Eröffnungsvortrag des 30. Heidelberger Symposiums

Die Welt im Ungleichgewicht

Ökonomisch, ökologisch und sicherheitspolitisch

Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Studentinnen und Studenten des Heidelberger Clubs,

ich bedanke mich für die Einladung und freue mich, dass ich über das Gleichgewicht oder, wie Sie gleich hören werden, über fehlende Gleichgewichte, also Ungleichgewichte, sprechen darf.

Nichts ist so ungerecht wie ein ökonomisches oder ökologisches Ungleichgewicht und nichts hat langfristig so weitreichende Folgen.

Soziale Ungleichheit spaltet unsere Gesellschaften. Und auch die Klimakrise ist nicht nur ein Thema für Ökos. Die Folgen der globalen Erhitzung trifft die Ärmsten zuerst – und am härtesten.

Dabei ist gesellschaftlicher Zusammenhalt, national wie global, so wichtig. Zusammenhalt ist die Voraussetzung dafür, dass wir friedlich miteinander leben können.

Alexis de Tocqueville formulierte den Grund für gesellschaftliches Auseinanderdriften mal so formuliert: “the same feeling for one another does not exist between the different classes”.

Das heißt: Die Leute fühlen mehr mit ihresgleichen als mit ihren armen Nachbarn. Und das ist das Problem.

Was im Kleinen gilt, gilt auch im Großen: Soziale Spaltung und nationale Egoismen führen im Extremfall zu Krisen und Krieg. Deshalb ist die aktuelle Entwicklung in Deutschland, in Europa, ja in der Welt so besorgniserregend.

Und so muss ich mich Frank-Walter Steinmeier anschließen: “Die Welt ist aus den Fugen geraten”. Jüngster, trauriger Höhepunkt ist der Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen mit dem Iran. Trump ist ein Nationalist und zerstört so, was sein Vorgänger Barack Obama und mit ihm viele andere in mühsamer, jahrelanger Arbeit geschafft haben: Den Iran dazu zu verpflichten, sein Atomprogramm massiv herunterzufahren und 95 Prozent der Bestände an angereichertem Material zu verdünnen oder außer Landes zu bringen.

Jetzt droht wieder ein atomares Wettrüsten. Die verbliebenen Kalten Krieger sagen: „Gut so – das Gleichgewicht des Schreckens hat im Kalten Krieg den Frieden gesichert!“ Ich sage: das Gleichgewicht des Schreckens ist eine Illusion. Abschreckung funktioniert nicht als Antwort auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Im Gegenteil: Aufrüstung verschärft gefährliche Asymmetrien.

Ich möchte mit Ihnen in der nächsten Stunde eine Reise durch diese drei Ungleichgewichte unternehmen – das soziale, das ökologische und das sicherheitspolitische – und dabei aufzeigen, warum wir dringend einen Politikwechsel brauchen. Und warum weitere vier Jahre Stillstand unter Merkel so fatal sind.

  • Ökonomisches Ungleichgewicht

Gesellschaften werden durch ökonomische Ungleichgewichte nicht nur ungerecht, sondern auch instabil. Eine Welt, in der 1 % der Weltbevölkerung mehr Vermögen hat, als die restlichen 99 %, produziert regelmäßig Vermögensblasen. Und wenn die platzen, kommt es zu Finanzkrisen. Hinter den Finanzkrisen steht wiederum das Schicksal von Menschen.

Doch der Reihe nach:

Wenn man wie ich aus Bremen kommt, dann wächst man mit der Geschichte der Hanse und dem Wissen um die ehrbaren Kaufleute auf.

Der ehrbare Kaufmann sollte nach bremer Ansicht bestimmte Eigenschaften haben:

Anstand, Ehrlichkeit, Verlässlichkeit, Verantwortlichkeit, Redlichkeit, Sparsamkeit, Weitblick, Entschlossenheit, Fleiß, Gerechtigkeit, Aufrichtigkeit und Diskretion.

Doch nicht nur das, schon damals wussten die reichen Pfeffersäcke aus Bremen: Sozialer Ausgleich ist die Grundlage für Stabilität und Wachstum.

Ein Wissen, das der heutigen Wirtschaftselite leider abhandengekommen zu sein scheint.

Denn was sieht der ehrbare Kaufmann, wenn er sich heute in Deutschland umschaut?

