flüssiggas und Fracking-Gas sind die Verlierer der aktuellen Entwicklung. Flüssiggas ist wegen der Ver- und Entflüssigung nicht nur deutlich CO2-reicher, sondern mit konstanten Overhead-Kosten verbunden. Seine Wettbewerbsfähigkeit droht bei anhaltend niedrigem Ölpreis weiter zu sinken.

Gasunion

Die Hoffnungen des Nord Stream 2 Konsortium liegen aber nicht nur im niedrigen Ölpreis. Sie setzen auch auf die von Europäischen Union gesetzten Rahmenbedingungen. Ihre Hoffnung ist die europäische Energieunion.

Die ist im Kern bloß eine Gasunion. Sie existiert ein Stück losgelöst von den europäischen Klimaschutzzielen. Sie enthält Sinnvolles, wie die Schaffung eines echten europäischen Gasnetzes mit der Möglichkeit zum reverse flow. Versorgungssicherheit wird so europäisiert. Das wäre auch eine Möglichkeit, die Abkoppelung der Ukraine zu begegnen und die dortigen Speicher für Europa nutzbar zu machen.

Vor allem aber setzt die Gasunion auf ein Mehr an Gasimporten und ein Mehr an Gasverbrauch. Weil der Mut zu Verbrauchsreduktionen fehlt, soll Europa künftig mehr Gas woanders einkaufen. Russisches Gas soll durch Gas aus Aserbaidschan – wie Russland eine „gelenkte Demokratie“ (Putin) – ersetzt werden. Hinzukommen soll mehr Flüssiggas aus Autokratien wie Qatar und Algerien. Im Angebot ist noch Flüssiggas-Gas aus Australien und den USA, demokratisch aber gefrackt.

Geostrategisch muss Europa an einer stärkeren Import-Unabhängigkeit von Russland Interesse haben. Dafür muss es seine Importabhängigkeit bei fossilen Energien beenden. Den einen autokratischen Lieferanten (Russland) gegen einen anderen (Aserbaidschan oder Qatar) auszutauschen, reicht nicht. Es verlagert die Abhängigkeiten nur, verringert sie aber nicht.

Klimaschutz

Mehr Energieunabhängigkeit gibt es nur, wenn wir weg kommen von fossilen Energien. Eine Studie des Fraunhofer Instituts hat schon vor fast 2 Jahren nachgewiesen, dass durch Fortschritte bei der Gebäudedämmung Deutschland bis 2030 so viel Gas einsparen könnte, wie es heute aus Russland importiert.

Bis 2030 sollen in Europa die Treibhausgasemissionen um 40 % sinken, der Anteil Erneuerbarer Energien am Energieverbrauch soll auf 27 % gesteigert werden und die Energieeffizienz soll um mindestens 27 % gesteigert werden. Dem wird die Energieunion nur bedingt gerecht. Vor allem aber wird das gerade von denen gebremst, die am lautesten gegen Nord Stream 2 sind.

Nord Stream 2, wie auch die Gaspläne der EU-Kommission sind eine Wette auf das Scheitern der europäischen Klimaschutzpolitik. Es ist paradox: Scheitert der Klimaschutz rechnet sich Nord Stream 2.

 

[1]              Von derzeitig 1,8 Mrd. auf 5,5 Mrd. soll nach dem Willen von Naftogaz die Gebühr für Gazprom steigen.

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