Ein europäisches Deutschland – Nation, Westen in einer multipolaren Welt

Auf der Konferenz “ Das Wetter vor 25 Jahren – Grüne Lehren aus der Wiedervereinigung“ der Heinrich-Böll-Stiftung diskutierte ich mit Katrin Göring-Eckardt, Thomas Krüger und  François Heisbourg über das Verhältnis der Grünen zu Nation und „dem Westen“.

 

Hier finden sich meine Notizen dazu:

Alle reden von Deutschland

  1. Alle reden von Deutschland, wir reden vom Wetter? Das war vor 25 Jahren gleich ein doppelter Fehler der West-Grünen. Wetter ist nicht Klima – und wenn alle von etwas reden, dann müssen auch Grüne darauf eine Antwort haben. 1990 blieben sei diese Antwort schuldig. Sie scheiterten an der 5 % Hürde. So war ich lange der einzige West-Grüne, der noch im Bundestag reden durfte, als niedersächsischer Bundesratsminister.

Global denken vor Ort handeln

  1. Global denken – vor Ort handeln: Das war der Anspruch der Grünen in der alten Bundesrepublik seit ihrer Gründung. Ökologie als Frage globaler Gerechtigkeit, die Universalität der Menschenrechte und der Kampf um den Weltfrieden prägten sie – und wer verkörperte dies einprägsamer als Petra Kelly?
  2. Diese Haltung legte aber auch die Hybris für 1990 und die Fehleinschätzung der historischen Situation.
  3. Trotz des globalen Denkens war der politische Handlungsrahmen der Westgrünen die alte Bundesrepublik. Das Waldsterben sollte in der BRD bekämpft werden. Die BRD sollte einseitig abrüsten, hier galt Sonne statt Reagan (Josef Beuys, BAP).
  4. Politisiert worden waren die Westgrünen durch die internationalistische 68er Bewegung. Sie waren gegenüber dem Begriff der Nation ablehnend bis ignorant. Die meisten von ihnen schauten verstört, als etwa Helmut Lippelt am 09. November 89 im Bundestag in die Nationalhymne einstimmte.
  5. Kulturell orientierten sich die Westgrünen an den Gras-Root Bewegungen in den USA von der Antikriegsbewegung bis zu Sie fühlten sich eher in Kopenhagen, Amsterdam und Lissabon zuhause als in Magdeburg oder Dresden.
  6. Die Westgrünen waren lange Vertreter der Position von zwei deutschen Staaten. Darin fanden sie kurzfristig in der DDR-Bürgerbewegung einen Bündnispartner. 1,6 Millionen DDR-Bürger unterzeichneten ein Begehren für eine demokratische DDR, initiiert und unterstützt unter anderem von Konrad Weiß und Ulrike Poppe.
  7. Die Deutsche Einheit fegte diese Positionen beiseite. Es gab nicht einmal eine – von Grünen wie Bürgerbewegung geforderte neue Verfassung – sondern nur die pragmatische Umgestaltung des Grundgesetzes auf die neue Situation.
  8. In ihr aber lag der Kern des Neuen in Deutschland. Ausdrücklich stärkte der neue Artikel 23 die Einbindung Deutschlands in ein gemeinsames Europa. Unumkehrbar wurde dieses durch die Aufgabe des einzigen nationalen Symbols der alten Bundesrepublik – der D-Mark. Die Einführung des Euro band Deutschland in Europa endgültig ein. Grüne bejahten nach ausführlicher Diskussion mit großer Mehrheit den Euro.
  9. So wenig die Vereinigung ohne diese europäische Einbindung möglich war, so sehr hat sie die Haltung der Grünen zur Nation verändert. Sie sind heute die pro-europäischste Partei in Deutschland. Und sie stehen zur deutschen Verantwortung im gemeinsamen Europa.
  10. Nach der Wiedervereinigung gab massive Befürchtungen, über ein von Deutschland dominiertes Europa (Nie wieder Deutschland). Ab 1998 an der Regierung machten Grüne die Erfahrung, dass es in Europa – parallel und zum Teil im Widerspruch zu dieser Befürchtung – riesige Erwartungen an Deutschland Deutschland soll in Europa führen – und sich dafür kritisieren lassen.
  11. Deutschlands gewichtigere Rolle in der Welt ist auch eine Folge der Politik von Rot-Grün zwischen 1998 und 2005. Es war die Beteiligung am Kosovo-Krieg ebenso wie das Nein zum Irak-Krieg, die Solidarität mit den USA nach 9/11 wie die Durchsetzung des Kyoto-Protokolls gegen die USA. In einem gemeinsamen Europa agiert heute ein multilaterales, selbstbewusstes Deutschland.

