Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Am Sonntag jährt sich eine dreifache Katastrophe. Ein Erdbeben und ein Tsunami zerstörten weite Teile der Küste Japans. 20 000 Menschen kamen ums Leben. Mehrere Tausend Menschen sind bis heute vermisst. Unsere Gedanken sind an diesem Tag bei den Opfern und ihren Angehörigen.
Das Erdbeben und der Tsunami haben nicht nur Schiffe an Land gespült, sondern auch sechs Reaktoren bei Fukushima so beschädigt, dass man sie nicht mehr unter Kontrolle bekam. In mindestens drei dieser Reaktoren kam es zur Kernschmelze. Wir haben es mit einem dreifachen Super-GAU zu tun. Das Undenkbare, das Unvorstellbare trat ein.
Ein Jahr nach dieser Katastrophe leben heute noch 320 000 Menschen in Notunterkünften. Nur der allerkleinste Teil von 23 Millionen Tonnen Schutt konnte bisher geräumt werden. Viele Kommunen weigern sich, den Schutt auf ihre Deponien zu nehmen, weil sie fürchten, er sei radioaktiv verseucht.
Die dreifache Katastrophe aus Erdbeben, Tsunami und Super-GAUs brachte unendliches Elend und Leid. Sie brachte aber nicht nur Leid, sondern war auch eine ökonomische Katastrophe. Die Münchener Rück beziffert die Schäden auf 210 Milliarden Euro und spricht von der größten Naturkatastrophe überhaupt.
Fukushima war auch eine ökologische Katastrophe. Das Norwegian Institute for Air Research hat errechnet, dass die in Fukushima freigesetzte Menge an Radioaktivität die größte zivile Freisetzungsmenge in der Geschichte der Menschheit war.
Und was war die Reaktion? Die Betreiberfirma Tepco und die japanische Regierung reagierten so wie immer, wenn es um Atomkraft geht, und von einem solchen Verhalten in Deutschland konnten wir erst heute Morgen leider wieder bezüglich der verrosteten Atommüllfässer in Brunsbüttel lesen. Es wird verschwiegen und abgewiegelt. Die Folge in Japan war: Es wurde zu spät und viel zu zögerlich evakuiert. Bis heute sind weite Teile des Landes radioaktiv verseucht. Das gilt nicht nur für die unmittelbare Nachbarschaft, auch in der Millionenstadt Tokio haben wir Werte, die eine Belastung aufzeigen.
Das Verschweigen und Beschönigen geht bis heute weiter. Menschen wird versprochen, sie könnten zurückkehren, dabei ist derzeit gerade mal ein Reaktor notdürftig mit einem Zelt abgedeckt. Nach wie vor tritt Radioaktivität aus. Die Katastrophe ist einfach nicht vorbei. Überall noch werden Lebensmittel verkauft, die selbst die nach oben manipulierten Grenzwerte überschreiten.
Wann und wie mit dem Rückbau begonnen wird, ist ungewiss. Sie müssen sich klarmachen: Mit dem Rückbau des Reaktors Three Miles Island in den USA konnte erst 30 Jahre nach der Katastrophe überhaupt begonnen werden. Von einer baldigen Rückkehr der Menschen kann also leider nicht die Rede sein.
Fukushima hat die Einstellung der Menschen zur Atomkraft weltweit verändert. Italien lehnte in einem Volksentscheid den Einstieg in die Atomenergie ab, in der Schweiz wurde ein Neubauverbot beschlossen, und selbst in Frankreich gibt es in Umfragen Mehrheiten gegen den Neubau von Atomkraftwerken. In Japan liefern gerade einmal zwei der 54 Atomkraftwerke Strom; der Rest wurde vom Netz genommen, weil sich niemand traut, die Verantwortung dafür zu übernehmen.
Die Katastrophe traf in Deutschland eine Regierung im atompolitischen Blindflug. Sie hatte gerade beschlossen, die Laufzeiten über 2040 hinaus zu verlängern. Durch Fukushima wurde die Bundesregierung von der Anti-AKW-Bewegung, von Grünen, von Sozialdemokraten und von Linken gezwungen, eine Halse in der
Atomenergiepolitik hinzulegen; sie musste in voller Fahrt die Richtung wechseln. Sie haben vor knapp einem Jahr die acht ältesten Kraftwerke stillgelegt. Sie wollen bis 2022 aussteigen. Das rot-grüne Ausstiegsgesetz wurde reaktiviert.
In Deutschland gibt es jetzt einen Konsens über den Ausstieg. Ich sage sehr deutlich: Das ist gut so, und wir begrüßen das.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)
Aber wir haben in Deutschland noch keine Energiewende; vielmehr sind wir an manchen Stellen Zeuge einer schwarz-gelben Konterrevolution gegen die Energiewende.
(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)
Wer die Energiewende wirklich will, der muss für den Ausbau erneuerbarer Energien, für mehr Energieeffizienz und für Energieeinsparung sorgen. Aber was tun Sie? Sie wollen den Ausbau der erneuerbaren Energien durch ihre EEG-Novelle abwürgen.
(Lachen des Abg. Michael Kauch (FDP))
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