NATO und Demokratie in Ungarn

Reisebericht zur Frühjahrstagung der Parlamentarischen Versammlung der NATO in Budapest

Die diesjährige Frühjahrstagung der Parlamentarischen Versammlung der NATO fand dieses Jahr vom 15.-18.05.15 in Budapest statt. Dabei wurden auch Gespräche zur Situation in Ungarn geführt.

Auf der Tagesordnung standen vor allem Berichte zu diversen Themen. Mit Ausnahme einer Resolution zur Erweiterung wurden jedoch keine Beschlüsse gefasst.

Ausschusssitzungen

In den Ausschusssitzungen standen unter anderem Themen wie derEinfluss des Klimawandels auf die Sicherheit sowie die ökonomischen Folgen der Sanktionen gegen Russland zur Debatte. Zum Klimawandel wurde der Verhand-lungsstand vor der COP in Paris referiert – wesentliche Konsequenzen für die Sicherheitspolitik aber nicht gezogen.

Im Politischen Ausschuss blieb die Frage nach dem Umgang mit den zahlrei-chen zerfallenden und zerfallenen Staaten unbeantwortet – trotz etwa eines Berichts zur den Herausforderungen und Bedrohungen in der Levante. Die Arbeitsteilung zwischen NATO und Europäische Union wurde so beschrieben, die EU für die Politik, die NATO für das Militär. Die Realität integrierter Mis-sionen der EU wurde ebenso nicht beantwortet wie die dramatische Unterfi-nanzierung dieser Missionen etwa in der Zentralafrikanischen Republik. So blieben auch zentrale Lehren aus dem Bericht der Vizepräsidentin Ulla Schmidt (SPD) zu Afghanistan offen, die gerade die Mängel in der Entwick-lungszusammenarbeit und des Staatsaufbaus beschrieb.

Charakteristisch war vielmehr die Haltung, dass die Ukraine-Krise die Aggres-sivität Russland beweise. Ungeachtet der – vor allem verbalen – Versicherung, dass es keine militärische Lösung in der Ukraine gebe, wurde diese Krise viel-fach als Begründung für die Forderung nach verstärkter – symmetrischer – Aufrüstung der NATO genommen.

Ebenfalls mit der Ukraine wurden von den osteuropäischen und auch den US-Delegierten die Forderung nach einer schnellen Öffnung der NATO hin zu Staaten wie Georgien und der Ukraine begründet – dem sich Deutschland Frankreich und EU widersetzen.

Ob solche Haltungen dann in Beschlüssen ihren Niederschlag finden, wird sich auf der Herbst-Sitzung in Stavanger zeigen. Aber die Versammlung ist durch-gehend von einer Tradition geprägt, die weit in die Zeit des Kalten Krieges zurückreicht. Die Haltung der deutschen Bundesregierung und der Mehrheit der Staaten der Europäischen Union, waren hier in der Minderheit. Diese Positionen wurden aber von den Vertretern der Großen Koalition auch nicht nachdrücklich vertreten.

Plenum

Hier wurde die Resolution zur NATO-Erweiterung verabschiedet, welche den Minimalkonsens der NATO repräsentiert – also den Wünschen auf schnellen Beitritt nicht nachkam, sondern auf eine Perspektive beschränkte. Damit blieb der Dissens zwischen den NATO-Mitgliedern (Mehrheit der EU auf der einen, USA und Polen/Baltikum auf der anderen Seite) offen.

Ungarn

Den Besuch in Ungarn verband ich mit einer Reihe Gesprächen mit den unga-rischen Grünen sowie Vertretern der Zivilgesellschaft. Von den beiden grünen Parteien traf ich die Abgeordneten Tímea Szabó (PM – Dialog für Ungarn) sowie Bernadette Szél (LMP – Politik ist anders) sowie Vera Morá (Ökotárs Foundation), Boldizsár Nagy (Associate Professor of Public International Law) und Petér Kekó (Political Capital Institute).

Die Spaltung der beiden grünen Parteien, die beide Mitglieder EGP und der gemeinsamen Fraktion im Europaparlament sind, geht auf eine unterschiedliche Einschätzung zurück, wie man unter den Bedingungen des von der Regierung Orban geschaffenen Mehrheitswahlrechts die Herrschaft der Fidesz erfolgreich beenden könne. Während die Mehrheit der alten Fraktion mit den demokratischen Parteien zur Linken als PM eine Listenverbindung anging, kandidierte die LMP allein und übersprang dann sehr knapp die 5 % Hürde.

Auf kritische Fragen unserer Delegation zur Flüchtlingspolitik, der Forderung nach Todesstrafe, der Einschüchterung von Nichtregierungsorganisationen, der eingeschränkten Pressefreiheit im Botschaftsbriefing war vom Gesandten noch geantwortet worden, dass man Orbán nicht zu ernst nehmen sollte. Er meine nicht alles so, wie er es sage.

Dieser Auffassung stimmte keiner der ungarischen Gesprächspartner zu. Klar gebe es einen Unterschied zwischen Rhetorik und Politik, aber die Rethorik gebe klar die Richtung der Politik an, in die Orbán Ungarn dränge.

