Haltung und Verantwortung

Warum der 13. März den Grünen ein Problem beschert

In einem Tweet nach der Landtagswahl wurde Sigmar Gabriel verspottet. Auf die Frage „Wie war die Wahl?“ lautet seine Antwort „Rheinland-Pfalz“. Und auf die Frage „Wie wird das Wetter?“ lautet seine Antwort„Rheinland-Pfalz“. Bei Grünens lautet die Antwort auf beide Fragen „Baden-Württemberg“.

Freude

Aber man wird sich doch noch mal freuen dürfen. Wir sind immer noch in allen Landtagen vertreten. Vielleicht sitzen Grüne demnächst nicht mehr in neun sondern gar in zehn Landesregierungen.

Ja, es ist großartig, dass wir in Baden-Württemberg über 416 000 Wähler*innen dazu gewonnen haben und nun stärkste Partei sind. Volkspartei in einem Flächenland und nicht mehr nur in einzelnen Städten oder Stadtteil – all das ein Grund zur Freude.
Freuen darf man sich über die Grünen in Sachsen-Anhalt, die es trotz massiver politischer, ja physischer Bedrohung, mit einem mutigen Anti-AfD-Wahlkampf trotz gestiegener Wahlbeteiligung ihren Platz im Landtag verteidigt haben.

Fakten

Bei aller Freude sollten aber die dramatische Veränderung nicht vergessen werden, die der 13. März offenbart hat: Es gibt in Deutschland eine strukturelle Mehrheit rechts der Mitte.
Die Zeiten einer auch nur bloß rechnerischen Mehrheit jenseits von CDU/CSU und FDP sind 2012 zu Ende gegangen. Was bei der Bundestagwahl noch durch die 5 %-Hürde verdeckt kaschiert, ist nun unübersehbar: es gibt zurzeit keine rot-grünen Mehrheiten mehr.

Der Verlust einer Mehrheit links der Mitte hat zwei banale Gründe – Verluste zur Linken, Zugewinne zur Rechten. Bis in den Januar 2013 – zuletzt bei der Niedersachsenwahl – war die linke Mitte lange mehrheitsfähig.

Weder die SPD-Gewinne in Rheinland-Pfalz noch die Grünen-Gewinne in Baden-Württemberg konnten am 13. März die Mehrheiten von Grün und Rot verteidigen. Unter dem Strich verloren Rot wie Grün 70 000 Wähler*innen in Rheinland-Pfalz und 56 000 Wähler*innen in Baden-Württemberg. Im ersten Fall waren dies 9,6 Prozentpunkte, im zweiten 4,3.

Dass die SPD verliert, ist seit 2005 und noch stärker seit 2009 so. Bei der letzten Runde von Landtagswahlen zu Beginn des Jahrzehnts gab es dennoch rot-grüne oder grün-rote Mehrheiten im Westen, weil die Gewinne der Grünen die Verluste der SPD überkompensierten. Das ist vorbei.

Seit 2013 verlieren die Grünen bei fast sämtlichen Wahlen zwischen 20 und 40 % der Wähler*innen in absoluten Zahlen. Es gibt zwei Ausnahmen. Ein leichter Zuwachs in Hamburg. Dafür war aber die Wahl zuvor wegen des Scheiterns von Schwarz-Grün mitten in der Hochzeit grüner Wahlerfolge ziemlich mau ausgefallen. Und es gab den fantastischen Mobilisierungserfolg in Baden-Württemberg. Aber selbst der konnte die erneuten Verluste der SPD nicht ausgleichen.
Und wo rot-grün nicht reicht, hilft auch rot-grün-rot oft nicht mehr weiter. Auch die LINKE profitiert nicht mehr von den Verlusten der SPD. Sie ist neben der SPD die große Wahlverliererin des 13. März. Im Westen schrumpfte sie auf DKP-Niveau. In Sachsen-Anhalt verlor sie 50 000 Wähler*innen. Es ist müßig, darüber nachzudenken, wer bei der Linken mehr verloren hat, die Bartsch-Reformer oder die Wagenknecht-Fundis.

Rechte

Die Verluste zur Linken sind nur der eine Teil der Machtverschiebung zwischen den politischen Lagern. Gravierend wurde diese Machtverschiebung durch die Mobilisierung von Nichtwähler*innen durch die Rechtspopulist*innen.
Die AfD zog nicht nur viel von der CDU und auch einiges von SPD und Linken ab. Sie mobilisierte mit dem Rückenwind der aus CSU und CDU immer wieder befeuerten Flüchtlingsdebatte neue Wähler*innen. Ein Teil der gestiegenen Wahlbeteiligung des 13. März dürfte Rechtsaußen gelandet sein.
Es ist fahrlässig, die damit ausgedrückte offen rechte Haltung als Protestwahl zu verharmlosen. Man muss nicht die gesamte AfD mit der offen neonazistischen Ideologie eines Björn Höcke gleichsetzen. Und sicherlich haben nicht alle Wähler*innen die gestelzten Ausführungen von Petry, Poggenburg und Meuthen zur Rückabwicklung von 1968 als wahlentscheidend angesehen.
Dennoch drückt sich hier ein klar rechtes Weltbild aus, für die das Flüchtlingsthema nur Treiber und Aufhänger ist. Im Kern geht es den AfD-Wähler*innen wie schon zuvor beim Kampf gegen den Euro um die aggressive Verteidigung ihrer Besitzstände gegenüber den anderen, den Fremden, denen unter ihnen und den Frauen neben ihnen.
Der Fremdenhass hat den gleichen Kern wie der Euro-Hass, wie der Frauen-, Schwulen- und Armenhass. Es ist der Unwille solidarisch beizutragen, in einer Gesellschaft der Teilhabe leben zu wollen. Deshalb passt bei der AfD die Abschottung Europas zur Ablehnung des Mindestlohns, der Kampf gegen die Gleichberechtigung zum Zurück zum Nationalstaat.
Die AfD hat mit ihrer rechten Kampagne der Gesellschaft eine neue Polarisierung aufgedrängt. In einer Gesellschaft, in der lange alle Mitte sein wollten, macht sich eine neue scharfe Lagerpolarisierung breit.

