Der Grünen-Fraktionschef über Gorleben, Strompreise und seinen großen Irrtum
Berlin – Zur Energiewende gehört auch die Suche nach einem Atommüllendlager. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin fordert einen „wissenschaftlich fundierten und demokratisch legitimierten Auswahlprozess“ und wirft der Bundesregierung Untätigkeit vor. Daniel Wetzel und Claudia Ehrenstein sprachen mit Trittin über den strittigen Standort Gorleben, erneuerbare Energien und die steigenden Strompreise.
Berliner Morgenpost:
Herr Trittin, Sie hoffen wohl auf eine Esseneinladung von Peter Altmaier. Oder warum haben Sie ihn mit seinem Entwurf für ein Endlagersuchgesetz abblitzen lassen?
Jürgen Trittin:
Ich habe niemanden abblitzen lassen. Herr Altmaier hat monatelang auf unsere Kompromissvorschläge nicht reagiert und wertvolle Zeit verplempert. Was er jetzt vorgelegt hat, entspricht im Wesentlichen dem Verhandlungsstand von Februar. Da hat es in den vier Dissenspunkten kaum Bewegung gegeben. Nach wie vor ist offen, wie es mit Gorleben weitergeht. Ebenso strittig ist die Zahl der Standorte, die untertägig erkundet werden sollen. Ungeklärt sind die wissenschaftlichen Kriterien, nach denen die Suche erfolgen soll. Und schließlich es ist umstritten, welche Behörde die bundesweite Suche nach einem Atommüllendlager organisieren und überwachen soll. Dieser Entwurf ist keine Vorlage für eine abschließende Einigung über ein Endlagersuchgesetz.
Nun wird ja kolportiert, der Minister würde Probleme gern am heimischen Küchentisch lösen und seine Gäste bekochen. Klingt doch verlockend.
Die vier Dissenspunkte sollten zunächst in Arbeitsgesprächen zwischen Bund, Ländern und Fraktionen diskutiert und einer Klärung nähergebracht werden.
Sie vergeben die Chance für eine rasche Einigung. Wollen Sie damit der grünen Basis imponieren?
Der Entwurf ist fast deckungsgleich mit dem vom Juni, den wir und die Länder damals abgelehnt haben. Würde sich der Minister damit durchsetzen, müsste im schlimmsten Fall nicht einmal ein Alternativstandort zu Gorleben untersucht werden. Bürger und Kirche vor Ort könnten im Laufe des Verfahrens enteignet werden. Das ist ein Gorleben-Legalisierungsgesetz und kein Endlagerauswahlgesetz. Das ist weder mit den Grünen zu machen noch mit der SPD oder den Ländern.
Sie wollen von den Grünen-Mitgliedern zum Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl 2013 gewählt werden. Ein guter Grund, jetzt an sich zu denken?
Es ist der Bundesumweltminister, der sich in der Sache bisher nicht bewegt. Ich habe schon in Kenntnis meiner Kandidatur Kompromissvorschläge vorgelegt. Wir Grüne fordern einen wissenschaftlich fundierten und demokratisch legitimierten Auswahlprozess. Ein Verfahren, das auf eine Wiederholung der Asse-Erfahrung in Gorleben rausläuft, kann es nicht geben.
Es sieht ganz so aus, als wollten Sie Zeit gewinnen. Im Januar 2013 wird in Niedersachsen gewählt. Die Grünen wollen Gorleben als Standort für ein Endlager ausschließen. Eine Zwickmühle für Sie?
Das ist doppelt falsch. Die Grünen in Niedersachsen bekennen sich zum Verhandlungsprozess. Und: Vor der Sommerpause war vereinbart worden, die vier strittigen Fragen bis spätesten Ende September abzuräumen. Es waren nicht die Grünen, die untätig waren.
Fürchten Sie, Kompromissbereitschaft könnte Ihnen als Schwäche ausgelegt werden?
Dann hätte ich keine Kompromisse vorgelegt. Konsens geht nur mit Kompromiss und Endlager geht nur im Konsens.
Wo bleibt ein Gesamtkonzept der Grünen für die
Energiewende?
