Gesetzentwurf zu ESM und Fiskalpakt

Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Lieber Gregor Gysi, vielleicht würden Ihnen mehr zuhören, wenn Sie diejenigen, von denen Sie Aufmerksamkeit erwarten, nicht einfach pauschal für blöd erklärten.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP ‑ Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Und das von Ihnen!)

Ich will mit einem Zitat anfangen:

„Der ESM bleibt bei 500 Milliarden Euro, also keine dauerhafte und unkalkulierbare Erhöhung der Fonds“, sagte Merkel am Freitag nach dem Spitzengespräch mit der deutschen Wirtschaft in München.

Sie fügte hinzu:

„Ich finde das auch ausgesprochen wichtig.“

Das ist eine dpa-Meldung vom 16. März 2012.

Am 14. Dezember 2011 haben Sie hier im Hause eine Regierungserklärung abgegeben. Da haben Sie erklärt ‑ ich zitiere ‑:

Die konsolidierte Obergrenze von EFSF plus ESM wird bei 500 Milliarden Euro liegen.

Meine Damen und Herren, wir wissen: Das war nicht die Wahrheit; die Schutzmauer wird größer werden. Ich könnte nun sagen: Sie agieren erneut nach dem Motto „Was schert mich mein Geschwätz von gestern?“.

(Axel Schäfer (Bochum) (SPD): Konrad Adenauer!)

Ich könnte mich lustig darüber machen, dass Alexander Dobrindt erklärt hat, über solche Aufstockungen würde er nicht einmal reden. Aber die schlimme Nachricht für Sie, Frau Bundeskanzlerin, ist: Ich habe Ihnen das schon damals nicht geglaubt. Ich halte Sie für intelligent, und ich halte Sie für zu intelligent, Ihre eigene Propaganda zu glauben. War es eigentlich wirklich klug, den Bürgerinnen und Bürgern diese Wahrheit vorzuenthalten? Ist es klug, nach wie vor die Folgen dieser Wahrheit den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber zu leugnen?

Selbstverständlich ist: Wenn Sie die „Brandmauer“, wie Herr Brüderle es genannt hat, erhöhen, wenn Sie dieses Aufblähen fortsetzen, wächst das Haftungsvolumen, das wir, die Bundesrepublik Deutschland, einzugehen haben; es wächst auf rund 400 Milliarden Euro. Es schaffen wohl nur ein Herr Seehofer oder ein Herr Kauder, uns weiszumachen, dass 400 genauso viel wie 211 seien.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Aber Sie glauben ja auch, dass es in Europa noch keine Vergemeinschaftung von Schulden gibt, ungeachtet von 213 Milliarden Euro maroder Staatsanleihen, die mittlerweile in der Europäischen Zentralbank liegen. Wissen Sie, was Ihren Umgang mit Zahlen und der Wahrheit angeht, kann ich nur sagen: Sie leiden an politischer Dyskalkulie, an einer chronischen Rechenschwäche.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Dabei ist das gar nicht nötig gewesen. Es ist doch gut, dass die Wahrheit jetzt auf dem Tisch liegt. Ja, es ist bitter, dass wir einen Rettungsschirm aufspannen müssen; aber es ist richtig. Wenn die Hose nicht nass werden soll, dann muss der Schirm auch groß genug sein. Das, was Sie gemacht haben, ist aber etwas anderes. Sie wollen heute mit der ersten Lesung sowohl des Gesetzentwurfs zum ESM wie zum Fiskalpakt ein Junktim aufbauen. Wir sagen Ihnen: Wir werden diesen Europäischen Stabilitätsmechanismus brauchen, weil wir quasi einen europäischen Währungsfonds brauchen, damit die Spekulation gegen unsere gemeinsame Währung abgewehrt wird. Sie sollten dazu stehen. Aber Sie können nicht dazu stehen, weil sowohl die CSU wie die FDP nicht zu Europa stehen. Das ist der Grund, warum dieses permanente Geeiere mit den neuen Zahlen und Ähnlichem an dieser Stelle passiert.
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(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Sie haben versucht, selbst den ESM als geheime Kommandosache am Bundestag vorbei zu organisieren. Das wird Ihnen das Bundesverfassungsgericht weghauen.

