Provokation als Verhandlungsangebot

Ein Angebot, das Sie nicht ablehnen können?

Die Bilder von den Bahnhöfen aus München, Saalfeld, Dortmund und Berlin zeigen ein anderes Deutschland als das der letzten Wochen. Gegen die Brandanschläge und den rechtem Mob zeigt es ein wohltuendes, Hoffnung machendes Bild: Flüchtlinge sind in Deutschland willkommen. Das ist die Botschaft dieser Bilder.

Die große Welle der Solidarität und der Bereitschaft zu helfen hat die Regierung Merkel unter Druck gesetzt. Zum ersten Mal in ihrer Amtszeit überhaupt besuchte die Kanzlerin eine Flüchtlingsunterkunft. Aber anders als bei Fukushima hatte die Erkenntnis, dass die Bevölkerung anders tickt als die Union, keine Wende in der Politik zur Folge.

Der Koalitionsausschuss am Wochenende produzierte das, was wir von der Großen Koalition kennen. Wohlklingende Worte, damit die alte Politik korrigiert um Unabweisbares so weiter gehen kann.

Mehr Geld für die Kommunen, mehr Personal für das Bundesamt für Migration und endlich beschleunigte Asylverfahren – das sollte eine Botschaft sein.

Aber: Das Geld wird nicht reichen, das Personal bei BAMF hätte schon vor Monaten eingestellt werden müssen und wirkliche Beschleunigungsmaßnahmen wurden unterlassen.

Und es sollte eine weitere Botschaft ausgesandt werden: wir sind hart zu Flüchtlingen vom Balkan. Der Koalitionsausschuss übersetzte die CSU-Parole vom Wer betrügt der fliegt in die Einführung von Sachleistungen für Balkanflüchtlinge und die Verlängerung der Unterbringung in Sammelunterkünften. Drei weitere Länder auf dem Balkan sollen zu sicheren Herkunftsländern umdefiniert werden.

Die Verlängerung der Internierung in Erstaufnahmeeinrichtungen – Folge des Verwaltungsversagens des Bundes – kontrastiert gleich einen der Eckpunkte des Asylkompromisses vom letzten Jahr, die Aufhebung der Residenzpflicht. Versteht sich, dass der Preis den Baden-Württemberg für die damalige Zustimmung zu weiteren sicheren Herkunftsländer angeblich herausgehandelt hatte, gleich mit kassiert wurde: Für die Gesundheitskarte gibt es nichts vom Bund.

Wo man den Grünen gerade gezeigt hat, was man von Vereinbarungen mit ihnen hält, musste Merkel die Sozialdemokraten netter behandeln.  Ihr Zückerli ist die angedeutete Öffnung für Arbeitsmigration vom Balkan. Per Verordnung des Arbeitsministeriums soll bis 20 000 Menschen die Möglichkeit zur Arbeitsmigration eingeräumt werden. Dieses Jahr kamen 320 000. Ob das zu einer realen Alternative  zum falschen Weg über das Asyl wird, ist ziemlich offen. Wenn es denn im Verwaltungsvollzug überhaupt die 20 000 werden.

Alles was notwendig wäre, wurde unterlassen.

Eine echte kurzfristige Beschleunigung der Verfahren wäre es gewesen, Flüchtlinge aus Syrien, Irak oder Eritrea sofort einen Aufenthaltsstatus zu geben – ihnen sofort Sprachkurs und Arbeitsmöglichkeit zu verschaffen. Sie werden nicht so schnell in ihre Heimat zurückkehren.

Ein wirklicher Schlag gegen das Schlepperwesen wäre es gewesen, wenn endlich für die Menschen in den Flüchtlingslagern ein legaler Zugang nach Europa geschafft worden wäre. Stattdessen will sich Deutschland nun am Krieg gegen die Schlepper vor der libyschen Küste und womöglich an Land beteiligen. Das ist im besten Fall wirkungslos. Es treibt eher die Schleuserprämien, die Flüchtlinge zahlen müssen, in die Höhe.

Pro Asyl haben und der DPWV haben Recht: „Die Regierung schaltet mit diesen Beschlüssen von Aufnahme auf Abwehr von Flüchtlingen um.“ In der Substanz ist dieses Paket eher eine Provokation als ein Verhandlungsangebot.

Verhandeln muss die Koalition, weil sie für das Gesetz, in das dieses Paket gepackt werden soll, die Zustimmung von mindestens zwei Ländern braucht, in denen die Grünen mitregieren.

Eine Partei, die das Asylbewerberleistungsgesetz abschaffen will, mit der Forderung „Sach- statt Geldleistungen“ zu konfrontieren, damit sie einer weiteren Einschränkung des individuellen Grundrechts auf Asyl zustimmt – das kann man schon als Provokation ansehen.

Oder es zeugt von gesundem Selbstbewusstsein. Länder, Städte und Gemeinden haben die Folgen des Verwaltungsversagens des Bundes auszubaden. Bei ihnen wird in Baden-Württemberg wie in Rheinland-Pfalz demnächst gewählt. Vor Ort ballen sich die Probleme.

Dass die jetzt angekündigten Mittel auf keinen Fall ausreichen werden, haben die Bundesländer bereits deutlich gemacht. Aber auch das ist Kalkül: die Bundesregierung setzt darauf, dass die Not vor Ort so groß ist, dass die Länder für ein paar Milliarden mehr am Ende dieses Paket samt seiner Rückschritte durchwinken werden.

Die Provokation ist also doch ein Angebot. Ein Angebot, das sie nicht ablehnen können – wie Don Vito es formulieren würde.

Damit aber würde dann das Gegenteil von dem Politik, für das sich die Menschen in München und anderswo engagiert haben.

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