Mittelstand in der Globalisierung: Europa und die Klimakrise

Sehr geehrter Herr Göwicke,
Meine sehr verehrten Damen und Herren,

vielen Dank für die Einladung zu heutigen Jahresempfang.

Ich möchte heute darüber sprechen, warum wir verändern müssen, wenn wir erhalten wollen.

Und mich dabei an ein Motto halten: „Die Zukunft soll man nicht voraussehen wollen, sondern möglich machen.“ (Antoine de Saint-Exupery)

Aber um sie zu ermöglichen braucht man eine Idee von dieser Zukunft. Eine Idee davon, in was für einer Welt wir eigentlich leben wollen.

Grüne für den Mittelstand

Ich habe einen Verdacht, warum Sie mich dafür eingeladen haben. Klar, ich bin Mitglied des von Mario Ohoven berufenen Politischen Beirats des Bundesverbandes Mittelständischer Wirtschaft.

Aber das erklärt nicht die Einladung eines Grünen, zumal eines Fischkopps aus Bremen, ins Unterfränkische. Vielleicht glauben Sie einfach nicht an das Märchen, wonach Grüne und Mittelstand nicht miteinander können.

Vielleicht aber haben Sie sich einfach an die frühen Zweitausender Jahre erinnert, als mich eine Reihe von fränkischen und bayerischen Familienbrauereien zu ihrem „Schutzpatron“ ausriefen. Ich habe damals erstmal verhindert, dass ihre mittelständischen Unternehmen von den Einweg-Konzernen aus Nordrhein-Westfalen, von den Warsteiners, den  Metros  und den ALDIs plattgemacht wurden. Seit dem kann ich als DJ Dosenpfand auftreten. Doch dies erklärt nur die grüne Seite der Einladung. Warum einen gebürtigen Bremer?

Weil Bremer sich mit Globalisierung auskennen. Die Chancen und die Risiken der Globalisierung, die neue Unübersichtlichkeit der Welt und die Chancen des Klimaschutzes für die mittelständische Wirtschaft, darüber will ich heute sprechen.

Globalisierung und Mittelstand

Zunächst: Globalisierung ist keine Erfindung von heute. Ich bin Bremer und Kaufmannssohn. Mein Vater war Geschäftsführer und Prokurist bei einem mittelständischen Textilunternehmen. Die BTF stellte anfangs Tauwerk für die Fischerei und später Badmatten namens Kleine Wolke her.

Als Bremer Jung wuchs ich auf mit der Geschichte der Hanse und dem Wissen um die Ehrbaren Kaufleute. Die Hanse war eine der ersten mächtigen internationalen Handelsgemeinschaften. Vom russischen Welikij Nowgorod im Osten, bis zum französischen La Rochelle im Westen, über Brügge, London und bis hoch nach Hafnarfjörður in Island im Norden – der Städtebund war im Mittelalter sehr mächtig.

Der organisierte Mittelstand der hanseatischen Kaufleute gewann sogar Kriege gegen den dänischen König. Er dominierte den Handel im Ost- und Nordseeraum – dem Handelsraum des Mittelalters.

Das war Globalisierung im wahrsten Sinne. Damals war Globalisierung vor allem Handel – aber der Handel hatte Auswirkungen auf die Produktion.

Ohne die Hanse, ohne uns Bremer, gäbe es weder Bordeaux-Weine noch Bockbier.

  • Der Handel erzwang neue Konservierungsformen – in luftdicht verkorkten Flaschen und mit lagerfähigen Traubensorten. So kam es zum Bordeaux.
  • Um Transportkosten zu sparen, wurde beim Bier auf höhere Alkoholgrade gesetzt. Erfunden wurde es im südniedersächsischen Einbeck – daher kommt der Name Bockbier. Ohne Niedersachsen kein Starkbieranstich auf dem Nockherberg.

Sie sehen: Der organisierte Mittelstand der Hanse hat Innovation und Effizienzgewinne hervorgebracht, die bis heute Bestand haben.

