Abwarten heißt nicht führen – Eurokrise überwinden – Zukunft gestalten

Sehr geehrte Herr Hundt,

Meine Damen und Herren,

1 Stillstand

Mancher von Ihnen dürfte den Antritt der Koalition aus CDU, CSU und FDP vor drei Jahren wohlwollend begleitet haben. Manches in der Koalitionsvereinbarung der „Traumkoalition“ der Bundeskanzlerin dürfte von Ihnen gewünscht worden sein.

Wenn Sie zu denjenigen gehören, müssen Sie heute zwar noch nicht zum Anhänger von uns Grünen werden. Aber auch als aufrechter Konservativer, als klarer Wirtschaftsliberaler müssen Sie drei Jahre später enttäuscht sein.

Gemessen an der Koalitionsvereinbarung prägt die Arbeit der Koalition der letzten drei Jahre Stillstand. Ja, in manchen Bereichen ist die 180-Grad-Wende zum Markenzeichen der zweiten Kanzlerschaft von Frau Dr. Merkel geworden.

Stillstand beim Subventionsabbau, Stillstand bei der Reform der Mehrwertsteuer – außer bei der Mövenpick-Befreiung. Stillstand bei wie den Unternehmenssteuern.

Nun möchte ich hier nicht Trauer darüber heucheln, dass es der Regierung nicht gelungen ist, ihre Agenda umzusetzen. Dafür haben wir einiges getan. Und wir werden das fortsetzen.

So halten wir es für falsch, Milliarden dafür aus dem Fenster zu werfen, dass Frauen zu Hause bleiben. Gutqualifizierte Frauen werden von Ihnen, von den Deutschen Arbeitgebern, händeringend gesucht. Das Betreuungsgeld aber verstärkt den Fachkräftemangel genauso wie eine auf Abwehr und Abschreckung ausgerichtete Einwanderungspolitik.

Ich will auch meine Freude nicht verhehlen, dass wir die Koalition vielfach genötigt haben, das Gegenteil von dem zu tun, was sie versprochen hat:

bei der Abschaffung der Wehrpflicht,

beim Ausbau der Kinderbetreuung unter Drei Jahren,

beim Atomausstieg.

Aus dem Scheitern der eigenen politischen Vorstellungen aber nun wie die Koalition den Schluss zu ziehen, bis zum nächsten Herbst lieber gar nichts mehr zu tun, dieser Schluss ist falsch. Denn Deutschland, Europa und die Weltwirtschaft stehen vor gewaltigen Herausforderungen.

Wir sind eine sehr erfolgreiche, stark exportorientierte Volkswirtschaft. Es kann uns nicht gleichgültig sein, wenn auf unseren Hauptmärkten – sei es in den Schwellenländern wie China, Indien oder Brasilien, sei es in den USA – die Krise des Euro und das Nichthandeln der Bundesregierung als die Bedrohung Nummer Eins für die Weltwirtschaft wahrgenommen wird.

Es muss uns besorgen, wenn beim Treffen der G20 die Kanzlerin ebenso isoliert ist wie der deutsche Finanzminister bei der IWF-Tagung in Japan. Es ist offenbar nicht nur Herr Weidmann der vom Rest Europas überstimmt wird.

Das ist in der aktuellen Lage dramatisch:

Die Konjunktur – nicht nur, aber vor allem – in Europa schwächelt.

Die meisten Gesellschaften – nicht nur die Staaten – sind dramatisch überschuldet.

Die Ursachen der Bankenkrise von 2008 sind bis heute nicht beseitigt.

Die strukturellen Ungleichgewichte – zu große Defizite und zu große Überschüsse in der Eurozone sind nicht angegangen.

Wenn es eine Inflationsgefahr gibt, so geht diese von den kontinuierlich steigenden Preisen für den Import fossiler Energien aus

– und die Bundesregierung beschließt bis zum Wahltag das Regieren einzustellen.

Das kann sich Deutschland nicht leisten.

Wir können es uns auch nicht leisten, den Stillstand mit inszenierten Streit innerhalb der Koalition zu übertünchen.

