Dem Marsch ins Autoritäre begegnen
Wir sind nicht die Guten. Wie wir dem dreieinigen Feindbild der globalen Rechten begegnen und die Hegemonie der Demokratie zurück gewinnen können. Mein Vortrag in Herrsching.
Liebe Ruth
Lieber Hans-Hermann Weinen
Als Ihr mich fragtet, ob ich hier nach Herrsching käme, sollte ich auch einen Titel nennen. Dem gelernten Sozialwissenschaftler fiel ein: Zur Popularität autoritärer Herrschaft.
So sind wir. Wollen wir etwas Grundsätzliches sagen, tun wir so, als würden wir nur eine Bemerkung machen. Deshalb das Zur.
Ihr habt einen besseren Titel gefunden. „Die Rückkehr der starken Männer? Zwischen Freiheit und Führung – Die neue Sehnsucht nach Autorität“.
Egal wie man es nennt.
Die Demokratie ist in Gefahr – weltweit.
1 Globaler Ruck nach Rechts
Der Demokratie droht Gefahr von rechts. Es begann mit kleinen Wahlerfolgen. Rassistische Parteien gewannen an Zulauf. Sie wurden zunächst in Skandinavien und den Niederlanden von Konservativen an Regierungen beteiligt. Heute hat Italien mit Georgia Meloni eine bekennende Faschistin als Regierungschefin. In Ungarn baut Viktor Orban Gesellschaft und Wirtschaft zu einer korrupten Autokratie um. Das gleiche geschieht in der Türkei Erdogans.
Im politisch blockierten Frankreich hofft Marine Le Pen darauf, nach Emanuel Macron Präsidentin zu werden. Sie ist nicht chancenlos – inzwischen bindet ihre Rassemblement National gut ein Drittel der Wählerschaft.
Einzig in Polen ist es bisher gelungen, die Mehrheit der rechten PIS wieder zu brechen – ohne dass dies die Spaltung und die Blockade im Land überwunden hätte. Inzwischen ist Pedro Sanchez in Spanien der einzige Mitte-Links Regierungschef der EU.
Wegen der Stärke der AfD sind in Deutschland die demokratischen Parteien regelmäßig gezwungen, lagerübergreifend Koalitionen zwischen links und rechts zu bilden. Rechte Mehrheit ohne die AfD gibt es nur in Bayern. Mitte-Links-Mehrheiten nur noch im Norden. Ansonsten überall schwarz-grün, grün-schwarz oder schwarz-rot. In Thüringen muss die CDU mit der Linken kooperieren. In Sachsen Michael Kretschmer mit Grünen und Linken über seinen Haushalt verhandeln.
Bei den kommenden Landtagswahlen in McPomm und Sachsen-Anhalt droht die AfD zur stärksten Kraft zu werden. Die AfD ist schon lange keine Protestpartei. Sie wird aus Überzeugung gewählt.
Die AfD ist eine rechtsextreme Partei.
Wenn solche Kräfte Macht bekommen, geht es mit der Demokratie rasend schnell bergab. Zu beobachten ist dies im Mutterland der Demokratie – in den USA. Donald Trump bedroht nicht nur Kanada und Grönland. Er versucht, mit seinem Zollkrieg die Länder der Welt zu erpressen und beißt sich dabei an Brasilien wie an China die Zähne aus.
Er streicht Mittel für die Forschung zusammen, erpresst Universitäten. Es ist der größte Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit – insbesondere auf die Medizin, auf Klima- und Naturwissenschaften. Trump lässt Städte wie Los Angeles oder Washington von der Nationalgarde besetzen. Erdroht Chikago mit Krieg.
Vizepräsident JD Vance wirft der EU Einschränkung der Meinungsfreiheit vor. Seine Regierung erpresst unliebsame Medien mit Milliardenklagen und lässt sie nach Orbans und Putins Vorbild von befreundeten Oligarchen aufkaufen. Ausländische Korrespondenten wie Elmar Thevessen vom ZDF werden mit Ausweisung bedroht.
In den USA ist die Hetzjagd auf alle eröffnet, die nicht weiß aussehen. Durch die Straßen ziehen maskierte, bewaffnete Banden. Sie entführen in anonymen Autos Menschen lateinamerikanischen, schwarzen oder asiatischen Aussehens. Was in Deutschland die Ledermäntel der GeStaPo waren, sind in den USA die Masken der ICE, der Einwanderungspolizei.
