Der junge Karl Marx: Von der Aktualität des Ökonomen und politischen Autors

Filmpremiere Der junge Karl Marx, Kino Lumiere, Göttingen, 4. März 2017

Lieber Wilfried Arnold,
liebe Anwesende,

Ich danke für die Einladung, zur Filmpremiere von Roaul Peck Film der Junge Marx ein paar Worte zur Aktualität seines Werkes zu sagen.

Drei Fragen

Weil ich mich gefragt habe, warum Wilfried mich gefragt hat, hier die Patenschaft für den Film eines Regisseurs aus Haiti zu übernehmen, bin ich drei Fragen nachgegangen

  1. Ist Marx überhaupt noch aktuell?
  2. Was geht das einen Grünen an?
  3. Was ist mit dem Journalisten Marx?

Krise

Manchmal gibt es das Buch zum Film. Zu diesem Film gibt es nicht nur ein Buch, sondern viele. In den Bänden 23 bis 25 der Werke von Marx und Engels etwa findet sich Das Kapital. Aus Anlass des 150. Jahrestages des Hauptwerkes von Karl Marx Anlass notierte Ulrike Herrmann in der taz:

„Es ist kein Zufall, dass die Mainstream-Ökonomen so beharrlich versuchen, Marx zu ignorieren und zu tabuisieren. Denn wenn sie ihn lesen würden, wäre ihre eigene Theorie obsolet.“[1]

Womit eine erste Antwort auf die Aktualität gegeben wäre.

Marx ist höchst aktuell.

Nachdem die Spreats und Excel Tabellen unserer BWler in der Finanzkrise 2008 spektakulär scheiterten, begann die Suche nach der Erklärung der Krise:

„Es genügt, die Handelskrisen zu nennen, welche in ihrer periodischen Wiederkehr immer drohender die Existenz der ganzen bürgerlichen Gesellschaft in Frage stellen. In den Handelskrisen wird ein großer Teil nicht nur der erzeugten Produkte, sondern der bereits geschaffenen Produktivkräfte regelmäßig vernichtet…

Wodurch überwindet die Bourgeoisie die Krisen? … Dadurch, daß sie allseitigere und gewaltigere Krisen vorbereitet und die Mittel, den Krisen vorzubeugen, vermindert.“[2]

Marx neue Aktualität zeigte sich in den Wirtschaftswissenschaften außerhalb Deutschlands sehr viel deutlicher hier. Plötzlich hatte 2014 ein dröger französischer Wirtschaftshistoriker an amerikanischen Universitäten Zulauf wie sonst nur ein Popstar.

Dabei hatte Thomas Piketty nur mit unendlichen Zahlenreihen den empirischen Nachweis erbracht, dass die Ungleichheit im Kapitalismus nicht nur fortbesteht, sondern wächst. Dass sie zyklisch zu Krisen führt. Dass sich eine quasi neofeudale Oberschicht bildet. Diese Ungleichheit untergräbt die Demokratie.[3]

In den USA wie in Großbritannien hat man bis heute keine Scheu, von Kapitalismus zu sprechen, wenn man den Kapitalismus meint. In Deutschland neigt man dazu ihn auf die historische Sonderform einer Sozialen Marktwirtschaft zu reduzieren.

Diese aber war gerade in der Finanzkrise sichtbar an ihre Grenzen geführt worden.

Weshalb sich selbst die FAZ zu den Überschrift hinreißen ließ: „Marx hat recht. Die Geschichte des Kapitalismus ist die Geschichte seiner Krisen.“[4]

Natürlich musste die FAZ hinzufügen, dass Krisen in ihrer Folge auch großes Wachstum nach sich ziehen könne. Was für eine Überraschung.

Wachstum

Wachstum – womit wir beim Verhältnis der Ökologen zu Marx wären. Ist Marx nicht ein Apologet eines blinden Wachstums um jeden Preis?

Nun waren Marx und Engels alles andere als blinde Apologeten der Entwicklung der Produktivkräfte. Ausführlich arbeiteten die beiden Sozialforscher die Verschmutzung der Gewässer, die Zerstörung der Gesundheit und die Verkürzung der Lebenserwartung der englischen Arbeiterklasse auf.

