Die Schwäche der Vereinten Nationen ist unser Versagen

Warum der Sicherheitsrat gestärkt werden muss

Keynote am 8. Oktober bei der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen 

Liebe Frau Professorin Liese,
Lieber Detlev Dzembritzki,
Meine Damen und Herren,

70 Jahre Gerede von der Krise

Die Vereinten Nationen mühen sich seit 70 Jahren, „die Welt von der Geißel des Krieges zu befreien“ (UN Charta) und fast genauso lange wird auf Reformen gedrungen. Seit es die UN gibt, ist sie in der Krise:

Statt Krisen in der Welt zu meistern, sind die Vereinten Nationen […] damit beschäftigt, ihrer eigenen Krise Herr zu werden“

– schreibt die Wochenzeitung DIE ZEIT 1964.

Daran hat sich wenig geändert. Mal sind die Vereinten Nationen „ohnmächtig“ mal „hilflos“ – und in jedem Fall unterfinanziert.

Doch zum 70sten kommt es ganz dick: Spiegel-Online sieht am 07.10.15

„Das Ende der UNO“

Darin ist es sich einig mit Loyal 10/15, der Zeitschrift des Reservistenverbandes LOYAL sieht die Weltgemeinschaft gescheitert:

„Die Konflikte dieser Tage offenbaren ein kolossales Versagen… der Vereinten Nationen.“

Doch so richtig sicher sind sich unsere Reservisten in ihrem Befund nicht, platzieren sie doch direkt daneben einen Artikel des zif-berlin mit dem Titel

„Peacekeeper – Job auf einem Zukunftsmarkt.“

Was bei dem Abgesang auf die UNO allzu oft untergeht:

Die Vereinten Nationen stecken in der Krise – aber sie sind unverzichtbar.

Weil sie unverzichtbar sind, müssen sie sich ändern. Und bei allem Dissens ist die Reformbedürftigkeit der UNO möglicherweise der einzige Punkt, indem sich alle 193 Mitgliedstaaten einig sind.

Mangelnde Legitimität steht im Zentrum der Kritik. Doch woran hängt diese Legitimität? Wie kann sie gesteigert werden?

Gespaltene Legitimität

Legitime Ordnungen müssen sich an drei Kriterien messen lassen:

  • Wer war an der Entscheidung beteiligt?
  • Und wie sieht der Entscheidungsprozess aus?
  • Welche Qualität haben die Ergebnisse?

Bei den Vereinten Nationen kommt noch hinzu:

Die Legitimation der UNO stützt sich auf zwei Säulen.

  • Zum einen repräsentieren die Vereinten Nationen die Siegermächte des zweiten Weltkriegs. Das spiegelt sich vor allem im Sicherheitsrat wieder – dem Gremien, das verbindliches Völkerrecht setzt.
  • Und sie ist die Organisation der Völker der hierin vereinten Nationen („We the people of the United Nations“ Präambel der UN-Charta). Das spiegelt sich in der Generalversammlung mit dem Prinzip Eine Nation– eine Stimme

Diese Legitimitäten können sich ergänzen und widersprechen. Aber wir sollten sie nicht gegeneinander ausspielen.

Legitimität der Entscheidungsprozesse

Wer wird an der Entscheidung beteiligt? Sind die Entscheidungsprozesse transparent? Hier muss man unterscheiden.

Die Generalsversammlung schneidet gut ab. Dank ihrer universellen Mitgliedschaft ist die sogenannte Input-Legitimität sehr hoch. Die Generalversammlung tagt öffentlich. Ihre Entscheidungen werden mit hoher Transparenz getroffen.

Der UN-Sicherheitsrat hingegen hat in seiner Zusammensetzung die Machtkonstellation von 1945 eingefroren. 5 ständige und 10 nichtständige Mitglieder entscheiden hinter verschlossenen Türen über Krieg und Frieden. Abschließend.

Die Debatte um eine Reform der Vereinten Nationen ist lange verengt worden auf eine Verbesserung der Input-Legitimität des Sicherheitsrats.

Im Kern ging es darum die heutigen Machtverhältnisse in einer „umfassend globalisierten“ (Dirk Messner) Welt besser abzubilden.

Gerade erst haben die sogenannten G4 Staaten (Brasilien, Indien, Japan und Deutschland) wieder eine Erweiterung des Sicherheitsrates gefordert.

