Während in den USA Trumps Kampf gegen die Demokratie eskaliert, macht die FAZ die Verrohung der Demokratie am seriösen Journalismus in ZDF und Tagesspiegel fest
Was die Demokratie bedroht
Nicht alles was hinkt, ist schon ein Vergleich. Im Beuler Extradienst verglich jüngst Roland Appel den MAGA-Kult um den erschossenen Charlie Kirk mit dem NS-Kult um Horst Wessel. Horst Wessel war ein aktiver, gewalttätiger SA-Straßenkämpfer auf dem Prenzlauer Berg. Dort wurde er 1930 von einem Mitglied der KPD erschossen. Die Nazis erhoben das von ihm geschriebene „Horst Wessel Lied“ zum Anhang zur ersten Strophe ihrer Nationalhymne
Charlie Kirk war kein Straßenkämpfer. Aber er war auch kein „Meister der Debatte“ (wie die BILD schreibt). Charlie Kirk war ein Meister darin, rassistische, antisemitische, frauen- und transenfeindliche Bilder zu verbreiten. Die Mittel dazu waren Ironie, rhetorische Fragen, Ambiguitäten. Selten, dann aber deutlich rechtfertigte oder forderte er Gewalt – etwa gegen Joe Biden. Das alles ist vielfach nachzulesen.1
Es überrascht nicht, dass diesem rechten Demagogen von der Bild publizistische Kränze geflochten werden. Kirk und BILD haben das gleiche Geschäftsmodell – es ist das ähnlich wie das von NIUS und Ruhs. Durch das Bedienen rechter Bilder sollen Antidemokraten hoffähig gemacht und die demokratische Mitte nach rechts verschoben werden. So soll der Weg für rechte Mehrheiten unter Einschluss von Antidemokraten bereitet werden.
Doch das Bedienen rechter Feindbilder hilft nicht die Rechten klein zu halten. Es stärkt sie und macht ihre Ideologie hofffähig. Das erfuhr zuletzt der fleischfressende Söder mit seiner Lügen-Kampagne gegen die Grünen. Am Ende flogen Steine auf ihre Spitzenkandidatin Katharina Schulze. Und die AfD war in Bayern stärker als zuvor.
Dennoch glaubt etwa die FAZ weiterhin, dass die eigentlich Gefahr nicht von rechten Antidemokraten ausgeht. Sie sieht die Demokratie durch jene bedroht, die Rassismus Rassismus nennen. „Die Demokratie darf nicht verrohen“ schreibt dort Jochen Buchsteiner. Diese Verrohung aber droht laut Buchsteiner durch Dunya Hayali im ZDF, den Tagespiegel oder auch Ruprecht Polenz. Sie alle hatten auf den politischen Hintergrund von Kirks Wirken hingewiesen. Fakten die dazu beitragen einen abscheulichen Mord einzuordnen, nicht die Tat zu relativieren.
Was wäre die Alternative zu seriösem Journalismus gewesen? Die Hintergründe zu verschweigen? Oder gar posthum Kirks Wirken schön zu reden?
Buchsteiner hat dafür einen Vorschlag. Vorwärts in die 1970er Jahre. Er greift auf den bekanntesten Fall staatlich erpresster Cancel-Culture aus der bundesdeutschen Geschichte zurück. Im deutschen Herbst mussten reihenweise Hochschullehrer Reverse unterschreiben, dass sie sich von dem Artikel Buback – Ein Nachruf eines Göttinger Studierendenden, der sich Mescalero nannte, distanzieren. Die Meinungsfreiheit haben damals nur wenige Professoren und einige Studierende hochgehalten.
Dabei hätte ein anderer Vergleich nahe gelegen. In ihrem Provokationsniveau nahmen sich der Mescalero und Kirk nichts. Beide verwendeten eine verrohte Sprache, die Widerspruch erzeugen sollte. Doch auch hier gilt, nicht alles was hinkt ist schon ein Vergleich. Die verrohte Sprache des Mescalero formulierte eine linke Absage an die Gewalt des Terrorismus. Der Mescalero wollte Deesakalation – und scheiterte an seiner eskalierenden Sprache. Kirk setzte auf Eskalation und die Befürwortung von Gewalt.
In seinem Bemühen, Kirk posthum als Konservativen und Christen umzudeuten sind sich FAZ und BILD nicht zu schade, den sonst verhassten Bernie Sanders für seine ebenso anständige wie demokratische Haltung zum Mord an Charlie Kirk und seiner umfassenden Verurteilung der ansteigenden politischen Gewalt in den USA in Anspruch zu nehmen. Doch zur von Sanders thematisierten Gefahr, die aus diesem Mord erwächst, wird geschwiegen.
Amerika steht vor einer neuen Welle politische Gewalt, die droht die Demokratie zu zerstören. Die Inszenierung der Kirk-Beerdigung durch Trump und seine MAGA-Bewegung war eine offene Racheankündigung. Das Hochstilisieren von Mordopfern zu Märtyrern dient Faschisten nur zu einem Zweck: Ungehemmt und unbegrenzt Gewalt gegen die von ihnen zu Feinden Erklärten auszuüben. Das war nicht nur bei Horst Wessel so. Die Ermordung des deutschen Diplomaten Ernst von Rath 1938 war für die Nazis der Anlass für die Reichspogromnacht.
Die Folgen des Mordes an Charlie Kirk für die Demokratie in den USA drohen verheerend zu werden.
1 Eine von vielen Zusammenstellungen: https://web.de/magazine/politik/us-politik/umstrittensten-zitate-charlie-kirk-41402940
Foto: Jon Putman/imago