  • Er sieht ein Land, in dem das reichste 1 % der Bevölkerung ein Drittel des Gesamtvermögens besitzt;
  • Er sieht ein Land, das „innerhalb der Eurozone den höchsten Grad an Ungleichheit bei der Verteilung des Vermögens aufweist“;
  • Und er sieht ein Land, in dem 29% der Haushalte über kein beziehungsweise ein negatives Vermögen verfügten.[1]

Sie merken, ich möchte über etwas Grundsätzliches reden. Über das Gleichgewicht bei der Teilhabe an Vermögen – bzw. an Wohlfahrt.

1.1     Die Instabilität des demokratischen Kapitalismus

Ich möchte über die Instabilität des demokratischen Kapitalismus reden, dem erfolgreichsten Gesellschaftssystem auf diesem Globus.

Denn was geschieht, wenn die Reichen immer reicher werden, während Millionen Privathaushalte und Dutzende Staaten aber klamm sind?

Ganz einfach: Die Ersteren leihen den Letzteren ihr Geld – zu ihren Bedingungen natürlich!

Bei ungleicher Verteilung fließt also viel Geld auf den Finanzmarkt. Dort wird es hoch spekulativ und sehr oft unproduktiv angelegt. Und am Ende, wenn die Spekulationsblasen geplatzt sind, wird das Vermögen in Finanzkrisen vernichtet.

Ein tragisches Beispiel ist die amerikanische Finanzkrise 2007, die sich 2009 zu einer Weltrezession entwickelte.

Millionen Amerikaner*innen waren Opfer der Banken geworden, die sogenannte Subprime-Kredite an Menschen mit geringem Einkommen vergaben. Hinter vorgehaltener Hand hießen diese Kredite geringschätzig: Ninja – No Income, No Job or Assets. Dass die Banken diese hochriskanten Kredite den Menschen förmlich hinterhergeworfen haben, zeigen folgende Zahlen:

  • In den 1990er Jahren hatte der Subprime-Markt noch ein Volumen von rund 30 Milliarden Dollar.
  • Bis 2005 hatte der Markt sich auf ganze 625 Milliarden Dollar

Mit einer riesigen Portion Sarkasmus könnte man sagen, “auch eine Lösung”: Die ungerechte Verteilung wird korrigiert, in dem sich die Staaten und die Armen von den Reichen das Geld leihen und es einfach nicht zurückzahlen. Der Schuldenschnitt als Antwort auf den ungelösten Verteilungskonflikt des demokratischen Kapitalismus.

Es gibt – dezidiert neoliberale – Wirtschaftswissenschaftler, die so etwas fordern. Da finden dann Hans-Werner Sinn vom Münchner Ifo-Institut und Griechenlands Ex-Finanzminister Yanis Varoufakis zueinander.

Doch bevor das zusammenwächst, was nicht zusammen gehört, muss man konstatieren: Diese Prozesse bringen viel Leid, Chaos und Schicksalsschläge mit sich.

Es ist keine gute Idee,

  • weil dabei ganze Generationen zu Verlierern werden;
  • weil so viel Kapital vernichtet wird, das woanders dringend gebraucht wird;
  • weil auch die Sektoren der Wirtschaft in den Abgrund gerissen werden, die für sich genommen profitabel sind, die aber auf einen funktionierenden Bankensektor angewiesen sind;
  • und weil Regierungen nach Finanzkrisen gezwungen sind, bedrohte Banken und ihre Anleger zu retten und große Anteile des zerstörten Vermögens auch noch auf Steuerzahlerkosten zu garantieren.

Nein, Finanzkrisen sind keine charmante Lösung für das Verteilungsproblem, und sie können uns auch nicht kalt lassen. Im Gegenteil – wir sollten alles daran setzen, sie zu verhindern.

1.2     Ungleichheit nach Piketty

Die Wurzeln der Finanzkrisen liegen also in der Ungleichheit.

2013 hat ein Buch für Furore gesorgt, dass sich diesem Problem widmet. Zugegeben, die Titelauswahl hat vielleicht auch zum Erfolg beigetragen: Das Kapital im 21. Jahrhundert von Thomas Piketty.

Piketty hat sich die globale Einkommens- und Vermögensverteilungen seit dem 18. Jahrhundert angeschaut und ist immer wieder auf die gleichen Szenarien gestoßen.

Piketty hat das in der Formel R > G zusammengefasst:

Wenn Renditen von Kapitalanlagen schneller wachsen, als das Wachstum des gesamtwirtschaftlichen Einkommens führt das zu wachsender sozialer Ungleichheit.