Wer seine Staatsangehörigkeit nicht beweisen kann, wird abgeschoben – auch gegen Gerichtsurteile. Manche wurden in Lager nach El Salvador des Diktators Nayib Bukele abgeschoben. Dass von ihm dazu inszenierte – und von Trump verbreitete – Video sollte ganz bewusst an die KZs in Buchenwald und Dachau erinnern.
Darf man diesen Vergleich ziehen? Man muss. Sind nicht Bukele wie auch Trump gewählt worden? Gerade deswegen.
Das ist Faschismus.
2 Der neue Faschismus
Hitler wurde die Macht von der Mehrheit des Reichstages übertragen. Auch Mussolini ergriff nicht die Macht, sondern bekam sie im Parlament überreicht. Es war die ehemalige US-Außenministerin Madeleine Albright, die schon 2018 in ihrem Buch „Faschismus eine Warnung“ darauf hinwies.1 Für Trump gelte
„Ein Faschist ist jemand, der behauptet, für das Volk zu sprechen, sich aber weigert, es anzuhören. Der meint, dass Demokratie nicht nötig ist und dass Gewalt okay ist. Dass man lügen darf. Dass man Feinde braucht, um die Menschen hinter sich zu bringen.“(Albright) 2
Ich war erschüttert, als amerikanische Freunde mir kurz nach der Wahl von Trump sagten, sie fühlten sich wie in Deutschland 1932. 239 Tage nach Amtsantritt erscheint das nicht übertrieben.
Die deutsche Presse beschäftigt sich gerne mit der scheinbaren Sprunghaftigkeit von Trump. Friedrich Merz und Nato-Generalsekretär Mark Rutte sind stolz darauf, wie einfühlsam sie Trump umgarnten ohne schlechte Laune auszuösen. Trump ist launisch, aber nicht sprunghaft. Trump baut planvoll das amerikanische politische System grundlegend um. Schritt für Schritt setzt die Trump-Administration das Project 2025 um. Erarbeitet von rechten Think-Tanks unter Leitung der Heritage Foundation ist dies die Blaupause für ein anderes Amerika. Es werden USA sein, in denen die Herrschaft des Rechts nichts mehr gilt.
Vor unseren Augen vollzieht sich im Mutterland der Demokratie ein Systembruch hin zu einer autoritären Oligarchie.
Wer wissen möchte, wie weit dieses Projekt heute ist, kann es auf der Seite von Project 2025 nachlesen. Am 16. September waren es 47 Prozent. Für die verbleibenden Hälfte hat seiner seiner regulären Amtszeit hat er noch 1222 Tage Zeit.3
Um den Faschismus des 21. Jahrhunderts zu begreifen, müssen wir von den historischen Bildern faschistischer Fackelmärsche lösen. Sie machen blind für die gegenwärtige Bedrohung.
Faschistische Herrschaft im 21. Jahrhundert ist der Endpunkt eines immer schneller werdenden Verfallsprozesses, in dem die demokratischen Institutionen verleumdet, beschränkt und abgeschafft werden.
Das trifft besonders die dritte Gewalt. Eine unabhängige Justiz ist der besondere Feind der Faschisten. Sie setzen und setzten alles daran, diese unter Kontrolle zu bekommen. Urteile werden missachtet, Richter nach Gesinnung eingesetzt.
Das vollzieht sich in den USA, in Ungarn, in Polen in der Türkei. Es vollzog sich in Russland unter Putin, der auch gewählt wurde. Es droht in Italien.
Der neue Faschismus will die Justiz nicht abschaffen, sondern für seine Herrschaftssicherung nutzen. Man muss dafür nicht auf den Volksgerichshof der Nazis schauen. Auf dem Bozener Gerichtsplatz sitzt die Figur einer Justitia. Anders als üblich, ist sie nicht blind. Sie schaut auf das gegenüberliegende Gebäude. Es war die Zentrale von Mussolinis faschistischer Partei MSI im Alto Aldige. Justitia blickt auf die Inschrift „Credere – obedire – combatere“
Im Faschismus soll das Recht an den Führer glauben, ihm gehorchen und seine Feinde bekämpfen.
Ob man es „Illiberale Demokratie“ (Viktor Orban) nennt oder sich wie Trumps auf eine „Unitary Executive Theory“ beruft, das Prinzip ist immer das gleiche: Unter Berufung auf eine Mehrheit der Wähler soll der Macht keine Beschränkung auferlegt werden. Doch
Die Diktatur der Mehrheit ist keine Demokratie.