Anders übrigens als die Hanse – die hatte keinen Bestand. Warum nicht?

Zum einen machte ihm die zunehmende Nationalisierung das Leben schwer. Immer mehr Zölle, neuen Landesgrenzen und Gebietsansprüche führten dazu, dass die hanseatischen Kaufleute ins Hintertreffen gerieten. Zum zweiten hat die Hanse schlichtweg die Modernisierung verschlafen… Überseehandel und Flexibilität verdrängte den an alten Privilegien festhaltenden Bund der Kaufleute. Nicht zuletzt machte ihnen eine Religionsfrage zu schaffen. Die Reformation trieb einen Keil in die Hanse. So kam es, dass die protestantischen Religionsflüchtlinge die Amsterdam, London und auch Hamburg eine Zukunft sicherten.

Lübeck, auch Danzig aber kamen mit einer dezidiert fremdenfeindlichen Haltung unter die Räder der Geschichte. Pegida in Dresden sollte einen aufmerksamen Blick auf diese Geschichte werfen. Zollschranken, Nationalismus, sich auflösende Bündnisse, verschlafene Modernisierung, Anheizen religiöser Spaltungen – irgendwie kommt mir das bekannt vor.

Die Stichworte heute heißen America First, Made in China 2025, sie zeigen sich beim Kampf um den Zugang zu 5G und zu Cloud-Diensten. Es geht um Autozölle und globale Batterie-Monopole. Und was im ausgehenden Mittelalter das Schisma zwischen Protestanten und Katholiken war, droht nun die Abgrenzung zwischen Muslimen und Christen zu werden. Ich finde, wir sollten uns den Luxus gönnen, aus den Fehlern der Vergangenheit zu lernen.

Das gilt gerade für den deutschen Mittelstand. Er ist heute in einer Weise von der Globalisierung abhängig wie wohl nie zuvor. Auch und gerade der Mittelstand hat zu den Exporterfolgen der der deutschen Wirtschaft beigetragen – und ist von ihnen abhängig. Doch was ist eigentlich der Mittelstand?

Nun, Größe ist keine Größe. In Deutschland wollen alle Mittelschicht sein, selbst Friedrich Merz. In Deutschland wollen alle Mittelstand sein – doch wie bei der Mittelschicht weigert man sich zu definieren, wo der Mittelstand anfängt, und wo er aufhört.

Eine Lobbyorganisation hat sich deshalb den Begriff der Familienunternehmen einfallen lassen. Gemeint sind selbstständige, eigentümerbestimmte Unternehmen. Doch Familienunternehmen sind nicht alle mittelständig. Die beiden größten deutschen Familienunternehmen sind Volkswagen, im Besitz der Porsche-Piech-Familie, und BMW, im Besitz der Quandt-Klattens. In anderen Ländern würde man da eher von Oligarchen sprechen.

Doch ist klein gleich gut und groß gleich böse? So einfach ist es nicht. Es war der VW-Konzern, der den Dieselbetrug organisierte. Der Mittelständler Dieter Hoeneß ist ein verurteilter Steuerhinterzieher. Die Familie Schlecker hat einen betrügerischen Konkurs hingelegt. Offensichtlich ist Fehlverhalten keine Frage der Größe. Andere Wahrheiten sind ebenfalls zu hinterfragen. Klein ist nicht automatisch innovativ und Groß nicht automatisch bürokratisch.

Am Anfang fast aller großen Unternehmen stand eine Innovation. Erst damit wurden sie groß. Das gilt für Google wie für Huawei, für Amazon und für Alibaba – ja auch wie für Aldi, das viertgrößte deutschen Familienunternehmen.Und gerade die Internetoligopole wenden sehr viel für Forschung und Entwicklung auf, allein Amazon mehr als staatliche Institutionen in Deutschland. Warum kann Größe zu einem Problem werden?

