2025: Als die CDU Kanzlerpartei verlernte

So viel Habeck war selten

Ende 2024 war die Ampel gescheitert. Blockiert von der FDP stand sie auf Rot. Auf Robert Habecks Antworten auf die Krise des Industriestandorts Deutschland reagierte die CDU des Friedrich Merz mit einer Anti-Kampagne.
Als Kanzler aber setzte Merz 2025 das Erbe Habecks um. Und siehe da: Die Kanzlerpartei ist nicht mehr die Kanzlerpartei. Sie spielt Fundi-Truppe. Ein Rückblick

Deutschland hat ein Investitionsproblem. Unternehmen wie Staat investieren zu wenig. Umsätze brechen ein, Infrastruktur verfällt. Das hat Ursachen im Land, vor allem aber treffen die Verwerfungen des Weltmarktes den ehemaligen Exportweltmeister besonders heftig.

Habecks Antwort hierauf war der Vorschlag, ein kreditfinanziertes Investitionsprogramm aufzulegen. Es sollte die Investitionsschwäche der Volkswirtschaft beheben. Der Bedrohung der Sicherheit Europas sollte mit erhöhten Rüstungsausgaben von rund 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts begegnet werden. Unternehmensinvestitionen sollen über einen Deutschlandsfonds angereizt werden. Die energieintensiven Industrie sollte mit einem Industriestrompreis entlastet werden. Die Industrie sollte durch Elektrifizierung und Wasserstoff modernisiert werden.

Das hatte breite Zustimmung in der Wirtschaftswissenschaft. Nur die CDU und Friedrich Merz waren dagegen. Merz wollte lieber auf die gescheiterten Rezepte der 1990er Jahre setzen: Steuersenkungen für Reiche samt Abbau von Sozial- und Umweltstandards.

Kurz vor Merz erster Neujahrsansprache gilt es festzuhalten: Mit einer Ausnahme hat Friedrich Merz alles umgesetzt, was Robert Habeck forderte. 500 Milliarden Investitionsmittel, 3,5 Prozent Rüstungsausgaben, einen Deutschlandsfonds und einen Industriestrompreis. Merz zeigte sich flexibel genug, mit den Grünen einen Verfassungsänderung zu verhandeln, die 100 Mrd. für Klimaschutzinvestitionen vorsah (die der sozialdemokratische Finanzminister zu plündern versucht). Zuletzt hat Merz zur Sicherung der Ukraine sogar Eurobonds zugestimmt.

Das Notwendige zu tun und sich dabei auf die Mitte der Gesellschaft zu stützen – viele hätten Friedrich Merz das nicht zugetraut. Noch im Januar hatte er gegen die „grünen und linken Spinner“ (Merz) versucht, sich eine Mehrheit mit der AFD in der Migrationspolitik zu sichern. Im Amt verhielt er sich 2025 dann exakt wie Helmut Kohl und Angela Merkel. Das Amt prägt den Kanzler.

Doch anders als seinen christdemokratischen Vorgänger gereicht Merz Kanzlerreifung ihm nicht zum Vorteil. Helmut Kohl hatte die „geistig-moralische Wende“ versprochen und kaufte dann Deutschland von einer Beteiligung am ersten US-Krieg gegen den Irak frei. Angela Merkel war einst mit dem neoliberalen Leipziger Programm in einen Wahlkampf gezogen und setzte dann den Mindestlohn so um, dass sich die SPD davon nicht erholte.

Dagegen ist das Ansehen von Merz und seiner Regierung im Keller. Zwischen zwischen 2024 und 2025 hat sich nichts geändert. Die Bundesregierung hat zu Weihnachten keine Mehrheit der Bevölkerung hinter sich. Das gilt besonders für den Kanzler. Mit Merz waren bei Amtsantritt 43 Prozent der Bevölkerung zufrieden. Inzwischen sind es nur noch 25 Prozent. Dreiviertel der Bevölkerung sind unzufrieden mit ihm. Olaf Scholz lässt grüßen.

Natürlich hat Merz selbst dazu beigetragen. Breitbeinig etwas anzukündigen und dann am Ende das Gegenteil zu machen, erzeugt kein Vertrauen. Seine Versuche volkstümlich zu sein, gingen regelmäßig in die Hose, von den „kleinen Paschas“ über das „Stadtbild“ bis zur Verunglimpfung von Belém. Merz ist nicht volkstümlich. Er sollte es besser gar nicht erst versuchen. Selbst im Sauerland tümelt es nicht so, wie der Wirtschaftsanwalt glaubt.

Doch das Problem ist nicht Merz allein. Das Problem ist die CDU. Von allen demokratischen Parteien war sie lange am wenigsten ideologisch. Ihr Wesenskern bestand darin, den Bundeskanzler zu stellen. Sie hat nach dem Faschismus nicht nur die Spaltung zwischen Katholiken und Evangelen überwunden. In die CDU passte das Ahlener Programm und der Wirtschaftsrat, der Herz-Jesu-Sozialist Nobert Blüm ebenso wie die Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft.