Ich kann Sie beruhigen – weder beim Mindestlohn noch bei
der Frauenquote – wird die Koalition zu irgendwelchen Entscheidungen kommen. Es wird Sie aber beunruhigen, dass die Koalition auch deshalb nicht wiedergewählt wird.

Es ist wahr: Deutschland ist es wirtschaftlich in den letzten Jahren gut ergangen, das Land ist gut aus der Krise herausgekommen und es gibt viele starke Unternehmen hier.

Aber die Situation, von der wir in den letzten Jahren profitiert haben, wird nicht lange anhalten, wenn wir nicht auf nationaler und internationaler Ebene fundamentale Schritte gehen.

Die letzte Bundesregierung allerdings, die Reformen durchgeführt hat, deren Horizont weiter als bis zur nächsten Pressekonferenz reichte, war eine Rot-Grüne. Dieser Bundesregierung verdanken wir:

gesellschaftspolitische Reformen, die das Land der Welt geöffnet haben,

wirtschaftspolitische Reformen, die spätere Aufschwünge ermöglicht haben und

energiepolitische Reformen, die weit in die Zukunft weisen und einen Prozess angestoßen haben, der zum Vorbild in der Welt geworden ist.

Wenn wir in Deutschland auch in 20 oder 50 Jahren noch in Wohlstand und Frieden leben, wenn wir die Fähigkeiten und Tugenden der Unternehmen und Beschäftigten in diesem Land vorteilhaft einsetzen wollen, brauchen wir heute Reformen.

Wir brauchen einen Wandel, um dieses Land strukturell auf die Zukunft vorzubereiten.

2 Herzstück Energiewende

Über einen wird zur Zeit erbittert gestritten. Über die Energiewende.

In diesem Fall wird ernsthaft gestritten, nicht inszeniert. Im Kern sind sich Herr Rösler und Herr Altmaier zwar einig: Sie wollen den Ausbau Erneuerbarer Energien in Deutschland bremsen. Über die Mittel streiten sie aber heftig.

Philipp Rösler will wieder zurück zur Planwirtschaft in der Stromerzeugung und plädiert für das englische Quotenmodell. Das ist teuer und ineffizient. Dort kostet die Kilowattstunde Windstrom 13 Cent, bei uns kostet sie nicht einmal 7 Cent. Aber genau diese Verteuerung will Herr Rösler – denn nur so kriegt er den Strom aus den Kohlekraftwerken von RWE, E.on und Co. wieder ins Netz.

Peter Altmeier ist der erste Umweltminister, dem der Ausbau der Erneuerbaren zu schnell geht. Er will auch Planwirtschaft und Quote – er will den Wind an Land mit Quoten bremsen. Mehr als 40 % erneuerbarer Strom soll es nicht werden. Das hilft nicht dem Off-Shore-Wind, aber eröffnet neue Auslastungschancen für Kohlekraftwerke, die schon heute, bei einem Anteil von 25 % erneuerbaren Stroms, nicht kostendeckend ausgelastet sind.

Wir haben es mit einer bizarren Verdrehung der Diskussion zu tun. Früher behaupteten CDU und FDP, dass bei uns die Lichter ausgehen würden – jetzt sorgen sie sich um zu viel Strom.

Trotz mehrerer beispielloser Kampagnen der Energieunternehmen, von der „Atomkraft als Klimaretterin“ bis hin zur Dämonisierung der Erneuerbaren als „Strompreistreiber für die Armen“, es bleibt dabei: Deutschland will auf saubere Energie umstellen. Leider stehen dem eine immer noch mächtige Lobby und eine immer noch planlose und opportunistische Bundesregierung im Wege.

Mit der Energiewende machen wir unser Land zu einem Beispiel für die ganze Welt. Wir können beweisen, dass ein Industrieland wie Deutschland sich ohne die umweltfeindlichen Energieformen Kohle und Atom sauber mit Energie versorgen kann. Anstatt sich dieser kraftvollen Vision immer wieder entgegenzustellen, sollten sich die Lobbys endlich darauf einstellen und mitziehen. So, wie es so viele Bürgerinnen und Bürger und so viele kleine und mittelständische Unternehmen schon lange tun.

