USA in der Krise – UN gefordert

Bericht von Jürgen Trittin über seine Reise nach Washington und New York vom 15.07.2011

Jürgen Trittin besuchte vom 11. bis zum 15. Juli 2011 Washington und die Vereinten Nationen in New York. Ziel der Reise war, sich mit den transatlantischen Partnern sowie Vertretern der Vereinten Nationen über aktuelle Herausforderungen der Außen- und Sicherheitspolitik auszutauschen. Die Reise fand zeitgleich zum deutschen Vorsitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen statt.

In Washington (Center for Strategic and International Studies) und New York (American Council on Germany) hielt Jürgen Trittin Vorträge zur deutschen Außen- und Sicherheitspolitik sowie zur EU-Schuldenkrise.

Politische Themen

Afghanistan/Pakistan

Sowohl bei der US-Administration als auch bei den Vertretern der Vereinten Nationen (VN) herrscht Einigkeit darüber, dass der militärische Abzug aus Afghanistan keine Frage des Ob, sondern nur noch des Wie ist. Auch über die Wege dorthin besteht großes Einvernehmen. Nur ein Versöhnungsprozess, an dessen Ende eine Verhandlungslösung stehen müsse, werde das Land stabil und prosperierend machen. Die Angst, die in der afghanischen Gesellschaft vor den Ergebnissen der Versöhnung (z.B. im Bereich der Frauenrechte) herrscht, sei auch im US-Kongress vorhanden. Trotzdem würden die Versöhnungsbemühungen im Kongress unterstützt, weil sich dort die Einsicht durchgesetzt habe, dass eine rein militärische Lösung nicht möglich sei.

Hinsichtlich der Bonner Konferenz am 5. Dezember 2011 gibt es hohe Erwartungen. Man strebe keine weiteren Geberkonferenzen an. Der regionale Ansatz gewinne zunehmend an Bedeutung („Seidenstraßenprozess“). Das Ziel sei ein friedliches, stabiles und sicheres Afghanistan in einer friedlichen, stabilen und sicheren Region. Aus diesem Grund würden alle (direkten und indirekten) Nachbarstaaten bereits im Vorfeld auf einer Konferenz in Istanbul am 2.und 3. November 2011 in den Prozess mit einbezogen. Man hoffe, dass Indien an der Istanbul-Konferenz teilnehmen werde, da diese ohne die Beteiligung Indiens wenig Sinn mache. Der Indien-Pakistan-Konflikt sei weiterhin eines der größten Hindernisse für die Versöhnungsbemühungen in Afghanistan. Verbessere sich das Verhältnis Pakistans zu Indien, habe Pakistan mehr Spielraum, um in Afghanistan eine konstruktive Rolle im Friedensprozess zu spielen.

Für das Engagement in Afghanistan nach 2014 scheint es noch keinen konkreten Fahrplan zu geben, die wirtschaftliche Entwicklung müsse aber ins Zentrum des Interesses gerückt werden. So müssten die eingesparten Gelder aus dem militärischen Abzug in eine „ökonomische Vision“ investiert werden.

Nahost-Friedensprozess – Anerkennung eines Staates Palästina

Zum Nahost-Friedensprozess und insbesondere dem Versuch der palästinensischen Seite, im September einen Antrag auf Vollmitgliedschaft bei den VN bzw. auf Anerkennung eines eigenständigen Staates Palästina im Sicherheitsrat (SR) bzw. der Generalversammlung (GV) zu stellen, gab es unterschiedliche, teils widersprüchliche Einschätzungen. Derzeit ist von drei Optionen die Rede:

  1. Die palästinensische Regierung stellt einen Antrag auf Mitgliedschaft bei den VN im Sicherheitsrat. Dieser gibt dann seine Empfehlung an die GV ab, wobei alle Veto-Mächte zustimmen müssen. Vor allem wegen der ablehnenden Haltung der USA wird diese Option als nicht realistisch angesehen.
  2. Die palästinensische Seite versucht den direkten Gang in die GV mit dem Ziel, eine Resolution zu erwirken, die
    Palästina als eigenständigen Staat anerkennt, und kombiniert dies ggf. mit dem Antrag, Palästina als Beobachterstaat (wie Vatikan) bei den VN aufzunehmen.
  3. Es wird eine substanzielle Resolution im SR verabschiedet, die Parameter einer künftigen Friedenslösung festlegt.

Derzeit ist noch nicht klar, welchen Weg die palästinensische Regierung gehen wird. Von US-Seite wurde eine deutliche ablehnende Haltung gegenüber einer palästinensischen Initiative deutlich; ein solches Vorhaben sei provokant, kontraproduktiv, werde spalten und Obama in Wahlkampfzeiten in eine schwierige Lage bringen.