Doch Kanzlerpartei war einmal. Immer mehr CDU-Mitglieder glauben inzwischen die eigene Propaganda. Angstvoll schauen sie auf die rechte Konkurrenz. Die AfD hat in Umfragen zu ihnen aufgeschlossen. Verzweifelt klammern sich Unionsabgeordnete an die Versprechen ihres Wahlkampfs.

Das bekam Außenminister Johann Wadephul zu spüren, als er im Angesicht der Zerstörungen von zwei Jahrzehnten Bürgerkrieg feststellte, dass in absehbarer Zeit nicht mit vielen Rückkehrern nach Syrien zu rechnen ist. Das Aussprechen des Offenkundigen löste einen Shitstorm in der CDU-Bundestagsfraktion aus. Er gipfelte in dem Vorwurf, Wadephul setze die Außenpolitik von Annalena Baerbock fort.

In der Tat bewegt sich der Außenminister auf den Pfaden eines breiten parteiübergreifenden Konsens insbesondere im Nahen Osten, der von Kohl über Schröder bis zu Merkel und Baerbock reicht. Nur wäre das früher in der CDU kein Vorwurf, sondern Anlass für Lob gewesen.

Offensichtlich gibt es in der CDU einen nicht ausgetragenen Strategiekonflikt. Ausdruck sind die verweigerten Stimmen für Merz im ersten Wahlgang, der Aufstand in der Fraktion gegen die vorgeschlagene Verfassungsrichterin Brosius-Gersdorf, der mühsam von Merz persönlich eingehegte Streit um die Rente.

Im Kern geht es um die Frage, wie die CDU mit dem Dilemma umgehen soll, von rechts durch die AFD unter Druck gesetzt zu werden und dazu verdammt zu sein, mit Parteien links der Mitte zu regieren. Die CDU hat damit zwar ein Dauerabo auf die Macht – das aber genügt weiten Teilen nicht mehr.

Nicht nur in Ostdeutschland gibt es in der CDU offene Sympathie für ein Bündnis mit der AfD, die doch eigentlich „das gleiche will“ (Julia Klöckner). Wichtige Akteure ihrer Wirtschaftslobby wie die INSM der Metallarbeitgeber oder Teile der Oligarchenvereinigung der Familienunternehmen drängen die CDU zu einer Minderheitsregierung. Sie wollen so ihre Agenda der Deregulierung, des Abbaus des Sozialstaates und des Ausbremsens der Energiewende durchsetzen.

Befeuert wird dies von rechten Plattformen wie NIUS oder aus dem Springer-Konzern. NIUS gehört einem Großspender der CDU. Das rechte Trommelfeuer hat der Regierung Merz im ersten Jahr zwei veritable Regierungskrisen beschert und sie in die Ansehenskrise getrieben. Ob der skandalbelastete Fraktionschef Jens Spahn dem nicht gegensteuern konnte oder wollte, kann offen bleiben. Er tat es nicht. Die Wahl vom Merz sicherte Alexander Dobrindt. Und den Rentenkompromiss musste Merz mit einer indirekten Vertrauensfrage durchbringen.

Andere sind da schon weiter. Manfred Weber von der CSU besorgt inzwischen regelmäßig Mehrheiten der EVP mit Rechtsextremen und Faschisten gegen Liberale, Sozialdemokraten und Grüne. In Straßburg hat sich die Europäische Volkspartei vom christdemokratischen Erbe Adenauers verabschiedet.

Es geht nicht um Brandmauern. Es geht um die Kernidee der CDU, die bei ihrer Gründung Pate stand. Man paktiert nicht mit Rechtsextremen. Man macht sich nicht von ihnen abhängig. Das war die Lehre aus dem Ermächtigungsgesetz.

Die Mehrheit der CDU teilt weiter diese Haltung. Diese Realos wollen regieren. Doch das Trommelfeuer von rechts und aus Teilen der Wirtschaft erzeugt Angst. Angst essen Seele auf – auch in der CDU.

Wo Parteien landen, die aus Angst vor dem Tod Selbstmord begehen, konnte man 2025 bei der FDP beobachten. Der Niedergang zahlreicher christdemokratischer Parteien in Europa, sind weitere warnende Beispiele. Im Fundi-Modus regiert es sich eben schlecht.

Im Interesse der deutschen Demokratie sollte die CDU mehr Kanzlerpartei wagen. Auch wenn sie dafür von Menschen wie mir gelobt wird.

Dass die CDU trotz der Erbschleicherei bei Habeck und Baerbock eine harte grüne Opposition verdient, zeigt sich an der Verzagtheit, mit der Merz dem strategischen Großkonflikt unserer Zeit begegnet: Elektrostaaten gegen Petrostaaten. Dazu mehr im Ausblick auf 2026.