Nachhaltige Ressourcen – Recycling lebt vom Mitmachen

Rede zur Verleihung anlässlich der Auszeichnung der Berufsbildenden Schule II in Göttingen als „Ressourcen-Schule“

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

liebe Ressourcen-Schüler und Schülerinnen,
sehr geehrte Frau Meyer,
sehr geehrte Frau Niesbach,
sehr geehrter Herr Wübbenhorst,
sehr geehrter Herr Riethig,

vielen Dank für die Einladung, hier zu sprechen – aber vor allem Herzlichen Glückwunsch zu Ihrer Auszeichnung als Ressourcen-Schule!

Mit historischen Anleihen soll man ja vorsichtig sein, aber ich finde zum heutigen Anlass wäre das Zitat gut aufgehoben:

„Ein kleiner Schritt für uns, ein großer für die Menschheit“…

Ihre Schule wird zurecht mit einem Preis – oder vielleicht eher mit einem Aushängeschild – ausgezeichnet, weil sie etwas ganz Elementares vorantreibt.

Nämlich den Weg raus aus der Wegwerf-Gesellschaft, hin zu einer nachhaltigen Gesellschaft.

Und wenn dieser Schritt ganz offensiv in einer Schule gegangen wird, dann ist die Hoffnung groß, dass es wirklich ein nachhaltiger Schritt im wahrsten Sinne des Wortes ist. Denn ich habe den Glauben daran, dass ein paar Dinge, die man in der Schule lernt, auch hängen bleiben, noch nicht aufgegeben.

Und das gilt ja umso mehr für eine Berufsbildende Schule.

1                   Earth Overshoot Day

Eigentlich ist die Logik von Nachhaltigkeit so elementar, so bestechend, dass man an ihr nicht vorbeikommt:

Wir können nur so viel verbrauchen, wie wir haben. Und wenn es verbraucht ist, ist es alle.

Aber die Menschheit hat sich in den letzten 100 Jahren angewöhnt, das einfach zu ignorieren. Wir verbrauchen viel mehr von unserer Natur, von den Ressourcen und Rohstoffen, als wir in der gleichen Zeit wieder nachwachsen lassen können bzw. sich regenerieren kann.

Der sogenannte Earth Overshoot Day, an dem diese Grenze erreicht ist, war im letzten Jahr bereits am 02. August  – ab diesem Tag lebte die Welt von Ihrer Substanz.

Wir sägen also wirklich an dem Ast, auf dem wir sitzen.

Da trifft dann ein zweites Zitat sehr gut, diesmal von Albert Einstein:

„Zwei Dinge sind unendlich, das Universum und die menschliche Dummheit, aber bei dem Universum bin ich mir noch nicht ganz sicher.“

2                  Meeresvermüllung

Die Menschheit hat noch eine zweite unangenehme Eigenschaft – und zwar im Großen wie im Kleinen. Und das betrifft das Thema, mit dem Sie sich hier insbesondere auseinandergesetzt haben:

Wir produzieren Unmengen von Müll – und es interessiert uns nur bedingt, was damit wird, wenn es nur nicht direkt vor unserer Haustür liegen bleibt.

Da in Deutschland seit 2005 kein Müll mehr unbehandelt deponiert werden darf – eine Regel aus meiner Zeit als Umweltminister – und weil es den Gelben Sack gibt, den mein Vor-Vorgänger Klaus Töpfer eingeführt ha, wird der überwiegende Plastikmüll in Deutschland verbrannt. Bei der Verbrennung – auch bei einer sachgerechten – wird das CO2 frei gesetzt, was in dem Ursprungsstoff – Öl – gebunden war.

Die sogenannte thermische Verwertung – wie die Verbrennung auch genannt wird – ist also kein Recycling. Sie ist keine Kreislaufwirtschaft.

Kreislaufwirtschaft wäre es nur, wenn der verwandte Rohstoff stofflich wiederverwertet würde.

Dennoch ist Verbrennung besser als Vermüllung.

Wohin der Plastikmüll verschwindet, der nicht verbrannt wird, wissen wir aber auch. Er landet zuerst irgendwo in der Natur und der Landschaft, dann in unseren Flüssen, unseren Seen – unseren Meeren.

Die Belastung der Meere ist inzwischen soweit fortgeschritten, dass uns nur noch wenige Jahre bleiben um dieses Ökosystem zu retten.

Fünf riesige Müllstrudel in den Weltmeeren kennen wir, ein sechster entsteht momentan in der Arktis. Es gibt keinen Ort auf unserer Erde, der frei von Plastikmüll und Verschmutzung ist.