Groß ist Marktmacht. Größe kann mit seiner Macht Märkte dominieren – insbesondere, wenn dies durch Steuerreformen, Marktabschottung, Bankenregulierung, Subventionen staatlich gefördert wird. Das kann zu Monopolen führen.

Monopole verhindern Wettbewerb. Monopole verhindern Innovationen. Monopole sind Stillstand. Um kleine und mittelständische Unternehmen zu sichern, müssen globale Monopole verhindert werden. Das ist dann oft auch eine Frage der Größe. Ein globales Monopol bei zivilen Flugzeugen konnte nur mit einem europäischen Großkonzern namens Airbus verhindert werden. Der Konkurrent gegen ein chinesisches Monopol bei Batteriezellen wird kein mittelständisches Unternehmen sein. Auch ein europäischer Cloud-Service als Alternative zu Microsofts Azurre wird kein Kleinunternehmen sein.

Diese Maßnahmen aber werden dem Mittelstand in Deutschland und Europa nutzen. Wir wollen Freihandel, um Globalisierung zu gestalten. Wir brauchen ihn für Wohlstand und Prosperität. Aber frei ist Handel nur, wenn er fair ist. Wettbewerb geht nur bei Wettbewerbsgleichheit. Wettbewerbsgleichheit braucht Regeln. Wir brauchen die Herrschaft des Rechts. Das Recht des Stärkeren produziert keine Fairness.

Womit wir bei einem Problem sind. Denn diese Regeln brauchen eine verlässliche Ordnung. Unter der Globalisierung reichen nationale Regeln nicht mehr. Wir brauchen eine internationale Ordnung. Und die ist schwer unter Druck. Die internationale Ordnung scheint zu erodieren.

Neue Unübersichtlichkeit? Ende des Multilateralismus

 „Wir leben in bewegten Zeiten“ – so hat unser Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier noch  als Außenminister vor dem Kirchentag eine Rede über deutsche Außenpolitik begonnen. „Die Welt ist aus den Fugen geraten.“[1]

Die Erkenntnis ist nicht neu. Jürgen Habermas hat bereits vor 35 Jahren – im Jahr 1985 – über das Schreckenspanorama der weltweiten Gefährdung allgemeiner Lebensinteressen“ geschrieben. Gemeint ist, und ich zitiere: „die Spirale des Wettrüstens, die unkontrollierte Verbreitung von Kernwaffen, die strukturelle Verarmung der Entwicklungsländer, Arbeitslosigkeit und wachsende soziale Ungleichgewichte in den entwickelten Ländern, Probleme der Umweltbelastung, katastrophennah operierende Großtechnologie“.

Und er brachte all diese Herausforderungen auf eine knackige Formel: die neue Unübersichtlichkeit[2]. Erst heute wird uns klar, was Habermas damit gemeint hat.

Es ist jetzt 40 Jahre her, da began mit der islamischen Revolution im Iran und den Streiks der polnischen Solidarnosc die Auflösung der Blöcke.Vor 30 Jahren endet mit der deutschen Wiedervereinigung der Kalte Krieg. Vor 20 Jahren scheiterte im Irak die Vision einer unilateralen Welt, dominiert von den USA.

In dieser Welt zählen alte Gewissheiten nicht mehr. Tradierte Bündnisse tragen nicht mehr. Der chinesische Staatschef lobt den „freien Handel“ und den Multilateralismus – und praktiziert zuhause einen parteigelenkten Staatskapitalismus. Der Präsident der USA verlässt das Pariser Klimaabkommen, kündigt UNICEF, kürzt seine Beiträge für die Vereinten Nationen und blockiert die Welthandelsorganisation – Organisationen an der Wiege die USA standen.

