Citius – altius – fortius! Ethik im Sport?

Anlässlich des ETHIK IM SPORT SYMPOSIUM am 24. September 2015 habe ich im Stadion des 1. FC Union Berlin (An der Alten Försterei) eine Keynote halten dürfen. Hier der Text der Rede:

Guten Tag,

sehr geehrter Herr Präsident und Hausherr,

lieber Dirk Zingler, sehr geehrte Frau Kulkani,
meine sehr verehrten Damen und Herren,

ich freue mich, über die Einladung hier in der Alten Försterei, hier bei Eisern Union sprechen zu können.

 

Sport, gerade Fußball lebt von seinen Fans. Wie Profisport und eine lebendig Fan-Kultur zusammen gehen, dass zeigt gerade Eisern Union – besonders in diesem Stadion.
Eine aktive, transparente und ernstgemeinte Beteiligung von Fans ist der Teil einer Sportethik.

Von der Ethik des Fouls

Ich mache mein Leben lang Sport. In der Schule Fußball und Basketball. Im Verein erst Florett- und Säbelfechten, dann jahrelang Handball.
Dort haben wir schon in der A-Jugend regelmäßig trainiert, wie man unter Nutzung eines zu-rückgestellten Fußes und eines verdeckten Ellbogenstoßes einen Kreisläufer zu Fall bringt – um dann zu brüllen „Schiri, der ist übergetreten!“
Hier offenbart sich die Ethik des trainierten Fouls.
Sie haben also jemanden eingeladen, der weiß wovon er spricht. Mit dem Alter kommt dann oft die Moral.
Heute bringe ich keine Kreisläufer mehr zu Fall. Heute bin ich Mitglied im Alpenverein und wandere. Als Grüner habe ich viele Jahre gegen den Strom schwimmen müssen. Das gelang mir, weil ich seit über dreißig Jahren laufe. Ich bin Ausdauersportler.
Ohne Sport wäre für mich ein Leben in der Politik nur schwer auszuhalten.
Aber heute soll ich über die Ethik im internationalen Sport im Wandel sprechen.

Dazu fallen mir drei Stichpunkte ein:

1. Die Kommerzialisierung des Sports
2. Das massenhafte Doping
3. Internationale Sport-Großereignisse

Kommerzialisierung

Nein, keine Angst. Ich halte ihnen keinen säuerli-chen Vortrag über Sport als Geschäft, über unverschämte Spielergehälter.
War früher alles besser, als am Ende einer Fuß-baller-Karriere ein Lotto-Toto-Laden, oder wie beim legendären Ente Lippens ein – übrigens wunderschöner – Biergarten bei Oberhausen steht?
Nein, der moderne Sport kann ohne Sponsoren nicht auskommen – und das wissen die Sportarten am besten, die nicht so verbreitet wie Fußball sind.
Ich bin als geborener Bremen-Vegesacker seit meiner Jugend Werder-Fan. Die Hassgesänge der Hertha-Frösche über uns „was ist grün und stinkt nach Fisch“ sind für uns Fischköppe Komlimente.
Und dennoch habe ich vor einigen Jahren meine Tätigkeit als Umweltbotschafter bei Werder beendet. Ich finde nämlich, dass ein Sponsor zu einem Verein passen muss. Und Grün-Weiß und Wiesenhof geht gar nicht.
Ich kann nicht Umweltbotschafter von Wiesenhof sein. Die Firma der Familie Wesjohann ist einer der größten industriellen Fleischproduzenten in Europa. Sie trägt durch Sojaanbau zur Zerstörung der Regenwälder, damit zum Klimawandel bei. Sie ist durch flächendeckende Antibiotikavergabe mitverantwortlich für die Verbreitung multiresistenter Keime – von der nichtartgerechten Massentierhaltung mal abgesehen.

Dennoch seien wir ehrlich. Wir haben bei Werder zwar immer so getan, als wäre wir arm und nur die Bayern reich. Aber auch wir hätten nicht lange oben mitspielen können, nur mit geschicktem Spielerhandel und ohne Sponsor.