Demokratie ist die reale Möglichkeit einer anderen Mehrheit – eine Mehrheit kann zur Minderheit werden und umgekehrt. Dazu müssen Minderheiten unveräußerliche Rechte haben. Gewaltenteilung, unabhängige Gerichte und Pressefreiheit sind fundamental für Demokratien. Niemand steht über dem Gesetz.
In Demokratien ist alle Macht an die Verfassung gebunden.
Alles andere ist Autokratie.
3 Libertär statt Neoliberal – Die neue soziale Frage
Warum aber ist die Autokratie in großen Teilen der Gesellschaft so populär geworden? Warum wählen zwischen einem Fünftel und einem Drittel der Bevölkerung in Europa faschistische Parteien?
Lange wollten viele nicht wahrhaben, dass es sich bei der AfD und anderen um faschistische Parteien handelte. Viele mochten es nicht glauben, dass Trump die konservative Grand Old Party erfolgreich in die MAGA-Bewegung umgemodelt hat. Lieber wurde von „Rechtspopulisten“ gesprochen.
Rechtspopulismus ist eine Verharmlosung rechter Antidemokraten.
Die verharmlosende Rede vom Rechtspopulismus verweist aber auf eine der Ursachen für den Aufstieg der antidemokratischen Rechten.
Der liegt nicht im Jahr 2015. Damals weigerte sich Angela Merkel, auf die Flüchtlinge aus Syrien an der deutschen Grenze schießen zu lassen. Eine große humantitäre Entscheidung. Zu der sie bis heute steht.
Der Aufstieg der globalen Rechten aber datiert früher. Er verweist auf das Jahr 2008, als am 15. September die Lehman Brothers Bank Konkurs ging. Es war das Ende des Neoliberalismus. Mehr noch:
Mit der Lehman-Krise scheiterte weltweit ein 60 Jahre geltender Gesellschaftsvertrag.
Die Menschen In den Staaten des demokratischen Kapitalismus waren seit dem 2. Weltkrieg der Überzeugung, dass es künftigen Generationen besser gehen werde. Dieses Aufstiegsversprechen war Grundlage der Bildungsreform von Willy Brandt, ja des europäischen Sozialstaates. Es galt auch für angelsächsische Reichtumsversprechen, bei dem über private Verschuldung der Aufstieg der Kinder organisiert wurde. Die Wertsteigerung des eigenen Hauses finanzierte deren Studium.
Als dieses System zusammenbrach, war der Neoliberalismus gescheitert.
Das Versprechen des Aufstiegs durch den Staat wurde nicht mehr geglaubt.
Viele auf der Linken glaubten, dass Europa nun zu einem sozial gebändigten Kapitalismus zurückkehre. Das war naiv.
An die Stelle des Neoliberalismus trat das Libertäre. An die Stelle von Friedrich August von Hayek traten Peter Thiel und Elon Musk.
Wollte die FDP einst alles dem Wettbewerb unterwerfen, wollen sie den Wettbewerb abschaffen. Thiel und Musk haben die Ideologie des Neoliberalismus zu Ende gedacht. Am Ende jedes unregulierten Marktes steht ein Monopol – weil zuvor alle Wettbewerber der „schöpferischen Zerstörung“ (Josef Schumpeter) anheim gefallen sind.
Die Absicherung der Macht ihrer Monopole ist das Kernanliegen für Thiel und Musk die amerikanische Demokratie in eine von Ihnen gesteuerte Oligarchie zu überführen. Dafür werden Sozial- und Umweltstandards geschliffen. Das ist das, was in Deutschland als „Bürokratieabbau“ fröhliche Urstände feiert. Aber es braucht einen Ausbau des staatlichen Gewaltapparats, um die inneren und äußeren Feinde der Monopolisten zu bekämpfen.
Die Libertären haben nichts gegen den Staat – solange es ihrer ist.
Das Ende des Neoliberalismus war eben nicht das Ende des Kapitalismus. Die linke Mitte hatte die Verheerungen von drei Jahrzehnten neoliberaler Ideologie unterschätzt. Es waren nicht nur die Banken desavouiert. Auch die Legitimation des Sozialstaates hatte die Dauerrede von Markt statt Staat massiv untergraben. Sozialdemokraten und Grüne hatten dazu durch „Reformen“ wie Hartz 4 in Deutschland selbst aktiv beigetragen.