Und schon stehen wir wieder am Anfang, des beschriebenen Problems – und vor der nächsten Finanzblase.

Diesen Teufelskreis müssen wir durchbrechen. Das ist auch mit Blick auf die Schuldenentwicklung notwendig. Denn eins haben wir in den letzten Jahren lernen müssen:

Sparpolitik spart nicht. Angela Merkels Austeritätspolitik hat die Schulden in den Krisenstaaten vergrößert nicht vermindert.

Wenn wir uns die Verschuldung in Ländern wie Irland, Spanien, Portugal oder Griechenland anschauen, sieht man eines:

Es sind vor allem die Schulden im Bereich der Haushalte und der Unternehmen und der Banken, die die Länder in die Krise treiben, denn erst in ihrem Gefolge steigen die Staatsschulden-Quoten.

1.3     Neoliberalismus – der Anfang allen Übels

Wie wird Wohlstand denn verteilt? Warum bleiben die Einen reich und die Anderen arm? Der Neoliberalismus setzt da auf einfache Antworten: Viel Markt, wenig Staat…

Der Neoliberalismus ist eine ökonomische Theorie, die Karl Marx als „Vulgärökonomie“ bezeichnet hat. Sie nutzt nur bestimmten Gruppen, nämlich denen, die vom transnationalen Handel leben und die damit von unregulierten Märkten profitieren.

Der Neoliberalismus, der die Welt ab den 80er Jahren in seinem Klammergriff hatte, hat die Grenzen der Theorie verlassen und wurde – was er vielleicht immer war – eine Ideologie.

Seine politische Hochzeit erlebte er eben mit Thatcher und Reagan.

Man öffnete die Kapital-, Güter- und Arbeitsmärkte ohne einen ausreichenden politischen Rahmen. Ohne dem Markt globale Regeln zu geben. So setzte man bewusst die Regierungen aller Staaten unter den Druck der Standortkonkurrenz und der Abwanderungsdrohung.

Man kann das ganz wunderbar immer wieder beobachten: Kaum verspürt die Wirtschaft Handlungsdruck, weil, sagen wir, Abgaswerte manipuliert wurden, schreien alle, inklusive der Gewerkschaften “Achtung, deutsche Arbeitsplätze werden vernichtet”. Und schon zucken viele Politiker*innen zurück und hoffen darauf, dass sich der Markt – Sie ahnen es – genau: selbst reguliert.

Der Wettbewerb auf den Weltmärkten dominiert über die Demokratie. Politische Entscheidungen werden davon getrieben und bestimmt. Globalisierung meint zunächst eine massive Gewichtsverschiebung zwischen Markt und Demokratie.

Vor ein paar Jahren formulierte die Bundeskanzlerin Merkel noch die Aufgabe, die „parlamentarische Mitbestimmung marktkonform zu gestalten“ – eine marktkonforme Demokratie also. Immer noch sind viele Player in den politischen und ökonomischen Führungsetagen überzeugt, ein möglichst ungehinderter Markt werde alle Probleme am besten lösen.

Und doch will heute niemand mehr „neoliberal“ genannt werden.

Kein Wunder, nach dem Lehman-Desaster, nach der Finanzkrise und nach der Rettung von Großbanken durch Steuergelder. So richtig dagegen tun, will allerdings auch niemand etwas – zumindest nichts gegen Großkonzerne und Finanzgiganten.

1.4     Armut macht krank und einsam und ungebildet und …[2]

Lassen Sie uns noch ein wenig tiefer die Folgen dieses ökonomischen Ungleichgewichts betrachten.

Verglichen mit anderen Nationen und Jahrhunderten leben wir im Westen in nahezu paradiesischen Umständen:

Der technologische Fortschritt bringt viel Gutes mit sich: das verfügbare Einkommen der Privathaushalte steigt kontinuierlich an, unsere Arbeitsbedingungen werden immer besser, wir können immer mehr Krankheiten, immer besser heilen, infolgedessen leben wir länger.

Und doch: die Armen werden abgehängt in diesem System, denn Armut macht krank.

Dieser Zusammenhang lässt sich international gut nachvollziehen.

  • Im ostafrikanischen Sambia leben 60,5% der Menschen unterhalb der Armutsgrenze. Die Lebenserwartung liegt bei knapp 53 Jahren; damit belegt das Land den traurigen Rang 219 von 224.
  • Zum Vergleich: In Deutschland sind 16,7% Die Lebenserwartung liegt bei knapp 81 Jahren; dies entspricht Rang 34 von 224.

