Vom D-Mark-Chauvinismus zur AfD-Hetze

Einleitende Worte anlässlich der Lesung meines Buches „Stillstand – Made in Germany“ am 19.4.2016 im Trifolion in Echternach. Einen Tag später sollte dort Thilo Sarrazin auftreten:

Wie Thilo Sarrazin Angst macht, um Hass zu sähen

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

ich freue mich in Echternach zu sein und hier mit Ihnen über die Herausforderungen zu sprechen, die wir derzeit nicht wirklich anpacken, die aber dringend angepackt werden müssen: die wachsende Ungleichheit und Ungerechtigkeit in unserer Gesellschaft, die fortschreitende Klimakrise.

Sarrazin der AfD-Hipster

Aber es geht auch um den Rechtsruck der nicht nur durch Deutschland, sondern durch ganz Europa, ja die Welt geht. Wo verläuft eigentlich die Grenze zwischen demokratischen Konservativen und rechten Populisten?

Zwischen Merkel und Juncker auf der einen Seite und Victor Orban ist sie klar. Jean Claude Juncker begrüßte letzteren zutreffend mit „Hallo Diktator“. Aber warum ist dann Ungarns Fidesz immer noch Mitglied der Europäischen Volkspartei EVP von Juncker und Merkel?

Schwieriger ist es zwischen Horst Seehofer und Donald Trump zu unterscheiden. Beide wollen Mauern errichten, der eine auf dem Balkan, der andere zu Mexiko. Zudem ist Crazy Horst  – so taufte ihn die FAZ – ein erklärter Fan von Autokraten wie Orban und Putin.

Offensichtlich ist die Grenze zwischen Konservativ und Rechtspopulismus keine statische, sondern eine dynamische.

Man könnte fast von fifty shades of brown sprechen.

Einer, der diese Dynamik besonders praktiziert und befördert hat, wird morgen hier sprechen. Thilo Sarrazin ist ein Musterbeispiel, wie aus einem neoliberalen Banker ein rechtspopulistischer Hetzer wird.

Um ihn selbst ist es in letzter Zeit ruhiger geworden. Das gilt allerdings nur für seine Person.

Die kruden und gefährlichen Thesen von Thilo Sarrazin hallen zurzeit lauter denn je durch Deutschland – Montags über den Dresdner Theaterplatz wenn Pegida sich zusammenrottet. Sie tönen aus den Talkshows. Und nun hören wir sie in immer mehr deutschen Landtagen von der AfD.

Das ist kein deutsches Phänomen. Die Deutschen ziehen hier eher nach. In Frankreich, Belgien, den Niederlanden und Österreich bestimmen die Rechten schon länger zur politischen Debatte.

Ich möchte deshalb zu Beginn dieses Abends ein paar Worte über Sarrazin und seine Thesen verlieren, die ein Angriff auf unsere solidarische und offene Gesellschaft sind.

In Berlin haben wir seit einigen Jahren das Phänomen des Hipsters. Ein Hipster ist einer, der das, was jetzt viele machen, schon lange gemacht hat bevor es in war.

In diesem Sinne ist Thilo Sarrazin zwar ein alter Herr, aber ein rechter AfD-Hipster. Er hat nämlich schon D-Mark-Nostalgie und perfiden Rassismus verbunden, da war Bernd Lucke noch ein unbekannter Wirtschaftsprofessor und Beatrix von Storch noch Mitglied in der FDP.

Beatrix von Storch, das ist der angry bird der AfD, der an der Grenze zwar nicht mehr auf Kinder, aber auf werdende Mütter schießen lassen will, und deshalb von den Konservativen zu FPÖ, Schwedendemokraten und Cinque Stelle wechseln musste.

Es führt eine direkte Linie von der Euro-Ablehnung zur Rechtspopulismus und Islamfeindlichkeit. Und Thilo Sarrazin personalisiert sie.

Vom Euro- zum Ausländerfeind

Wenn wir uns erinnern, war es der chauvinistische D-Mark-Populismus, der die rechte AfD 2013 fast in den Deutschen Bundestag gebracht hätte. Sie scheiterte nur knapp an der 5 % Hürde. Thilo Sarrazin hatte diesen Populismus auf dem Höhepunkt der Bankenkrise perfektioniert.

Nicht leichtfertige Spekulationen von Banken und ihre Überschuldung seien schuld an der Krise, argumentierte er. Nein, Schuld waren die faulen Griechen, die Schuldenmacher im Süden.

Dass die Krise in der Immobilienblase der USA ihren Anfang genommen hatte, oder Länder mit einem total überschuldeten Banksektor wie Island oder Irland traf, dass es Länder traf wie Spanien, die nur halb soviel Staatsschulden hatten wie Deutschland – aber doppelt soviele Bankschulden – all das kam bei Sarrazin nicht vor.