Die Neoliberalen hatten Staat statt Markt versprochen. Nun rettete der Staat das Finanzsystem also die Banken. Private Schulden wurden zu Staatsschulden. Die Zinsen dafür wurden nicht bei den Eignern und Gläubigern der Banken durch eine Abgabe eingetrieben, sondern den Steuerzahlern in Form von Leistungskürzungen auferlegt.
Es kam zur Täter-Opfer-Umkehr. Die Griechen, die sich gegen den Sozialabbau wehrten, wurde von CDU und FDP zu den Schuldigen der Krise erklärt. Nicht die Banken waren schuld. Die „mediterrane Finanzpolitik“ (Christian Lindner) in Griechenland und Spanien sollte die Finanzkrise verursacht haben. Dabei waren Spanien Staatsschulden vor der Krise niedriger als die deutschen.
Die Eurokrise wurde zur Geburtsstunde der AfD. Die Fama vom Faulen Griechen war üble Hetze. Die AfD von damals war eurofeindlich, aber noch nicht rechtsextremistisch.
Schon in der Eurokrise zeigte sich: Das Scheitern des Aufstiegsversprechens hat den Grundkonsens in den Gesellschaften des demokratischen Kapitalismus radikal verschoben. An die Stelle des alten Konsenses trat ein neuer Begriff sozialer Gerechtigkeit.
Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs galt eine Gesellschaft gerecht, wenn alle die Möglichkeit haben, an der Gesellschaft teilzuhaben. Dieses Verständnis teilten rechte wie linke Demokraten.
Dieser Konsens ist zerbrochen.
Nicht Teilhabe, sondern Ausschluss definiert die neue Gerechtigkeit.
Gerecht ist, wenn es anderen schlechter geht als mir.
Man – und das ist mit Absicht nicht gegendert – definiert sich nicht über den Anspruch nach oben, sondern über den Abstand nach unten. Es geht nicht länger um Aufstieg, sondern um die Absicherung des eigenen Status.
Heute ist nicht ein Mindestlohn, der trotz Arbeit in die Armut führt, der Skandal. Sondern das angeblich zu hohe Bürgergeld. Noch heute erzählen Merz und Linnemann, dass der Sozialstaat durch die 4,1 % der Sozialleistungen, die ins Bürgergeld fließen, überfordert ist.
Die neue Gerechtigkeit ist eine der Schäbigkeit.
Schäbigkeit braucht Feindbilder.
4 Dreieiniger Feind: Schwarz, Divers, Öko
Faschisten sind Nationalisten. Jeder will sein Land Great Again machen. Doch in einem sind sie sich untereinander einig. In ihrem Feindbild.
Es ist ein dreieiniges Feindbild:
Die Trinität des Schreckens für Rechte ist Schwarz, Transe und Öko.
Nicht nur antidemokratische Rechte pflegt dieses Feindbild. Hubert Aiwanger und Monika Gruber sehen das genauso. Markus Söders Fleischmampfen bei TikTok, sein Kampf gegen eine gendergerechte Sprache bebilderte die rechte Feinderklärung. Vor allem machte sie es hoffähig. Die permanente Lüge von der grünen Verbotspartei führte am Ende zu den Steinwürfen gegen Katharina Schulze im Wahlkampf. Und die AfD erzielte ihr bestes Bayern-Ergebnis.
Söders Hetze ließ vergessen, dass es nur ein gesetzliches Sprachverbot in Deutschland gibt. In Bayern werden Beamte und Lehrende disziplinarisch belangt, wenn sie eine gendergerechte Sprache nutzen.
Söder wie Vance behaupten Zensur, weil sie selber Sprache zensieren wollen.
Doch wie kamen die Grünen zu der Ehre, Hauptfeind von Söder wie der AfD zu werden? Die Antwort ist die Ökologie. Ökologie ist das Gegenteil der Schäbigkeit.
Ökologie ist globale Gerechtigkeit für diese und kommende Generationen.
Alle Menschen auf diesem Planeten haben das gleiche Recht auf Lebenschancen.
Ökologie ist der Gegenentwurf zur Idee nationaler oder ethnischer Überlegenheit.
Wenn Donald Trump vor der UN-Generalversammlung gegen Windräder wettert, wenn er lügt, Deutschland kehre zu fossilen und nuklearen Energien zurück, dann ist er nicht wirr. Er offenbart sein Feindbild – und sein strategisches Ziel.