Doch nicht nur zwischen den Nationen wirkt sich diese finanzielle Schieflage aus. Auch in den Ländern selbst führen Einkommensungleichheit zu sozialen Missständen.

Für Deutschland, immerhin die größte Volkswirtschaft Europas und viertgrößte der Welt, ist eine Armutsquote von 16,7% ein Armutszeugnis. Zumal dieser Wert seit Jahren steigt; 1998 lag die die Armutsquote noch bei 10,6%.

Das hat nicht nur Auswirkungen auf die Lebenserwartung, auch soziale und andere gesundheitliche Aspekte sind abhängig vom Einkommen und beeinflussen somit die Qualität des Zusammenlebens in unseren Gesellschaften.

Forscher*innen haben frappierende, aber einleuchtende Zusammenhänge belegt. Hier ein paar Beispiele:

  • Je ungleicher eine Gesellschaft ist, desto geringer ist das Maß an Vertrauen
  • Je ungleicher eine Gesellschaft ist, desto höher der Grad an psychischen Erkrankungen.
  • Je ungleicher eine Gesellschaft ist, desto höher sind die Kriminalitätsraten.
  • Je ungleicher eine Gesellschaft ist, desto schlechter ist die Schulleistung von Kindern.
  • Und last but not least: je ungleicher eine Gesellschaft ist, desto weniger soziale Mobilität gibt es.

Sie sehen:

Finanzielle Ungleichheit wirkt sich bis in den letzten Winkel – auch von reichen Gesellschaften – aus.

Aber lassen Sie mich noch auf ein Ungleichgewicht eingehen, dass vordergründig sehr technisch und wenig sozial scheint, dass aber unseren Planeten bedroht: das ökologische Ungleichgewicht oder besser gesagt: die Klimakrise – die wir selbst verursacht haben.

2     Wenn das Klima kippt

Um es in den Worten des Gründungsdirektors des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung Hans Joachim Schellnhuber zu sagen: “Wenn wir den Klimawandel nicht in den Griff bekommen, wenn wir das Schiff nicht über Wasser halten können, brauchen wir über Einkommensverteilung, Rassismus und guten Geschmack nicht mehr nachzudenken.“

Wie rasant die Klimakrise voranschreitet, sah man am 2. Mai dieses Jahres. An diesem Tag war in Deutschland Earth Overshoot Day, auch bekannt als “Welterschöpfungstag“ oder „Weltüberlastungstag“. An diesem Tag hatten wir in Deutschland alle Ressourcen für 2018 verbraucht. Derzeit leben wir so, als hätten wir drei Erden zur Verfügung – und das auf Kosten der armen Länder. Letztes Jahr war dieser Tag noch am 2. August. Sie sehen: die Uhr tickt gnadenlos.

Lassen Sie uns also darüber reden, was wir tun müssen, um das Ticken zu verlangsamen oder gar aufzuhalten.

Wir haben in Deutschland das, was heute weltweit als Energiewende bekannt ist, vor nicht einmal 20 Jahren auf den Weg gebracht. Zunächst begann alles ganz rasant und besser als vermutet – allen Unkenrufen zum Trotz. Bereits im Jahre 2015 produzierten wir in Deutschland fast ein Drittel unseres Stroms erneuerbar.

Und auch wenn sich die aktuelle deutsche Bundesregierung „bemüht“, den Ausbau der Erneuerbaren Energien zu drosseln, sind diese nicht mehr aufzuhalten. In Deutschland wurden in den letzten Jahren jährlich über 20 Milliarden € in neue Stromerzeugungsanlagen investiert. Das gibt es in keinem anderen Land Europas.

Das Schicksal unseres Planeten hängt davon ab, ob wir es in den nächsten Jahren schaffen, den internationalen Versprechungen nach Klimaschutz auch Taten folgen zu lassen und aus den fossilen Energien auszusteigen. Angela Merkel wird ihre selbstgesteckten Klimaziele für 2020 nicht erreichen. Alles sieht danach aus, dass Deutschland unter ihrer Regierung auch seine Ziele für 2030 verfehlen wird.