Denn die Energiewende ist gut für Wirtschaft – und Wachstum.

Aktuell arbeiten über 350.000 Menschen in der Branche der Erneuerbaren, die Arbeitslosigkeit im einst armen Ostfriesland ist heute unterdurchschnittlich, die Windbranche fragt reichlich Stahl nach. Und schon ganz aktuell profitiert die deutsche Wirtschaft vom Boom der
Erneuerbaren.

Denn der Investitionsboom in Erneuerbare Energien hat das Angebot von Strom vergrößert. Deshalb sinken seit zwei Jahren an der Leipziger Strombörse die Preise am Spotmarkt wie für Termingeschäfte.

Das begünstigt besonders die deutsche Industrie. Nach den Zahlen von Eurostat stiegen bis 2009 die Strompreise für industrielle Endverbraucher. 2010, 2011 und 2012 sind die Endverbraucherpreise für die Industrie in Deutschland gesunken.

Allerdings sind die sinkenden Erzeugerpreise nicht bei allen angekommen. Private Haushalte zahlen mehr, ebenso wie Klein- und Mittelbetriebe und Handwerker.

Das hat etwas mit Markmanipulation zu tun – etwa der künstlichen Vermehrung energieintensiver Betriebe. Waren es bei Rot-Grün noch 600 Aluhütten und Stahlschmelzen, werden es 2013 über 2000 Großbetriebe sein, darunter Hähnchenschlachthöfe, Futtermittelbetriebe und Bankrechenzentren. Alles unter Mithilfe der FDP.

Die Verwandlung eines Gesetzes zur Förderung Erneuerbarer Energien in eine Subventionsmaschine für Banken und Agrarindustrie kostet alleine über 4 Mrd. €.

Der Verzicht auf dieses Klientelgeschenk allein hätte verhindert, dass die EEG-Umlage auf über 5 Cent steigt.

Und – es sind nicht nur Verbraucher die dieses Geschenk zu bezahlen haben – auch gut die Hälfte der Industriestromkunden in Deutschland, insbesondere in Klein- und Mittelbetrieben, werden zugunsten von Stromgroßverbrauchern und –verschwendern abgezockt.

Diese Milliarden sind keine Investitionen in die Zukunft, es sind einfach Subventionen, die wir abschaffen müssen – im Interesse der benachteiligten Mehrheit der deutschen Unternehmen.

Langfristiges Denken sollte für eine Bundesregierung nicht zu viel verlangt sein und es wäre natürlich noch ein einem anderen Feld gefordert.

Denn ist es mit dem Ausbau Erneuerbaren Stroms nicht getan.

Wir müssen auf Effizienz und Einsparung setzen.

Wir müssen in allen Branchen und Sektoren die Energie- und Ressourceneffizienz dramatisch steigern.

Denn nur dann können wir es schaffen, wirtschaftliches Wachstum von den Emissionen und dem Ressourcenverbrauch zu entkoppeln. Auch dazu bräuchte es klare politische Vorgaben.

Aufgrund der Untätigkeit der Bundesregierung wird Deutschland das EU-Effizienzziel von 20% weit verfehlen. Bei den Beratungen auf EU Ebene zur neuen Energieeffizienz Richtlinie hat die Bundesregierung sich entweder gar nicht beteiligt, da sie zerstritten ist oder sie hat gebremst.

Hier liegt ein riesiges Arbeitskräftepotential von bis 500 000 Arbeitsplätzen.

Aus dem grünen Energiesparfonds, den wir vorschlagen könnte ein Bündel von Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz sowohl in privaten Haushalten als auch in Unternehmen finanziert werden.

Außerdem bräuchten wir eine Erhöhung des europäischen Klimaziels auf minus 30 Prozent. Der Preis der Emissionszertifikate würde sich stabilisieren und der Emissionshandel könnte seine Anreizfunktion für Investitionen in Klimaschutz, in Energieeffizienz wieder erfüllen.

3 Schuldenkrise bekämpfen

Die Bundesregierung versäumt es nicht nur in der Energiepolitik, die nötigen langfristig orientierten strukturellen Reformen anzugehen.