Der pazifische Müllstrudel ist sogar 16mal größer ist als bisher angenommen und damit mehr als 4mal so groß wie Deutschland.

Von den zuletzt 322 Millionen Tonnen Plastik, die im Jahr 2015 produziert wurden, landen zwischen fünf und 13 Millionen Tonnen pro Jahr in den Weltmeeren.

Das ist jede Minute mindestens eine LKW-Ladung Müll, die im Meer landen.

Laut einer Studie des Weltwirtschaftsforums – jeglicher grüner Umtriebe völlig unverdächtig –  wird es im Jahr 2050 mehr Plastikmasse in den Weltmeeren geben, als Fische.

Und im Schnee und Eis der Arktis finden sich inzwischen Unmengen an Mikroplastik, das durch die Atmosphäre von Europa in die Arktis gelangt ist.

Der Handlungsdruck ist riesig. Aber es passiert zu wenig. Wenn Großbritannien jetzt Strohhalme, Wattestäbchen und Umrühr-Stäbchen aus Kunststoff verbieten will, ist das wichtig, aber auch nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Immerhin führen die Briten jetzt auch ein Pfandsystem auf Plastikflaschen ein – 15 Jahre, nachdem wir in Deutschland ein Einwegpfand – besser bekannt unter dem Namen Dosenpfand – eingeführt haben.

Aber der Müllberg wächst trotzdem weiter, weil es an konsequentem politischem Handeln fehlt.

Warum ist das so?

Weil hier immer ökologische Notwendigkeiten gegen ökomische Interessen stehen.

3                  Kreislaufwirtschaft

Wir müssten dafür sorgen, dass Handys mit ihren seltenen Metallen recycelt und verschrottet werden. Das würde helfen den Krieg im Kongo, der auch ein Krieg um Coltan ist, zu bremsen.

Wirkliche Kreislaufwirtschaft müsste das Plastikproblem an der Wurzel packen. Der Ausgangsstoff für Plastik ist Erdöl. Warum setzten wir nicht auf nachwachsende, CO2-neutrale und wiederverwertbare sowie abbaubare Rohstoffe?

Es gibt sie. Aber sie haben in der chemischen Industrie keine Chance. Weil sie neu sind, sind sie teuer.

Aber Öl ist auch aus einem anderen Grund billiger. Es wird steuerlich subventioniert.

Jede Mofa-Fahrerin muss Mineralölsteuer bezahlen. Bayer und BASF aber bekommen ihr Erdöl steuerfrei. Das kostet den Staat jedes Jahr fast 3 Milliarden €.

Vor allem aber blockiert dies eine echte Kreislaufwirtschaft.

Wer das Mikroplastik im Meer und im Speisesalz bekämpfen will, muss aufhören der Chemieindustrie das Öl zu subventionieren.

Das wir massiv Ärger geben – mit den Unternehmen, mit der Industriegewerkschaft Bergbau Energie Chemie. Lobbyärger gab es schon bei kleineren Projekten.

4                  Lobby gegen Vernunft

Ich habe das Dosenpfand erwähnt – ein Projekt, das ja gemeinhin neben dem Atomausstieg mit meiner Amtszeit in einer rot-grünen Bundesregierung verbunden wird.

Uns hier heute ist allen klar: Mehrweg hat eine Menge Vorteile gegenüber Einwegverpackungen. Das gilt von der Treibhausgasbilanz über den Wasserverbrauch bis zu den Recyclingraten.

Mehrweg ist angewandte Kreislaufwirtschaft.

Vor allem aber ist es Kreislaufwirtschaft zum An-fassen und Anschauen.

Wenn Sie heute z.B. eine Fritz-Cola kaufen, dann finden Sie auf dem Etikett hinten den Hinweis:
Daneben

Gemeint ist, wenn man seine Flasche nicht im Kiosk Amin oder einem anderen Späti abgibt, dann soll man sie sichtbar neben den Papierkorb stellen, damit die Pfandsammler sie ohne Probleme einpacken können.

Das Pfand als Bestandteil einer Strategie zur Si-cherung von Mehrweg hat zu einem weiteren Effekt geführt – die Vermüllung der Landschaft hat deutlich abgenommen.

Heute liegen deutlich weniger Flaschen in Parks, Wäldern und auf Autobahnabfahrten. Sonst wäre es heute vielleicht noch mehr Müll in unseren Gewässern.

Dennoch landet zu viel in der Landschaft.