Berater von Präsident Obama sprachen von einer „glaubhaften Alternative“, die den Verhandlungspartnern angeboten werden müsse. Ziel müsse sein, die Obama-Rede in ein operatives Format zu bringen, um eine Dynamik für Verhandlungen zu erzeugen.

Bei Gesprächen mit Vertretern des Sicherheitsrates und der Generalversammlung der VN kamen unterschiedliche Einschätzungen zu Tage. Einige waren der Ansicht, dass es nur über die Rückkehr an den Verhandlungstisch einen Weg zum palästinensischen Staat geben könne. Auch der Süd-Sudan sei durch Verhandlungen zum Staat geworden. Eine palästinensische Initiative sei kontraproduktiv. Außerdem sei der SR kein Ort für Endstatusverhandlungen. Sollte die Generalversammlung der Anerkennung eines palästinensischen Staates in den Grenzen von 1967 zustimmen, sei dies kontraproduktiv und schädlich für die weiteren Friedensverhandlungen. Dies würde die Gewalt nur fördern und die Beziehungen zu den VN verhärten. Die Verhandlungen müssten wiederaufgenommen werden ohne jegliche Form von Vorbedingungen.

Andere hingegen waren der Meinung, dass es richtig sei, dass die palästinensische Seite etwas unternehme, da nur gleichberechtigte Partner zielführend verhandeln könnten. Süd-Sudan sei trotz vieler ungelöster Konflikte ein Staat geworden. Wenn man dort zu viele Bedingungen gestellt hätte, wäre Süd-Sudan in die gleiche Situation geraten wie Palästina. Da der SR bei der Entscheidung auf Vollmitgliedschaft nicht umgangen werden könne, bliebe der palästinensischen Regierung die Möglichkeit, in der GV einen Antrag auf Status eines Beobachterstaates zu stellen. In einem solchen Resolutionsantrag könnte eine Empfehlung an den SR enthalten sein, Palästina als Mitgliedstaat aufzunehmen.

Europäische Vertreter befürchteten, dass es zu einer Spaltung im EU-Lager kommen könnte. Die beste Idee sei, im SR eine Parameterresolution einzubringen. In der GV drohe die EU, die zu einer gemeinsamen Nahostpolitik nicht fähig sei, allerdings auseinanderzufallen.

Von Vertretern der israelischen Seite Botschaft wird eine palästinensische Initiative im September als kontraproduktiv bewertet, da sie nur zu steigenden Erwartungen des eigenen Volkes und zu einem Ansteigen der Gewalt führen werde. Der einzige Lösungsweg für Israel seien Verhandlungen. Die Sicherheit Israels sei zentrales Thema. Sie bemängelten, dass die EU nur gegenüber Israel eindeutige Forderungen stelle (Jerusalemfrage, Grenzziehung), den Palästinensern aber nicht erkläre, dass das Recht auf Rückkehr ein „Traum“ sei.

Mitglieder der palästinensischen Mission bei den VN erläuterten die Schwierigkeiten der Palästinenser, die Bedingung einer Anerkennung Israels als „jüdischen Staat“ zu akzeptieren. Man vermute dahinter die Vorbereitung darauf, den Palästinensern das Recht auf Rückkehr ganz abzuerkennen.

Nordafrika/Naher Osten

Libyen:
Nach Einschätzungen der US-Administration zeige der Druck auf Gaddafi Wirkung und dessen Machtapparat weise Risse auf. Die Umgebung Gaddafis suche mehr und mehr Kontakte mit internationalen Akteuren. Die Stabilisierung Libyens nach dem Abgang Gaddafis werde eine gewaltige Herausforderung sein. Die EU müsse hier eine ganz zentrale Aufgabe wahrnehmen.

Vertreter des Department for Peacekeeping Operations (DPKO) der VN erklärten hinsichtlich der Postkonflikt-Planungen in Libyen, dass bereits vereinbart worden sei, dass die VN die
Stabilisierungsplanung übernähmen und sich eine Planungsgruppe der VN um Vorkehrungen zur späteren Friedenssicherung bemühen würde. Im Falle eines Konfliktendes würden die VN umgehend die militärische Beobachtermission übernehmen, aber sie könnten frühestens nach drei Monaten eine Schutztruppe entsenden. Im Falle eines Abkommens und militärischen Rückzugs Gaddafis sei vor allem der Bedarf an Überwachungskräften hoch. Falls es kein Abkommen gebe und eine Seite obsiege, sei hingegen der Bedarf an Schutztruppen höher, ca. 1.500 Mann würden benötigt. Die Erwartungen an eine deutsche Beteiligung an einer Beobachtertruppe seien groß.