Die Krise des Euro ist keine Währungskrise. Sie ist eine politische Krise. Sie ist Folge der Schwäche, ja des Fehlens gemeinsamer Institutionen in einer Zone gemeinsamer Währung.

Wenn die Eurokrise bloß eine Staatsschuldenkrise wäre, wäre sie keine mehr. Die Staatsschuldenkrise ist nicht Ursache, sie ist Folge tieferer Krisen

Europa und die Weltwirtschaft leiden noch immer unter den Folgen der Finanz- und Bankenkrise von 2008.

In der Eurozone haben sich zu große strukturelle Unterschiede herausgebildet – verursacht durch eine gegensätzliche Abkoppelung der Löhne von der Produktivität sowohl in den Defizit- wie den Überschussländern. Die Wettbewerbsschwäche des einen, ist
die Nachfrageschwäche des anderen.

Diesen Krisen kommt man nicht mit bloßem Sparen bei.

Die Staatsverschuldung explodierte nach jahrelang sinkenden Raten ab 2008, als fast alle Staaten Bankschulden verstaatlichten.

Durch die Übernahme von Bankschulden,

durch die Notwendigkeit von Konjunkturpaketen und stabilisierenden, staatlich finanzierten Maßnahmen wie dem Kurzarbeitergeld,

durch den wirtschaftlichen Abwärtstrend der darauf folgenden Jahre,

schossen die Staatsschulden in die Höhe – auch in Deutschland.

Die wichtigste Lehre aus dieser Krise müsste es also sein, Prävention zu betreiben. Der Finanzsektor muss umfassend reguliert werden, so dass es nie wieder zu derartigen Auswirkungen kommen kann.

Doch fast nichts davon ist passiert.

Wir brauchen endlich eine europäische Bankenaufsicht mit Durchgriffsrecht auf die nationale Ebene. Die Bundesregerung sollte das unterstützen und nicht bei jeder Gelegenheit bremsen.

Wir brauchen einen europäischen Bankenrestrukturierungsfonds, der von den Banken selbst finanziert wird, damit Banken nicht mehr vom Steuerzahler gerettet werden muss.

Bankanleihen sollten bei Unterschreitung eines gewissen Kapitallevels in Eigenkapital umgewandelt werden können, so dass Gläubiger zu Eigentümern werden, Insolvenzen vermieden werden und im Krisenfall Gläubiger statt Steuerzahler einstehen.

Wir brauchen außerdem eine Schuldenbremse für Banken, ein verbindliches Mindestverhältnis des Eigenkapitals zum Gesamtgeschäft (einschließlich ausgelagerter Zweckgesellschaften), eine Leverage Ratio von mindestens 3%, die auf bis zu 5% steigen kann. Und zwar risikoungewichtet, damit Banken nicht weiterhin ihre Zahlen schönrechnen können.

Wir brauchen außerdem eine Größenbremse für Banken, durch Kapitalzuschläge bei steigender Institutsgröße um die Entstehung von „Too-Big-To-Fail“-Banken unattraktiv zu machen.

Um Kapitalflucht aus schwachen Einlagensicherungssystemen zu verhindern sollten wir eine europäische Einlagensicherung für grenzüberschreitend tätige Banken haben, in die Banken gemäß ihres Risikos einzahlen müssen.

Und schließlich, auch wenn die Deutsche Bank aufheult:

Wir brauchen eine Trennung von Investment- und Kreditgeschäft, um nicht systemrelevante Teile in die Insolvenz entlassen zu können und nicht mehr über eine implizite Staatsgarantie unterstützen zu müssen.

Wir leiden unter den Folgen einer fehlgesteuerten Finanzwirtschaft. Und wir brauchen eine funktionsfähige und leistungsfähige Finanzwirtschaft, die ihre Aufgabe für die Realwirtschaft wieder erfüllt, die Unternehmen mit Krediten für sinnvolle Investitionen versorgt und nicht auf Rohstoffe und faule Immobilienkredite wettet.