Das transatlantische Verhältnis ist zerrüttet. Bayerische BMWs und Audis bedrohen die „nationale Sicherheit der USA“ – ja „Europe is worse than China“ behauptet Donald Trump. Die USA – einst Verfechter eines freien Handels – verhängen Zölle auf Stahl, Aluminium, Autos, I-Phones und kündigen Handelsabkommen in Serie. Zölle, Nationalismus, all das ist zurückgekehrt. Wie zum Ende der Hanse. Doch mit einem riesigen Unterschied. Heute ist die Globalisierung umfassend geworden.

Es geht nicht mehr nur um globalisierten Handel. Die Finanzmärkte haben sich globalisiert. Die hochqualifizierten Fachkräfte arbeiten auf einem globalen Markt wie die prekären Tellerwäscher in unseren Restaurants. Wir erleben globale Wanderungs- und Fluchtbewegungen.

Die Informationen haben sich globalisiert. Von Netflix bis Djihad. Es gibt globalen Terrorismus und globalen Rauschgifthandel. Und die Globalisierung von Viren besorgt uns dieser Tage.

Mit alledem haben sich unsere Probleme globalisiert: Klimakrise, wachsende globale Ungleichheit, Instabilität – diese Herausforderungen kennen keine nationalen Grenzen, sie bedingen sich gegenseitig und sind national nicht zu lösen.

Doch wir stehen vor einem Paradox: Die globalen Herausforderungen nehmen zu. Die Fähigkeit globale Probleme zu managen, nimmt ab. Anstatt globalen Problemen mit globalen Antworten entgegenzutreten, globale Institutionen zu stärken, mehr zu kooperieren werden diese Institutionen geschwächt. Die globale Unordnung soll zum eigenen Vorteil aber zum Nachteil aller anderen geordnet werden.

Die bittere Wahrheit ist: wir haben es dabei mit drei großen revisionistischen Kräften zu tun – dem aufsteigenden China, dem aufgeblasenen Russland und den absteigenden USA. Trotz all ihrer Unterschiede ist ihnen eins gemein: sie wollen die multilateralen Strukturen durch bilaterale Vereinbarungen zu ihrem jeweiligen Vorteil ersetzen. Das ist eine schlechte Nachricht für den deutschen Mittelstand. Denn wo die Elefanten kämpfen, leidet das Gras.

Der Kampf um globale Dominanz wird nicht mit mittelständischen Betrieben geführt.

  • Russlands Rüstungs- und Rohstoffkonzerne sind staatliche Monopolisten.
  • China fördert seine Konzerne mit staatseigenen Banken, Subventionen und Marktabschottung.
  • Die USA schützen ihre Konzerne in der Finanz- Öl- und Informationskonzerne mit Steuersubventionen – und ihre Industrie mit Zöllen, Sanktionen und Handelsbeschränkungen.

Kann Deutschland hiergegen etwas unternehmen? Alleine nicht.

Europa mit seinen 450 Millionen Bürger aber könnte gegen diese revisionistischen Kräfte ein Gegengewicht sein. Doch Europa ist in eine seltsame Apathie verfallen. Die Europäische Union schaut tatenlos zu, wie die USA und China die Welt zu ihrem Vorteil umbauen wollen.

Auf den sich herausbildenden neuen kalten Wirtschaftskrieg zwischen den USA und China hat der größte Binnenmarkt der Welt bis heute keine Antwort. Europa lässt sich spalten. Schlimmer noch: Deutschland spaltet Europa.

Deutschland blockierte die Mehrheit des Europaparlaments und der Mitgliedstaaten bei der Einführung einer Digitalsteuerals Antwort auf Trumps Steuerreform. Sie hat Milliarden aus Europa abgezogen. Und es bleibt bei dem Skandal, dass mein Buchladen in der Nachbarschaft brav Steuern bezahlt, während Amazon für lau davon kommt.

Das ist mittelstandsfeindlich. Europa wollte es ändern. Europa könnte es ändern. Aber die Bundesregierung hat es verhindert. Doch damit nicht genug. Jüngst setzte Deutschland gegen Frankreich ein EU-Verhandlungsmandat für ein Investitionsabkommen mit den USA durch – zu Gunsten der eigenen Autoindustrie, zu Lasten des Pariser Abkommens zum Klimaschutz. Da die USA dieses Abkommen verlassen haben, sind Klimaschutzmaßnahmen aus ihrer Sicht Handelshemmnisse.

