Wir müssen uns von Putins Gas befreien

Warum die Energiewende mehr politische Souveränität bringt:
Will Europa mehr politische Handlungsfreiheit, dann müssen wir unsere Abhängigkeit von fossilen Energieimporten verringern. Das gelingt nur mit mehr Erneuerbaren Energien und mehr Klimaschutz.

Polens Ministerpräsident Donald Tusk hat vor dem Besuch der Kanzlerin in Warschau am vorigen Mittwoch angemerkt, dass Deutschlands Abhängigkeit von russischem Gas die politische Souveränität Europas gefährdet. Er forderte weniger Energiewende und weniger Klimaschutz und setzt dafür auf Kohle und Atom.

In seiner Feststellung hat Tusk Recht. In der Schlussfolgerung liegt er daneben.
Nicht nur Deutschland ist abhängig. Ganz Europa hängt am Tropf der Importe von fossiler Energie. Nicht nur aus Russland. Europa importiert jährlich für eine halbe Billion Euro Kohle, Öl, Gas und Uran. 84 Prozent des Ölbedarfs der Europäischen Union wird außerhalb ihrer Grenzen gefördert. Bei Uran sind es 100 Prozent, davon kommen 20 Prozent aus Russland. Bei Erdgas beträgt die Importquote 45 Prozent.

Deutschland bezahlt für seine Importe mehr als 90 Milliarden Euro pro Jahr. Aus Russland kommen mehr als 20 Prozent unserer Steinkohle, 34 Prozent unseres Erdöls und 31 Prozent unseres Erdgases. Die Deutschen zahlen jedes Jahr 33 Milliarden Euro in die Taschen der russischen Oligarchie.

Wenn Europa seine Sanktionen nach einer Annexion der Krim durch die einstige Garantiemacht Russland stufenweise steigern möchte, sind die Mittel beschränkt. Zwar sind die Moskauer Börsenkurse gefallen, und Russlands ökonomische Reputation ist deutlich beschädigt. Das Land wird in einem solchen Konflikt langfristig mehr verlieren als die Europäische Union.

Kurzfristig treffen wirtschaftliche Sanktionen aber gerade nicht die ökonomische Basis der herrschenden Klasse Russlands. Zwar werden deren Geländewagen teurer. Die Quelle ihres Geldes und ihrer Macht aber bleiben die Öl- und Gasexporte.

Für wirtschaftspolitische Sanktionen im Energiebereich fehlt sowohl Glaubwürdigkeit als auch Effektivität. Beim Erdöl reichen die deutschen Reserven für volle 59 Tage, bei Erdgas sind es je nach Witterung 75 bis 80 Tage und sie liegen zum Teil in Kavernen, die Gasprom gehören. Am ehesten könnten wir noch den Ausfall der Steinkohle-Lieferungen verkraften. Zum Teil sind die Importe nicht entschädigungsfrei zu stoppen, weil langfristige Lieferver-träge bestehen oder die Erschließung vorfinanziert wurde.

So offenbart die Krim-Krise das Dilemma der europäischen Energie-Außenpolitik: Russland bleibt zumindest auf mittlere Sicht das Rückgrat der Energieversorgung.

Es bestehen so starke wechselseitige Abhängigkeiten, dass keine Seite einfach aussteigen kann. Das würde für beide Seiten massive ökonomische Nachteile nach sich ziehen. Dieser Umstand hat auch eine konfliktbegrenzende Funktion. Er ist aber in dieser Einseitigkeit nicht wünschenswert.

Würde Europa seine Abhängigkeit von Energieimporten verringern, könnte es gleichzeitig seine außenpolitischen Handlungsmöglichkeiten erhöhen. Daraus folgt: Wer mehr politische Souveränität für Europa will, muss mehr Energiewende, mehr Klimaschutz wagen. Eine konsequente Energiewende erhöht unsere politische Souveränität.

Bloße Diversifizierung der Bezugsquellen, wie sie EU-Energiekommissar Günther Oettinger fordert, verteilt bloß die Risiken. Sie macht diese Risiken nicht kleiner. Deutschland hat es bisher nicht geschafft, ein bereits genehmigtes Flüssiggasterminal in Wilhelmshaven zu bauen. Und das Gas, das man sich dort aus Qatar erhoffte, kommt aus einem Land, das
sich inzwischen wegen der Förderung des weltweiten Dschihad sogar mit Saudi-Arabien überworfen hat.