Die Bundesregierung ist nicht nur untätig, sondern bremst sogar die Europäische Kommission in ihren Initiativen immer wieder aus. Vier Jahre nach Ausbruch der Finanzkrise ist hier fast nichts geschehen.

Warten wir noch lange, kommt die nächste Finanzblase und auch die platzt bestimmt. Die Folge:

Öffentliche Schulden steigen – damit privates Vermögen gesichert wird. Das können wir uns nicht mehr leisten

Herbert Wehner hat mal gesagt, einen armen Staat können sich nur Reiche leisten. Seit 2008 wissen wir: Auch Reiche sind auf einen handlungsfähigen Staat angewiesen.

Doch das gilt auch aus anderen Gründen:

Gerade die deutsche Wirtschaft braucht eine erstklassige Infrastruktur, eine gut ausgebildete Bevölkerung, ein hohes Niveau öffentlicher Güter, eine soziale Balance und eine intakte Umwelt. Doch die öffentliche Hand ist seit Jahren strukturell unterfinanziert.

Sicher glaubt so mancher hier im Raum, das sei gar nicht der Fall, in Wirklichkeit sprudeln doch die Steuerquellen und das Problem liege nur bei der verschwenderischen Politik. Nun wir können hier gerne darüber diskutieren, wie man 50 Mrd. ökologisch
schädliche Subventionen vermindert, wie man die Bevorzugung von Kapitaleinkommen gegenüber Unternehmenseinkommen mindert oder den Mehrwertsteuerdschungel lichtet.

Am Ende aber bleibt eine Feststellung:

das Niveau öffentlich finanzierter Güter, dass wir alle uns wünschen und das wir aus volkswirtschaftlichen Gründen brauchen, dieses Niveau erreichen wir bei der jetzigen Einnahmesituation nicht, auch nicht bei sprudelnden Steuerquellen.

Zu diesem Grundproblem kommen nun die Kosten der Finanzkrise hinzu. Unter der Bundeskanzlerin Merkel ist die Staatsverschuldung um rund 500 Milliarden gestiegen auf mittlerweile über 2 Billionen Euro.

Wir leben in einem der reichsten Länder der Welt, einer der erfolgreichsten Volkswirtschaften der Welt und doch müssen wir zur Finanzierung unserer Schulen und Kindergärten, unserer Polizisten und Lehrer, unserer Rentner und sozial Schwachen, zur Stützung unserer Banken und zur Investition in unsere Infrastruktur dauerhaft Kredite in immer größerem Umfang aufnehmen. 12 % des Bundeshaushaltes, jährlich 36 Mrd. € gehen für den Schuldendienst drauf – in Zeiten historisch niedriger Zinsen.

Währenddessen wächst der private Reichtum in diesem Land in einem nie dagewesenen Ausmaß.

In den letzten zwanzig Jahren hat sich das Nettovermögen der privaten Haushalte von rund 4.600 Mrd. auf rund 10.000 Mrd. Euro mehr als verdoppelt. Allein in den letzten 5 Jahren hat es sich noch einmal um rund 1.400 Mrd. Euro erhöht.

Den reichsten 10% der Bevölkerung gehört davon weit über die Hälfte und dieser Anteil wächst weiter. Der Statistik, die diesen Zahlen der Bundesregierung zugrunde liegt erfasst übrigens das Vermögen der Allerreichsten im Lande nur unzureichend. Andere Statistiken, etwa des DIW, gehen davon aus, dass die oberen 10% sogar rund zwei Drittel des gesamten privaten Vermögens besitzen.

Meine Damen und Herren, nie dagewesener privater Wohlstand der Oberschicht bei öffentlicher Rekordverschuldung, diese Entwicklung ist nicht nachhaltig.

Meine Partei schlägt hier einige maßvolle und angesichts der Wohlstandsentwicklung leicht zu schulternde Maßnahmen vor. Wir wollen den Spitzensteuersatz auf 49% erhöhen, das Aufkommen aus der Erbschaftssteuer verdoppeln, und eine zweckgebundene Vermögensabgabe zum Abbau der Schulden aus der Finanzkrise einführen.