Dies wird zu einer Benachteiligung europäischer, vor allem mittelständischer Unternehmen führen. Wenn wir der neuen globalen Unordnung etwas entgegensetzen wollen, dann brauchen wir mehr Europa.

Das geht nicht mit Deutsche Groß-Konzerne zu erst. Zumal Großkonzerne wie BMW, Volkswagen, Daimler ein Teil unseres Problems sind. Sie haben wichtige Innovationen verpennt, ja verachtet. Die deutschen Autokonzerne haben über ein Jahrzehnt alle Bemühungen um eine emissionsfreie Mobilität konterkariert. Sie haben auf den Diesel gesetzt – und sind auf den Märkten von morgen, in China, in Indien und auch in den USA damit gescheitert. Die Folgen haben heute Mittelständler im Zulieferbereich zu tragen.

Gerade kam eine Studie heraus, wonach der von deutschen Dieselkonzernen 10 Jahre verschleppte Einstieg in die Elektromobilität mindestens 75 000 Arbeitsplätze in der Autoindustrie kosten wird. Innovationen zu verschlafen hat zum Ende der Hanse geführt…

Mittelstand gegen die Klimakrise

„Der Klimawandel könnte zum Hauptfluchtgrund werden“[3], sagte der damalige Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen 2009 voraus. Der Mann, Antonio Guterres, ist inzwischen UN-Generalsekretär.

Er ist seitdem nicht leiser geworden. Letztes Jahr warnte er anlässlich des Internationalen Tages des Friedens: „Wir sind im Krieg mit der Natur, und das Problem mit der Natur ist, dass die Natur zurückschlägt“.[4]

Das war noch vor dem 25. UN-Klimagipfel in Madrid. Es war auch vor den verheerenden Bränden in Australien. Allen Streiks und Klimakonferenzen zum Trotze hat sich der Ausstoß von Treibhausgasen von 1970 mit 16 Mrd. Tonnen auf 38 Mrd. im Jahr 2018 mehr als verdoppelt. Von diesen Treibhausgasen stammten 2018 aus China 30 %, aus den USA 14 % und aus Europa 9 % – fast ein Viertel davon aus Deutschland.

Wir erleben immer mehr Dürren, Stürme, Hochwasser und Ernteausfälle. Die Zahl der klimabedingten Katastrophen ist von durchschnittlich 165 auf 329 pro Jahr gestiegen.[5] Die Klimakrise zerstört unsere Lebensgrundlagen. Die Konsequenz: große Fluchtbewegungen, soziale Spannungen, Konflikte, ja Kriege.

Ob akute Katastrophen oder schleichende Entwicklungen – es ist nicht mehr von der Hand zu weisen: Die Klimakrise ist ein Sicherheitsrisiko.

Das allen wieder ins Bewusstsein gebracht zu haben, ist das Verdienst der Schulstreiks von #FridaysForFuture. Sie fordern etwas gänzlich Unfassbares: Sie wollen, dass wir endlich auf die Wissenschaft hören.

Die erste Reaktion der älteren Generation war über die Schulpflicht, statt über die Klimakrise zu reden. Doch es bleibt wahr: Würden wir unsere eigenen Pflichten beim Klimaschutz ernst nehmen – bräuchten unsere Kinder nicht die Schulpflicht verletzten. Und aus Anlass der gestrigen Hauptversammlung: Hätte Jo Kaeser nicht versucht Luisa Neubauer für Marketing zu instrumentalisieren, gälte er heute noch als erfolgreicher Manager und Siemens nicht als Umweltsau.