Es ist also höchste Zeit für Taten. Die Extremwetterkatastrophen, die wir heute erleben sind das Resultat der Klimaerhitzung von vor dreißig Jahren. Die Auswirkungen der jetzigen Klimaverschmutzung werden erst unsere Kinder voll zu spüren bekommen. Dann werden Fluten, Dürren und Eisschmelze ihre Lebensgrundlagen angreifen. Allein in den nächsten 30 Jahren rechnet die Internationale Organisation für Migration mit 200 Millionen Menschen, die sich wegen der Klimaerhitzung auf die Flucht machen müssen. Schon heute flüchten doppelt so viele Menschen vor Umweltkatastrophen wie vor Krieg und Gewalt.

Wenn wir das Schlimmste verhindern wollen, müssen wir die globale Erhitzung auf weniger als 2 Grad – besser noch 1,5 Grad begrenzen.

Das bedeutet aber: wir dürfen nur noch ein Fünftel der heute förderbaren Reserven aus Öl, Kohle und Gas verfeuern. Trotzdem haben Merkel und ihre Minister in den letzten Jahren Milliarden von Steuergeldern in die dreckige Kohlekraft gesteckt. Die blasen nicht nur Dreck in die Atmosphäre, sondern sorgen auch dafür, dass die hocheffizienten Windkraftanlagen immer wieder stillstehen müssen.

Das Ergebnis: der einstige Spitzenreiter bei Wind, Deutschland, liegt heute hinter China und den USA auf Platz 3 und wird demnächst von Indien überholt.

In der Solarwirtschaft wurden 40.000 Arbeitsplätze vernichtet. 40.000 Arbeitsplätze in einer Zukunftsindustrie! Und auch in anderen Bereichen laufen uns andere Nationen, allen voran China, den Rang ab.

Wir alle, die Weltgemeinschaft, und allen voran der weltweit größte Braunkohleverbraucher Deutschland, müssen uns fragen: was können wir tun können, um die Klimakrise abzuwenden? Dabei tun sich auch riesige Chancen auf, wie eben die Schaffung von Arbeitsplätzen in diesen Bereichen.

Also, lassen Sie uns über Instrumente reden, wie wir die Energiewende wieder voranbringen können:

  • Wir Grüne wollen 100% Erneuerbare Energie bis zum Jahr 2030 – mit Investitionen in Solar- und Windkraft;
  • Wir brauchen ein Förderprogramm für die energetische Gebäudesanierung;
  • Der Ausstieg aus der Kohle muss kommen. Und zwar schnell, demokratisch und sozial verträglich. 30.000 Menschen arbeiten in der Kohle[3] – jeder Arbeitsplatz ist ein persönliches Schicksal. Und weil die Kohle keine Zukunft hat, müssen wir handeln.
  • Bis zur Umsetzung der Neuausrichtung des EU-Emissionshandels muss Deutschland, den Beispielen Frankreich und Großbritannien folgend, einen Mindestpreis für CO2-Emissionen einführen. Dieser sollte für alle Sektoren, Technologien und Regionen[4] gelten;
  • Wir brauchen mehr Elektromobilität, inklusive einer Quote für Elektroautos, und weniger Diesel auf den Straßen. Dazu zählt auch, die Dieselsteuer auf das Niveau der Benzinsteuer Bis 2030 sollte der fossile Verbrennungsmotor passé sein.
  • Wir brauchen einen Ausbau des ÖPNVs, des Schienenverkehrs und den Ausbau von Radwegen an Bundesstraßen und Förderung des Baus von Radschnellwegen.

Statt diese Liste fortzusetzen – und ich könnte sie fortsetzen – möchte ich noch einmal einen Bogen vom ökologischen Ungleichgewicht zum Einfluss von Kapital in diesem Bereich schlagen.

2.1     Carbon Bubble

Im Moment pumpen sehr viele Investoren Geld in fossile Energien. 7 Billionen Dollar sind der Wert für fossile Rohstoffe (im Energiebereich), die in den Büchern gelisteter Unternehmen weltweit stehen.

Hinzukommen noch einmal mehr als das doppelte in privatem Besitz. Das entspricht im Umfang alles in allem mehr 25% des WELTWEITEN BIP.

Nur: Diese fossilen Rohstoffe werden wir nicht mehr verbrennen können, wenn wir das 2 Grad Ziel halten wollen. Selbst bei einem – inakzeptablen weil verheerenden – Anstieg auf 3 Grad könnten wir die bisher bekannten ausbeutbaren Energierohstoffe nicht mehr verbrennen.

