Die grüne Schuldenkonferenz – Strategien für eine nachhaltige Politik

Sehr geehrter Herr Professor Horn,
sehr geehrter Herr Professor Hüther,
sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste,

Ich möchte mit einer für eine Schuldenkonferenz vielleicht etwas überraschenden Feststellung beginnen: Deutschland ist ein sehr reiches Land. Gut sechzigtausend Euro Vermögen hat jeder Bundesbürger angehäuft – und da sind die Wohnimmobilien und Rentenansprüche noch gar nicht mitgerechnet. Die Wohlhabenden in Deutschland sind damit sehr gut durch die vergangenen Krisen-Jahre gekommen. Das lässt sich auch an einer anderen Zahl ablesen: Die Zahl der Einkommens-Millionäre ist – trotz Krise! – weiter gestiegen. Und zwar von 830.000 auf über 900.000 Menschen in Deutschland.

Weltweit sieht es nicht viel anders aus. Die Vermögenswerte haben sich von der Krise erholt – auch wenn die Börsenstürze der vergangenen Wochen sicherlich ihren Tribut gefordert haben. Nicht nur die Höhe des Vermögens ist gestiegen, auch seine Konzentration hat weiter zugenommen.

Nun will ich keine Neid-Debatte führen. In den USA wird bereits diskutiert, ob Steuererhöhungen für Superreiche einen neuen Klassenkampf einläuten würden. Barack Obama hat zu seinem Plan gesagt, die Defizite auch durch eine höhere Besteuerung zu verringern: „It’s not class warfare. It’s math.“

Wenn Superreiche wie Waren Buffet eine höhere Besteuerung wollen und sich auch in Deutschland die Wohlhabenden Gedanken darüber machen, spätestens dann kann man diese Debatte nicht als Klassenkampf abtun. Interessant ist in diesem Zusammenhang die Reaktion der Ratingagentur Standard&Poors, als Italien doch keine Reichensteuer einführen wollte: Das Rating ging nach unten. Ob da Klassenkämpfer bei Standard&Poors sitzen? Oder Menschen, die einfach rechnen können?

Der Economist titelt diese Woche „Hunting the rich“ und berichtet mit wohligem Gruseln von einer höheren Besteuerung der Reichen weltweit. Er lässt sich blenden von hohen Steuertarifen für besonders Gutverdienende wie in Frankreich. Damit verhält es sich wie mit der Reichensteuer in Deutschland – viel mehr als Symbolik ist das nicht. Sie macht weniger als ein Prozent des Aufkommens aus der Einkommensteuer aus. Bisher jedenfalls ist von einem substanziellen Beitrag hoher Vermögen und Einkommen bei der Krisen-Finanzierung wenig zu sehen.

Deutschland ist ein reiches Land. Gleichzeitig hat es aber auch enorm hohe Schulden. Sie haben sich über Jahrzehnte angehäuft, da hat keine Regierung eine Ausnahme gemacht. Trotzdem hat die Schuldendynamik in Deutschland und erst recht in Europa und den USA in den vergangenen Jahren an Schärfe zugenommen. Nach dem unrühmlichen Rekordjahr 2008, in dem der Bund 80 Milliarden Euro neue Schulden aufgenommen hat, werden es auch 2012 wieder weit mehr als 20 Milliarden sein.

Die Verschuldung aller öffentlichen Haushalte liegt bei über 2 Billionen, das ist ein Plus von über 400 Milliarden gegenüber 2007, dem Jahr vor der Finanzkrise. Die gesamtstaatliche Schuldenquote beträgt gut 83 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung. Zur Erinnerung: Das Maastricht-Kriterium schreibt 60 Prozent vor. Deutschland ist also beileibe kein haushaltspolitischer Musterknabe.

Was viele – vor allem in der Bundesregierung – vergessen: Die Steuereinnahmen liegen heute um rund 60 Milliarden unter dem vor der Finanzkrise geschätzten Niveau. Wer da von Steuersenkungen träumt, träumt einen Alptraum für die öffentlichen Kassen von Bund, Ländern und Gemeinden.

Damit mich keiner falsch versteht: Die Verschuldung des Staates war richtig, um die schlimmsten Folgen der Wirtschaftskrise zu
bekämpfen. Auch wenn wir Grüne Kritik an den Konjunkturpaketen der Bundesregierung hatten, bezog sich das auf die Ausgestaltung. Wir hätten uns eine stärkere ökologische Komponente gewünscht und keine Abwrackprämie.