Trump will die Welt in fossiler Abhängigkeit halten. Die 450 Millionen Dollar, die die fossile Industrie für seinen Wahlkampf gespendet hat, waren gut investiert. Trump hat Windparks verboten, der Weltraum- und der Klimaforschung alle Mittel entzogen, Treibhausgase aus der Liste schädlicher Stoffe gestrichen, Neue Bohrgenehmigungen erteilt und subventioniert. Trumps geldwerte Vorteile für die fossile Industrie belaufen sich auf 45 Mrd. Dollar.
Der Kampf gegen Klimaschutz und Erneuerbare ist lobbygetrieben. Das Geschäftsmodell der Öl- und Gasindustrie soll erhalten werden – mit ihm die geostrategische Rolle der USA.
Aber warum wird es als Kulturkampf geführt?
Die Rechte setzt auf Kulturkampf, weil die fossile Lobby den wirtschaftlichen Wettlauf verloren hat.
Im letzten Jahr gingen weltweit 585 Gigawatt erneuerbarer Stromerzeugung ans Netz. Das waren 92,5 % aller neuen Kapazitäten. Fossile und nukleare Anlagen teilten sich eine Nische von 7,5 %. Die Hälfte der 585 GW gingen in China ans Netz.
Das hat zwei Gründe. Erneuerbare sind konkurrenzlos billig. Und China will sich seine Energiekosten nicht länger von den USA vorschreiben lassen. Europa hat das gleiche Interesse.
Der Kulturkampf gegen Klimaschutz und Erneuerbare zielt darauf, die Menschen glauben zu lassen, dass ihr Status infrage gestellt ist, wenn Autos keinen Auspuff mehr haben und im Keller eine Wärmepumpe läuft.
Statussicherung durch Nostalgie ist nicht rational – aber emotional.
Und es funktioniert. Es hat bei der Migration funktioniert. Ohne Migration droht Wohlstandsverlust. Trotzdem sind breite Mehrheiten für eine Begrenzung der Migration.
Genau diesen Mechanismus bedient der Kulturkampf gegen Erneuerbare und Klimaschutz. Die Antwort darauf kann nicht sein, noch einmal die physikalischen Fakten zur Klimakrise herunter zu beten, noch einmal die wirtschaftlichen Vorteile der Erneuerbaren zu preisen.
Gegen Fake-News helfen keine Fakten.
„Wie können das Fake-News sein, wenn es genau das ist, was ich glaube?“ Das war die Antwort ihres Vaters, nachdem eine taz-Redakteurin alle seine Behauptungen widerlegt hatte.
Die Verteidigung der Demokratie braucht eine andere Erzählung.
5 Hegemonie für die Demokratie
Es geht darum, Hegemonie für für die Demokratie zu erringen. Dafür müssen wir unser Narrativ grundlegend ändern.
Es reicht nicht, an das Interesse aller und die Kraft der Vernunft zu appellieren.
Dafür die folgenden 7 Ratschläge und eine Mahnung.
5.1 Wir sind nicht die Guten
Wir sind Teil eines politischen Meinungskampfes. Es gibt in ihm unterschiedliche und gegensätzliche Interessen.
Andere greifen uns an. Polarisieren. „When they go low, we go high“ – dieser Rat von Michelle Obama ist kein kluger. Er hat Trump nicht verhindern können.
Wenn sie uns angreifen, schlagen wir nicht unter die Gürtellinie. Aber wir stehen ihnen auf den Füßen. Wir treffen bei Spielen des Balles auch mal ihre Knie. Wir sind keine Opfer.
5.2 Wir predigen keine Moral
Wir stehen für eine wertebasierte Politik. Wertebasierte Politik muss ich gegen andere Interessen durchsetzen. Damit Menschen sich moralisch verhalten können, müssen wir die politischen Rahmenbedingungen schaffen.
Es ist klug, Importe von Futtermitteln von abgeholzten Regenwäldern mit Abgaben zu belegen und den Drogenhandel im Stall zu beenden. Das verteuert Fleisch aus Massentierhaltung. Es ist töricht, stattdessen einen symbolischen Veggieday auszurufen.
5.3 Wir setzen auf den Vorteil
Klimaschutz ist ein wirtschaftlicher Vorteil. Verzicht auf Klimaschutz ist keine Sünde. Er ist blöd. Eine Wärmepumpe liefert dreieinhalb mal so viel Wärme, wie dafür Strom verbraucht wird. Mit Windrädern und Solaranlagen kann man Geld verdienen und Geld sparen.