In der Tat: Angesichts von globalen Krisen und Konflikten brauche es ein repräsentativeres, legitimeres und effektiveres Gremium.

Nur erstens kommt das nicht so schnell und zweitens löst dies nur ein Teil des Problems.

Output-Legitimität

Wie steht es um die Qualität der Ergebnisse, um die Output-Legitimität der Vereinten Nationen?

Der Sicherheitsrat arbeitete zuletzt trotz seiner kleinen Mitgliederzahl nicht effektiv. Seit dem Zerwürfnis über die Intervention in Libyen 2011 ist das Gremium weitestgehend blockiert.

So hat Russland seitdem sechsmal von seinem Veto Gebrauch gemacht. In den 1990er Jahren, votierte Russland nur zweimal mit nein.[1]

Zur Lösung der drängendsten Probleme der Welt trägt der Sicherheitsrat derzeit wenig bei. Stattdessen versucht die EU gerade, den Sicherheitsrat für eine Resolution für die bewaffnete Flüchtlingsabwehr im Mittelmeer – zynisch Mission Sophia genannt – zu instrumentalisieren.

Die Blockade sowie die Instrumentalisierung des Sicherheitsrats schaden der Autorität der UN. Gleichzeitig macht es deutlich wie dringend wir ein Forum brauchen, um gemeinsam mit solchen Krisen umzugehen.

Das Versagen des Sicherheitsrats ist nicht das Versagen der Vereinten Nationen.

Im Windschatten der lauten Kritik hat die UN einiges erreicht. Im Jahr 2000 haben die Mitgliedsstaaten acht Milleniumsziele verabschiedet, darunter den Vorsatz extreme Armut und Hunger zu bekämpfen, die Kindersterblichkeit zu senken, allen Kindern Zugang zu Primärschulbildung zu verschaffen und sich für ökologische Nachhaltigkeit einzusetzen. 15 Jahre später ist die Bilanz gemischt.

  • In vielen Bereichen sind wir noch weit davon entfernt die selbstgesteckten Ziele zu erreichen. Zum Beispiel müssen noch immer mehr als 800 Millionen Menschen von weniger als 1,10 Euro pro Tag[2]
  • Doch es gibt auch Fortschritte zu verzeichnen. In Entwicklungsländern ist die Anzahl von Kindern, die eine Grundschulbildung erhalten, inzwischen auf 91%[3]
  • Die Anzahl an HIV-Neuinfektionen ist um 40% zurückgegangen.[4]

Das ist aktive Friedenspolitik.

Die Kriege von heute entstehen aus zerfallenden Staaten und weniger aus Kriegen zwischen Staaten. Bad Governance, Korruption und Staatszerfall erwachsen aus einem sich gegenseitig verstärkenden Mix globaler Risiken:

  • Klimawandel
  • Konkurrenz um Ressourcen
  • Globale Ungleichheit
  • Verbreitung von Waffen

Jetzt haben die Mitgliedsstaaten der UNO eine Fort- und Weiterentwicklung der Milleniumsziele beschlossen.

In der sogenannten Agenda 2030 haben sie sich auf 17 Nachhaltigkeitsziele geeinigt, die nun mehr nicht nur für die Entwicklungsländer sondern für alle gelten – auch für Deutschland.

Damit soll extreme Armut beendet, Ungleichheit und Ungerechtigkeit bekämpft und der Klimawandel gestoppt werden. Auch diese Mission ist ambitioniert, doch selbst kleinere Fortschritte gehen in die richtige Richtung.

Vor allem aber zielen sie auf die Wurzel von Krisen und Kriegen. So geht präventive Sicherheitspolitik.

Das Gerede vom Ende der UN ist fahrlässig und dumm. Ohne die Vereinten Nationen wäre diese Welt kriegerischer und gewalttägiger.

Vollends daneben erscheint das Gerede, wenn wir die Output-Legitimität der UN-Organisationen anschauen.

Die Unterorganisationen der UN leisten – oft von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen – wichtige Arbeit: z.B. das UN Flüchtlingswerk (UNHCR), das World Food Programme (WFP), das UN Hilfswerk (UNRWA) und die Nothilfekoordination (OCHA).