Sport und insbesondere Profisport ist heute Business. Wenn in der abgelaufenen Transfersaison in Großbritannien eine Milliarde Euro umgesetzt werden, reden wir von Big Business.
Ich finde die Debatte etwa um Red Bull Leipzig – sorry RasenBallsport Leipzig – bigott.
Wir wissen doch alle, dass ohne SAP Hoffenheim nicht in die Bundesliga gekommen wäre. Und Volkswagen, der größte Sponsor der Liga, hält sich mit Bayern, Wolfsburg und Ingolstadt gleich drei Mannschaften.
Und das, was bei Fußballvereinen „Authentizität“ heißt – das nennt man in der Wirtschaft „Markenbindung“.
Wo man damit landen kann, erfährt Großsponsor Volkswagen gerade am eigenen Leibe. Wer 11 Millionen Dieselfahrzeuge mit gefälsch-ten Abgaswerten auf die Straße bringt, wer also 11 Mio. mal betrogen hat, wird sich einen neuen Claim ausdenken müssen: „Volkswagen – Das Auto“ geht nicht mehr.

Wer ethische Standards setzt, muss sich an ihnen messen lassen.
Sonst gilt als, was als Witz einen ziemlichen Bart hat. Fragt der Professor den Studenten, was er denn studieren will. Sagt der „Wirtschaftethik“. Antwortet der Professor: „Junger Mann, da müssen Sie sich schon entscheiden.“

Es wäre für die Ethik im Sport sehr viel gewonnen, wenn die von Unternehmen gesetzten Regeln der Corporate Social Responsibility beachtet würden.
Ich finde Uli Hoeneß hat das Recht auf Resozialisierung. Er hat seine Strafe bekommen und sitzt sie nun ab. Damit ist der strafrechtliche Teil abgeschlossen.

Aber Corporate Social Responsibility geht weiter. Nicht alles, was strafrechtlich erlaubt ist, ist auch ethisch verantwortlich.
Und deshalb müssen sich die Mit-Eigentümer der Bayern München AG, müssen sich die drei As Audi, Allianz und Adidas unangenehme Fra-gen stellen lassen:
– Warum blieb denn Uli Hoeneß, obwohl das Strafverfahren schon lief, weiterhin Aufsichtsratsvorsitzender der Bayern München AG?
– Warum intervenierten die Sponsoren nicht? Unternehmen, in denen so etwas nach eigenen Compliance-Regeln gar nicht möglich wäre?
– Und warum ist bis heute nicht geklärt, warum Adidas dem Uli Hoeneß das Geld fürs Zocken an der Börse gab – und kurz da-nach bei Bayern einsteigen konnte.

Dieser Fall zeigt:
Wir brauchen keine spezielle Ethik für den Sport. Es wäre schon Fortschritt, wenn in Sport und Wirtschaft die Regeln guter Unternehmensführung eingehalten werden.
Dann wäre es auch leichter, gegen Wettbe-werbsverzerrungen im internationalen Sport vorzugehen.
Da ist ja nicht nur das viele Geld von Sky in der Premier League. In Spanien vermutet die EU-Kommission illegale Beihilfen, weil der Staat Unternehmen wie Real Madrid nur unzu-reichend besteuert.
In der Tat ist es auffällig, dass nicht nur in Mad-rid gerade Bauunternehmer sich gerne Fußball-Clubs halten.
Die Kommerzialisierung des Sports ist eine Tatsache. Dann aber müssen auch die Marktregeln für alle beachtet werden.

Doping

Am 05.07.2009 wurde eine deutsche Eisschnellläuferin publizistisch vorverurteilt. Die BILD titelte: „Jan Ullrich: Ich glaube Claudia Pechstein.“
Niemand glaube, dass die BILD nicht wusste, was sie mit dieser scheinheiligen Unterstützung bewirkte. Wem ein dopender Radfahrer an die Seite springt, von dem wir heute wissen, dass er polytoxikoman ist, dem kann man nicht glauben. Das signalisierte diese Schlagzeile.

Ich kann und ich will hier nicht dem Fall Pechstein nachgehen. Wahr ist, dass gerade im Leistungssport massenhaft gedopt wurde.
– Was VW für die Autos war Lance Armstrong für den Radsport.
– Auch in Deutschland wurde im Radsport systematisch gedopt.
– Wir haben riesige Evidenzen für Doping in der Leichtathletik – und bisher keine Bereitschaft des Weltleichtathletikverbandes dem nachzugehen.

