Eine Globale Revolte

10 Thesen zu 68 – Anlässlich einer Veranstaltung im Ernst-Bloch-Zentrum Ludwigshafen am 10.04.2019

  1. Bei 68 denken viele an Woodstock, an Hippies, Godard und Leone, oder an Ton, Steine, Scherben. Die Revolte von 68 war eine umfassende, politisch, sozial, wie kulturell. Die 68er hatten lange vor den folgenden politischen Veränderungen eine kulturelle Hegemonie (Antonio Gramsci) erlangt.
  2. Die 68er Revolte war international – sie erfasste Paris wie Prag. Was viele vergessen, De Gaulle plante in Baden-Baden Paris mit dem Militär einnehmen, wie die Truppen des Warschauer Paktes die DDR Prag eingenommen haben. Berkeley wie Berlin gingen auf die Straße. 68 beendete die Nachkriegszeit der strikten Loyalität auf den beiden Seiten des kalten Krieges.
  3. Die Werte der 68er waren die politischen Werte des Westens. Die 68er klagten die Würde des Menschen, Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gegen den demokratischen Kapitalismus wie den autoritären Staatssozialismus ein. Dem Bezug des SDS auf den Sozialismus verband die Emphase für einen „menschlichen Sozialismus“ wie in der CSSR.
  4. Ein wesentlicher Treiber der Revolte war der Krieg der USA in Vietnam. Hier traf David auf Goliath. Der Befreier Europas trat mit Folter, Napalm und Agent Orange alle Werte der US-Verfassung und des Völkerrechts mit Füßen. Der Kampf gegen den Vietnamkrieg war der erste realpolitische Erfolg der 68er Bewegung. Bei allem Respekt vor den militärischen Leistungen der Vietnamesen: Die USA scheiterten in Vietnam nicht militärisch. Der Vietnamkrieg ging in Vermont und Virginia verloren. Er versank in den Protesten einer ganzen Generation.
  5. Erst mit den 68ern kam (West-) Deutschland in der Demokratie an. Die Generation der Kinder klagte von Ihren Eltern die Aufklärung ihrer nationalsozialistischen Verbrechen ein. Die Haltung Wir haben von nichts gewusst wurde zertrümmert. Und dennoch dauerte es noch Jahre bis Bundespräsident von Weizsäcker den 8. Mai als Tag der Befreiung bezeichnete und die Verbrechen der Wehrmacht ausgestellt wurden.
  6. Die Revolte verschob die Mehrheit in Deutschland nach links der Mitte. Mit der FDP der Freiburger Thesen wurde Willy Brandt Bundeskanzler. Er wollte Mehr Demokratie wagen. Während die 68er erfolglos gegen die Notstandsgesetze auf die Straße gingen, besorgte ihr Druck eine umfassende Stärkung der Bürgerrechte – von der Gleichstellung der Frauen bis zur Straffreiheit für Homosexuelle durch das Ende des § 175.
  7. Die 68er demonstrierten gegen die Große Koalition. Diese aber sorgte für eine umfassende Modernisierung des demokratischen Kapitalismus. Eingeführt wurde die wirtschaftliche Globalsteuerung. Der Arbeitskräftemangel erzwang den Zugang von mehr Menschen zu höherer Bildung. Die Einführung des BAFöG durch SPD und FDP schuf gesellschaftliche Durchlässigkeit Die Schülerbewegung führte zur Reformierten Oberstufe, Gesamtschulen entstanden. So wuchs die Partizipation breiter Schichten.
  8. Die erreichten Erfolge der 68er veränderten die Gesellschaft – und die 68er. Die Frage Integration oder Radikalisierung beantworteten die Terroristen mit extremer, gewalttätiger Radikalisierung. So landete die 68er Bewegung 1977 im Deutschen Herbst des Helmut Schmidt der Berufsverbote und der Antiterrorgesetze.
  9. Die Integration der Antiparlamentarische Opposition hingegen ließ überall in Europa neue linke Parteien entstehen – ob die PSP in den Niederlanden oder die skandinavischen Linkssozialisten. In Deutschland aber gründeten sich erst mit 10 Jahren Verspätung 1979 Die Grünenim Kampf gegen Atomkraft und Nachrüstung. Sie sind nicht zu erklären ohne das Zusammenwirken der kulturellen Hegemonie der 68er und der Schmidtschen Restauration, sowie der Frontstellung zur DDR entstehen – und der 5 % Hürde. Ein Teil der neue westeuropäischen Linken ergrünte später – aus der PSP etwa wurde Groen-Links.
  10. 50 Jahre später hat sich der Kapitalismus umfassend globalisiert. Von einer Globalisierung der Demokratie kann hingegen keine Rede sein. Staatskapitalistische Autokratien wie China fordern die Gesellschaften des demokratischen Kapitalismus politisch und ökonomisch heraus. In den Staaten des demokratischen Kapitalismus hat die gesellschaftliche Teilhabe abgenommen. Kennzeichnend sind Spaltung, Meritokratie und Prekarisierung. Sie begünstigen Autoritarismus und Nationalismus .

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1 Kommentar

  1. Irmgard Schuster

    In Ludwigshafen gaben Sie mir recht, als ich kritisierte, die Frauen seinen in Ihren Thesen zu kurz gekommen. Sie akzeptierten die Kritik, aber Sie haben die 10 Thesen nicht ergänzt. Das finde ich wirklich schade, denn ich bin absolut der Meinung, dass gerade die Frauen von 68 profitiert haben.Aber so ist das eben,Frauen nicht so wichtig.
    Trotzdem: Danke für einen interessanten Abend.
    MfG
    Irmgard Schuster

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