Wir haben im Grundsatz auch die Bankenrettung mitgetragen. Aber wir haben vor der Art und Weise gewarnt – und recht bekommen. Der IWF hat ermittelt, dass die Bankenrettung in Deutschland – nach Irland – am teuersten war. Rund 12 Prozent des Bruttoinlandsprodukts hat sie sich die Bundesrepublik kosten lassen. Im Ergebnis haben wir viel Geld ausgegeben, die Gläubiger fast vollständig geschont und dafür keine angemessene Gegenleistung bekommen.

Es ist auch richtig, dass wir nun mit dem neuen Euro-Rettungsschirm weitere Risiken für unsere Haushalte aufnehmen. Denn nichts zu tun wäre in jedem Fall die teurere Alternative. Wir haben gestern im Bundestag bewiesen, dass wir Risiken eingehen, um den Euro und damit die europäische Integration zu bewahren und der Politik neue Handlungsmöglichkeiten zu verschaffen.

Der Staat hat also enorme finanzielle Leistungen erbracht, um die Wirtschaft vor dem Zusammenbruch zu bewahren.

Spätestens an dieser Stelle müsste eigentlich jeder erkennen: Der schlanke Staat hat als Leitbild ausgedient. Der Neoliberalismus mit seinem Dreiklang aus Steuersenkungen, Privatisierung und Deregulierung ist gescheitert. Wer jetzt immer noch auf neoliberalen Wegen wandelt wie die FDP und die Tea Party hat aus der Geschichte nichts gelernt.

Solchen politischen Kräften fällt auch nicht auf, dass gerade die Kapitaleigentümer von den staatlichen Interventionen bei den Bankenrettungen massiv profitiert haben. Sonst wären die Vermögen der Reichen zuletzt nicht wieder angewachsen. Sie konnten also auf einen Staat zählen, den sie sich immer möglichst mager gewünscht haben.

Die Schulden des einen sind das Vermögen des anderen. Was banal klingt, ist der Schlüssel zum Verständnis der gegenwärtigen Krise.

Wenn das Verhältnis von Verschuldung, Vermögen und Wirtschaftsleistung aus dem Ruder läuft, dann drohen die Dinge außer Kontrolle zu geraten.

Man braucht kein Ökonom zu sein, um das zu verstehen: Das Finanzvermögen hat weltweit von 1980 bis 2006 um den Faktor 14 auf 167 Billionen Dollar zugenommen. Im gleichen Zeitraum hat das Weltsozialprodukt nur um das knapp fünf-fache auf nicht einmal 50 Billionen Dollar zugenommen. 1980 waren beide Zahlen noch in etwa gleich. Bei den irischen Banken stieg das Verhältnis von Bilanzsumme zur Wirtschaftsleistung von bereits enormen 360 Prozent im Jahr 2002 auf über 800 Prozent 2009.

Die europäische Schuldenkrise ist ein Beispiel wie aus dem Lehrbuch: In Irland und Spanien war die öffentliche Verschuldung zwar gering, die der privaten Haushalte und der Banken aber enorm. In Griechenland hingegen sind die öffentlichen Schulden irgendwann untragbar geworden. Allen gemeinsam ist – und hier bildet auch Deutschland keine Ausnahme – dass die Banken ebenfalls hoch verschuldet waren und immer noch sind.

Dem gegenüber standen Immobilienblasen in Spanien und Irland, also Vermögenswerte, die sich aber als äußerst flüchtig erwiesen haben.

Die Blasen sind geplatzt. In Folge sind Banken in Schwierigkeiten geraten und mussten mit Milliardensummen gestützt werden. Die Schulden sind oft von den Banken auf die Staaten übergegangen. Besonders in Irland, Island oder Deutschland hat das die Staatsverschuldung massiv erhöht. Private Schulden sind so zu öffentlichen geworden. Zusätzlich gab es Konjunkturpakete, um die Realwirtschaft zu stützen. Das alles hat die öffentliche Verschuldung explodieren lassen.

Wenn die Schuldner nicht mehr zahlen können, kollabiert das System. Das war in den USA bei den Immobilienkrediten so, das ist gegenwärtig bei Griechenland nicht anders. Das ist übrigens auch der Grund, warum wir bei unseren Betrachtungen nicht nur die Defizite der anderen in den Blick nehmen sollten, sondern auch unsere eigenen Überschüsse. Denn was nutzt es, wenn
man viele Forderungen an seinen Schuldner hat, der aber nicht mehr zahlen kann? Das hat die US-Banken nach dem Platzen der Immobilienblase in die Knie gezwungen, das ist auch ein Grund, warum Deutschland den europäischen Peripheriestaaten zu Hilfe gekommen ist.