Verantwortung

Die Verschiebung der politischen Macht nach rechts führt – noch – nicht zu rechten parlamentarischen Mehrheiten. Für die CDU ist die AfD – noch – nicht koalitionsfähig. Sie will sie wie einst die REPUBLIKANER überflüssig machen.
Ein Weg dies zu tun, ist ihr aber verwehrt. Sie kann nicht in der Opposition nach rechts ausscheren und so verlorene Wähler*innen zurückholen. Denn sie muss – mindestens im Bund – regieren. Damit ist sie nicht allein – im Kern trifft der paradoxe Zwang in einer polarisierten politischen Lage lagerübergreifende Koalitionen zu bilden alle demokratischen Parteien. Man kann sich wie die FDP Baden-Württemberg vielleicht einmal parteitaktisch vom Acker machen, aber auf Dauer ist der Druck zu lagerübergreifenden Koalitionen stärker.
Für Franz Müntefering war Opposition Mist – jetzt wird Regieren zum Zwang. Siehe Sachsen-Anhalt.
Diese Regierungen werden weniger konturiert sein als Lagerkoalitionen. Ein pluraleres Sechs-Parteien-System produziert vielfarbige Koalitionen aber eine eintönigere, häufig bloß technokratische Politik.
Dieses aber dürfte den weiteren Etablierungsprozess der AfD begünstigen. Wir können in Österreich beobachten, wohin das führt. Die Rechtspopulist*innen der FPÖ treiben den Rest der Parteien vor sich her und drücken die Gesellschaft weiter nach rechts.

Haltung

Grüne dürfen sich deshalb nicht darauf beschränken, nach dem Motto Einer muss ja das Land regieren ihrer Verantwortung nach zu kommen. Sie müssen die politische Herausforderung der AfD annehmen. Sie müssen Haltung beweisen.
Mit der Verschiebung der Machtverhältnisse nach rechts geht ein Argument grün zu wählen verloren. Wenn rot-grün keine Mehrheit mehr verspricht, verlieren sie ein wichtiges Funktionsargument für die große Zahl rot-grüner Wechselwähler*innen. Wenn es nicht mehr hilft, für eine rot-grüne Mehrheit grün zu wählen, dann wandern in einer personell zugespitzten Situation die Wechselwähler*innen zum Spitzenkandidaten des linken Lagers – was in Baden-Württemberg die SPD und in Rheinland-Pfalz die GRÜNEN schmerzlich erfuhren. Keine guten Aussichten für GRÜNE IN Nordrhein-Westfalen und auch nicht für die Bundestagswahl.
Die politische Herausforderung annehmen, heißt in aufrechter Haltung die AfD anzugehen. Die Grünen sind nicht nur in der Wahrnehmung der AfD-Trolle die wahren Gegner. Tatsächlich handelt es sich bei Grünen und AfD um die gegensätzlichen Pole in der politischen Auseinandersetzung – nicht nur weil sich die Rechten als Windkraftgegner, Atombefürworter und Klimaleugner profilieren.

Im Kern stehen sich mit beiden Parteien zwei gegensätzliche Entwürfe von Gesellschaft gegenüber. Zur Rechten Entsolidarisierung gerade gegenüber Schwächeren, bei GRÜNEN gerechte Teilhabechancen für alle.

Das zweithäufigste Motiv grün zu wählen war am 13. März – neben der Umwelt- und Klimapolitik – der Wunsch nach mehr Gerechtigkeit.
Eine Haltung der Teilhabe und der Gerechtigkeit – das muss die grüne Antwort auf die AfD sein.
Grüne streiten nicht nur für ein Klimaschutzgesetz samt Kohleausstieg, E-Mobilität und Energieeinsparung. Grünen wollen auch, dass massiv in Mietwohnungsbau, in soziale, digitale und energetische Infrastruktur investiert wird. Grüne stellen sich der wachsenden Ungleichheit entgegen, kämpfen gegen die Gefahr sozialen Abstiegs . Grüne wollen eine Gesellschaft, zu der alle beitragen und an der alle teilhaben.

Die Bundestagwahl wird nicht über Regierungsoptionen entschieden. Aktuell sind weder Rot-Grün-Rot noch Schwarz-Grün wahrscheinlich. Nein, die Bundestagswahl wird über Haltung entschieden.
Nur mit einer klaren Haltung wird es gelingen, in einem künftigen Sechs-Parteien-Bundestag nicht sechste sondern dritte Kraft zu sein. Nur klare Haltung kann GRÜNE in die Situation bringen, am Ende auch in einer Regierung Verantwortung zu beweisen.

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