Interessant ist, dass der Frage, ob es auch im Fußball Doping gibt, niemand nachging. Weder im Verfahren gegen die Freiburger Universitätsmedizin noch bei spanischen Arzt Fuentes wurde entsprechenden Spuren nachgegangen.
Doping ist nicht nur ein oft tödliches Geschäft – es ist auch ein Glaubwürdigkeitskiller verabreicht in Form von Ampullen und Blutbeuteln.
Systematisches Doping war nur möglich mit aktiver Unterstützung von Ärzten und Universitäten. Es ging also weit über den Sport hinaus.
Das belegt, dass Aufklärung von Doping nicht den Sportverbänden alleine überlassen bleiben kann. Transparenz gewährleistet nur der Rechtsstaat.
Was übrigens, siehe Claudia Pechstein, auch im Interesse der Athleten ist. Sie müssen sich nicht mit der Umkehr der Beweislast abfinden, son-dern haben die Möglichkeit, sich vor ordentlichen Gerichten zu wehren.
Ich halte es für notwendig auch den Wettkampfbetrug im kommerziellen Sport unter Strafe zu stellen.
Wirksam gegen nur mit Doping zu erreichende Leistungen im Profisport vorzugehen, hilft auch im Breitensport.
Der Freizeit-Triathlet, der im Allgäu tot aufgefunden wurde, verstorben an einem tödlichen Dopingmix ist nur die Spitze eines Eisberges. Doping dürfte jedes Wochenende stattfinden, ob beim Laufmarathon, dem Volksradrennen.

Überall wird citius-altius-fortius an Maßstäben gemessen, die mit Training, Talent und Willen nicht zu erreichen sind.

Großereignisse

Dass die ordentliche Justiz ein Segen für die Ethik im Sport sein kann, belegt das Vorgehen der US-Staatsanwaltschaft gegen die FIFA.
Es ist schon bizarr, dass ausgerechnet die Justiz eines Landes, in dem Fußball als Mädchensport gilt, den Machenschaften um Herrn Blatter nachgeht.
Die Vergabe der Fußball-Weltmeisterschaften nach Russland und Qatar steht beispielhaft für eine fatale Entwicklung im Sport.
Ja, Sport lebt von Großereignissen, ob WM, EM oder Olympiade. Boris Becker in Wimbledon hat eine ganze Generation zum Tennisspielen motiviert.
Und nun wurde die WM in ein Land vergeben, in dem man im Sommer de facto keinen Fußball unter freiem Himmel spielen kann. In dem man zurzeit nicht einmal alkoholfreies Bier bekommt, von Biergärten ganz zu schweigen.In Qatar haben nur 10 % der Bevölkerung – eingeschränkte – Bürgerrechte. Der Rest sind Ex-pats und Tausende von Vertragsarbeitern (Contractors), die unter härtesten Bedingungen auf Baustellen schuften.

Dass das mit rechten Dingen zugegangen ist, glauben nur Menschen wie unser Kaiser Franz. Der hat in Katar nur gutgelaunte und bestens bezahlte Arbeiter gesehen. Angesichts der To-desraten auf den Baustellen, bleibt einem der Mund offen stehen.
Qatar hat zuvor schon die Handball-WM ausgerichtet – und dafür gleich die Journalisten zur Berichterstattung mitgekauft.
Intransparenz, Korruption und Ignoranz gegenüber gesellschaftlichen Missständen sind die Totengräber der Glaubwürdigkeit des Sports.
Bevor es nach Qatar geht, findet die WM in Russland statt. Das ist ein Land, in das Herr Blat-ter noch reisen kann. Er muss nicht befürchten nach New York ausgeliefert zu werden.
Die WM ist nach der Olympiade in Sotschi schon das zweite Großereignisse in kurzer Zeit in jenem Russland, das zwischen diesen beiden Ereignissen mal eben die Krim annektierte.
Auch Brasilien bekam WM und Olympia innerhalb von zwei Jahren. Aber Brasilien ist eine Demokratie. Wie Südafrika eine Demokratie ist.
In Demokratien gibt es Korruption und Kriminalität – aber es gibt eben auch Institutionen, dies bekämpfen und Zivilgesellschaft, wie jetzt in Brasilien, die dagegen aufsteht.
Wir im Norden müssen akzeptieren, das Schwellenländer, das Arabien, Asien und Afrika mehr solcher Ereignisse bekommen. Ich begrüße das ausdrücklich.
Aber Großereignisse dürfen keine PR-Aktionen für Autokratien werden, bei denen Meinungsfreiheit und Menschenrechte auf der Strecke bleiben.
Dafür darf der Bock nicht länger Gärtner sein.
Ich meine FIFA und das IOC.
– Die FIFA ist ein eingetragener Verein in der Schweiz
– Das IOC ist eine Nichtregierungsorganisation in der Schweiz.
– Dennoch haben ihre führenden Funktionäre einen Diplomatenstatus von dem un-sere Diplomaten nur träumen können.

