NATO-Gipfel: Zurück in den Kalten Krieg?

Heute habe ich in der Debatte Friedens- und Sicherheitspolitik im Bundestag eine Rede gehalten:

„Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn man Herrn Gehrcke und Herrn Otte hier so zuhört: Ja, das ist ja so wie früher; das ist ja déjà vu. Es gibt offensichtlich eine Nostalgie zur Linken wie zur Rechten in diesem Haus.

Beginnen wir mit der Nostalgie der Linken: raus aus der NATO, rein ins Vergnügen – das ist so etwas von Achtziger, dass man dagegen eigentlich gar nichts mehr sagen kann. Aber eines sollten Sie sich doch klarmachen: Ein Bündnis wie die NATO ist ein Mittel auch gegen nationale Alleingänge. Um es vielleicht Wolfgang-Gehrcke-gerecht zu formulieren – der erste NATO-Generalsekretär hat das Bündnis einmal so definiert: to keep the Russians out, to keep the Americans in, and to keep the Germans down. – Wenigstens das Letzte solltest Du doch verstehen, Wolfgang.

Es kommt eine andere Geschichte hinzu – hier gleichen sich die Brüder zur Linken und die schwarzen Brüder zur Rechten -, nämlich eine mehr oder weniger klammheimliche Gleichsetzung des heutigen Russlands mit der Sowjetunion. Ich finde, darüber sollte man noch einmal nachdenken. Die alte Sowjetunion hat in ihrem Herrschaftsbereich brutal mit Panzern jeden Versuch der Demokratie niederkartätscht. Aber sie hat nicht die Nachkriegsordnung nach Jalta infrage gestellt.

Was hat Russland gemacht? Es verhält sich anders. Russland hat mit der völkerrechtswidrigen Annexion der Krim und dem Vorgehen in der Ostukraine die europäische Sicherheitsarchitektur nach 1990 infrage gestellt. Russland hat das infrage gestellt, was die Sowjetunion selber vereinbart hat, und hat die eigenen Prinzipien als Garantiemacht des Budapester Abkommens mit Füßen getreten. Das ist der Grund, warum wir heute über Rückversicherung reden müssen und auch dementsprechend handeln müssen.

Dann gibt es auch die Nostalgie auf der anderen Seite. Morgen beginnt ja der NATO-Gipfel in Warschau. Wenn man sich anschaut, was da vorbereitet ist, dann sieht man: Da will man mit den Mitteln des 20. Jahrhunderts die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts bewältigen. Herr Stoltenberg formuliert das so: „…wir bewegen uns von der Rückversicherung zur Abschreckung.“ Er hätte auch sagen können: Wir bewegen uns zurück in den Kalten Krieg. – Wolfgang Schäuble will, anders als der Außenminister, sogar zurück zum Harmel Report von 1967. Das, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist so was von 60er; da würde ich Ihnen empfehlen: Schauen Sie sich noch mal Eins, Zwei, Drei von Billy Wilder an. Dann wissen Sie, in welcher Zeit Sie gelandet sind.

Zurück in den Kalten Krieg – das kann doch nicht ernsthaft die Lösung sein.

Die Bundeskanzlerin hat heute Morgen gesagt, dass sie die 25 Milliarden Euro, die sie nicht für die Entwicklungshilfe zur Verfügung stellt, in die Nachrüstung stecken möchte. Gibt es eigentlich einen Nachrüstungsbedarf? Die NATO gibt für Verteidigungsaufgaben 900 Milliarden US-Dollar aus, die Russen 90 Milliarden. Die NATO-Staaten ohne die USA geben dreimal so viel aus wie Russland. Selbst wenn man die Kategorien des Kalten Krieges zugrunde legt, gibt es keinen Nachrüstungsbedarf.

Aber es ist noch viel schlimmer: Das, was da jetzt passiert, geht an den aktuellen Herausforderungen vorbei. Panzer, Herr Otte, taugen nicht zur Bewältigung einer Situation der hybriden Kriegsführung. Staatszerfall bekämpft man doch nicht mit einer Raketenabwehr. Und Terroristen lassen sich übrigens nicht abschrecken, Selbstmordattentäter schon gar nicht. Das alles wird nicht zu mehr Sicherheit führen, sondern nur zur höheren Geldausgaben. Es droht eine Eskalationsspirale.

Die NATO verspricht, sie wolle Stabilität. Aber das wird es mit einem Ansatz, der sich auf Abschreckung reduziert, nicht geben. Wir brauchen eine glaubwürdige Politik des Dialogs und der Entspannung. Und das hat nichts mit Naivität zu tun. Gerade in schwierigen Zeiten ist Dialogfähigkeit die Grundvoraussetzung für eine kluge Interessenvertretung.

Insofern glaube ich, es wäre klug, an der NATO-Russland-Akte festzuhalten. Das hieße, bei allen Rückversicherungsmaßnahmen keine substanziellen Truppen in Osteuropa zu stationieren. Das ist bei unseren Bündnispartnern im Osten schwer umstritten. Das hieße zum Beispiel, den Einsatz des überflüssig gewordenen Raketenschilds zu stoppen. Das hieße zum Beispiel, sich klar dafür auszusprechen, keine Waffen in Krisenregionen, auch nicht in die Ukraine, zu schicken. Und es hieße, bereit zu sein, endlich die Zusagen in der Entwicklungszusammenarbeit zu erfüllen statt aufzurüsten.

Das hieße, tatsächlich einen Schritt zu machen, um die amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland abzuziehen. Es wäre klug, auch die konventionelle Rüstungskontrolle wiederzubeleben. Nur so, auf einer solchen Basis und im Bündnis der NATO, kann man tatsächlich Frieden und Sicherheit in Europa sichern. Alles andere ist Nostalgie.“

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