Diese Kinder und Jugendlichen wissen sehr genau, in welcher Welt sie leben möchten. In einer lebenswerten! In dieser lebenswerten Welt braucht es natürlich weiterhin Arbeitsplätze, Wachstum und Wohlstand. Und einen wettbewerbsfähigen Mittelstand.

Es geht nicht um Ökologie gegen Ökonomie. Wenn wir es nicht schaffen, die Klimakrise einzudämmen, wenn wir es nicht schaffen, die Erwärmung des Weltklimas bei +1,5 Grad zu begrenzen, dann wird das sehr teuer. Sir Nicholas Stern, früher Chefökonom bei der Weltbank hat berechnet, dass uns ein Fortschreiten der Klimakrise zwischen 5 und 20 % des weltweiten GDPs kosten kann. Lobbyisten warnen immer wieder vor „hohen Kosten“, Klimaschutz müsse „bezahlbar“ sein. gesprochen. Sie schweigen aber von den Kosten des Nichtstuns.

Ich kenne kein Klimaschutzprogramm, das bis zu einem Fünftel des Wohlstandes kosten würde – im Gegenteil. Investitionen in Klimaschutz, der von der EU-Kommission vorgeschlagene Green Deal all dies ist eine Chance für den Mittelstand. Es ist an der Zeit, dass wir endlich die Rahmenbedingungen schaffen, dass mittelständische Unternehmen diese Chance auch wahrnehmen können.

Dabei stehen wir in einem Konflikt mit großen und mächtigen Interessen, mit Staaten wie mit Konzernen. Wenn wir das Klimaabkommen von Paris ernst nehmen, müssen vier Fünftel der heute bekannten Vorräte an Öl, Kohle und Gas unter der Erde bleiben. Ökonomisch sind Öl, Gas und Kohle dann ein Riesen Haufen toten Kapitals. Allein die an Börsen gelisteten Unternehmen haben 7 Billionen $ in Fossilen Energien versenkt. Platzt diese Carbon Bubble,werden Milliarden Abschreibungen bei Banken und Anlegern fällig.

Über dieses Finanzrisiko wird seit 10 Jahren intensiv gesprochen. Erst neulich warnte der Blackrock Chef Larry Fink vor Investments in fossilen Projekten. Doch trotzdem haben Gas-, Öl- und Kohlekonzerne noch nicht wirklich an den Märkten verloren – zumindest nicht aus diesen Gründen. Exxon plant in den nächsten Jahren seine Öl- und Gasförderung um 25 % zu steigern. Die großen fossilen Konzerne haben eine Wette gegen das Paris-Ankommen am Laufen.

Europa kann ihnen diese Wette vermasseln. Vorausgesetzt, es hat mehr Mut als die Bundeskanzlerin. In 14 Jahren Kanzlerschaft von Angela Merkel stagnierten die Treibhausgasemissionen über ein Jahrzehnt bei rund 900 Mio. t.

Alle Reduktionen in der Stromerzeugung, die der stürmischen Ausbau der Erneuerbaren Energie und der endlich wirksame Emissionshandel bewirkten, wurden durch steigende Emissionen im Verkehr und aus der Landwirtschaft aufgefressen.

Deshalb patzt Deutschland beim Klimaziel in diesem Jahr. Es werden keine 40 % Reduktion werden. Mit der Nichtumsetzung des Kohlekonsenses wird Deutschland auch seine Verpflichtungen im Rahmen des Pariser Ankommens von – 55 % nicht erreichen.

Der Klimaversager Deutschland reißt auch Europa mit. Dies ist eine Kampfansage an Ursula von der Leyen. Mit dem Green Deal soll Europa bis 2050 zum ersten klimaneutralen Kontinent werden. Das wird nötig sein. Würden alle Vertragsstaaten von Paris bloß ihre Zusagen umsetzen, könnte die Klimakrise auf einen Anstieg von 2,6° C begrenzt werden.