Bei ihm war  – wie übrigens bei Merkel – die Eurokrise eine „Staatsschuldenkrise“ und Griechenland war der Beleg dafür.

Sarrazin denunzierte den Euro, ja die gesamte Europäische Union als Buße für Holocaust und Weltkrieg“, die ´´erst endgültig getan ist, wenn wir alle unsere Belange, auch unser Geld, in europäische Hände gelegt haben“.

Das ist schon reines Nazi-Sprech – ganz in der Tradition der Hetze gegen den „Schandvertrag von Versailles“.

„Deutschland schafft sich ab“ – mit dieser Parole verkaufte Sarrazin in hoher Auflage ein Buch, das ihm viel Applaus von den Menschen einbrachte, die heute auf Pegida-Demos Angela Merkel an den Galgen wünschen.

Sarrazin unterlegte seine Thesen über den Untergang des Abendlandes nicht nur mit vielen kruden Statistiken, sondern auch einer erschreckenden Rassenkunde, die den jüngsten Ausführungen des AfD-Rechten Björn Höcke nicht unähnlich waren.

Als er begann Juden über eine genetische Identität zu definieren, bescheinigte ihm der Zentralrat der Juden einen „Rassenwahn“. Selbst die Bild ging auf Distanz und die SPD leitete ein – gescheitertes – Parteiordnungsverfahren gegen ihn ein.

Genau wie die AfD sieht Sarrazin inzwischen eine neue Bedrohung für unsere Gesellschaft: Menschen, die vor Krieg und Zerstörung ihre Heimat verlassen mussten. In guter alter Manier verbindet Sarrazin in der aktuellen Debatte um Geflüchtete den Hass vor Anderem mit der Angst um das eigene Geld.

Dabei funktioniert die Logik gerade andersherum. Und Sarrazin gibt zwar den Biedermann, ist aber eher Brandstifter.

Wie kam es eigentlich zu den Integrationsproblemen der von ihm vielfach strapazierten „Kopftuchmädchen“, die bei Einschulung kein Deutsch können? Nun, es war der Finanzsenator Thilo Sarrazin persönlich, der in Berlin das obligatorische Vorschuljahr gestrichen hatte, um den Haushalt zu sanieren. Und deshalb entfiel die Chance, vor Einschulung in die Grundschule Deutsch zu lernen.

Die Ideologie der schwarzen Null um jeden Preis, das neoliberale Dogma von der Senkung der Staatsquote hat uns das Integrationsproblem mit beschert.

Wer den Sozialstaat abreißt, darf sich über das Entstehen von Parallelgesellschaften im Wedding, in Molenbeek oder in den Banlieus nicht wundern.

Das Erstarken des Rechtspopulismus in Europas Mitte und im Norden ist eine Folge von 20 Jahren neoliberaler Hegemonie und der Finanzkrise 2008/2009.

Gebrochene Aufstiegsversprechen werden nicht bei der abgehobenen Parallelgesellschaft der Superreichen eingefordert. Sie werden aggressiv gegen die gewendet, die weniger haben, die schwächer sind.

Mit Mut gegen die Angst, gemeinsam gegen nationale Egoismen

Um nichts anderes geht es Sarrazin, AfD, Pegida, Front National & Co: sie wollen Angst schüren. Angst vor denen da unten, die angeblich die eigenen – bescheidenen – Privilegien bedrohen.

So mobilisiert Trump den white scum gegen die Mexikaner und Migranten. Und Orban wie Gaulandt ihre Ungarn oder Brandenburger gegen die Flüchtlinge aus Syrien und dem Irak.

Die propagierte Angst gegen die Schwächeren soll Hass erzeugen.

In Deutschland gab es allein im Jahr 2015 über 1.000 Angriffe auf Unterkünfte von Geflüchteten. Auf rechten Demonstrationen wird inzwischen regelmäßig zu Gewalt gegen Politik und Justiz aufgerufen. Diesem Hass müssen wir uns entschlossen entgegen stellen.

Wer heute von Grenzschließungen, Mauern und Schießbefehl spricht, hat aus der europäischen – und vor allem aus der deutschen – Geschichte nichts gelernt. Wenn wir über die sozialen, wirtschaftlichen, klimapolitischen und auch sicherheitspolitischen Herausforderungen sprechen, vor denen wir stehen, dann wird deutlich: wir sind aufeinander angewiesen. Solidarität in Europa, Toleranz und Offenheit gegenüber Menschen auf der Flucht – das sind nicht nur Gebote der Menschlichkeit. Sie sind notwendig, wenn wir die kommenden Herausforderungen angehen wollen.

Das dürfen wir uns von Menschen wie Thilo Sarrazin nicht kaputtreden und von Parteien wie der AfD und der Front National nicht kaputtmachen lassen.

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