Doch selbst das Dosenpfand musste gegen massiven Druck der großen Handelskonzerne und der Großbrauereien durchgesetzt werden. Sie setzten auf Einweg statt Mehrweg.

Sie wollten Kosten sparen. Doch diese verschwinden nicht. Getragen werden müssen sie von der Allgemeinheit. Von uns allen.

4.1          Dosenposse

Gegen die Umsetzung Dosenpfands gab es über 200 Klagen von großen Handelsunternehmen oder von Brauereien. Die Einweglobby hat alle diese Prozesse verloren.

Das hinderte den damaligen Ministerpräsidenten von Nordrhein-Westfalen, Wolfgang Clement (damals SPD, heute FDP), nicht daran, noch einmal zu versuchen, mich in einem langen Gespräch zu einem Aussetzen der Pfandpflicht zu bewegen. Er versprach mir ein Papier mit einem Lösungsvorschlag.

Eine halbe Stunde später erhielt ich sein Fax. Allerdings nicht von einem Faxgerät der Landesvertretung NRW, sondern mit der Absenderkennung des Kaufhof am Alexanderplatz, in Berlin gegenüber dem damaligen Umweltministerium gelegen. Das Kaufhaus ist Eigentum jener Metro-Gruppe, die heftig gegen das Pfand kämpfte.

So ging das mit Lobbyieren schief. Es war zu durchsichtig, wie sich da Ministerpräsident zum Knecht eines Konzerns machen ließ.

4.2          Wasser kostenlos in Kantinen

Oder noch ein anderes Beispiel. Die EU Trinkwasser-Verordnung sieht vor, dass für Leitungswasser geworben wird. Damit soll der Verbrauch des Flaschenwassers reduziert werden.

Das macht aus unterschiedlichsten Gründen Sinn. Gerade in Deutschland ist Trinkwasser das am häufigsten und am besten kontrollierte Lebensmittel.

Aber es macht vor allem Sinn, weil man damit Müll vermeidet. Einfacher Vorschlag: Wasserspender aufstellen. Das ist in vielen Ländern schon Gang und Gebe.

Aber was beschließt der Agrarausschuss des Deutschen Bundesrats zu dieser Forderung? Dass es sich dabei um eine „Wettbewerbsverzerrung“ handeln würde, wenn plötzlich in öffentlichen Kantinen kostenlose Wasserspender stehen würden.

Bei diesem Beschluss haben die Lobbyisten von Nestlé ganze Arbeit geleistet.

Nestlé kauft weltweit Wasserechte – von Kanada bis Pakistan oder Äthiopien. Sie fördern auch in Gegenden mit Wassermangel. Und sie verkaufen dieses Wasser immer sehr viel teurer, als sie es gefördert haben. In British Columbia in Kanada müssen sie sogar gar nichts bezahlen dafür.

Ob auf der Flasche Contrex, Perrier oder San Pellegrino drauf steht, es ist immer Nestlé drin.

Diese Praxis ist nicht nur absurd, das ist absolut verantwortungslos. Aber es macht vielleicht deutlich, worum es im Kampf für eine saubere Umwelt geht – um einen Kampf gegen Marktanteile und einflussreiche Lobbys.

Politik für Nachhaltigkeit bringt Nachhaltigen Ärger mit Lobbys.

5                  Nachhaltigkeit zum Erleben.

Deshalb ist es so wichtig, dass die Frage von Nachhaltigkeit, von Müllvermeidung, von Ressourcenschutz in den Schulen ernst genommen wird. Es geht zum einen um Sensibilisierung für diese Frage – aber es geht vor allem um Vermittlung von Wissen und Fähigkeiten, wie man die Herausforderung, die eine nachhaltige Wirtschaftsweise mit sich bringt, meistern kann.

Und das machen Sie hier in der Berufsbildenden Schule auf vorbildliche Art und Weise. Nicht nur mit der Teilnahme an dem FairCup-Projekt, sondern zum Beispiel auch mit dem sehr spannenden Projekt des Energieeffizienzhauses in Ihrem Labor[1].

Das ist Umweltbildung zum Anfassen, das ist Nachhaltigkeit zum Erleben.

Wenn Ihr Beispiel Schule macht, ist das ist in der Tat ein großer Schritt für die Menschheit.

Deshalb noch einmal Herzlichen Glückwunsch zum Neuen Titel Ressourcenschule und vor allem ein Herzliches Dankeschön.

[1]              http://www.goettinger-tageblatt.de/Die-Region/Goettingen/BBS-II-Goettingen-baut-Energieeffizienzhaus

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