Auf ein besseres 2017: Vom Pessimismus des Verstandes und dem Optimismus des Willens

Ich wünsche allen einen guten Rutsch in ein besseres 2017. Besser jedenfalls als 2016.

Als 2016 nach David Bowie auch Prince starb, schrieb bei Twitter jemand etwas von einem Scheißjahr. Da lebte Leonhard Cohen noch.

Bitter

Politisch aber war 2016 ein bitteres Jahr. Obwohl wir Grüne Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz verteidigen konnten, obwohl wir in Sachsen-Anhalt und in Berlin mit R2G die 10. und 11. Regierungsbeteiligung erringen konnten.

Das Jahr endete extrem bitter. Der Anschlag am Breitscheidplatz in Berlin lässt Deutschland traurig und betroffen zurück. Die Reaktionen offenbaren eine tiefe politische Spaltung. Auf der einen Seite fordert die politische Rechte von Horst Seehofer bis zu AfD und NPD dem Terror mit Abschottung zu begegnen. Auf der anderen Seite steht die realistische Antwort, dass wir uns vor dieser globalisierten Welt nicht abschotten können. Es steht ein haltloses Versprechen gegen eine unbequeme Wahrheit.

International ist die Welt unfriedlicher geworden. In Syrien hat die Weltöffentlichkeit sechs Jahre weggeschaut. Nun bekommt sie in Aleppo auf fürchterliche Weise vorgeführt, was das „Ausbluten“ eines Konflikts bedeutet. Die militärischen Geländegewinne im benachbarten Irak führen nicht zu mehr Stabilität. Die Niederlagen von DAESH intensivieren dessen Bemühungen in Brüssel, Paris oder Berlin Anschläge zu verüben. Im Jemen beweisen Saudi-Arabien und die Golfstaaten nachdrücklich, dass sie bei kriegsverbrecherischen Bombardements nicht hinter Russland zurück stehen.

Europa bleibt von Krisen und Kriegen umgeben. Libyen steuert auf einen Bürgerkrieg zu. Im Südsudan können die UN-Blauhelme nur mühsam das Schlimmste verhindern. Die Mission in Mali musste aufgestockt werden. 600 deutsche Soldaten sind inzwischen im Norden stationiert. Europa schottet sich weiter ab. Im Mittelmeer ertranken wieder mehr Menschen als im Jahr zuvor. Und Europa ist nach dem Beschluss zum Austritt Großbritanniens als globaler Akteur geschwächt.

Als Folge der Abschottung sind die in Europa und in Deutschland ankommenden Geflüchteten deutlich weniger geworden. Das hat den Rassismus und die Fremdenfeindlichkeit, die mörderische Gewalt gegen Flüchtlinge nicht gemindert. Im Gegenteil: Brandanschläge und Pogrome gab es in Rekordzahl – viele in Sachsen aber auch in Niedersachsen und Bayern. Auf der Welle des Hasses wurde die AfD in Sachsen-Anhalt zweitstärkste Kraft und kam in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz auf zweistellige Ergebnisse.

Der Rechtspopulismus wächst. Die Regelverletzung wird zu seinem Markenkennzeichen. Die Toten vom Berliner Breitscheidplatz sind – so die AfD – „Merkels Tote“. Mexikaner sind „Drogendealer und Vergewaltiger“ – so der künftige Präsident der Vereinigten Staaten.

Die Wahl Donald Trumps markiert – nach dem Brexit – eine Zeitenwende. Im Wahlkampf hatte Trump den Arbeitern noch versprochen, den Sumpf des Lobbyismus auszutrocknen. Nun lässt er die Wirtschaftslobby direkt ins Weiße Haus. Banker in der Regierung sollen massive Steuersenkungen für Superreiche organisieren. Die Außenpolitik gestaltet demnächst der ehemalige Exxon Chef. Die Energie- und Umweltpolitik wird Kohle- und Öllobbyisten übergeben. Kurz: Der Sumpf regiert. Darunter leiden werden vor allem die Minderheiten in den USA. Und die internationalen Anstrengungen gegen die Klimaerhitzung.

3 Ziele

In dieser Lage brauchen wir „geduldige Menschen …, die nicht verzweifeln angesichts der schlimmsten Schrecken und sich nicht an jeder Dummheit begeistern.“ (Antonio Gramsci, Gefängnishefte)

Nähern wir uns also der Wirklichkeit mit Gramscis „Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens“. Wir sind nicht ohnmächtig. Die Wahlanfechtung etwa der FPÖ hat ihnen in Österreich nichts genutzt. Die Demokraten sind aufgewacht. Bei der zweiten Wahl gewann Alexander van der Bellen bis auf drei alle Bundesländer und nicht nur wie zuvor bloß Wien und Vorarlberg.

Die Renationalisierung der internationalen Politik ist kein Naturgesetz. Der Vormarsch der Rechten ist kein Automatismus. Wollen wir ihn stoppen – müssen wir uns drei Ziele setzen.

Vorreiter beim Klimaschutz

Nehmen wir die Herausforderung von Donald Trump an. Es wird keine Rückkehr ins fossile Zeitalter geben. Schon zum dritten Mal wurden 2016 weltweit mehr erneuerbare Anlagen neu installiert als fossile.

