2030 entscheidet

Bürgerenergie – Bürgernetze – Klimaschutz

Liebe Angela Baldini,
lieber Christoph Rinke,[1]
lieber Hartmut,
liebe Genossinnen und Genossen.

vielen Dank für Ihre Einladung – und die Möglichkeit, mal mit einer für einen Grünen untypischen Begrüßung zu beginnen.
Aber da ich hier nun mal auch Genosse bin, freut es mich umso mehr, dass Ihr mich angefragt habt.

1               Neustart 2011

Neun Jahre gibt es die BürgerEnergieBerlin Genossenschaft jetzt. Gegründet im Jahr 2011 – das Jahr in dem Deutschland nach Fukushima zum rot-grünen Atomausstieg zurückkehrt.

Die von Röttgen und Merkel auf massiven Lobbydruck durchgesetzte Laufzeitverlängerung, die Kündigung eines bestehenden, gerichtsfesten und planungssicheren Atomausstieg wurde zurück genommen..

Die Quittung dafür zahlt übrigens noch viele Jahre die deutsche Steuerzahler*in, denn gerade vor ein paar Wochen wurde Vattenfall mehr Entschädigung zugesprochen – und das milliardenschwere Schiedsgerichtsverfahren steht erst noch an.

Das ist viel Geld, was besser in den Kampf gegen die Klimakrise investiert wäre.

Diese Klimakrise, das muss ich hier nicht weiter ausbreiten, ist real. Sie ist eine globale, ja eine planetare Krise – und sie erfordert die größte Transformation seit Beginn der Industrialisierung.

Die Klimakrise tritt eben nicht erst morgen oder übermorgen ein. Sie ist heute real messbar an abschmelzenden Gletschern, tauenden Permafrostböden, einem eisfreien Nordpol, Starkwetterereignissen. Und auch 2020 wird wieder eines der drei wärmsten Jahre seit Beginn der Aufzeichnungen.

2               Erfolgsgeschichte Energiewende

Die größte Transformation hatten wir in Deutschland auf einem Gebiet schon 10 Jahre vor der Gründung unserer Genossenschaft auf den Weg gebracht – die Energiewende.

Raus aus Atom – rein in die Erneuerbaren war die Devise.

Wir könnten auch sagen:

Weg mit Konzernenergie – her mit Bürgerenergie

Denn während die Energiekonzerne – kaum war ihre Unterschrift unter den Atomkonsens trocken, für Laufzeitverlängerung und gegen Erneuerbare lobbyierten, machten sich Bürgerinnen und Bürger in Energiegenossenschaften, im Mittelstand auf den Weg der Energiewende.

Milliarden wurden investiert.

Die Grundlage hatte das rot-grüne Erneuerbaren Energien Gesetz geschaffen. Es waren am Anfang Bauern, Genossenschaften und Bürgerfonds, die Jahr für Jahr bis zu 20 Milliardenin Erneuerbare Energien investiert haben. Die gut 50% erneuerbarer Strom in Deutschland sind noch weitgehend konzernfrei[2].

Und es ging viel schneller als geplant. Ursprünglich sollten 2020 20 % erreicht werden – so haben wir es bei der Verabschiedung des EEG vereinbart. Dieses Ziel wurde schon 2012 übertroffen.

Und heute sind wir bei über 50% der deutschen Stromversorgung, die erneuerbar erzeugt werden.

Und nicht nur das:

Die degressive Einspeisevergütung hat die Kosten für Wind- und Sonnenenergie um gut 90 % reduziert. Erneuerbare wurden so wettbewerbsfähig. Vor 20 Jahren gab es in Deutschland für eine Kilowattstunde PV-Strom noch 50 Cent – jetzt aber wurde in Katar ein 25 Jahres-Vertrag im Rahmen einer Ausschreibung vergeben – für 1,47 Cent pro KWh.[3]

Deutschland hat die Erneuerbaren weltweit wettbewerbsfähig gemacht.

Jahr für Jahr gehen weltweit mehr erneuerbare Kapazitäten ans Netz als fossile und fissile. In der Coronakrise, so hat die Internationale Energieagentur vorgerechnet, verloren Kohl und Öl überdurchschnittlich, auch Gas und Atom schrumpften. Nur die Erneuerbaren wuchsen trotz Rezession.