Die grüne Vermögensabgabe zielt dabei auf Nettovermögen über einer Million Euro, betrifft weniger als 1 Prozent der Bevölkerung, und wird zur Tilgung der Kosten der Finanzkrise verwendet. Würde man sie zehn Jahre lang bei einem jährlichen Abgabesatz von 1,5 % erheben, könnte man auf über 100 Milliarden Euro Einnahmen kommen.

Unternehmen sind nicht abgabepflichtig, für Betriebsvermögen gibt es einen Freibetrag von Fünf Millionen Euro.

4 Ungleichgewichte in Europa

Wir müssen die Binnennachfrage in Deutschland auch noch aus einem anderen Grund stärken.

Denn die zweite Kern-Ursache der Eurokrise, neben der Bankenkrise, liegt in den wirtschaftlichen Ungleichgewichten innerhalb der Eurozone. Die Krisenländer haben jahrelang Handelsbilanzdefizite angehäuft und sind daher in die private wie staatliche Verschuldung gerutscht.

Es ist mittlerweile zum Allgemeinplatz geworden: eine Währungsunion ohne Wirtschaftsunion lässt sich langfristig nicht machen.

Wir Grüne fordern schon seit langem eine stärkere wirtschaftspolitische Koordinierung in Europa und insbesondere in der Eurozone. Das heißt auch eine stärkere Verzahnung der Lohn-, Steuer-und Sozialpolitik, durch die wir dauerhaften Ungleichgewichten vorbeugen können.

Eine national orientierte Standortpolitik, die sich durch Standardabsenkung Wettbewerbsvorteile gegenüber anderen europäischen Staaten verschafft, darf es nicht mehr geben. Und auch jahrelange Exportüberschüsse kann es nicht mehr geben, dauerhafte Exportüberschüsse für Deutschland innerhalb der Eurozone – nicht gegenüber den USA oder China – im bisherigen Ausmaß
sind ganz einfach nicht nachhaltig.

Das bedeutet nicht, dass wir nun die starken deutschen Unternehmen schwächen wollen, aber es bedeutet zweierlei:

Wir müssen stärker in die schwächeren Regionen Europas investieren, um dort wettbewerbsfähige Wirtschaftszweige aufzubauen. Und wir müssen dafür sorgen dass Deutschland mehr Güter und Dienstleistungen aus den Defizitländern aufnehmen kann.

Daran haben auch die deutschen Unternehmen ein Interesse, denn auf Dauer ist ein auf Pump finanzierter Export nicht nachhaltig.

Deshalb, meine Damen und Herren, auch wenn es in diesem Raum jetzt unbequem wird:

Wir müssen auch gewisse Entwicklungen in der Lohn- und Arbeitsmarktpolitik korrigieren.

Ja, Herr Dr. Hundt, es stimmt, wir haben Rekordbeschäftigung in Deutschland, aber zu welchen Konditionen?

Bereits im Jahr 2008 arbeiteten mehr als 6,5 Millionen Menschen im Niedriglohnsektor, mehr als 5 Millionen davon für unter 8 Euro brutto die Stunde, mehr als 1,2 Millionen für unter 5 Euro.

Nach Zahlen des Statistischen Bundesamtes arbeiteten 2010 bereits 20,6 % der Beschäftigten für einen Niedriglohn. Und das Lohnspektrum franst weiter nach unten aus. Drei Viertel der Beschäftigten im Niedriglohnsektor werden von einem Flickenteppich aus wenigen gesetzlichen Branchenlösungen zum Lohn nicht erreicht.

Wir brauchen in Deutschland endlich einen gesetzlichen Mindestlohn mit einer generellen Lohnuntergrenze von 8, 50 Euro und einer Mindestlohn-Kommission nach britischem Vorbild, die branchen- und regionalspezifisch höhere Mindestlöhne festsetzen kann.

Armut trotz Arbeit ist inakzeptabel. Arbeit muss sich finanziell lohnen und dafür muss der Arbeitgeber sorgen, nicht der Steuerzahler.

Der Anstieg des Niedriglohnbereiches geht einher mit der Zunahme atypischer Beschäftigung.