Doch nicht nur die „Verwüstung und Versiechung der Arbeitskraft“ trieb sie um:

„ … jeder Fortschritt der kapitalistischen Agrikultur ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst, den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst, den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit für eine gegebne Zeitfrist zugleich ein Fortschritt in Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit. … Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen alles Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“[5]

Dass man dafür kein romantisches Verhältnis zur Natur haben muss, unter strich Friedrich Engels:

„Und so werden wir bei jedem Schritt daran erinnert, daß wir keineswegs die Natur beherrschen, wie ein Eroberer ein fremdes Volk beherrscht, wie jemand, der außer der Natur steht – sondern daß wir mit Fleisch und Blut und Hirn ihr angehören und mitten in ihr stehn, und daß unsre ganze Herrschaft über sie darin besteht, im Vorzug vor allen andern Geschöpfen ihre Gesetze erkennen und richtig anwenden zu können.[6]

Dieser anthropozentrische Naturbegriff, dieses Plädoyer die Gesetze zu erkennen und richtig anzuwenden, also politisch zu gestalten, machte es Ende der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts vielen Linken leicht, sich von einem falsch verstandenen Ökonomismus tradierter linker Parteien abzusetzen.

Dieser beschrieb den Umschlag in einer kapitalistischen Gesellschaft derart, dass in einer umfassenden Entwicklung der Produktivkräfte diese die Produktionsverhältnisse sprengen würden.

Und nun standen plötzlich Linke an den Bauzäunen von Brokdorf und Grohnde und versuchten die weitere Entwicklung der Atomkraft zu unterbinden. Doch dies war keine Maschinenstürmerei.

Der Kampf beruhte auf der Erkenntnis, dass die umfassende Entwicklung dieser Produktivkraft, sehr wohl geeignet sein könnte im Katastrophenfall, die Produktionsverhältnisse zu sprengen, dieses aber unmittelbar jegliche Produktivkräfte und die Existenz der Gesellschaft untergraben könnte. Daraus folgte:

Wer die Gesetze der Natur „erkennen und richtig anwenden möchte“ muss gegen Atomkraft sein, der muss den Ausstoß der Treibhausgase begrenzen.

Definieren wir Ökologie als globale Gerechtigkeit über Generationen hinweg, kommt man nicht umhin die konkurrenzgetriebene Entwicklung der Produktivkräfte politisch zu begrenzen.

Weshalb Ökologen – nehmen sie die Ökologie ernst – links sein müssen.

Daran kann auch die immer wieder neu entflammende Debatte über Wachstum wenig ändern.

Wachstum ist ein blinder Indikator. Ob eine Entkoppelung von ökonomischen Wachstum und Verbrauch begrenzter Ressourcen möglich ist, würde den heutigen Abend sprengen.[7]

Ich möchte nur auf einen Befund verweisen, den sowohl die Verfechter einer aggressiven Wachstumsideologie wie die Gegner von Wachstum wenig beachten.

In Gesellschaften, in denen es eine sehr hohe organische Zusammensetzung der einzelnen Kapitale gibt, fallen die Wachstumsraten in den letzten Jahrzehnten niedrig aus.

Je entwickelter der Kapitalismus, je geringer das Wachstum.

Man könnte daraus die These entwickeln, dass die Entwicklung der Produktivkräfte die Grundlage für eine angestrebte Wirtschaftsweise ist, die ohne Vernutzung globaler Gemeinschaftsgüter auskommt.

Man kann aber auch die Schlussfolgerung daraus ziehen, die Donald Trumps Chefstratege Steve Bannon daraus zieht.

Da Kriege sehr viel Produktivkräfte vernichten  -müssen man halt alle 80 Jahre einen großen Krieg führen.[8] Dass stärke nicht nur die – weiße – Nation, sondern sorgt auch für hohe Wachstumsraten.

Politik

Womit wir bei dem politischen Autor Karls Marx wären.