Diese Erfolgsgeschichte der Bürgerenergie will zumindest die Bundesregierung nicht wahrhaben. 20 Jahre EEG aber waren von vielen Widerstände begleitet.

Bis 2005 haben CDU und CSU das Erneuerbare-Energien-Gesetz vehement bekämpft. heute sind angeblich alle Parteien dafür. Aber 2005 haben alle Koalitionen – ob Schwarz-Rot oder Schwarz-Gelb versucht, die Erneuerbaren auszubremsen und abzuwürgen.

Dafür wurde die Sonnensteuer erfunden und ein Ausbaudeckel und ein Freiflächenverbot verhängt. Das hat überall 100 000 Arbeitsplätze in der Solar- und Zehntausende Jobs in der Windindustrie gekostet.

Faktisch ist der Windausbau an Land zum Erliegen gekommen[4]. Und während durch die Erneuerbaren die volkswirtschaftlichen Kosten für Strom in zehn Jahren um 70 Mrd. € gesunken sind[5], wird der Strom für die Haushalte und Selbstständigen teurer. Weil die EEG-Umlage auch dafür missbraucht wird, Schlachthöfe zu subventionieren, müssen andere mehr zahlen.

Und weil jahrelang billiger Braunkohlestrom die Preise an der Börse niedrig hielt.

Aber jetzt, wo der Emissionshandel endlich weitgehend so funktioniert, wie er soll, sieht der Braunkohlestrom kein Land mehr.

Heute wird selbst der Betrieb alter, abgeschriebener Kohlekraftwerke immer unrentabler – so unrentabel, dass die RWE die Bundesregierung darauf gedrängt hat, den Konsens zum Kohleausstieg endlich umzusetzen. Damit sie ihre Kraftwerke endlich vom Netz kriegen.

Und dann gehen in der ersten Stillegungausschreibung Kohlekraftwerke wie Moorburg nach 5 Jahren Betrieb vom Netz. Der damalig Bürgermeister Olaf Scholz hat bei der Einweihung noch „von Jahrzehnten Betriebsdauer“ gesprochen – und überweist jetzt als Finanzminister die Stilllegeprämie.

Die gleiche Rede hielt übrigens Angela Merkel vor sechs Jahren in Hamm – ebenfalls in der ersten Ausschreibung stillgelegt.

Verkehrte Welt. Ich erinnere mich noch sehr gut an die Abwehrschlachten von Industrie und Union, als wir den Europäischen Emissionshandel 2003 eingeführt und 2005 gestartet haben. Der Vorwurf der „Deindustrialisierung Deutschlands“ war noch der geringste, der mir entgegengehalten wurde.

Heute zeigt sich

Würden wir den Emissionshandel wirken lassen, käme der Kohleausstieg vor 2030.

3               Das nächste Jahrzehnt

Dennoch: der Kampf gegen die Klimakrise entscheidet sich in den nächsten 10 Jahren. Bis 2030.

Noch in diesem Monat müssen die Staats- und Regierungschefs der EU ein neues CO2-Einsparziel beschließen.

Die Kommission hat mit dem Green Deal ein ambitioniertes Programm vorgelegt. Jetzt müssen die Regierungschefs klar machen, dass sie dahinter stehen:

  • Wir brauchen verpflichtende Ausbauziele für Erneuerbare Energien und die Energieeffizienz
  • Die angekündigte Carbon Border Taxmuss umgesetzt werden – und wir haben mit den USA dafür vielleicht sogar einen neuen Partner.

Für Deutschland heißt das, der nächste Bundestag stellt die Weichen, ob wir wieder zum Motor beim Klimaschutz werden oder wir weiter auf der Bremse stehen.

Was wir in der nächsten Legislaturperiode nicht auf den Weg bringen, wird auf jeden Fall zu spät kommen.

Machen wir uns nichts vor. Das ist eine gewaltige Aufgabe.

