Der Ton macht noch keine Politik

Nun hat sich Winfried Kretschmann per Facebook Asche auf sein Haupt gestreut. Auch er sei nachdrücklich für die Ehe für alle und Baden-Württemberg setzte sich weiterhin dafür ein. Das ist gut so. Der Sound seiner Äußerungen zur Ehe und zum angeblichen Egoismus von Schwulen und Lesben atmete nämlich weniger den aufklärerischen Geist der von ihm geschätzten Hannah Arendt. Das klang mehr nach Martin Heidegger.

Doch im Kern hat Winfried Kretschmann nur das Beispiel zurückgezogen, mit dem er seine eigentliche These begründen wollte. Und diese lautet: Die Grünen hätten Schuld am Aufstieg der AfD, weil sie zu links aufgetreten seien. Sie müssten weiter zur Mitte.

Die These hat er nicht erfunden. Vor ihm hatte sie schon der apologetische Guttenberg-Biograf Giovanni di-Lorenzo in der Zeit ausgebreitet:

„Der Vormarsch populistischer und rechter Bewegungen überall in Europa, inzwischen auch in unserem Land (…) ging einher mit den Exzessen der Grünwerdung Deutschlands: der Überhöhung der Political Correctness, dem Glauben an die Erziehbarkeit des Menschen bis zur Niederschlagung alles Bösen, der Neigung der tonangebenden Milieus, von sich auf den Rest der Bevölkerung zu schließen. Und während sich viele im Lande freuten, dass scheinbar alle dafür waren, in Kinderbüchern das Wort „Eskimo“ durch „Inuit“ zu ersetzen, damit sich in Grönland keiner beleidigt fühlt, (…) gab es immer auch Menschen, die das alles mit Unverständnis, mit Ratlosigkeit und schließlich mit wachsender Wut zur Kenntnis nahmen.“

Dass die angeblich exzessive „Grünwerdung Deutschlands“ für den Aufstieg des Front National in Frankreich oder der PIS in Polen verantwortlich sei, ist natürlich Blödsinn. Er verkennt welche Rolle demokratische konservative, wirtschaftlich neoliberale Parteien wie die britischen Konservativen beim Aufstieg der UKIP oder die EVP von Merkel und Brok beim Aufstieg von Orbans Fidesz gespielt haben.

Winfried Kretschmann bringt diese These nun auf die Formel:

„Bei vielen wächst sich das Gefühl der Überforderung zum Gefühl des Kontrollverlusts aus. Sie sehnen sich nach der alten Ordnung und der Übersichtlichkeit vergangener Zeiten. (…)  Was die political correctness betrifft, die di Lorenzo anspricht, geht es meiner Auffassung nach darum, eine neue Mitte zu finden. Schließlich brauchen wir eine Sprache, in der wir uns politisch verständigen können.“  

Winfried Kretschmann hat recht: Wir Grünen sind die Anti-AfD. Aber ist das eine Frage der Sprache? Und agieren, wie er unterstellt, die Vertreter einer korrekten Sprache in Kinderbüchern und an Straßenschildern wirklich auf der gleichen Ebene wie der pöbelnde Pegida-Haufen am 3. Oktober?

„Auf der einen Seite erleben wir eine tendenziell übersteigerte politische Korrektheit, auf der anderen Seite das krasse Gegenteil: einen Verbalradikalismus und eine Verrohung der Sprache“.

Wer die Hate-Speech der Populisten auf eine Stufe stellt mit – oft skurrilen aber – niemanden gefährdenden Neu-Formulierungen in Büchern, redet den Hass schön. Er verniedlicht damit auch das eigene Problem.

Dem rechten Populismus wird man nicht mit einer „neuen Tonlage“ (Winfried Kretschmann) beikommen. Es geht um die Substanz von Politik. Denn es geht gegen den von Grünen mitgeschaffenen Rahmen für eine gute Ordnung.

An anderer Stelle weiß es Winfried Kretschmann besser. Wir sind „keine Heiligen … sollten das Moralisieren lassen … und auf den Kampf für eine gute Ordnung der Dinge konzentrieren.“ Wie wahr.

Diese gute Ordnung der Dinge wird von rechts angegriffen. Die Rechten waren dagegen, dass in Baden-Württemberg der Sexualkundeunterricht frei von Diskriminierung gestaltet wurde. Sie stehen an der Spitze der Bewegung gegen den weiteren Ausbau Erneuerbarer Energien. Sie wollen die doppelte Staatsbürgerschaft abschaffen. Sie wollen ein Europa mit nationalen Grenzen. Sie wollen Griechenland aus dem Euro schmeißen. Sie plädieren für eine Abschaffung des Asylrechts. Sie hassen das Grundgesetz, das von der Würde des Menschen spricht und wollen zurück zu einem völkischen Staatsangehörigkeitsrecht. Sie lehnen das staatliche Gewaltmonopol ab und plädieren für Selbstjustiz gegen Flüchtlingswohnheime.

Es geht nicht um eine neue Tonlage. Es geht darum, den demokratischen Ordnungsrahmen gegen einen Generalangriff zu verteidigen. Der Aufstieg der Rechten wird nicht dadurch verhindert, dass wir wieder anfangen „Eskimo“ zu sagen. Es geht um eine aufrechte demokratische Haltung mit der die Substanz unseres Gemeinwesens verteidigt wird.

Dazu gehören selbstbewusste Grüne. In einem Land, in dem vier von zehn Befragten angeben, sie fänden es ekelhaft, wenn sich Homosexuelle in der Öffentlichkeit küssen, braucht es eine Partei die klar Haltung für eine offene Gesellschaft zeigt. Wenn jede*r Zweite angibt, sich angesichts der vielen Muslime fremd im eigenen Land zu fühlen, reicht es nicht auf eine gesellschaftliche Mitte zu rekurrieren. Und wenn Pegida, AfD, CSU und CDU nach immer neuen Asylrechtsverschärfungen rufen, müssen wir Grünen umso kraftvoller für eine menschenwürdige Aufnahme und Integration von Geflüchteten streiten.

Was die Demokratie jetzt braucht ist demokratischer Streit. Deshalb müssen wir Grüne  die klare und laute Stimme für Gleichheit und Gleichstellung, für eine bunte und tolerante Gesellschaft sein – gerade weil das Horst Seehofer und der CSU nicht gefällt.

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