Grüne Siege – Rechte Mehrheit

Den Weg nach Wien stoppen

Die Landtagswahl inBayern offenbart ein Dilemma. In dem Maße, wie Grüneprogressiver Pol der Gesellschaft werden, schwinden ihre Machtoptionen.Mehrheiten für Klimaschutz, Gerechtigkeit und Europa werden schwerer.

  1. Die Grünen haben mit Katharina Schulze und Ludwig Hartmann am Sonntag einen historischen Wahlsieg errungen. Zum ersten Mal zweistellig, zum ersten Mal zweite Kraft in Bayern. Sie verdoppelten sich und gewannen gegenüber 2013 gut 1.36 Mio. (Gesamt-) Stimmen[1] dazu. In großartiger Weise haben die bayerischen Grünen gezeigt, was es heißt, den progressiven Pol der Gesellschaft zu bilden.
  2. Es ist trotzdem eher unwahrscheinlich, dass aus diesem historischen Sieg eine politische Veränderung in Bayern erfolgt. Die CSU ist trotz Verlusten von fast 600.000 Stimmen in der Lage mit ihren Brüdern im Geiste, den Freien Wählern, eine Koalition zu bilden. Die AfD verschlechterte sich gegenüber der Bundestagwahl, bei der sie in Bayern das beste Ergebnis im Westen geholte hatte.
  3. Tatsächlich ist die Mehrheit rechts der Mitte in Bayern größer geworden. Bei gesteigerter Wahlbeteiligung gewannen CSU, FW, AfD und FDP mit 8.69 Mio. Stimmen gegenüber 2013 1,6 Mio. Stimmen hinzu, Grüne, SPD und Linke holten 4,13 Mio. Stimmen – ein Plus von gut 425.000 Stimmen. 2013 hatten diese Parteien rechts der Mitte in Bayern eine Zweidrittel-Mehrheit – 2018 jetzt steht es fast 70:30.
  4. Links der Mitte stehen den Gewinnen der Grünen und denen der Linken (185.000 Stimmen) Verluste der SPD von 1,12 Mio. Stimmen gegenüber. Im Kern hat sich in Bayern wiederholt, was sich zuvor in Baden-Württemberg vollzog. Die Grünen haben die SPD kannibalisiert. In Bayern aber mit einem Plus an Stimmen – offenkundig auch mit Stimmen von ehemaligen CSU-Wählern, durch Mobilisierung und insbesondere in den großen Städten.
  5. Einen Tag, nachdem in Berlin eine Viertelmillion unter dem Motto #unteilbar demonstrierten, nach Wochen in denen in München Zehntausende  gegen das Polizeigesetz und gegen Rassismus auf die Straße gingen, Zehntausende Bayern den Volksentscheid gegen Flächenfraß unterstützte, ist die Mehrheit in Bayern nach rechts verschoben worden – wie schon bei der Bundestagswahl 2017.
  6. Auf der neuen transnationalen gesellschaftlichen Konfliktlinie bilden Grüne den europäischen Pol, die AfD den nationalistischen Gegenpol. Die anderen Parteien – rechte wie linke – sind über diese Frage gespalten. Den neuen progressiven Pol in der Gesellschaft muss es umtreiben, wenn das antiprogressive Lager erneut gestärkt aus Wahlen hervorgeht. Damit mindern sich die Machtperspektiven zur Umsetzung von mehr Klimaschutz, Gerechtigkeit und einer offenen Gesellschaft.
  7. CDU, SPD und Grüne haben ein gemeinsames Problem. Wegen der Stärke der rechten Antidemokraten können sie im Bund nur noch in lagerübergreifenden Koalitionen regieren. Dieses verhindert aber die notwendigen Richtungsentscheidungen. Große Koalitionen sind nicht richtungsschwach wegen der Größe – sondern wegen ihres lagerübergreifenden Charakters.
  8. Die Bayern-Wahl zeigt, dass lagerübergreifenden Koalitionen ihre Bindekraft verlieren. Dies würde durch einen Ersatz der SPD durch Die Grünen in einer Großen Koalition oder ihre Ergänzung in einer Kenia-Koalition nur verlängert, aber nicht aufgehoben. Der Stillstand drängt nach Auflösung. Bei gewachsenen rechten Mehrheiten wäre das österreichische Modell wahrscheinlich – aus bisher bloß rechnerischen rechten Mehrheiten würden dann politische.
  9. Noch sind dies in der Union nur Randpositionen. Verlassen kann man sich darauf nicht. Grüne, Sozialdemokraten und Linke sollten anfangen sich darüber Gedanken zu machen, wie man solche Mehrheitsverhältnisse zurückkämpfen kann. Angesichts der Demoralisierung der SPD wie der Gespaltenheit der Linken wird das die zentrale Herausforderung für Die Grünen sein.
  10. Und so bleibt nach einem grandiosen Wahlerfolg verdammt viel zu tun für den neuen progressiven Pol in der Gesellschaft.



[1]              Allen Zahlen wurden hier die Gesamtstimmen verwendet, weil diese nach dem bayerischen Wahlrecht für die Mandatsverteilung ausschlaggebend sind.

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