Das heißt im Umkehrschluss: das ist totes Kapital. Nichts mehr wert. Da bläht sich also eine große Blase – eine Carbon Bubble – auf, die zu platzen droht.

Das sind Milliardenrisiken für die Banken – investiert in die Zerstörung des Klimas.

Ich bin mir sicher, dass das keine überzeugende Anlagestrategie ist. Und das ist keine Analyse grüner Umweltpolitiker – das ist zum Beispiel die Analyse von Bankengruppen wie der Citigroup oder der HBSC. Letztere geht beim Platzen der Blase von einem Verlust von bis zu 60% ihres Unternehmenswertes aus.

Hier hilft nur eines – und zwar wirtschaftlich wie im Sinne des Klimaschutzes – raus aus den Fossilen Energien!

Sie sehen, es gibt mehrere Gründe, warum sich Investitionen in fossile Energien nicht lohnen bzw. auch nicht lohnen dürfen.

Aber auch im Privaten müssen wir uns an die eigene Nase packen. Nicht Sie und ich – ich gehe mal davon aus, dass hier keine Milliardär*in sitzt – aber die reichsten 10% der Menschen weltweit. Denn die sind für fast 50 % der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich, verursacht durch den Lebenswandel und Konsum.

Auch das gehört zur Wahrheit des ökologischen Ungleichgewichts dazu.

Damit hätten wir jetzt zwei Punkte: wir streben ökonomisches und ökologisches Gleichgewicht an. Aber wie sieht es in der Sicherheitspolitik mit dem Gleichgewicht aus?

3     Gleichgewicht des Schreckens/ Die Theorie der Abschreckung

Jetzt da Donald Trump den Iran-Deal aufgekündigt hat, droht ein nukleares Wettrüsten – mitten im Pulverfass Naher und Mittlerer Osten. Wenn der Iran nach der Bombe strebt, will Saudi Arabien auch eine. Wenn Saudi Arabien eine Bombe hat, wird Katar nachziehen wollen. Und immer so weiter. Die Logik dahinter ist aus dem Kalten Krieg bestens bekannt: es geht um das Gleichgewicht des Schreckens. Auf Englisch spricht man auch von “mutually assured desctruction”, wechselseitig zugesicherte Zerstörung. Wenn die erreicht ist, bedeutet der volle Einsatz von Nuklearwaffen die komplette Auslöschung von Angreifer und Verteidiger.

Dieser irre Ansatz basiert auf einer Theorie der Abschreckung. Die Annahme ist: wenn zwei Akteure nuklear bis unter die Zähne bewaffnet sind, habe keiner einen Anreiz loszuschlagen.

Der Papst beklagt die “ungeheure Kriegsrüstung” und kritisiert die Rechtfertigung, dass angeblich “unter den gegenwärtigen Umständen der Friede nur durch das Gleichgewicht der Rüstungen gesichert werden kann”. Er warnt vor einem weiteren Wettrüsten mit der möglichen Folge eines dritten Weltkrieges. Deshalb wirbt er für Abrüstung und ein Atomwaffenverbot. Die Rede ist allerdings nicht von diesem Papst. Sondern von Johannes dem 23. Seine Mahnung von 1963 ist heute leider wieder aktuell.

Das Prinzip der Abschreckung erlebt nämlich gerade ein trauriges Revival. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg ist ein Fan. Er ist der Ansicht, Abschreckung sei “der beste Weg, um einen Konflikt zu vermeiden”.[5] Dafür soll kräftig aufgerüstet werden.

Wenn es nach der NATO geht – und nach Donald Trump – soll Deutschland seinen Militärhaushalt verdoppeln. Dabei geben die europäischen NATO-Mitglieder alleine, ohne die USA, schon jetzt dreimal so viel für Rüstung aus wie Russland. Wo ist da die Fähigkeitslücke? Wenn Deutschland tatsächlich zwei Prozent seines Bruttoinlandsproduktes in die Verteidigung stecken würde, dann gäben wir alleine so viel für Rüstung aus wie die Atommacht Russland.

Das ist absurd. Und gefährlich.

3.1     Mythos Gleichgewicht des Schreckens

Die Befürworter einer Abschreckungspolitik verweisen gerne auf den Kalten Krieg. Da habe das Prinzip wunderbar funktioniert. Dank des Gleichgewichts des Schreckens sei der Kalte Krieg nicht heiß geworden. Der amerikanische Historiker John Lewis Gaddis spricht sogar von einem “langen Frieden”. Ermöglicht durch Atomwaffen. Aber ist das so? Wie stabil war das Gleichgewicht des Schreckens wirklich? Und taugt das Prinzip der Abschreckung heute noch als Richtschnur in der Außen- und Verteidigungspolitik?

