Wer Teilhabegerechtigkeit will, muss umverteilen

Blogbeitrag von Jürgen Trittin auf grün.links.denken vom 03.08.2012

Alle entwickelten demokratischen, kapitalistischen Staaten haben in den vergangenen Jahrzehnten gigantische Schulden aufgebaut. Fälschlich wird oft nur auf die Staatsverschuldung geschaut, doch auch private Verschuldung ist relevant. Die geplatzte Immobilienblase in den USA stand am Anfang der weltweiten Finanzkrise. In Spanien musste der Staat marode Baken retten, nachdem auch dort die Immobilienblase platzte. 2007 war Spanien mit einer Staatsschuldenquote von unter 40% Haushaltsmusterknabe. Heute liegt die Staatsschuldenquote bei über 80%. Auch in Deutschland musste der Staat im Zuge der Krise die Schulden überschuldeter privater Haushalte oder überschuldeter Banken übernehmen. Das hat auch die Staatsschulden der angeblichen sparfreudigen Deutschen nach oben getrieben.

Die zunehmende Auszehrung des Staates ist Ergebnis falscher Politik. Steuern wurden gesenkt, Schulden erhöht und damit die Handlungsfähigkeit des öffentlichen Hand untergraben, von den Gemeinden über die Länder bis zum Bund. Unter der Kanzlerschaft Angela Merkels hat sich der Verschuldung Deutschlands um 500 Mrd. erhöht, stieg die Schuldenquote von 63 % auf 84 % des Bruttosozialprodukts. Allein die Schulden des Bundes haben sich von 900 Mrd. in 2005 auf über 1250 Mrd. heute erhöht. Fast 40 Mrd. muss der Bundesfinanzminister Schäuble jährlich für Zinsen ausgeben. Ohne Merkels Schulden, könnte allein der Bund jährlich fast 15 Mrd. mehr in öffentliche Güter investieren.

Der Weg in die private wie staatliche Verschuldung war lange der Ausweg aus dem zentralen Zielkonflikt des demokratischen Kapitalismus zwischen dem demokratischen Anspruch auf gesellschaftliche Teilhabe Aller und der privaten Aneignung durch Wenige. Man wollte die private Bereicherung nicht durch Besteuerung beschneiden und finanzierte daher Bildung und soziale Sicherheit über Schulden. Dieser Weg ist an sein Ende gekommen. Das zeigt die aktuelle Krise. Die demokratische Politik ist durch Verschuldung von den Finanzmärkten abhängig geworden. Dafür zahlt sie nun einen hohen Preis in Form hoher Zinsen. Dass Deutschland heute so niedrige Zinsen zahlt ist nur dem Vergleich mit der noch viel schlechteren Lage vieler anderer Länder geschuldet. Aber auch die anderen anvisierten Auswege aus diesem Zielkonflikt – zügelloses Wachstum oder Inflation – haben sich als Sackgasse erwiesen. In allen entwickelten Industriestaaten sinkt das Trendwachstum. Wuchs die deutsche Wirtschaft im Zeitraum 1950-1960 noch real jährlich um durchschnittlich 8,2%, schwächte sich dies seitdem stetig ab. Im Zeitraum 2000-2010 wuchs die deutsche Wirtschaft nur noch jährlich um durchschnittlich 0,9%.

Diese Entwicklung wird sich in den hoch entwickelten Volkswirtschaften nicht rückgänig machen lassen. Weder Schulden noch immerwährendes Wachstum sind ein Ausweg, Politik muss sich über Einnahmen finanzieren, direkt gesagt: über Steuern.

Gern schreit der Bund der Steuerzahler: Da werde dem Bürger etwas „weg genommen“, das „die Politiker“ leichtfertig lachend „verteile“. Wenn es so ist, stehen wir Grüne an seiner Seite, doch das Bild stimmt nur selten. Steuern finanzieren öffentliche Güter, die in Deutschland die große Mehrheit haben will. Sicherheit, Bildung, Infrastruktur, Investition, Regelung von Wirtschaft und Gesellschaft, von Finanzmarkt und Verbrauchersicherheit. Unnötige Subventionen gehören abgebaut, unnötige Behörden entschlackt. Doch die Verschuldungsproblematik kann durch Streichung nur lösen, wer an die Kernthemen öffentlicher Infrastruktur und sozialer Sicherheit rangeht. In solchen
Dimensionen kann nur streichen wollen, wer immer noch an neoliberale Ideologie glaubt und Renten, soziale Sicherheit, öffentliche Investitionstätigkeit grundsätzlich für überhöht oder übel hält. Uns geht es dabei nicht zuerst um die Verteilung zwischen verschiedenen Gruppen der Bevölkerung. Sondern um einen neuen gesellschaftlichen Konsens über das Verhältnis zwischen demokratischer Teilhabe und privater Aneignung.