Der Wissenschaftlich Dienst des Deutschen Bundestages hat sich mal mit Status und Pflichten der Big Player des Sports wie IOC und FIFA beschäftigt.
Das Ergebnis zeigt: IOC und FIFA sind als Sport-multis vor allem kommerzielle Unternehmen. Ihre Aktivitäten sind überwiegend wirtschaftli-cher Natur:
– Milliardenverträge im Medienbereich,
– Sponsoringverträge mit internationalen Großkonzernen
– Lizenzvergaben für TV-Ausstrahlungen

Die Hauptaktivitäten dieser Nichtregierungsorganisationen finden außerhalb der Schweiz statt. Dort haben sie aber inzwischen ein Milliarden-Vermögen in der Schweiz angehäuft.
Anders als andere Großunternehmen zahlen sie keine angemessen Steuern. Ihre Events werden in den austragenden Ländern steuerfrei ge-stellt.
Das ist inakzeptabel.
Es darf keine Steuerbefreiung von Olympia oder von Fußball-WM geben.
Denn wie jedes schlechte Vorbild stiftet es zur Nachahmung an. Dieser Tage entblödet sich Brandenburgs Wirtschaftsminister Albrecht Gerber (SPD) gemeinsam mit seinem Finanzministerkollegen Christian Görke (DIE LINKE) nicht, für den Ryder Cup beim Golf für Steuerfreiheit zu werben.

Wenn Sport heute oft mit Kommerz zusammengehen muss, dann darf er sich nicht mehr auf den Privilegien aus den Zeiten des Amateursports berufen.
So bleibt für Großereignisse nur eine Alternati-ve. Entweder FIFA und IOC werden steuer- wie unternehmensrechtlich Sportagenturen – oder solche Großereignisse werden künftig von internationalen Organisationen, etwa den VN vergeben.
Letzteres hätte einen großen Vorteil: Aus den Lizenzgebühren und Übertragungsrechten könnten etwa die Vereinten Nationen die dra-matische Unterfinanzierung ihres World Food Program oder seines Flüchtlingshilfswerks UNHCR decken.
In jedem Fall brauchen wir für die Vergabe sol-cher Großereignisse eine internationale Kon-vention z.B. der UNESCO, die festlegt

  • Menschen- und Völkerrecht muss bei Vergaben die entscheidungsrelevante Leitlinie sein.
  • Klare Regeln für Transparenz bei Vergabeentscheidungen und Planung der Spiele
  • Monitoring der Umsetzung mit Beteiligung von Staat, Sport, Umwelt- und Menschenrechtsorganisationen
  • Sicherung der Meinungsfreiheit der Sportler/innen

Bis wir so etwas haben, ist eine klare Positionierung von DFB und DFL in den UEFA- und FIFA-Gremien gegen Korruption und für mehr Transparenz wichtig. Dafür muss die Leisetrete-rei des DFB endlich aufhören. Er muss sich mit England, Niederlande und skandinavischen Ver-bänden Bündnispartner suchen.

Ethik im Sport

Gibt es einen Platz für Ethik im Szenario des in-ternationalen Sports?
Umgekehrt wird ein Schuh draus:
Citius – altius – fortius werden nur akzeptiert und geschaut, wenn es nach Regeln geht. Ohne Ethik gibt es kein Zukunftsszenario für den Sport.
– Deshalb muss gerade der kommerzielle Sport den Regeln guter Unternehmensführung wie des Wirtschaftsrechts genügen.
– Deshalb brauchen wir eine gemeinsame Anstrengung von Justiz, Gesetzgeber und Verbänden gegen Doping
– Deshalb brauchen wir eine Internationale Konvention zur Vergabe von Großereignissen – transparent und nach verbindlichen Regeln.

Denn eigentlich gehen Sport und Ethik gut zusammen. Sport als Bewegungskultur muss sich nicht verstecken:
– Sport hat eine breite gesellschaftliche Akzeptanz
– Sport ist gesundheitsfördernd
– Vor allem aber – Sport macht Spaß

Sport hat nicht nur viel mit der Wirtschaft gemein. Deren inhärentem Wachstumszwang entspricht das citius – altius – fortius

Aber das ist nicht alles. Es gilt auch mens sana in corpore sano – und damit meine ich nicht die Marke meiner Laufschuhe.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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