Tornados sind noch keine Strategie

Vor dem Einstieg in einen neuen 10-Jahres-Krieg

Der IS entstand nicht über Nacht. Deshalb wird der Kampf gegen den IS noch viele Jahre dauern. Wie ist er zu gewinnen? Die zwei häufigsten Antworten dazu lauten:

Der Terrorismus lässt sich nicht nur militärisch besiegen. Und

Der IS muss auch militärisch besiegt werden.

Beiden Sätzen kann man schlecht widersprechen. Durch die Worte nur und auch kann man sie nicht widerlegen. Nach Karl Popper handelt es sich damit um Nullaussagen.

Nun soll die zweite Nullaussage dafür herhalten, dass deutsche Tornados nach Syrien entsandt werden sollen.

(K)ein Krieg?

Man kann die Entsendung von Aufklärern und Tankern für symbolisch halten. Aber wer Zielkoordinaten und Kerosin für die Bomber liefert, wird real zur Kriegspartei. Auch wenn Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen tapfer behauptet, der Einsatz militärischer Mittel sei kein Krieg. Die Erfahrung von 20 Jahren Militärinterventionen zeigt, dass solche Einsätze fast immer ein Jahrzehnt dauern. Wir reden vom Einstieg in einen zehnjährigen Krieg – und entscheiden mal wieder im Eilverfahren.

Es steht außer Frage, dass wir etwas tun müssen, nachdem Frankreich ein zweites Mal innerhalb eines Jahres Opfer eines terroristischen Großanschlags wurde. Aber eben nicht irgendwas.

Frankreich hatte übrigens als ersten Wunsch geäußert, die geplante Sparmaßnahme, 34.000 Soldaten ausmustern zu müssen, doch nicht umsetzten zu müssen, was aber mit den EU-Stabilitätskriterien nicht zu vereinbaren sein soll. Stattdessen bietet Deutschland 1.200 eigene Soldaten an.[1]

 (K)ein Mandat

Jeder Einstieg in einen Krieg muss die Frage des Kriegsziels sowie der Bedingungen zur Beendigung des Einsatzes beantworten.

Selbst wenn die Realität anders aussieht: Krieg ist verboten. Die UN-Charta erlaubt ihn nur zu zwei Zwecken: Der Selbstverteidigung eines souveränen Staates gegen einen Angriff von außen  (Artikel 51 der UN-Charta). Oder der UN-Sicherheitsrat mandatiert einen Einsatz ausdrücklich unter Verweis auf Kapitel VII der UN-Charta wegen einer Bedrohung des Friedens.

Der UN-Sicherheitsrat hat eine Woche nach den Anschlägen einstimmig die Resolution 2249 verabschiedet, die alle Staaten auffordert, „alle nötigen Maßnahmen“ im Kampf gegen die Terrormiliz „Islamischer Staat“ zu ergreifen. Dabei aber sollten das „internationale Recht und insbesondere die UN-Charta“ eingehalten werden. Diese von Frankreich eingebrachte Resolution enthält keinen verbindlichen Beschluss des Sicherheitsrates. Kapitel VII der UN-Charta bleibt unerwähnt. [2] So erteilt die Resolution gerade nicht die rechtliche Erlaubnis, militärisch gegen die IS-Miliz vorzugehen auf dem Gebiet anderer Staaten vorzugehen.

Da es kein UN Mandat gibt, beruft sich die Bundesregierung nun auf das Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 der Charta und wirft damit neue Fragen auf. Dass acht Franzosen und Belgier, mit Waffen, die sie in Baden-Württemberg gekauft haben sollen, in Paris über 130 Menschen abgeschlachtet haben, soll zu einer Militärintervention in Syrien ermächtigen?

Die Terroristen sind – womöglich über Deutschland – nach Syrien oder den Irak gereist, um sich dort für ihren Terror ausbilden zu lassen. Rechtfertigt dies in Syrien zu bombardieren? Nur wenn Syrien nicht fähig oder nicht willens wäre, gegen den IS zu kämpfen. Davon kann aber keine Rede sein. Die syrische Regierung hat sogar Russland gebeten, ihm dabei zu helfen. Die Bedingungen für eine Intervention gegen eine nicht-staatliche Terrororganisation auf dem Gebiet eines anderen Staates sind damit nicht erfüllt.

Die neue deutsche (und alte George W. Bush-) Berufung auf die Selbstverteidigung entgrenzt den Angriffsbegriff vollständig. Danach gibt es keine Grenze mehr zwischen Straftat und Krieg, zwischen Polizei und Militär, zwischen innen und außen – und damit keine Grenze mehr zwischen Frieden und Krieg.

Mit dieser „Rechts“konstruktion hat die Bush-Administration den Irakkrieg 2003 gerechtfertigt. Damals haben Grüne und SPD versucht sie daran zu hindern. Heute trägt die SPD diese Konstruktion mit. Dies ist auch die Grundlage, für den weltweiten Drohnenkrieg der USA, der Terrorismus nicht geschwächt hat, sondern ihm neuen Zulauf bescherte.