Soll die Klimakrise auf 1,5 bis C begrenzt werden müssen wir mehr Klimaschutz und eben nicht weniger machen. Für ein klimaneutrales Europa 2050 müssen die europäischen Emissionen bis 2030 mindestens um die Hälfte sinken. Und die deutschen Emissionen um mindestens Zweidrittel. Zwei Drittel – nicht bloß die Hälfte.

Doch warum soll Deutschland eigentlich mehr als andere Europäer machen? Ganz einfach: Weil Deutschland mehr emittiert als andere Europäer. Deutschland ist nicht nur der mit Abstand größte Treibhausgasemittent in der EU. Er ist auch beim Pro-Kopf-Ausstoß vorne mit dabei. Während es im EU-Durchschnitt 2017 viel zu viele 8,4 t pro Kopf im Jahr waren, emittierten die Deutschen fast ein Drittel mehr. Aber warum sehe ich in Klimaschutz eine Chance?

Mit den Milliarden, die durch den Green Deal investiert werden, können wir in den globalen Märkten der Zukunft wieder eine Rolle spielen. Einst ist die Energiewende – der Umstieg von fossiler und atomarer Energieerzeugung auf Erneuerbare Energien – hier in Deutschland gestartet worden. Und nicht nur das: Die Menschen reden nicht nur von der Energiewende. Sie investieren ihr Geld in sie. Und es sind Bauern, Genossenschaften, Bürgerfonds, und nicht die RWEs, die Milliarden in Erneuerbare Energien investiert haben. Über 40 % erneuerbarer Strom in Deutschland sind immer noch weitgehend konzernfrei.

Das EEG war der Einbruch des Mittelstands in die Stromerzeugung. Ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, an dem sich diese Investitionen auszahlen, wo es sich lohnt den eigenen Strom vom Dach selbst zu verbrauchen, weil er billiger ist als von den Stadtwerken, da tritt die Bundesregierung auf die Ausbaubremse. Begründung: Wir könnten uns den Ausbau dieser Technologie nicht leisten. Wir drohten an Wettbewerbsfähigkeit zu verlieren.

Was für ein Blödsinn. Die Weltmärkte sprechen eine andere Sprache. Die wirkliche deutsche Vorreiterrolle wurde beim EEG beschritten. Und dieser Sonderweg war gut für die Welt. Die degressive Einspeisevergütung in Deutschland hat die Kosten für Wind- und Sonnenenergie um gut 90 % reduziert. Erneuerbare wurden so wettbewerbsfähig.

Die globale Referenzgröße für die Kosten einer Kilowattstunde war bis Ende letzten Jahres die Windenergie. Jetzt aber wurde in Katar ein 25 Jahres-Vertrag im Rahmen einer Ausschreibung vergeben – für 1,47 Cent pro KWh.[6] Das sind Zahlen, von denen Betreiber von Kohle, Gas- oder Ölkraftwerken nicht einmal träumen können. Von Atom ganz zu schweigen.

Die Energiewende in Deutschland hat die Erneuerbaren weltweit billig gemacht. Deutschland hat so wesentlich dazu beigetragen, dass nunmehr im dritten Jahr in Folge weltweit mehr erneuerbare Kapazitäten ans Netz gingen, als fossile und fissile.

Dieser Boom findet im Öl und Gas reichen Texas statt. Er startet in der Öl-Provinz Alberta. Er prägt China ebenso wie Indien. Er boomt so, dass die USA den einstigen Marktführer bei Wind, Deutschland, inzwischen überholt haben. Doch die USA sind nur auf Platz 2, auf Platz 1 steht China.

China hat 2018 gut 100 Mrd. $ zehnmal so viel in Erneuerbare Energien investiert wie Deutschland, die USA mit 64 Mrd. $ sechsmal so viel. Deutschland wurde von Japan mit 27 Mrd. $ und von Indien inzwischen auf Platz 5 verwiesen.[7] Global boomen Erneuerbare – nur das Land, das dies ermöglicht hat, steht abseits.