Wenn Verschuldung und Vermögen zunehmen, dann ist üblicherweise eines zu beobachten: Vermögen konzentriert sich in den Händen weniger. Das gilt für Staaten genauso wie für Private: Die Überschüsse Deutschlands und Chinas sind vereinfacht gesagt nichts anderes als die Schulden der USA und der europäischen Peripherie-Staaten. Die scheinbaren Vermögen der Immobilienbesitzer in Spanien oder Irland sind bei den Banken konzentrierte Schulden. Im Ergebnis entsteht etwas Gefährliches: Instabilität.

In den USA ist die krasse Ungleichverteilung von Vermögen nicht überraschend. Aber auch in Deutschland ist sie hoch: Die reichsten zehn Prozent der Deutschen besitzen über 60 Prozent des Vermögens, das eine Prozent der Superreichen nennt sogar ein Viertel des Vermögens sein eigen. Diese Konzentration hat in den vergangenen Jahren zugenommen. Am unteren Ende der Skala herrscht hingegen Leere: 30 Prozent der deutschen Haushalte haben gar kein Vermögen oder sogar Schulden.

Bei den Staaten sieht das so aus: Die USA hatten allein 2010 ein Leistungsbilanzdefizit von 470 Milliarden Dollar. China verfügt über Devisenreserven in Höhe von rund 3 Billionen Dollar.

Worauf will ich hinaus? Wir können die gegenwärtige Krise nicht lösen, ohne – neben anderen Problemen – das Missverhältnis von Vermögen und Schulden zu korrigieren.

Die Umschuldung von Staaten oder eine Insolvenz bei Bürgern oder Unternehmen ist eine Möglichkeit, untragbare Zustände wieder ins Gleichgewicht zu bringen. Die eine Seite verzichtet auf Vermögen, die andere verringert ihre Schulden. Die Bankenrettungen der vergangenen Jahre und die Milliarden an Irland, Portugal oder Griechenland haben diesen Ausgleich verhindert. Zunächst aus gutem Grund. Denn die Anpassungseffekte eines solch schlagartigen Ausgleichs wären zerstörerisch.

Ich plädiere nicht für einen handstreichartigen Schuldenschnitt bei privaten und öffentlichen Haushalten. Das würde mehr ruinieren als nutzen. Aber ohne eine kontrollierte Gläubigerbeteiligung wird es nicht gehen. Viele sehen darin allein ein Gerechtigkeitsargument. Ich würde aber weiter gehen: Es ist ein Gebot ökonomischer Vernunft.

Wir müssen über Wege nachdenken, wie wir einen solchen Ausgleich hinbekommen. Das sind bekannte Mechanismen bei Privat- und Unternehmensinsolvenzen aber eben auch eine Insolvenzordnung für Staaten. Der Europäische Rettungsmechanismus bietet uns Instrumente für eine geordnete Insolvenz.

Wir müssen aber auch einen Schritt weiter gehen und den Kern des Problems bekämpfen: eine gefährliche Vermögenskonzentration darf gar nicht erst entstehen. Karl Marx hat das die Überakkumulation des Kapitals genannt. Deswegen müssen wir bei einer Schuldenkonferenz auch über Vermögen und seine Verteilung nachdenken.

Die Erkenntnis über den skizzierten Zusammenhang scheint sich übrigens zunehmend aus linken Kreisen in den ökonomischen Mainstream zu bewegen. Da finden sich Millionäre zusammen, die eine höhere Besteuerung für sich und Ihresgleichen wollen. Der Präsident der EU-Kommission Manuel Barroso tritt für eine Finanztransaktionssteuer ein. Der Chefvolkswirt der Allianz, immerhin einer der größten Vermögensverwalter der Welt, will eine Vermögensbesteuerung. Wir Grüne sind da mit ihm einer Meinung. Wir kämpfen für eine Vermögensabgabe, dafür, Erbschaften höher zu besteuern und eine Reform der Grundsteuer.

Umverteilung ist also nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit sondern auch der ökonomischen Vernunft. Wir Grüne haben diese Idee im Green New Deal formuliert. Dort fordern wir einen neuen sozialen Ausgleich, der die Konzentration von Vermögen und Einkommen korrigiert.

Die Konzentration der Verschuldung der Banken bekommen wir durch eine bessere Regulierung in den
Griff. Eine Schuldenbremse für Banken muss hier das zentrale Element sein. Eine weitere Säule des Green New Deal ist die Finanzmarktregulierung.

Der dritte Teil des Green New Deal ist die ökologische Transformation der Wirtschaft. Allein mit Sparen wird man die schwachen Volkswirtschaften nicht wieder auf die Beine bringen. Übrigens werden die Gesellschaften von Portugal bis Griechenland die harte Sparpolitik auch nicht ewig mittragen, wenn ihnen kein Angebot gemacht wird. Investitionen in den ökologischen Umbau, das könnte ein solches Angebot sein.

Vielen Dank.

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