Auch die Berufung der Bundesregierung auf den Artikel 42 Absatz 7 EU-Vertrag taugt wenig. Hierzu hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich geurteilt, dass dies keine militärische Handlungspflicht begründet.

(K)eine Strategie?

Die Frage nach dem Mandat ist kein rein akademisches Problem für das völkerrechtliche Proseminar. Sie ist eng verknüpft mit der Frage nach der Strategie, mit der Soldaten nach Syrien geschickt werden.

Das beginnt mit der  Unterscheidung, wer ist Freund und wer ist Feind?

So haben nicht alle Freunde in der Koalitionen der Willigen den gleichen Feind. Für die von Deutschland großzügig mit Waffen ausgestatteten Saudis und Golfstaaten ist Assad der Hauptfeind. Die Türkei hat bis vor kurzem IS-Kader noch gesund gepflegt. Über Ihre Grenze geht ein Großteil des Öl- Waffen- und Geldschmuggels aus und in das Kalifat. Lieber als den IS bombardiert die Türkei die Kurden, auch diejenigen, die gerade die Yeziden im Sindschar gerettet haben.

Unseren treuesten Alliierten, die Peshmergas im Nordirak, stellt Deutschland Waffen und Ausbildung. Jetzt müssen sie sich des Vorwurfs erwehren, hinten rum am Ölschmuggel mit dem IS zu verdienen.[3] Außerdem fallen sie als Landsturm für die alliierte Luftwaffe fallen aus. Sie werden den IS nicht außerhalb ihres Gebietes, etwa in Mossul oder Raqqa, bekämpfen. Die potentiell neuen Koalitionspartner Europas aus Russland wollen vor allem das Assad-Regime stabilisieren. Und deshalb werden neben dem IS noch Turkmenen oder die Freie Syrische Armee bekämpft.

Und in dieses Chaos multipler Feindprioritäten sollen nun deutsche Soldaten entsandt werden? Für zehn Jahre?

Der IS muss auch mit militärischen Mitteln bekämpft werden – dazu bedürfte es einer Strategie. Diese ist nicht in Sicht, weil die Kriegsparteien der Allianz sich nicht einig sind.

Deshalb gibt es auch kein UN-Mandat. Und deshalb ist die Berufung der Bundesregierung auf das Selbstverteidigungsrecht nicht nur völkerrechtlich überaus fragwürdig. Das fehlende UN-Mandat ist vor allem das Eingeständnis keine Strategie zu haben, wie man den begonnen Krieg wieder beendet. Strategie ist aber die Voraussetzung für den Eintritt in einen langen Krieg.

Am Anfang anfangen

Was wäre die Voraussetzungen für eine solche Strategie?

Zuerst eine Verständigung mit allen Kriegsparteien, dass der Kampf gegen den IS erste Priorität ist. Dafür ist es zweitens notwendig, eine Verständigung zwischen den bewaffneten Rebellen und dem bewaffneten Regime in Syrien zu haben. Dafür muss man mit Russland und dem Iran, mit Saudi-Arabien und der Türkei Kompromisse suchen.

Zum dritten muss es ein politisches und ökonomisches Angebot an die Sunniten im Irak geben, die seit der US-Invasion massiv ausgeschlossen wurden. Nur aus den Reihen der sunnitischen Mehrheit in Syrien und der sunnitischen Minderheit im Irak können die Kräfte kommen, die den IS nachhaltig am Boden bekämpfen.

Gäbe es hierüber Einigkeit, wäre auch ein UN-Mandat zu erreichen. Das nebeneinanderher Bomben wird eine solche Einigung aber eher erschweren, wie die jüngsten Verwerfungen zwischen der Türkei und Russland zeigen.

Respice finem

So droht man, ganz im Kalkül des IS, in eine militärische Eskalation zu schlittern. Es wäre der erste asymmetrische Krieg der letzten Zeit, den der militärisch Stärkere gewonnen hat.

„Politik wird nicht danach beurteilt, mit was sie beginnt, sondern zu was sie führt“ schreibt Carolin Emcke und schließt „Die demütig-realistische Einsicht in die begrenzte Wirkungsmacht militärischer Mittel ist das Mindeste, was sich aus den Verwerfungen europäischer und außereuropäischer Geschichte lernen lässt.“[4]

Die Bundesregierung scheint nicht einmal aus den jüngeren Erfahrungen mit der Interventionen in Libyen, dem Irak und Afghanistan und ihrer jahrelangen Nichtpolitik in Syrien lernen zu wollen.

[1]              Vgl. www.faz.net/aktuell/politik/terrorangst-in-europa/frankreich-ist-empoert-ueber-die-militaerische-zurueckhaltung-in-berlin-und-bruessel-13917740.html

[2]              Zit. Nach https://www.tagesschau.de/ausland/un-sicherheitsrat-is-103.html

[3]              Der Kurdische Knoten in Der Freitag Nr. 48 vom 26.11.15

[4]              Carolin Emcke, Trauma, SZ vom 28.11.15

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