Syrien:
Die US-Seite drückte die Hoffnung aus, dass Assad doch noch weichen könne, um sich zu retten. Bei der US-Administration, aber auch auf Seiten der VN besteht wenig Hoffnung auf eine VN-Resolution zu Syrien, auch aufgrund der Erfahrungen in Libyen und wegen der Oppositionshaltung Russlands und Chinas.

UN-Friedensmissionen
Vertreter des Department of Peacekeeping Operations der VN bedauerten, dass die EU in Afrika „politisch abwesend“ sei. Die EU-Präsenz in Afrika sei rein wirtschaftlich orientiert. Schon vor langer Zeit hätten sie gegenüber der EU auf die Notwendigkeit eines stabilen Sudan für die Stabilität Ostafrikas hingewiesen, seitens der EU habe aber kein Interesse bestanden. DPKO hingegen sei sehr engagiert auf dem Kontinent.

Sie führten aus, dass sich ein deutscher Beitrag zu VN-Truppen von Soldaten über Drohnen bis hin zu Helikoptern erstrecken könnte. Auch steige der Bedarf an Polizeikräften immer weiter an. Auch hier wünsche man sich einen essenziellen Beitrag Deutschlands. Darüber hinaus machten sie anhand etlicher Beispiele für Militäroperationen und Missionen (Artemis, EUFOR, Sierra Leone, Elfenbeinküste, Haiti) die Notwendigkeit von Schnelleinsatztruppen deutlich, deren Mandat begrenzt sei. Sie bedauerten, dass EU-Battlegroups ihrer Auffassung nach nur ein Papiertiger seien und forderten Deutschland dazu auf, an der Definition der Battlegroups näher mitzuwirken.

US-Innenpolitik
Die aktuelle US-Schuldenkrise war prominentes Thema in nahezu allen Gesprächen. Gespräche im Kongress und mit Think Tank-Experten machten die Unversöhnlichkeit der Positionen zur Erhöhung der Schuldenobergrenze deutlich. Die Mehrheit der Gesprächspartner ging allerdings von einer Einigung in letzter Minute aus. Allerdings bestünde die Gefahr einer Abstufung der Kreditwürdigkeit der USA und einer zweiten Rezession.

Bezüglich des Präsidentschaftswahlkampfes teilten viele Gesprächspartner die Einschätzung, dass Obama nicht zuletzt auch aufgrund seiner großen organisatorischen Kampagnenfähigkeit und der Schwäche des republikanischen Kandidatenfelds als Favorit in die Wahlen 2012 gehen werde. Bei den Republikanern zeichne sich zudem kein eindeutiger Kandidat ab. Allerdings sei klar, dass Obama aufgrund der negativen wirtschaftlichen Entwicklung angreifbar sei.

Zum Thema Klimapolitik fand ein Austausch mit der Alliance for Climate Protection (Organisation von Al Gore, an diesem Tag umbenannt in Climate Reality Project) statt. Die Frustration sei derzeit sehr hoch, weil in der Bevölkerung wenig Bewusstsein für den Klimawandel herrsche. 20%-30% der Anhänger der Demokraten und sogar 60%-70% der Anhänger der Republikaner würden bestreiten, dass der Klimawandel Wirklichkeit sei. Al Gore kündigte an dem Tag eine erste große Aktion für Mitte September an, mit der er die Klimawissenschaft und die Gefahren des Klimawandels ins Zentrum der Aufmerksamkeit bringen will.

Transatlantische Beziehungen
Großes Interesse bestand seitens der US-Gesprächspartner an der deutschen Energiewende, insbesondere an der Frage, wie Deutschland die Energiewende schaffen will, ohne Versorgungslücken zu haben und gleichzeitig wirtschaftlich weiter erfolgreich zu sein. Auch an der ökonomischen Perspektive der Energiewende und der zu schaffenden Arbeitsplätze bestand großes Interesse.

Zur EU-Schuldenkrise
zogen die US-Gesprächspartner Parallelen zwischen dem Euro-Raum und der Schuldenkrise in den USA. Nicht nur Austeritätspolitik, sondern auch Investitionen im Sinne eines Green New Deal seien notwendig.

Mit Blick auf die europäische Außenpolitik forderten die US-Gesprächspartner mehr weltpolitisches Engagement der EU und vor allem mehr europäische außenpolitische Kohärenz. Andernfalls werde Europa für die USA als Partner irrelevant.

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