Der Kalte Krieg war natürlich nur im Hinblick auf das Verhältnis der beiden Supermächte kalt. Auf den Nebenschauplätzen tobten mindestens 30 Kriege und 251 internationale Krisen.[6]

Das wirkt nicht nur aus heutiger Sicht paradox. Auch Zeitgenossen zweifelten am „Gleichgewicht des Schreckens“. Der Politikwissenschaftler Albert Wohlstetter hat den Begriff in einem Aufsatz von 1959 geprägt. Darin macht er deutlich, wie prekär dieses vermeintliche Gleichgewicht ist. Donald Brennan, Mitbegründer der konservativen Denkfabrik Hudson Institute erfand den Terminus “mutually assured destruction”. Ebenfalls um auszudrücken, wie verrückt der Ansatz ist. Die Abkürzung, die er dem Konzept gab, sagt alles: MAD.

Vielleicht gibt es unter Ihnen ein paar Filmfreunde und vielleicht hat einer schon mal den alten Klassiker von Stanley Kubrick aus dem Jahr 1964 gesehen: “Dr. Strangelove: Oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben”. In dem Film führt Kubrick vor, wie schnell sich das vermeintlich so stabile System der Friedenssicherung durch Atombomben als nicht aufzuhaltende Weltuntergangsmaschine entpuppen kann. Der Film ist zwar eine Satire. Aber als damals zwei Mitarbeiter des US-Verteidigungsministerium aus dem Kinosaal kamen, sagte der eine zum anderen: das war ein Dokumentarfilm.[7]

Das sogenannte Gleichgewicht des Schreckens war nie ein stabiler Zustand.

Beide Seiten strebten danach, die Gewichte zu ihren Gunsten zu verschieben. Die Konsequenz: ein gigantisches Wettrüsten.

3.2     Abschreckung im 21. Jahrhundert

So viel zur Geschichte der Abschreckung. Jetzt zu der Frage: lohnt es, das Konzept wieder aus der Mottenkiste zu holen?

Die Welt ist heute eine fundamental andere als zu Zeiten des Kalten Kriegs. Damals gab es zwei Blöcke. Das nannte man Bipolarität. Seit dem Ende des Ost-West-Konflikts haben sich mehr Machtpole herausgebildet. Wir haben es jetzt mit Multipolarität zu tun. Gab es vorher so etwas wie natürliche Allianzen innerhalb der Blöcke, kommt es heute immer häufiger zu Ad-hoc-Bündnissen, sogenannten Koalitionen der Willigen.

Und das ist nicht die einzige Veränderung. Wir haben es heute mit sogenannten „neuen Kriegen“ zu tun. Das sind nicht mehr die Kriege, in denen mein Vater und mein Großvater gekämpft haben nach dem Motto „Jeder Schuss ein Russ – ein jeder Stoß ein Franzos“. Heute stehen sich nicht mehr die Armeen von Großmächten auf den Schlachtfeldern gegenüber.

Was wir heute in Libyen und Syrien, in Mali oder in der Ukraine erleben sind sogenannte neue Kriege.

  • Diese neuen Kriege sind asymmetrisch. Ein militärisch übermächtiger Gegner steht weit unterlegenen Gruppen gegenüber. Statt große Entscheidungsschlachten auszufechten bekämpfen sich Rebellen und Militärs in Dabei schrecken beide Seiten nicht vor terroristischen Mittel wie Bombenanschlägen zurück.
  • Neue Kriege sind privatisiert. Hier kämpfen nicht nur nationale Streitkräfte in Uniform, sondern Milizen, Warlords, Söldner, Terroristen – aber auch Special Forces und grüne Männchen. Diese Akteure halten sich an keine Regeln, auch nicht an Mindeststandards des Kriegsvölkerrechts.
  • Neue Kriege sind entgrenzt. Schlachtfeld ist überall. Darunter leidet vor allem die Zivilbevölkerung. In den neuen Kriegen verschwimmt die Grenze zwischen Kämpfern und Zivilisten immer mehr. Mit der Folge, dass diese innerstaatlichen Konflikte immer mehr zivile Opfer

Das heißt aber auch:

Abschreckung ist wirkungslos gegen diese neuen Herausforderungen.