Zwar sei es so, dass Fidesz an Zustimmung verlieren. Gewinnen würde dabei jedoch weniger die demokratische Opposition, sondern die neonazistische Jobbik. Sie habe sich seit Amtsantritt Orbáns fast verdoppelt. Gerade Äuße-rungen zur Absage an den Liberalismus, die Forderung nach Todesstrafe, die rassistische Konsultation zu Migration und Terrorismus dienten zwar als rubber bone um die Bevölkerung abzulenken von Themen wie schlechte Bezahlung, schlechtere Bildung, marode Straßen, überbordende Korruption. Sie würden aber eben auch Erwartungen wecken, die – wenn sie dann nicht bedient werden – die Neonazis stärken.

Die aktuelle Flüchtlingsdebatte wäre ein Beispiel dafür. Zwar gebe es kaum Flüchtlinge, die in Ungarn verblieben (sondern meist weiter ziehen) und auch die sonstige Migration – meist ethnische Ungarn – sei sehr gering, dennoch sprächen sich inzwischen mehr als die Hälfte der Ungarn gegen jede weitere Aufnahme von Migranten aus.

In den Gesprächen wurde Ungarn als ein postsowjetischer Staatskapitalismus beschrieben, in dem die Regierung nicht nur gut 60 % der Unternehmen kon-trolliert. Sie hat die Macht etwa im Bildungsbereich hemmungslos zentralisiert. Über ein staatliches System gemeinnütziger (Zwangs-)Arbeit betreibe sie aktiv Lohndrückerei. Ein administrativer Umweltschutz existiere praktisch nicht mehr. Die europäischen Umweltstandards stünden nur noch auf dem Papier.

Gleichzeitig dränge die Regierung einzelne Unternehmen mit Strafsteuern und systematischer Benachteiligung aus dem Markt. Der Fidesz loyale Unternehmen würden hingegen über öffentliche Ausschreibungsverfahren massiv bevorzugt. In Folge dieser Praktiken habe die Korruption endemische Züge angenommen.
In diesem ökonomischen Modell stecke der materielle Kern jener Äußerung von Orbán zu Putin, wonach er sich in Brüssel fremd, aber bei ihm zuhause fühle. Dies ist nicht nur für den Vorsitzenden einer Schwesterpartei der CDU eine erstaunliche Position, sondern auch für den Ministerpräsidenten eines Landes, das eines der größten Empfänger von Strukturfondmitteln ist. Zahlungen der Europäischen Union machen heute 7 % des Bruttosozialprodukts von Ungarn aus.

Orbán sorge hingegen dafür, dass die Wirtschaft Ungarns immer enger mit der Russlands verflochten werde. Dies könne etwa an dem Vertrag zum Bau zwei neuer Blöcke des AKW Paks beobachtet werden – aber auch beim Gasimport.
So fürchteten die Gesprächspartner weniger den Neubau der zwei bei der EU noch nicht notifizierten Atomkraftwerke, der alles andere als gesichert sei. Sie verwiesen auf die Finanzierung. Finanziert werden soll der Bau von Paks2 mit einem 10 Milliarden-Kredit aus Russland – der wohl schon geflossen sei. Er binde Ungarn auf Jahrzehnte an Russland.

Ein anderes Beispiel sei der Erdgasimport. Der Erdgasimport werde zum Teil von einem ungarisch-russischen Konsortium namens MET organisiert, das unter anderem im Besitz eines ungarischen Oligarchen sowie des Verwalters des Privatvermögens von Orban sei. Vorbild waren offenkundig die Praktiken im Gasverkauf von Julia Timoschenko in der Ukraine.

Über diese postsowjetische Wesensverwandtheit mag das aktuelle Einschwen-ken der Regierung Orbán auf den europäischen Kurs in der Russlandpolitik hinweg täuschen. Dennoch können Europa und seine Mitgliedsstaaten nicht einfach zusehen und beschwichtigen, wenn sich in seiner Mitte ein korrupter Mafiastaat herausbildet, der nicht nur auf Kriegsfuß mit den europäischen Grundrechten steht.

Es mag nicht überraschen, dass der Europäischen Volkspartei der Machterhalt einer kaum noch national-konservativ zu nennenden Schwesterpartei wichtiger ist, als die Wahrung europäischer Verfassungsnormen und Grundrechte. Erst jüngst sorgte sie dafür, dass ein Vorstoß der GRÜNEN im EP zu Ungarn nie-dergestimmt wurde.
Verwundern muss es jedoch, dass die Europäische Kommission nahezu taten-los zusieht, wie mitten in Europa eine Marktwirtschaft in eine staatliche Kommandowirtschaft überführt wird und dabei Regeln des Binnenmarkts in Serie gebrochen werden.

Ob man Viktor Orbáns Worte ernst nehmen soll? Darauf gibt Max Frisch eine Antwort: „Aber die beste und sicherste Tarnung ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Komischerweise. Die glaubt niemand.“

Hier der Reisebericht als PDF

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