Es geht uns um ein besseres Leben – nicht um Verteidigung des schlechten.
5.4 Wir schweigen nicht zu Kosten
Transformation hat viele Vorteile. In Transformation aber muss investiert werden. Die Kosten dafür müssen aufgebracht werden. Dazu darf nicht geschwiegen werden.
Die Kosten der Transformation müssen gerecht verteilt werden. Wer mehr zur Klimakrise beiträgt, muss auch mehr zahlen. Wer wenig dazu beiträgt, zahlt weniger. Das ist die Idee des Klimageldes.
Die Kosten müssen begrenzt werden. Wer Transformation in die Länge zieht, verteuert sie. Deshalb muss die Energiewende beschleunigt werden.
5.5 Wir haben Gegner
Ökologie ist globale Gerechtigkeit für jetzige und künftige Generationen. Wer aber heute Milliarden mit der Förderung und dem Verkauf von Öl und Gas verdient, ist gegen Klimaneutralität.
Wir nehmen diese Gegner ernst. Auf ihre organisierten Kampagnen antworten wir. Auf Polarisierung antworten wir mit Mobilisierung. Und wir benennen ihre Interessen.
Wir verschweigen keine Ungerechtigkeit. Die größte Ungerechtigkeit in Deutschland sind nicht dreiste Sozialbetrüger. Es ist die Umverteilung.
Seit Jahrzehnten wächst das Einkommen auf (durchgehen ererbtes) Kapital schneller als die Volkswirtschaft. Seit Jahrzehnten wird zu Lasten der Arbeitseinkommen umverteilt. Das können wir uns nicht länger leisten. Wir wollen das Erbe für alle.
5.6 Wir haben Konkurrenten
In der Demokratie wollen nicht alle das Gleiche. Im Gegenteil. Demokratie ist die Austragung unterschiedlicher Interessen nach Regeln.
Ein Teil unserer demokratischen Konkurrenten will etwas Ähnliches wie wir. Andere lehnen das grundsätzlich ab. Das müssen alle miteinander aushalten. Auch wenn es darüber laut wird.
Wer recht hat, wird mit Mehrheit und nach den Regeln der Verfassung entschieden.
5.7 Wir haben Feinde
Wer sich nicht an die Regeln der Verfassung hält, ist unser Feind. Wer die Diktatur der Mehrheit über das Recht etablieren will, ist ein Faschist. Faschisten sind unsere Feinde. Sie müssen mit den Regeln des Rechts bekämpft werden.
Faschisten bekämpft man nicht, in dem man ihren Themen hinterherrennt. Es macht sie stärker. Es zerstört konservative Partei. Wir verteidigen einen demokratischen Konservatismus.
5.8 Eine Mahnung
Über der Inschrift „Glaube, Gehorche, Kämpfe“ in Bozen leuchtet nachts der Satz „Niemand hat das Recht zu gehorchen“.
Er war Hannah Arendts Antwort auf die Ausrede Adolf Eichmanns, er habe nur Befehle ausgeführt. Der Faschismus in Deutschland führte in den Holocaust von Auschwitz. Der Faschismus in Deutschland hat nicht in Auschwitz begonnen. Er begann mit dem Ermächtigungsgesetz. Unser Nie Wieder muss dem Anfang gelten.
Deshalb diese Mahnung:
Wenn Demokraten nicht zusammenstehen, kommen Anti-Demokraten an die Macht.
Diese Botschaft ist im Reichstag zu besichtigen – im Untergeschoss. Dort steht der Tunnel, durch den die Brandstifter kamen, die den Reichstag und die Demokratie anzündeten.
Dort steht auch das Kunstwerk von Christian Boltanski: Das Archiv der deutschen Abgeordneten. Für jeden frei gewählten Abgeordneten von 1918 bis 1998 ein Metallkasten – auch für mich.
Für die, die die erste Demokratie Deutschlands begründeten. Für die, die sie zerstörten. Für die, die dagegen Widerstand leisteten und mit ihrem Leben bezahlten. Für die, die die Demokratie des Grundgesetzes aufbauten, in der alten Bundesrepublik, im vereinten Deutschland.
Auf ihren Schultern steht die deutsche Demokratie.
Man darf Antidemokraten keine Macht übertragen. Nie wieder.
1 Madeleine Albright, Faschismus eine Warnung, Köln 2018
2 Madeleine Albright, Interview mit der NZZ am Sonntag, 11.03.2018
3 https://www.project2025.observer/en abgerufen am 16.09.25