Diese Organisationen haben nicht nur – wie das United Nations Development Program (UNDP) – in den letzten Jahren umfassende Reformanstrengungen unternommen. Sie sind nicht nur wie das Department für Peacekeeping Operations (DPKO) sehr effizient. DPKO führt 200 000 Peacekeeper in rund 20 Missionen mit weniger Personal als das Einsatzführungskommando Potsdam.

Ohne die UN-Organisationen und ohne UN-Missionen wären viele Krisen in Nahost, in Afrika völlig außer Kontrolle geraten.

Doch auch die UN-Organisationen können nur so stark sein wie die Mitglieder es zulassen. Letzten Dezember erreichte uns die Nachricht, dass dem WFP das Geld für die Syrien-Hilfe ausgegangen ist. Geberländer hatten ihre Zusagen nicht eingehalten.

Europa hat fünf Jahre zugesehen, wie der Krieg in Syrien eskalierte.

  • Europa hat Staaten wie Qatar und Saudi-Arabien mit Waffenlieferungen belohnt, die auf Terroristen setzten um einen Regimewechsel in Syrien zu erreichen.
  • Europa hat weggeschaut, als die die Zahl der Vertriebenen immer weiter wuchs.
  • Europa hat Jordanien, den Libanon und die Türkei nicht durch großzügige Kontingente entlastet und es hingenommen, dass in den Lagern Menschen mit halbierten Essenrationen überleben mussten.

Und jetzt wundern wir uns, dass sie zu uns fliehen.

Nicht die UN haben versagt. Europa hat versagt – neben den USA und anderen.

Das Legitimitätsproblem der UNO haben ihre Mitgliedsstaaten verschuldet. Die Vereinten Nationen können nur so viel wie jede einzelne Nation bereit ist zu tun.

Reformvorschläge

UN-Reform ist notwendig. Doch die Reformdebatte braucht dringend einen Realitätscheck.

  1. Derzeit gibt es für eine Sicherheitsratsreform keine Mehrheiten –auch nicht für die G4.
  2. Diese Mehrheit fehlt auch für die Abschaffung von One Country – One Vote

Sicherheitsrat umgangen

Wenn Europa und die USA auf Russland und China zeigen, die angeblich den Sicherheitsrat blockieren, dann weisen einige Finger auf sie zurück.

Gerade die ständigen Mitglieder versuchen oft gar nicht, den Sicherheitsrat zu stärken. Sie umgehen ihn lieber.

Die USA, Frankreich und Groß Britannien haben die Terrorbekämpfung nationalisiert. Der IS wird in einer Koalition der Willigen bekämpft. Gestützt auf eine – in Syrien – völkerrechtlich windige Begründung.

Weder die USA noch Europa haben jemals ernsthaft versucht, den Kampf gegen den IS auf die Basis eines UN-Mandats zu stellen und die involvierten Regionalmächte Iran, Saudi-Arabien und die Türkei darin einzubeziehen.

Anders gesagt, die Garantiemächte des Sicherheitsrats selbst haben die Legitimität des Sicherheitsrats untergraben.

Das erstaunt umso mehr, als parallel zu diesem Konflikt die USA und Europa zusammen mit Russland mit einem UN-Mandat die syrischen Chemiewaffen beseitigt hatten und zusammen mit China und Russland und der IAEO der Nuklearvertrag mit dem Iran ausverhandelt wurde.

Russland beweist der Welt gerade, dass das was die USA und Europa können, sie auch können: Terrorbekämpfung im Alleingang.

Das Ergebnis: In Syrien wird unkoordiniert und ohne langfristigen Plan bombardiert. Der Krieg eskaliert. Noch mehr Menschen fliehen.

Wir müssen diesen Konflikt in den Sicherheitsrat zurückbringen.

Das erwarte ich von der Deutschen Bundesregierung.

Syrien-Blockade begann in Libyen

Im Rahmen der Syrien-Debatte wurde erneut der Ruf laut, den blockierten Sicherheitsrat in der als legitimer erachteten Generalversammlung zu überstimmen.

Das verkennt, dass der Ursprung der Syrien-Blockade in Libyen liegt. Vor zehn Jahren beschloss die Generalversammlung einstimmig, die Resolution zur Resonsibility to protect. Die Schutzverantwortung wurde durch den Beschluss des Sicherheitsrats zur Libyen-Intervention zur materiellen völkerrechtlichen Gewalt.