Das lässt sich in der Realität beobachten. Vom EEG bis zum Emissionshandel – wir wollen eine Energieversorgung zu 100 Prozent aus erneuerbaren Energien, bei Strom, Wärme, Mobilität. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen die erneuerbaren Energien ausgebaut, die Effizienz gesteigert und Energie eingespart werden. Dazu gehört aber der Abbau von ökologisch schädlichen Subventionen, angefangen beim Dienstwagenprivileg bis zu Vergünstigungen der chemischen Industrie bei der Mineralölsteuer. Doch Schwarz-Gelb versucht gerade, den Ausbau der erneuerbaren Energien auszubremsen, um die Marktchancen für unrentable Kohlekraftwerke zu erhalten.
Früher haben Sie gesagt, die Förderung der erneuerbaren Energien kostet die Verbraucher im Monat nicht mehr als eine Kugel Eis. Haben Sie die Kostenentwicklung beschönigt?
Ich habe immer darauf hingewiesen, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien zusätzliches Geld kosten wird. Es gab Berechnungen, dass die Verbraucher trotz des Abschmelzens der Vergütungssätze für den Ökostrom zunächst eine höhere EEG-Umlage zahlen müssen. Was ich aber nicht vorhersehen konnte und schon gar nicht wollte, war, dass das EEG von einem Gesetz zur Förderung erneuerbarer Energien zu einer Subventionsmaschine für Branchen werden würde, die dies nicht verdienen: beispielsweise für Schlachthöfe, Futtermittelbetriebe und Rechenzentren. Die Kosten für die Energiewende werden bei den Verbrauchern und etwa der Hälfte der Industriestrombezieher abgeladen – was den Strompreis jetzt um vier Milliarden in die Höhe treibt.
Die EEG-Umlage steigt, auch die Netzentgelte werden steigen. Sie haben den Verbrauchern nicht erklärt, wie Sie den Anstieg der Strompreise stoppen wollen.
Mittlerweile gibt es durch den Ausbau der erneuerbaren Energien einen massiven Entlastungseffekt bei den Stromerzeugungskosten, und die Preise an der Leipziger Strombörse sinken. Die Verlierer der Energiewende heißen RWE, E.on, Vattenfall und EnBW. Sie hatten früher am Strommarkt einen Anteil von 90 Prozent, heute dürfte ihr Anteil zwischen 60 und 70 Prozent liegen. Die vier Energieriesen geben die Senkungen des Börsenpreises aber nicht an die Verbraucher weiter. Allein das macht drei Milliarden Euro im Jahr aus und treibt den Strompreis für die Haushalte in die Höhe.
Warum haben Sie in das EEG keine wirksame Kostenbremse eingebaut?
Es ist richtig, wirklich energieintensive Betriebe wie Aluschmelzereien oder Stahlgießereien von der EEG-Umlage auszunehmen, um ihre Wettbewerbsfähigkeit nicht zu beeinträchtigen. Dazu stehe ich auch. Mittlerweile bekommen Joghurtfabriken oder Schlachtbetriebe Befreiungen. Diese Befreiungen müssen zurückgenommen werden. So könnten die Verbraucher um einen Cent pro Kilowattstunde entlastet werden. Und was die Kostenbremse betrifft: Die Einspeisevergütung für Sonnenstrom ist innerhalb von zehn Jahren von 40 auf 16 Cent pro Kilowattstunde gesunken.
Das EEG ist ein Instrument zur Markteinführung. Beim Anteil von 25 Prozent muss es neue Konzepte geben. Was schlagen Sie vor?
Der rasche Ausbau der erneuerbaren Energien hat ja schon dazu geführt, die Einspeisevergütung schneller abzuschmelzen als zunächst geplant.
Offensichtlich noch nicht stark genug.
Das EEG schafft sich durch ständig sinkende Einspeisevergütungen schrittweise quasi selbst ab. Was wir nun brauchen, ist ein neues Marktdesign. Statt über die EEG-Umlage eine Vergütung zu erhalten, könnten Ökostrom-Produzenten beim Eigenverbrauch zum Beispiel von der Stromsteuer befreit werden.
Claudia Ehrenstein
Daniel Wetzel
Quelle: Berliner Morgenpost, 22.10.2012, Nr. 289, S. 2
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