Denn die sozialen Probleme unserer Gesellschaft zu lösen, kostet. Gute Kitas und Ganztagsschulen, in denen alle nach ihren individuellen Fähigkeiten gefördert werden können, kosten Geld. Öffentliche Räume, die ohne Barrieren auch für Behinderte umfassende Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglichen, kosten Geld. Eine existenzsichernde verfassungskonforme Grundsicherung, die auch Menschen ohne Job ein Leben in Würde ermöglichen, kostet Geld. Nur eine handlungsfähige öffentliche Hand kann eine umfassende Teilhabe aller ermöglichen, nur sie kann überhaupt demokratische Politik umsetzen und ausüben.

Deshalb geht es uns Grünen darum, die strukturelle Unterfinanzierung des öffentlichen Gemeinwesens zu beheben. Dafür müssen wir sinnlose Ausgabe kürzen, öffentliche Aufgaben effizienter erbringen und mehr einnehmen. Eine öffentliche Hand, die von spekulierenden Investoren abhängig ist, ist nicht mehr demokratisch. Eine Lehre aus der Finanzkrise muss daher lauten: runter mit den Schulden. Öffentliche Ausgaben müssen über Einnahmen finanziert werden und nicht auf Pump.

Einnahmen müssen dort erhöht werden, wo die private Aneignung des gesellschaftlichen Wohlstandes in den letzten Jahren überhand genommen hat. Die Kluft zwischen arm und reich hat sich in den letzten Jahren massiv vergrößert. Heute verdienen die obersten zehn Prozent etwa achtmal so viel wie die untersten zehn Prozent. In den Neunzigern lag dieses Verhältnis noch bei sechs zu eins. Die obersten zehn Prozent besitzen heute zwei Drittel des Vermögens. Deutlich mehr als früher. Das besitzbürgerliche Lager möchte das als Ausfluss von Leistung darstellen. Doch solch übermenschliche Leistungen sind nirgendwo zu sehen, solch überproportionale Belohnungen nirgends zu rechtfertigen. Geleistet haben auch viele Arbeitnehmer und kleine Selbstständige in den letzten Jahrzenten, ihre Reallöhne sind stagniert, vom erwirtschafteten Kuchen der wirtschaftlich erfolgreichsten europäischen Gesellschaft haben sie nicht profitiert. Das ist weder moralisch noch volkswirtschaftlich sinnvoll.

Die Geschichte hat gezeigt: fast allen Finanzkrisen ging ein starkes Auseinanderdriften der Einkommens- und Vermögensverhältnisse voraus. Eine leistungsfähige Marktwirtschaft ist auf Motivation und Belohnung angewiesen, eine gewisse Wohlstands-Ungleichheit wird immer die Folge sein. Aber zu starke Ungleichheit gefährdet die Stabilität der Wirtschaftsordnung. Die zunehmende Spaltung der Gesellschaft erhöht die Gefahr von Finanzkrisen und untergräbt die gesellschaftliche Teilhabe aller am Produktivitätsfortschritt.

Außerdem gilt eine einfache volkswirtschaftliche Gleichung: Es gibt keine Schulden ohne Vermögen. Den hohen Schulden des Staates stehen hohe private Vermögen gegenüber. Wer stabile wirtschaftliche Verhältnisse und soziale Gerechtigkeit durch Teilhabe aller will, muss die private Aneignung gesellschaftlichen Wohlstandes in privaten Vermögen reduzieren.

Das geht nur durch eine Rückkehr zu mutiger gestaltender Politik, die die Verteilungsfrage nicht nur stellt, sondern auch beantwortet. Wir Grüne wollen eine einmalige auf 10 Jahre befristete Vermögensabgabe für Millionäre in Höhe von 1,5% einführen, um die Schulden aus der Krise abzubauen. Bei hohen Freibeträgen könnten so bis zu 100 Milliarden Euro Schulden abgebaut werden. Wir wollen den Spitzensteuersatz auf 49% erhöhen, d die Einnahmen aus der Erbschaftssteuer verdoppeln und die Ungleichbehandlung bei der Besteuerung von Arbeit und Kapital abschaffen. So entstehen Spielräume für Investitionen in gesellschaftliche Teilhabe und stabilere wirtschaftliche Verhältnisse.

Mehr Teilhabe
gibt es nur mit mehr Staat. Wer also Teilhabegerechtigkeit will, muss umverteilen.

Blog: grün.links.denken

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