Marx war nicht nur ein großer Ökonom, sondern Schriftsteller und politischer Journalist. Die Vorgeschichte zum Kommunistischen Manifest wird hier im Film gezeigt. Das Werk selber ist von großer sprachlicher Kraft. Es hat auch eine literarische Dimension.

Das Werk des politischen Autors Marx aber endete nicht damit. Zeit seines Lebens beobachtete und analysierte Marx die Politik in den sich entwickelten kapitalistischen Staaten – auch und gerade dort, wo diese einen scheinbar atypischen Verlauf nahmen.

In einem dieser Werke setzte er sich mit der autoritären Herrschaft auseinander. Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte enthält nicht nur die berühmte Charakterisierung der Verfassung, wonach jeder Paragraph „seine eigene Antithese“ enthalte,

„nämlich in der allgemeinen Phrase die Freiheit, in der Randglosse die Aufhebung der Freiheit“[9]

Marx beschreibt hier auch den autokratischen Herrscher:

„Von den widersprechenden Forderungen seiner Situation gejagt, zugleich wie ein Taschenspieler in der Notwendigkeit, durch beständige Überraschung die Augen des Publikums auf sich […] gerichtet zu halten, also jeden Tag einen Staatstreich en miniature zu verrichten, bringt Bonaparte die ganze bürgerliche Wirtschaft in Wirrwarr, tastet alles an, was der Revolution von 1848 unantastbar schien, macht die einen revolutionsgeduldig, die anderen revolutionslustig und erzeugt die Anarchie selbst im Namen der Ordnung, während er zugleich der ganzen Staatsmaschine den Heiligenschein abstreift, sie profaniert, sie zugleich ekelhaft und lächerlich macht.[10]

Jeden Tag einen Staatsstreich per Twitter – wer denkt da nicht an Donald Trump.

Ist aber von 1852. So viel zur Aktualität des politischen Autors Karl Marx

Freiheit

Unser Film heute zeigt auch, wie Jenny und Karl Marx wegen seiner journalistischen Tätigkeit des Landes verwiesen werden.

Auch das ist heute leider bitter aktuell. Und Ausweisungen sind das nicht das Schlimmste was kritischen Journalist*innen in Autokratien droht.

Während wir gleich Der junge Karl Marx sehen, sitzt in der Türkei Deniz Yücel im Knast. Sein Verbrechen: Er hat darüber berichtet, wie die Türkei in eine Autokratie geführt werden soll.

Mit Deniz sitzen in der Türkei Hunderte Journalisten, Bürgermeister, Abgeordnete, Lehrer, Ärzte, Menschen ein.

Wir sollten hier klar sagen:

Deniz Yücel und all die anderen, die für Freiheit und Demokratie streiten, müssen frei gelassen werden, in Türkei und überall.

Auch diese wäre im Sinne Karl Marx.

 

 

[1]              Ulrike Herrmann: Eine Qual? Nein, ein Epos, taz vom 04./05.02.17

[2]              Karl Marx/Friedrich Engels, Manifest der Kommunisten Partei, MEW 4, S. 467f

[3]              Thomas Piketty, Capital in the Twenty-First Century, Cambrigde, London 2014

[4]               http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wirtschaftswissen/finanzkrise-marx-hat-recht-1693351.html

[5]              Karl Marx, Das Kapital, MEW 23, S. 529, alte Schreibweise

[6]              Friedrich Engels, MEW20 S.453, alte Schreibweise

[7]              Vergl. Jürgen Trittin, Stillstand Made in Germany, Gütersloh 2014, S. 143 ff, wo ich mich Paech und Fücks auseinandersetze

[8]              http://derstandard.at/2000052203131/Steve-Bannon-Der-Mann-der-Trumps-Hand-fuehrt

[9]              Karl Marx, Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, MEW 8, S. 127

[10]             Ebd. S. 207, Den Hinweis darauf verdanke ich Micha Brumlicks Aufsatz Vom Proletariat zum Pöbel: Das neue reaktionäre Subjekt in https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2017/januar/vom-proletariat-zum-poebel-das-neue-reaktionaere-subjekt#_ftnref15

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