Staatszerfall in der europäischen Nachbarschaft lässt sich nicht abschrecken. Selbstmordattentäter lassen sich nicht abschrecken.

Die Bundesregierung muss endlich aufhören zu versuchen, die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts mit Mitteln des 20. Jahrhunderts zu bekämpfen.

Neue Kriege lassen sich nicht mit militärischer Übermacht gewinnen. Aufrüstung verstärkt nur die Asymmetrie.

Dass müssen der Westen und Russland gerade in Syrien lernen. Neue Kriege enden – wenn überhaupt – in einer Verhandlungslösung.[8] „No victors – no vanquished“ nannte der ehemalige U.S.-Präsident Barack Obama das.

Um dafür gerüstet zu sein, braucht Deutschland nicht mehr Panzer. Deutschland muss sein ziviles und zivil-militärisches Engagement stärken. Doch da hapert es gewaltig.

Deutschland bewirbt sich gerade um einen nichtständigen Sitz im UN Sicherheitsrat. Der deutsche Außenminister Heiko Maas wirbt dafür mit der Behauptung: Deutschland sei zweitgrößter Truppensteller bei Friedensmissionen der Vereinten Nationen. Das stimmt allerdings nicht. Tatsächlich liegt Deutschland nur auf Rang 34.[9] Besonders eklatant ist die Diskrepanz zwischen Wording und Doing bei der Entsendung von Polizisten und Polizistinnen in internationale Friedensmissionen.

In neuen Konflikten erreicht man mit Polizisten mehr als mit Panzern.

Aber Deutschland entsendet nur 24 von fast 11.000 UN-Polizistinnen und Polizisten. Das reicht gerade mal für Platz 46.[10]

Stattdessen verschärft Deutschland mit seinen Rüstungsexporten die Krisen der Welt.

Das Gleichgewicht des Schreckens ist eine Illusion. Es ist höchste Zeit für eine neue Abrüstungsinitiative.

4     Fazit

Eine Welt im Ungleichgewicht braucht Akteure, die für mehr Gleichgewicht kämpfen. Jean Monnet, Gründervater der EU, hatte sich die Europäische Union mal als einen solchen Gleichgewichtsfaktor vorgestellt, eine „force d‘équilibre“.[11] Diese Rolle erfüllt sie aber gerade nicht. Und daran ist auch die Bundesregierung schuld, die auf der Bremse steht. Bei der Regulierung der Finanzmärkte, beim Klimaschutz, bei der Begrenzung von Rüstungsexporten muss die EU vorangehen. Wenn die Europäische Union gemeinschaftlich liefert, kann Momentum entstehen. Und nur mit ein wenig Momentum, kann die Welt hoffen, wieder mehr ins Gleichgewicht zu kommen.

Vielen Dank.

[1] https://www.boeckler.de/107575_107592.htm

[2] Die folgenden Ausführungen beruhen auf: http://emilkirkegaard.dk/en/wp-content/uploads/The-Spirit-Level-Why-Greater-Equality-Makes-Societies-Stronger-Kate-Pickett-400p_1608193411.pdf

[3] Stein- und Braunkohle.

[4] Forderung Germanwatch und Chef Wirtschaftsweisen.

[5] https://www.welt.de/politik/ausland/plus174660365/Nato-Generalsekretaer-Jens-Stoltenberg-Russland-wird-immer-unberechenbarer.html

[6] Brecher, Michael and Wilkenfeld, Jonathan (1991): International Crises and Global Instability: The Myth of the “Long Peace”, in Charles Kegley (Hg.) The Long Postwar Peace, New York, HarperCollins, S. 86.

[7] https://www.nytimes.com/2004/10/10/movies/truth-stranger-than-strangelove.html

[8] https://www.die-gdi.de/analysen-und-stellungnahmen/article/buergerkriegsausgang-und-dauerhafter-frieden-warum-der-vorteil-militaerischer-siege-ueberschaetzt-wird/

[9] https://faktenfinder.tagesschau.de/un-deutschland-zahlentricks-friedensmissionen-101.html

[10] https://peacekeeping.un.org/en/troop-and-police-contributors

[11] Link, Werner (2002): Deutschland im multipolaren Gleichgewicht der großen Mächte und Regionen, https://www.bpb.de/apuz/25572/deutschland-im-multipolaren-gleichgewicht-der-grossen-maechte-und-regionen?p=all

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