  • Wenn Europa 2050 klimaneutral sein will, dann muss es 2030 mehr als 55 % seiner Emissionen von 1990 eingespart haben.
  • Wenn Europa das schaffen will, muss der größte Emittent, muss Deutschland mehr als Zweidrittel bis 2030 einsparen.
  • Wenn Deutschland das schaffen will, muss es nicht nur seine Stromversorgung bis 2030 klimaneutralisieren, es darf keine fossilen Verbrennungmotoren danach zulassen, muss eine erneuerbare Wasserstoffwirtschaft aufbauen und die Chemie- und Stahlindustrie um bauen.
  • Wenn Deutschland das schaffen will, muss es 2030 klimaneutral 50 % mehr Strom produzieren als es heute verbraucht.

Anders gesagt:

Wir müssen in zehn Jahren die doppelte Menge an Erneuerbaren ans Netz bringen, wie in den vergangenen Jahren.

Wer pro Jahr die Vierfache Menge wie bisher ans Netz bringen will braucht nicht nur leistungsfähige Netze. Er braucht die Bürgerinnen und Bürger des Landes.

4               Bürger King

Am Mittwoch war die Novelle des EEG im Kabinett. Kurz vorher hat sich die amtierende Umweltministerin im Morgenmagazin in höchsten Tönen über die Bürgerbeteiligung an der Energiewende geäußert.

„Energiewende gelingt nur, wenn auch alle mitmachen können“ so Svenja Schulze.

Dieser Satz ist richtig – schon seit über 20 Jahren. Ich freue mich ehrlich, dass das jetzt auch bei den Genoss*innen von der Sozialdemokratie angekommen ist.

Bürgerenergie ist der Treiber der Energiewende in der Erzeugung – aber eben auch im Netz.

Was in der Erzeugung gilt, gilt auch in der Infrastruktur.

Berlin hat hier vor eine große Chance. Mit dem Verkauf des Berliner Stromnetzes durch Vattenfall an das Land wird die Stromversorgung in Berlin wieder kommunaler.

Ob sie auch substantiell demokratischer wird, entscheidet sich nicht zuletzt daran, ob wir eine genossenschaftliche Beteiligungsmöglichkeit bekommen.

Es geht hier um Mitgestaltung und Mitbestimmung. Die genossenschaftliche Beteiligung macht vielleicht dem Finanzsenator das Leben etwas schwerer. Er hätte keine neue Cash-Cow zur Quersubventionierung für andere Zwecke. Er müsste sich auf den Ausbau der Netze konzentrieren. Das wäre gut für Energiewende und Klimaschutz.

Die Bürgergenossenschaft stünde für Kontinuität jenseits von Wahlterminen. Vor allem aber vergrößert sie das Vertrauen in und die Beteiligung an Infrastrukturprojekten.

Das ist etwas, was Berlin wirklich mehr als gebrauchen kann. Eine öffentliche Infrastruktur mit anteiliger Bürgerbeteiligung, modern aufgestellt und der Energiewende verpflichtet.

5               2030 enstscheidet

Wollen wir die Klimakrise bekämpfen, müssen wir uns auf den 1,5 ° Pfad machen.

Deutschland muss dafür:

  • Einen wirksamen CO2-Preis einführen
  • Fossile Verbrennungsmotoren nicht mehr zulassen
  • Die Geschwindigkeit des Ausbaus Erneuerbarer Energien vervierfachen.

Denn 2030 entscheidet.

Das geht nur mit den Bürgerinnen und Bürgern. Mit Ihrem Engagement. Mit Ihrer Genossenschaft.

Wir brauchen mehr Bürgerenergie – in der Erzeugung wie im Netz. So geht Klimaschutz.

In diesem Sinne wünsche ich uns Viel Erfolg, sicher ruhige Festtage und ein coronaärmeres 2021.

Vielen Dank.


[1] Vorstand: https://www.buerger-energie-berlin.de/beb/

[2]                 42% sind private Eigentümer und Landwirte – in 2017:
Erneuerbare Energien: Eigentumsverhältnis bei Anlagen nach installierter Leistung in Deutschland 2017 | Statista (dbtg.de)

[3]                  https://www.pv-magazine.de/2020/01/23/katars-800-megawatt-ausschreibung-vergibt-zuschlag-fuer-knapp-142-cent-kilowattstunde/

[4]                  https://www.windbranche.de/windenergie-ausbau/deutschland

[5]                  Studie der Universität FAU Erlangen Nürnberg https://www.ews-schoenau.de/export/sites/ews/ews/presse/.files/191007strompreisstudie-fau-2019.pdf

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