Doch ihre Umsetzung als ein Instrument eines Libyen destabilisierenden regime change lässt heute nicht nur China und Russland dieses Prinzip hinterfragen sondern auch Demokratien wie Brasilien oder Indien – unsere Partner in den G4.

Würde man heute gemäß der alten Uniting for Peace Resolution (1950) alle 193 Mitglieder abstimmen lassen würde, man bekäme nach den Libyen-Erfahrungen nicht mal eine einfache, geschweige denn jene Zweidrittelmehrheit, die man bräuchte, um den blockierten Sicherheitsrat auszuhebeln.

Auch diese Umgehung des Sicherheitsrats, erhöht nicht die Output-Legitimität der Vereinten Nationen.

Langfristig würde dieser Schachzug außerdem die Spielregeln der Weltorganisation unterminieren.

Whatever works?

Angesichts stockender Reformprozesse macht sich weltweit Fatalismus breit. Italiens Außenminister Paolo Gentiloni fordert anlässlich der Flüchtlingskrise einen „flexiblen Multilateralismus“.

Und tatsächlich haben andere Formate wie die Bretton Woods Institutionen und die G20 zunehmend Funktionen bei der Gestaltung von Globalisierung übernommen. Das Iran-Atom-Abkommen wurde von den E3+3 verhandelt – ein Format, dass sich auch für Syrien anbietet.

Das muss nicht zum Schaden der UN sein – wenn der Wille besteht, dort getroffene Vereinbarungen schrittweise ins Völkerrecht zu überführen.

In einer Zeit der umfassenden Globalisierung – wirtschaftlich, politisch, kulturell – einer Globalisierung von Krisen und Konflikten erleben wir gleichzeitig einen Verlust an globaler Governance.

Um dem entgegenzuwirken, müssen wir uns bemühen, das Legitimitätsdefizit der Vereinten Nationen zu überwinden. Das wird nicht durch umfassende institutionelle Reformen geschehen, sondern durch eine Stärkung des Sicherheitsrates, durch eine Stärkung des Hauptorgans zur Sicherung des Weltfriedens. Auch wenn es kurzfristig verführerisch einfach erscheint, wir dürfen den Sicherheitsrat nicht umgehen. Und wir dürfen ihn nicht instrumentalisieren.

Fazit

Als Garant der völkerrechtsbasierten Weltordnung müssen die Vereinten Nationen im Zentrum unserer Außen- und Sicherheitspolitik stehen.

Das ist keine Frage des Bekenntnisses. Sondern des Handelns.

Für Deutschland bedeutet das, die Vereinten Nationen energischer zu nutzen – und sich einzubringen. Wir bleiben weit hinter unseren Möglichkeiten zurück.

Zu einer aktiven Mitgliedschaft gehört glaubwürdiger Einsatz. Am Rande der Generalversammlung in New York hat Obama einen Peacekeeping Summit ausgerichtet. Mehr als 50 Staaten haben sich bereiterklärt, die Blauhelme um mehr als 30.000 Soldaten, Polizisten und ziviles Personal aufzustocken.

  • Deutschland beteiligt sich derzeit an neun UN-Missionen und stellt
    • 19 Polizisten,
    • 135 Soldaten und
    • 18 Militärexperten.
  • Im Vergleich dazu: Ruanda (Bevölkerung 11,78 Millionen) stellt 520 Polizisten, 5135 Soldaten und 30 Militärexperten.

Während China gleich eine zusätzliche Peacekeeping-Truppe von 8.000 Mann versprochen hat, stellte der deutsche Außenminister bisher erstmal nur bis zu 45 Polizisten mehr in Aussicht.

Die Schwäche der Vereinten Nationen ist unser Versagen.

Nur wir, die Völker der Vereinten Nationen, können die UN stärken.

 

[1]              http://de.statista.com/statistik/daten/studie/322711/umfrage/vetos-der-staendigen-mitglieder-des-sicherheitsrates-der-vereinten-nationen/

[2] http://www.un.org/millenniumgoals/poverty.shtml

[3] http://www.un.org/millenniumgoals/education.shtml

[4] http://www.un.org/millenniumgoals/aids.shtml

 

Foto: sanjitbakshi; Creative Commons

Verwandte Artikel

Kommentar verfassen

Artikel kommentieren


* Pflichtfeld