Reisebericht Russland Juli 2015: Eine gestörte Partnerschaft

Druck auf die Zivilgesellschaft wächst – Sanktionen wirken aber bewegen wenig

Am 08. und am 09. Juli 2015 besuchte ich im Rahmen einer Reise der Deutsch-Russischen-Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestages Moskau. In diesem Rahmen führten wir Gespräche mit Mitgliedern der Duma, mit Wirtschaftsvertretern – aber auch Angehörigen der Zivilgesellschaft wie der Opposition

 

Auf den Bericht des Delegationssekretariats sei verwiesen. Im Folgenden zusammenfasst nur meine Bewertungen aus den Gesprächen.

  • Die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland haben sich – auch gegenüber meinen Besuch im letzten Jahr – gravierend verschlechtert. Zwar ist das Ansehen Deutschlands in Russland nach wie vor hoch – aber es überwiegt die Enttäuschung darüber, dass sich Deutschland in der Ukraine-Frage zum „Diener der USA“
  • Ungeachtet der Ergebnisse des Minsk-2-Prozesses wird von offizieller russischer Seite die Frage der Sanktionen sehr nachdrücklich in den Mittelpunkt gestellt. Statt sich auf die Umsetzung der Minsker Vereinbarung und die damit verbundenen Chance auf Überwinden der gegenseitigen Sanktionsmechanismen einzulassen, wird mehr oder weniger voraussetzungslos ihre einseitige Aufhebung gefordert.
  • Diese Haltung wird von Teilen der deutschen Wirtschaft in Russland durchaus geteilt. Ihnen zu Folge haben die Sanktionen den Zweck einer Verhaltensänderung verfehlt. Deshalb richteten sie nur Schaden an.
  • Diese Sicht auf die Sanktionen ist aber nicht durchgehend die Auffassung der in Russland tätigen deutschen Unternehmen. Vertreter der AHK wiesen ausdrücklich darauf hin, dass der Einbruch beim BIP und den Industrieinvestitionen bereits 2012 stattgefunden habe. Sie sei Folge der unzureichenden Diversifizierung und Modernisierung der russischen Volkswirtschaft. Die Sanktionen seien eher eine willkommene Ausrede für die Regierung, um von eigenen Versäumnissen abzulenken.
  • Dennoch seien die Folgen der Wirtschaftskrise sehr ernst zu nehmen. In den vergangenen Jahren war die Binnennachfrage einer der Konjunkturmotoren. Der anhaltende Einbruch bei den Reallöhnen verschärfe die Krise.
  • Eine wirkliche Antwort habe die Regierung darauf noch nicht gefunden. Zwar hat man den Staatshaushalt auf einen perspektivisch bei 60 $ liegenden Ölpreis, vormals bei 105 $, ausgerichtet. Die Politik der Importsubstitution produziert gerade in der Lebensmittelindustrie eher kuriose Resultate. In High-Tech-Branchen wie Luft- und Raumfahrt aber funktioniert sie nicht.
  • Die Hinwendung Russlands nach Asien ist hingegen mehr eine Absicht, die noch keine konkreten Ergebnisse zeigt. Sie ist vor allem nicht in der Lage, kurzfristig den größten Handelspartner Russlands, Europa mit über 50 %, kurzfristig zu ersetzen. Das Russland weiter auf wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Europa setzt, zeigt die Entscheidung von Gazprom die Bestellungen für Turkish Stream zu stornieren, gleichzeitig aber North Stream auf die doppelte Kapazität auszubauen.
  • Trotz der Wirtschaftskrise ist die Zustimmung zur Präsidentschaft Putins mit über 80 % der Bevölkerung unvermindert hoch. Gerade die völkerrechtswidrige Annektion der Krim hat hierzu viel beigetragen. Die – so vielfach gehört – „Korrektur eines historischen Irrtums“ hat auch unter denen, die 2011 gegen Putin demonstrierten, so viel Zustimmung, dass etwa die Partei des ermordeten Boris Nemzow – die liberale Parnas – sich hierzu heute lieber gar nicht mehr äußert.
  • Nahezu alle Gesprächspartner beschrieben die außenpolitischen Aktionen Russlands als aus einer innenpolitischen Motivlage der Legimitation resultierend. Dies begrenze das eher taktische als strategische Verhalten Russlands nach außen.
  • Obwohl aus dem Lager der liberalen Opposition der Regierung kaum eine Gefahr droht, rüstet sie massiv gegen die Gefahr einer „Farbrevolution“ a la Maidan Inländische Nichtregierungsorganisationen wie das Komitee gegen Folter haben sich inzwischen aufgelöst, um nicht länger als „ausländische Agenten“ diskriminiert, schikaniert und kriminalisiert zu werden.
  • Internationale NGOs werden durch das Gesetz über „Unerwünschte Organisationen“ bedroht und haben begonnen ihre Arbeit in Russland einzustellen. Selbst Springer mit Forbes und Burda mit seinen Mode- und Rätselheften sind bedroht. Die die Regel, dass Ausländer künftig nicht mehr als 20 % an Medienunternehmen haben dürfen, droht sie aus dem Geschäft zu werfen. Hierzu verhält sich die Bundesregierung recht zurückhaltend.
  • Während die Regierung in der Zivilgesellschaft die größte Bedrohung für seine Herrschaft sieht, droht nach Einschätzung vieler Gesprächspartner die Gefahr von ganz anderer Seite – aus Tschetschenien und Dagestan und den sich dort ausbreitenden islamistischen Kräfte. Die Ermordung von Nemzow sei ein klare Warnung von Kadyrow an Putin gewesen. Er sei ihm „wie eine tote Katze“ vor die Haustür des Kreml gelegt worden.
  • Eine solche Destabilisierung Russlands ist nicht im Interesse Europas. Deshalb muss der Dialog mit Russland aufrecht erhalten werden – ohne sich von den Prinzipien des Völkerrechts zu verabschieden.
    • Keine Rückkehr zu einer Aufrüstungsspirale wie im Kalten Krieg – stattdessen Revitalisierung des NATO-Russlands-Rates.
    • Offensive Angebote auf schrittweise Zurücknahme von Wirtschaftssanktionen gegen konkrete Schritte bei der Umsetzung von Minsk 2
    • Kooperation mit Russland im Kampf gegen IS durch den Versuch ein Mandat im Sicherheitsrat zu erreichen
    • Massive Erleichterung des Visazugangs insbesondere für junge Russen – statt einer weiteren Verschärfung
    • Aufhebung der Reisesanktionen gegen Parlamentarier soweit sie an Gremien der OSZE oder des Europarates teilnehmen oder im Rahmen interparlamentarischer Gespräche einreisen.

 

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