Nun machen Sie etwas anderes. Nun bauen Sie, weil Sie mit der Solidarität in Europa Spielchen spielen, ein neues Junktim auf. Ich sage Ihnen: Es ist ein dummes Junktim.

(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD))

Wir bekommen mit dem Fiskalpakt, dessen Vorgabe der Schuldenbremse übrigens nicht einmal mehrheitlich in den Verfassungen der anderen Staaten verankert werden wird, ein symbolisches Versprechen, dass man die Neuaufnahme von Schulden begrenzen will. Aber das, was Sie uns als „Stabilitätspakt mit Zähnen“ verkündet haben, ist und bleibt mehr oder weniger symbolisch; es erinnert eher an ein Kukident-Gebiss.

Aber was für einen Sinn macht es eigentlich, heute zu sagen: „Wir können den ESM und den Fiskalpakt nur zusammen ratifizieren“? Wenn es richtig ist, dass Deutschland bei einem Scheitern des Euro der Hauptverlierer wäre, dann führt an dem ESM kein Weg vorbei. Es ist völlig gleichgültig, ob und wann wir an dieser Stelle den Fiskalpakt ratifizieren. Wir müssen heute den Europäischen Stabilitätsmechanismus auf den Weg bringen. Wenn es gutgeht, dann gelingt es uns auch, eine Verabredung über eine Schuldenbegrenzung zu erreichen.

Damit Sie mich nicht missverstehen: Eine verantwortungsvolle gemeinsame Haushaltspolitik bzw. eine gemeinsame Wirtschafts- und Finanzpolitik in Europa ist mehr als überfällig. Aber Sie benutzen diese Verabredung als weiße Salbe, als Placebo, als Vademecum für diejenigen in Ihren eigenen Reihen, die Schwierigkeiten haben, zu den Notwendigkeiten des Europäischen Stabilitätsmechanismus zu stehen.

Was wir heute tun müssen, ist, aus dieser Verabredung zur Begrenzung von neuen Schulden eine auch ökonomisch und politisch runde Sache zu machen. Wir müssen auch und gerade die Defizite des Fiskalpaktes korrigieren.

Die erste Frage dabei ist: Macht ein Fiskalpakt ohne Frankreich eigentlich Sinn? Frankreich hat erklärt, dass dieser Fiskalpakt, egal wer regiert, erst im Herbst ratifiziert wird; zu welchen Bedingungen, ist vor den Wahlen völlig unklar. Wollen wir als Deutscher Bundestag dafür einfach einen Blankoscheck ausstellen? Ich halte das nicht für klug.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD ‑ Peter Altmaier (CDU/CSU): Wir wollen ein Signal geben!)

Wir sollten neben der Verabredung zu Stabilität einen Anstoß für Wachstum und Investitionen geben. Denn nur mit Sparen kommt Europa nicht aus der Krise. 50 Prozent Jugendarbeitslosigkeit: Das ist keine europäische Stabilität, meine Damen und Herren. Europäische Stabilität beruht auch und gerade auf Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Dauerhafte Massenarbeitslosigkeit wird dieses Europa zerstören.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Nein, wir brauchen die Besteuerung von Finanztransaktionen. Eine Stempelsteuer, die Aktien besteuert, Derivate aber nicht, ist ein schlechter Witz, lieber Herr Brüderle.

(Volker Kauder (CDU/CSU): Das hat er ja gar nicht gesagt!)

Wir brauchen mehr Investitionen in Europa. Deswegen müssen die Eigenmittel der Europäischen Investitionsbank aufgestockt werden. Wir brauchen eine Investitionsoffensive für nachhaltige Infrastruktur und zukunftsfähige Jobs.

Wir müssen auch endlich anfangen, nicht nur neue Schulden zu begrenzen, sondern alte Schulden abzubauen. Was ist mit dem Vorschlag Ihres eigenen Sachverständigenrates zu einem Schuldentilgungspakt?

Mit diesen Maßnahmen wird aus dem Fiskalpakt etwas Vernünftiges und Rundes. Europa muss raus aus der Schuldenfalle. Wir müssen neue Schulden begrenzen. Wir müssen alte Schulden abbauen. Wir müssen Spekulationen begrenzen, und wir müssen in nachhaltiges Wachstum investieren.

Das müssen wir jetzt auf den Weg bringen.
Dafür haben wir bis zum Jahresende Zeit, aber vorher müssen wir den ESM ratifizieren.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

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