2010 war bereits einer von vier Beschäftigten atypisch beschäftigt, also in Teilzeit, Befristung, Zeitarbeit oder Minijob. Nun ist das nicht immer unerwünscht. Aber oft genug ist es das eben doch.

Wir haben unter Rot-Grün mehr Flexibilisierung des Arbeitsmarktes durchgesetzt, weil es richtig war und wichtig ist, Unternehmen in bestimmten Zeiten flexible Beschäftigung zu ermöglichen. Doch das Ausmaß in dem diese Instrumente heute missbraucht werden, ist weit über das Ziel hinausgeschossen.

Wir müssen vor allem die Mini-Jobs begrenzen und die Leiharbeit auf ein sinnvolles Maß zurückführen. Leiharbeit soll zur flexiblen Abfederung von Auftragsspitzen und personellen Engpässen eingesetzt werden.

Wir fordern vor allem, dass LeiharbeitnehmerInnen vom ersten Tag an die gleiche Entlohnung wie Stammbelegschaften erhalten (plus Flexibilitätsprämie von 10%) und dass der Anteil von Leiharbeit in Betrieben ab 200 Beschäftigten auf 10 % begrenzt wird.

Wir brauchen solche Maßnahmen, um die ungleichgewichtige Entwicklung unserer Gesellschaft zu korrigieren und um die Binnennachfrage in unserem Land zu stärken.

Eine bessere Verteilung des Wohlstandes in diesem Land ist auch ökonomisch sinnvoll.

In den Jahren vor der Finanzkrise haben wir eine ähnliche Entwicklung in vielen westlichen Ländern erlebt. Viele Arbeitnehmerhaushalte konnten kaum Schritt halten, verschuldeten sich immer weiter, während kleine Oberschichten immensen Reichtum anhäuften und diesen immer riskanter anlegten.

Es entstand ein aufgeblasener Finanzmarkt bei gleichzeitig schwächelnden Binnenkonjunkturen. Das Resultat heißt Finanzkrise.

Wir müssen diese Entwicklung korrigieren.

Wir brauchen in diesem Land wieder eine gleichmäßigere Teilhabe der Gesellschaft an der Wertschöpfung unserer Wirtschaft.

Da hat der Vermögensaufbau für erfolgreiche Unternehmer weiterhin Platz. Doch die Exzesse der letzten Jahrzehnte müssen aufhören. Denn nur dann haben wir auch eine gesunde Entwicklung der Binnennachfrage in diesem Land und ein gesundes Klima gesellschaftlichen Miteinanders. Etwas das dieses Land
jahrzehntelang geprägt hat, nicht zu seinem Nachteil.

5 Schluss

Die Bundestagswahl wird eine andere Regierung bringen. Ich weiß nicht, ob Sie sich gerne an die Große Koalition erinnern. Wir wollen sie verhindern.

Wir Grünen streiten für einen Politikwechsel – nicht nur für einen Regierungswechsel.

Wir stehen für einen Wandel zu Klima, Gerechtigkeit, Teilhabe.

Wir wollen, dass Deutschland wieder seiner Verantwortung in Europa gerecht wird. Dafür brauchen wir stärkere europäische Institutionen und eine gemeinsame europäische Wirtschafts- und Finanzpolitik.

In diesem Europa muss man sich den Ursachsen der Schuldenkrise stellen – durch eine europäische Bankenunion und durch den Abbau von Schulden – nicht nur die Begrenzung der Neuverschuldung.

Wir wollen, dass der Industriestandort Deutschland nachhaltig fit für die Zukunft wird. Dafür sind Fragen der Rohstoff- und Ressourceneffizienz Schlüsselfragen – und die Kraft zur Innovation anstelle des Festhaltens an überkommen Strukturen.

Dies alles wird nur gelingen in einer Gesellschaft in der Teilhabe für alle möglich ist – unabhängig von Alter Herkunft und Geschlecht.

Unter den Bedingungen der Globalisierung heißt das nicht nur die soziale Marktwirtschaft neu und ökologisch zu buchstabieren. Möglich wird dieses nur mit mehr Europa.

Dafür streiten wir. Ich danke Ihnen.

 

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