Wer Fluchtursachen bekämpfen will, muss den Klimawandel stoppen. Darin liegt aber auch eine gigantische ökonomische Chance. Zugang zu Energie überwindet Armut. Erneuerbare Energien machen energieunabhängiger. Wind und Sonne schaffen neue industrielle Arbeitsplätze.

Dafür braucht es Vorreiter. Vorreiter, wie es Deutschland einmal war. Das EEG hat die Erneuerbaren weltweit wettbewerbsfähig gemacht. Die Bundestagswahl ist auch ein Kampf darum, ob die Energiewende weiterhin zu Gunsten von Großkonzernen ausgebremst werden soll – oder wieder in die Spur kommt.

Wir brauchen Mehrheiten für einen Ausstieg aus der Kohleverstromung. Wir müssen jetzt damit anfangen die ältesten Kohlekraftwerke aus dem Netz zu nehmen. Und wir brauchen einen Ausstiegspfad aus der Braunkohle ohne betriebsbedingte Kündigungen.

Wenn das Autoland Deutschland eine Zukunft haben soll, müssen wir unserer Industrie eine klare Frist setzen, bis wann fossile Verbrennungsmotoren noch zugelassen werden. Wir müssen die Nachfrage nach Gas reduzieren. Durch eine effiziente Wärmestrategie können wir 2030 so viel Gas sparen, wie wir heute aus Russland importieren.

Und wer Klimaschutz ernst nimmt, muss die industrielle Fleischproduktion in Deutschland schrumpfen. Die Agrarwende ist gut für unsere Gewässer und unsere Gesundheit. Sie hilft aber, die globalen Regenwälder zu schützen.

Wir können diese Richtung wieder einschlagen. Nicht isoliert – aber als Vorreiter. Auch dafür brauchen wir ein gemeinsames Europa.

Europa zusammenhalten

Europa muss zusammen gehalten werden. Die Europäische Union war ein dreifaches Versprechen. Das Versprechen auf Frieden, auf Demokratie und auf Wohlstand für alle.

Das dritte Versprechen ist das erste Opfer der nicht überwundenen Eurokrise. Wenn dieses Versprechen nicht erneuert und instand gesetzt wird, werden auch die anderen beiden nicht tragen. Dann kommen Frieden und Demokratie in Gefahr.

Wir werden Europa nicht zusammenhalten können, wenn wir die europäische Gesellschaft nicht zusammenhalten. Ein Europa, in dem im Süden die Hälfte der jungen Menschen arbeitslos ist, während das Kapital aus diesen Ländern zu Negativzinsen in den Norden fließt, wird keine Zukunft haben. Die Arbeitslosen Spaniens und Griechenlands sind auch unsere Arbeitslosen. Dies ist keine bloß moralische, sondern eine ökonomische Frage.

In Europa muss wieder massiv investiert werden. Wir brauchen einen Green New Deal mit Investitionen in die energetische und digitale Infrastruktur in der Größenordnung von 2 Prozent des europäischen Sozialprodukts. Wer in der Krise spart, verlängert und verschärft sie. Die von Merkel Europa aufgeherrschte Austeritätspolitik hat dazu geführt, dass der Euroraum die Bankenkrise von 2008 viel schlechter bewältigt hat als die USA.

2017 wird über die Zukunft Europas entschieden. Bei den Wahlen in den Niederlanden, in Frankreich und – ja vor allem – in Deutschland.

Union in die Opposition

Denn ob es ein Ende der Austerität mit der Union an der Regierung gibt, darf bezweifelt werden. Merkel hat unter anderem deshalb 2013 kein Schwarz-Grün gewollt. In Deutschland grenzt es an Majestätsbeleidigung, an eine Regierung ohne die Union zu denken. Alle Leitartikler kreisen um die Alternativen Große Koalition, Schwarz-Grün oder Jamaika. Immer ist die Union dabei.

Doch die Realität ist: CDU und CSU sind zusammen nicht mehr regierungsfähig. Seehofer betätigte sich unmittelbar nach dem Attentat am Breitscheidplatz als Souffleur der Gaulands und Höckes. Die organisierten prompt vor dem Kanzleramt eine Mahnwache. So offenbart sich die Spaltung der Union. Angela Merkel hat in der Union – leider – keine Mehrheit mehr. Und wie der rassistische Doppelpassbeschluss des Parteitags zeigt, auch nicht in der CDU.

Soll der Aufstieg der Rechtspopulisten gestoppt werden, braucht es andere Mehrheiten. Soll der Etablierungsprozess der AfD gebremst werden, muss die Union in die Opposition.

Wollen wir Europa zusammenhalten, müssen wir die Austerität beenden und in unsere gemeinsame Zukunft investieren.

Und nur ein gemeinsames Europa kann eine starke Antwort auf Donald Trump wie die Internationale der Autokraten von Putin bis Erdogan geben.

Das zu erreichen wird schwer. Doch mit dem Pessimismus des Verstandes und dem Optimismus des Willens ist es zu schaffen.

Ich wünsche allen ein besseres 2017.

 

 

Foto: diapicard, Creative Commons.

Verwandte Artikel

Kommentar verfassen

Artikel kommentieren


* Pflichtfeld