Westliche Werte und Realpolitik

  1. Westliche Werte und den Westen darf man nicht verwechseln. Schon die Rede von dem Westen verwischt reale Widersprüche. Trotz strategisch ähnlich gerichteter Interessenlagen gibt es konkrete Widersprüche zwischen Europa und den USA. Diese drücken sich zum Beispiel in der Kontroverse zwischen dem Kongress und der europäischen Politik zur Ukraine aus.
  2. Auch innerhalb Europas gibt es unterschiedliche Werten und Interessenslagen– vor allem in West- und Osteuropa . Das liegt in unterschiedlichen Erfahrungen in den Zeiten des Kalten Kriegs begründet (Verhältnis zur Sowjetunion) – als auch in ausgebliebenen gesellschaftlichen Klärungsprozessen (`68er Revolte).
  3. Die westlichen Werte fanden ihren Niederschlag in der US-Verfassung. Sie bildeten die Grundlage der französischen Revolution (Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit). Nach dem zweiten Weltkrieg begründeten sie die liberale Weltordnung samt der UN-Charta (We the people of the United Nations …). Sie fanden ihren zugespitzten Ausdruck in der Erklärung der Menschenrechte. Einstmals westliche Werte sind heute universelle Werte.
  4. Deutschland hat zwei Niederlagen in von ihm begonnenen Weltkriegen gebraucht, um diese universellen Werte in seiner Verfassungsordnung festzuschreiben. Und es bedurfte der Revolte der 68er um sie auch in der politischen Kultur Deutschlands zu verankern.
  5. Nicht erst in Guantanamo haben die Mächte des Westens die westlichen Werte mit Füßen getreten. Auslöser der 68er-Bewegung war unter anderem der Bomben- und Napalmkrieg der USA gegen Vietnam.
  6. Vielfach mussten westliche Werte gegen die Mächte aus dem Westen durchgesetzt werden.
    1. Indien – die größte Demokratie der Welt – musste seine Freiheit gegen die kolonialistische Westminster-Demokratie Großbritanniens erstreiten.
    2. Südafrikas Freiheit und Demokratie gingen Jahrzehnte des Kampfes gegen die von Europa und den USA unterstützte rassistische Apartheid
    3. Brasilien musste seine Demokratie wie andere südamerikanische Staaten gegen die von den USA unterstützte Militärdiktatur erkämpfen – die heutige Präsidentin Dilma Rouseff tat es mit Waffe in Hand
  7. Es geht heute nicht um der Westen gegen den Osten. Es gibt auch keinen marginalisierten Süden daneben. Indien, Brasilien, Südafrika sind Demokratien. Nur mit ihnen wird man die Globalisierung gestalten können.
  8. Wenn die Menschenrechte es in der multipolaren Welt schwer haben, dann sollen wir aufhören, von westlichen Werten zu sprechen. Zu oft haben die Staaten des Westens diese zusammen mit Kolonialismus, Rassismus und Gewalt selbst untergraben. Menschenrechte sind universell.

Globale Risiken und Gefahren

  1. Wir sind Zeugen einer umfassend gewordenen Globalisierung. Nicht nur Handel und Wirtschaft haben sich globalisiert. Wir erleben die Globalisierung von Kulturen wie von Terror, von Chancen wie von Risiken. Gleichzeitig ist die Fähigkeit zur Globalen Governance seit dem Ende des Kalten Krieges vor 25 Jahren gesunken
  2. Europa ist umgeben von Krisen und Kriegen. Staatszerfall und zerfallende Staaten prägen nicht nur unsere Nachbarschaft. Zerfallene und Zerfallende Staaten sind Folgen des Zusammenwirkens globaler Risiken, die sich gegenseitig verstärken und manifeste Gefahren auslösen können.
  3. Zu diesen Risiken zählen vor allem der anhaltende Klimawandel, die globale Ungleichheit, Rohstoffkonkurrenz, Aufrüstung. Zusammen begünstigen sie Bad Governance, Korruption, Zerfall und Krieg.
  4. Keinem dieser globalen Risiken kann ein Land alleine begegnen. Der Unilateralismus ist gescheitert. Die USA sind eine überdehnte Supermacht.
  5. Deutschland ist zu klein, um diese Probleme anzugehen. Deutschland ist zu groß, um hierbei an Seite zu stehen. Erst eine handlungsfähigere Europäische Union hat das Zeug zu einem Global Player. Deshalb ist es im Interesse Deutschlands, Europa zu stärken. Nur gewinnt es politische Souveränität zurück.

Europäisches Deutschland

  1. Im Westen angekommen ist die wiedervereinte Nation nur als ein europäisches Deutschland.

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