Deutsch-Amerikanische Freundschaft

Der Blog zwischen den Jahren – Teil 2

2019 jährte sich der NATO-Doppelbeschluss zum 40. Mal. Ein Jahr zuvor, 1978, hatte sich in Wuppertal die Punkgruppe Deutsch-Amerikanische-Freundschaft gegründet. Der Name war blanke Ironie. Das Verhältnis weiter Teile der deutschen politischen Linken zu den USA war denkbar schlecht. Der Krieg der USA gegen Vietnam, ihre Beteiligung am Militärputsch in Chile und ihre Unterstützung sämtlicher Militärdiktaturen in Lateinamerika lösten hier keine freundschaftlichen Gefühle aus.

Als Ronald Reagan 1987 – vier Jahre nach seiner Invasion in Grenada – Berlin besuchte, gingen 50.000 Menschen gegen ihn auf die Straße. Zur Strafe wurde am Tag drauf ganz Kreuzberg einkesselt, damit Reagan am Brandenburger Tor ungestört sein „tear down this wall“ ausrufen konnte. Doch eben dieser Reagan unterzeichnete am 08. Dezember desselben Jahres in Washington zusammen mit Michael Gorbatschow den INF-Vertrag – den Vertrag über nukleare Mittelstreckenraketen. Er verbot Raketen mit einer Reichweite von 500 bis 5500 Kilometern. Die Doppelnulllösung war ein Meilenstein der Abrüstung.

2019 hat Donald Trump im klammheimlichen Einverständnis mit Wladimir Putin diesen Vertrag  gekündigt. Seit August 2019 ist er offiziell beendet. Am 12. Dezember testeten die USA eine Rakete im Pazifik, die sie aber nach 500 km in Ziel brachten. Sie bedienten sich der gleichen Maskerade wie Russland, das auch behauptet, seine Marschflugkörper würden diese Entfernung nicht überschreiten.

Das Einvernehmen, mit dem die USA und Russland den für Europa bedeutendsten Abrüstungsverträge kündigten, heißt nicht, dass die gegenseitigen Vorwürfe gegenstandslos sind. Es ist davon auszugehen, dass sie beidseitig stimmen. Zu offensichtlich ist das Interesse sowohl der USA wie auch Russlands, über solche Waffen zu verfügen.

Im Ergebnis wird Europa zum Ort für ein neues Wettrüsten. Da ist es ziemlich egal, ob die neuen Waffen land- oder seegestützt sein werden. Entscheidend ist, wo sie runterkommen. Europa ist Ziel einer neuen nuklearen Bedrohung. Das Wettrüsten gefährdet Europas Sicherheit existentiell.

Gemessen an der Bedrohung ist die politische Reaktion in Europa verhalten ausgefallen. Politische Initiativen diese Bedrohung abzuwenden gab es nur eine – von Emanuel Macron. Er plädierte dafür, mit Russland über ein Stationierungsverbot zu verhandeln, ohne dieses zu akzeptieren. Der Rest der NATO versammelte sich hinter den USA, verurteilte Macron und verteilte einseitige Schuldzuweisungen an Russland. Als ob jemals in der Geschichte so Abrüstung erreicht worden wäre.

Am kläglichsten agierte der deutsche Außenminister, den die Partei von Willy Brandt und Egon Bahr ins Haus am Werderschen Markt zu Berlin geschickt hat. Heiko Maas fürchtete angesichts Macrons Brief „Gedankenspiele über eine Entkoppelung amerikanischer und europäischer Sicherheit“

Tatsächlich findet die Entkoppelung amerikanischer und europäischer Sicherheit vor unseren Augen statt. Und das nicht erst seit Trump. Er hat die NATO so glaubwürdig für „obsolet“ erklärt, dass eine parteiübergreifende Mehrheit des Kongresses ihm verbot, ohne ihre Zustimmung die NATO zu verlassen.

Tatsächlich hat sich die Welt gegenüber den Zeiten von Ronald Reagan grundlegend gewandelt. Das Ende der Blockkonfrontation und das Scheitern des Unilateralismus hat in eine multipolare Welt geführt. In ihr gibt es keine natürlichen Bündnispartner mehr. Heute gibt es mal mehr, mal weniger sich überschneidende gemeinsame Interessen – aber auch wachsende Gegensätze. Auch zwischen Europa und den USA.

Deutsche NATO-Politik tut aber immer noch so, als ob die Welt eine bipolare sei. Bestärkt wurde diese Wahrnehmung durch das Agieren Russlands auf der Krim und in der Ostukraine. Sie lieferte die Legitimation, mal wieder richtig auf Abschreckung zu setzen und symmetrisch aufzurüsten. Dafür sollen dann mindestens 2 % des Bruttosozialprodukts verwendet werden. Die gleiche Bundesregierung, die das verspricht, weigert sich, mehr als 1 % des Sozialprodukts in den Erhalt der Europäischen Union zu investieren.