Abhängigkeit bleibt Abhängigkeit, einerseits von Importländern, andererseits von knappen Ressourcen auch von wachsender Nachfrage und von durchgehend autokratischen und damit instabilen Systemen. Doch auch der polnische Premier Tusk will nur diversifizieren, nicht nach Lieferländern, sondern nach Brennstoffen. Zu Gas und Öl treten dann Kohle und Uran. Letzteres kommt in Deutschland zur Hälfte aus Russland.

Der Bevölkerung ist Energieunabhängigkeit wichtig. Fast 75 Prozent der Bundesbürger streben sie an. Damit steht sie in der Rangfolge sogar noch höher als der Atomausstieg, den 69 Prozent befürworten. Mehr Energieunabhängigkeit gibt es nur mit weniger Importen, nur mit einem Mix aus mehr Erneuerbaren, mehr Energieeffizienz und mehr Energieeinsparung.

Deutschlands Energiewende ist ein Beispiel für einen Gewinn an Unabhängigkeit und Souveränität. Der stürmische Ausbau der erneuerbaren Energien erspart uns nicht nur jährlich rund 150 Millionen Tonnen Treibhausgase. Er macht pro Jahr auch Importe im Wert von 10 Milliarden Euro überflüssig. Dieses Geld trägt in Deutschland zur Wertschöpfung bei, es stärkt weder Putin noch den saudischen König Abdallah. Setzen wir unsere Klimaschutz- und Ausbauziele für die Erneuerbaren ambitioniert um, so könnten wir bis 2020 weitere 50 Milliarden Euro sparen. Das ist die Hälfte der heutigen Importrechnung.

Unser Problem mit Russland liegt nicht beim Strom. Das Argument, dass der Ausbau von hocheffizienten Gaskraftwerken als Schwankungsreserve die Abhängigkeit erhöhe, stimmt nicht mal auf dem Papier. Real beträgt der Gas-Anteil am Strommix heute nur 10 Prozent, Tendenz fallend. Reihenweise werden Gaskraftwerke stillgelegt. In Deutschland herrscht ein Überangebot an Strom, befeuert aus abgeschriebenen Braunkohlekraftwerken.

Die Energiewende war bisher nur eine Stromwende. Der Wärmebereich ist außen vor geblieben. Gas wird bei uns zu mehr als 90 Prozent für Wärmebereitstellung verbrannt. Wer sich vom russischen Gas unabhängig machen will, muss endlich ein anspruchsvolles Programm zur Gebäudesanierung auflegen und einen Energiesparfonds für Investitionen in der Industrie einrichten.

Und wer unsere Ölimporte mindern will, der darf nicht wie Frau Merkel in Brüssel anspruchsvolle Verbrauchsobergrenzen für Autos blockieren, im Dienst von BMW. Er muss den Verbrauch der gesamten Kfz-Flotte schneller senken und auf Elektromobilität setzen.

Energieautarkie ist in einer globalisierten Ökonomie eine Illusion. Sie ist auch sicherheitspolitisch nicht wünschenswert. Aber einseitige Abhängigkeiten sollten vermieden werden. Deshalb müssen wir Energie einsparen, wir müssen sie effizienter nutzen und wir müssen mehr davon aus erneuerbaren Quellen erzeugen, also im Inland.

Dies gilt nicht nur für Deutschland. Wir brauchen anspruchsvolle Klimaschutzziele, Ausbauziele für Erneuerbare wie für Energieeffizienz für die EU – unterlegt mit verbindlichen Zielen für jeden einzelnen Mitgliedstaat. Dem verweigern sich Kommission und Rat, Deutschland und Polen vorneweg.

Dabei ist dies eine Frage europäischer Souveränität. Will Europa mehr politi-sche Handlungsfreiheit, dann müssen wir unsere Abhängigkeit von fossilen Energieimporten verringern. Das gelingt nur mit mehr Erneuerbaren Energien und mehr Klimaschutz.

Verwandte Artikel

Kommentar verfassen

Artikel kommentieren


* Pflichtfeld