Während China offen seinen Anspruch für 2025 anmeldet, steht die Bundesregierung beim Ausbau der Erneuerbaren auf der Bremse. Es begann mit dem Verbot für Freiflächen-Fotovoltaik, ging über die Sonnensteuer und den Deckel für Windausbau im Norden bis dahin, dass jetzt die im Koalitionsvertrag vereinbarte Ausschreibung lange nicht auf den Weg gebracht wurde. In diesem Jahr ist der Ausbaudeckel für Photovoltaik erreicht.

Heute ist Peter Altmaier die dickste Wachstumsbremse für die Erneuerbaren. So werden die Menschen in Deutschland um den Lohn ihre Mühen gebracht. Denn es sind die deutschen Stromkunden, die Haushalte und die kleinen Unternehmen, die die EEG-Umlage finanzieren, die die globalen Innovationskosten schulterten und schultern.

Eine Ausbaubremse mit fatalen Folgen. Die einst neu entstandenen 400 000 Arbeitsplätze sind auf 330 000 abgeschmolzen. Über 100 000 Arbeitsplätze sind in der Solarindustrie – brutto – verloren gegangen. 2010 waren in der Solarbranche in Deutschland 133 000 Menschen beschäftigt. 2016 waren es noch 32 000. In der Windindustrie sind es auch schon über 10 000 Verluste – Tendenz steigend. Während die Bundesregierung tschechischen Hedgefonds für das Weiterlaufen von ostdeutschen Kohlekraftwerke 1,7 Mrd.schenken, sieht die Bundesregierung tatenlos zu, wie Zehntausende von Arbeitsplätze im Mittelstand vernichtet werden.

Es ist an der Zeit Peter Altmaier zu überwinden. Es ist Zeit für einen Green Deal. Für Investitionen in CO2-freien Stahl, in klimagerechte Mobilität und mehr öffentlichen Nahverkehr, in bessere Wärmedämmung, in Erneuerbare Energien. Das stärkt unsere Wettbewerbsfähigkeit und das hilft unserem Mittelstand.

Ein Europa das schützt

In der globale Unordnung braucht es dafür einen stabilen Rahmen. Der kann nur Europa sein. Ein Europa das schützt – auch vor unfairer Dumpingkonkurrenz.

Wir brauchen eine europäische Antwort auf die strategischen Herausforderungen unserer Zeit. Mark Leonard vom European Council on Foreign Relations und Carl Bildt, der ehemalige Ministerpräsident und Außenminister von Schweden fordern in einem Gastbeitrag: „Um Brüssel für ein geopolitisches Zeitalter zu rüsten, muss die EU sich angewöhnen, strategisch zu denken“.[8]

America First und Made in China 2025 gilt es ein starkes Europa entgegenzusetzen. Klimaschutz geht nur mit einem starken Europa.

Mit einem Europa, das schützt, geht es uns nicht wie der Hanse.

Ein gutes 2020.


[1] https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/150607-rede-bm-kirchentag-kofi-annan/272218

[2] Jürgen Habermas, Die neue Unübersichtlichkeit. Januar 1985, hier https://www.merkur-zeitschrift.de/juergen-habermas-die-neue-unuebersichtlichkeit/

[3] https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/informieren/fluchtursachen/klimawandel/

[4] https://www.evangelisch.de/inhalte/guterres-wir-sind-im-krieg-mit-der-natur

[5]  https://www.uno-fluechtlingshilfe.de/informieren/fluchtursachen/klimawandel/

[6] https://www.pv-magazine.de/2020/01/23/katars-800-megawatt-ausschreibung-vergibt-zuschlag-fuer-knapp-142-cent-kilowattstunde/

[7]  https://about.bnef.com/blog/clean-energy-investment-exceeded-300-billion-2018/

[8] https://www.tagesspiegel.de/politik/softball-in-einer-hardball-welt-wie-europa-vom-spielzeug-zum-echten-mitspieler-werden-kann/24891002.html

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