Man muss die NATO nicht für „hirntot“ (Macron) erklären, aber Maas sollte wenigstens zur Kenntnis nehmen, dass der NATO-Partner Türkei mit Unterstützung der USA die Präsenz des NATO-Partners Frankreich im Kampf gegen den IS beendet hat. Selbstverständlich ist die Ankündigung des US-Verteidigungsministers Mark Espen, die Präsenz der US-Spezialkräfte im Sahel zu beenden, nicht nur ein Problem für Frankreich. Es ist nichts anderes als die Abkoppelung der Sicherheit der USA von der Europas in der Sahelzone. Um sie wird sich Europa demnächst alleine kümmern müssen.

Auch wenn Maas dies nicht wahrhaben will: Es hat gute Gründe gegeben, den Krieg des George W. Bush gegen den Irak abzulehnen. Er hat nicht nur den Nahen Osten destabilisiert, sondern die Sicherheit Europas gefährdet – mit Folgen bis heute. Die damit erfahrene Überdehnung der US-Macht hat den Prozess der Entkopplung beschleunigt.

Dies wird besonders deutlich in der einseitigen Kündigung des Iran-Atom-Abkommens durch die USA. Die Politik eines ökonomisch erzwungenen Regimewechsels in Teheran hat die Kriegsgefahr am Persischen Golf ebenso erhöht wie die Gefahr eines atomaren Wettrüstens im Mittleren Osten. Das bedroht auch Europas Sicherheit.

Doch auch hier gab es keine ernsthaften Versuche diese Bedrohung abzuwenden. Zwar verkündeten die Außen- und Finanzminister Frankreichs, Großbritanniens und Deutschland vor anderthalb Jahren, dem Iran weiter Geschäfte und auch den Verkauf von Öl zu ermöglichen. Die dafür aufgebaute Zweckgesellschaft INSTEX bereitet dieser Tage die Vorbereitung der ersten „Testtransaktion“ vor – allerdings nur im Bereich jener humanitären Hilfe, die auch nach den US-Sanktionen zulässig sind. Und das erst anderthalb Jahre nach Verkündung ihrer Gründung.

Für dieses Verhalten gibt es nur eine Erklärung. Merkel, Maas und Scholz lassen Trump lieber das Atomabkommen ruinieren, bevor sie sich mit Trump anlegen. Sie halten an einer strategischen Interessenidentität zwischen Europa und den USA fest, die es vielleicht vor 40 Jahren gab. Diese ist schon lange erodiert. Von Donald Trump wurde sie offen gekündigt.

Heute wollen die USA wegen der sich verschärfenden Spannungen mit China wieder über Mittelstreckenraketen verfügen – wie Russland. Sie nehmen dafür in Kauf, dass Europa wieder zum Ziel nuklearer Mittelstreckraketen wird. Und die Bundesregierung tut nichts – außer Russland den Bruch des Vertrages zu beschuldigen.

Gerade weil Russland diese Abkommen untergraben und gebrochen hat, beginnt Politik erst nach dieser Feststellung. Wo also ist die europäische Initiative, die Waffen aus Europa wieder hinaus zu bekommen? Wenn man wie Maas den Vorschlag eines Moratoriums nicht für zielführend hält, weil einseitig, was ist die Alternative? 

Bevor der Außenminister Maas hieß, war die SPD schon mal weiter. Zusammen mit Grünen, Linken und der FDP (!) plädierte sie 2010 für eine Ende der nuklearen Teilhabe Deutschlands sowie den Abzug der taktischen Atomwaffen aus Büchel. Heute möchte sie die Trägersysteme für die Atombomben modernisieren. Was spricht eigentlich dagegen, den Abzug dieser Waffen in ein Angebot an Russland zu packen, im Gegenzug ihre Waffen abzuziehen?

Russland sieht in der einseitig – außerhalb der NATO – in Osteuropa stationierten US-Raketenabwehr, einen Verstoß gegen den INF-Vertrag. Deutschland hat dieses System immer abgelehnt. Was spricht eigentlich dagegen, darauf zu drängen, dieses System abzuziehen, um im Gegenzug Europa verifizierbar frei von nuklearen Mittelstreckenraketen zu machen?

Willy Brandt und Egon Bahr hätten gewusst, wie sie diese Fragen beantworten. Sie hätten es versucht – wissend, dass sie scheitern können. Denn natürlich ist ein Erfolg angesichts der russischen Interessenlage alles andere als sicher. 

Umgekehrt ist eins aber sicher: Wer sich hinter den USA versteckt, die dieses Abkommen nach 32 Jahren gekündigt haben, wird mit ihnen und der daraus entstehenden Bedrohungsspirale weiter leben müssen.

Das ist falsch verstandene Deutsch-Amerikanische Freundschaft. Es ist gegen die vitalen Interessen Europas. Es ist Politik aus den Siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts.

Image by Christian Dorn from Pixabay

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