Strukturwandel gestalten statt Oligopole schützen

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Klima, Energie und andere Disruptoren

Sehr geehrter Herr Professor Lenk,
sehr geehrter Herr Doktor Rottmann,
liebe Studierende
sehr geehrte Damen und Herren,

ich freue mich, dass ich heute im Rahmen des Leipziger Seminars für Ökonomie und Praxis sprechen und mit Ihnen über die Erfordernisse eines nachhaltigen, zukunftsweisenden Strukturwandels in Deutschland und Europa diskutieren darf.

1                  Leipzig: Strukturbrüche – Strukturwandel

Ich möchte heute über Strukturbrüche und Strukturwandel sprechen. Damit, das werden Sie bestätigen können, kennt sich die Region in und um Leipzig wahrlich aus.

Als bedeutendstes Industriegebiet der DDR stellte der Raum Halle-Leipzig in seinen Hochzeiten etwa 20% der Industrieproduktion[1] – mit der Braunkohleindustrie als Zugpferd.

Dies bedeutete damals Arbeitsplätze, ohne Frage, aber gleichzeitig sorgte der sogenannte „Industrienebel“ regelmäßig für Smog-Alarm in Städten und Dörfern.[2] Mit verheerenden Folgen für die Umwelt und ernsten Gesundheitsrisiken für Bewohnerinnen und Bewohner der Region.   

Die Wende brachte auch für diese Region eine massive Transformation der wirtschaftlichen und, damit einhergehend, der sozialen Situation auf den Weg, deren Auswirkungen bis heute andauern.

Das Wahlversprechen Helmut Kohls, Ostdeutschland schnell in „blühende Landschaften“ zu verwandeln, erwies sich für viele als zynisch.

Stattdessen kam es in den neuen Bundesländern mit dem Eintritt in die Währungsunion und der Abwicklung der Planwirtschaft bald auch zur weitflächigen De-Industrialisierung – und in der Folge vielerorts zu gestiegener Arbeitslosigkeit und Abwanderung.

Es kam zu einem Strukturbruch.

Er veränderte die Wirtschaftsstruktur der Region Leipzig nachhaltig.

Doch der Raum Leipzig-Halle entwickelt sich seit den 90er Jahren zu einer ostdeutschen Leuchtturmregion. Dies bedeutet nicht, dass es keine Probleme gab oder gibt. Aber der Transformationspfad, den die Region eingeschlagen hat, ist insgesamt gesehen erfolgreich.

Mittlerweile ist der Raum Halle-Leipzig nach Berlin-Brandenburg die wirtschaftsstärkste Region Ostdeutschlands. Und in Leipzig steigen seit einigen Jahren wieder die Zahlen der Einwohner und der Beschäftigten[3], ebenso wie die Geburtenrate.

Viele Restlöcher der geschlossenen Tagebaue sind mittlerweile renaturiert.  Aus dem „Umweltkatastrophengebiet“ rund um Leipzig ist eine Seenlandschaft entstanden. Auch Böden und Flüsse haben sich vielerorts erholt.

Knapp 80 km entfernt von Leipzig, in der Lausitz, ist dagegen das Ende des Braunkohleabbaus zwar eingeleitet, aber noch nicht umgesetzt. Der Übergang wird gerade von der Kohlekommission verhandelt.

Und von lautstarken Protesten begleitet. Denn während mittlerweile eine Mehrheit auch im rheinischen Braunkohlerevier für den Kohleausstieg bis 2030 ist, wie eine Studie der Universität Sankt Gallen erhoben hat, gilt dies nicht für die Lausitz. Dort denkt man anders. Nur 43% der Befragten sind für einen Ausstieg, 36% strikt dagegen. Und wenn, dann doch erst 2040.[4]

Wenn sie sich dabei nicht täuschen. Der tschechische Hedgefonds EPH hat bekanntlich für die ostdeutsche Braunkohle nicht nur nichts bezahlt. Nein, Vattenfall, hat noch 1,6 Mrd. draufgelegt, damit er sie an die Tschechen loswird.

Nur mit diesem 1,6 Mrd. sind die Stromkontrakte bis 2022 kostendeckend. Dann ist das Geld weg. Wenn aber der Strompreis an der hiesigen Börse nicht signifikant steigt, etwa wegen anhaltender Stromüberkapazitäten, wird EPH keinen Moment zögern, aus der ostdeutschen Braunkohle auszusteigen.

Dann kommt es zum Strukturbruch.

Wir Grüne plädieren für einen geordneten Strukturwandel ohne betriebsbedingte Kündigungen. Und mit nachhaltigen Investitionen in der Region.

In der Braunkohleförderung arbeiten heute noch gut 20 000 Menschen. Im rheinischen Braunkohlerevier sind dies rund 1,8 % der Beschäftigten. In der Lausitz geht es um insgesamt8.639 Beschäftigte.[5]

Nur was sind zukunftsträchtigere Investitionen als die in Erneuerbare Energien und in Klimaschutz? Doch davon will die Bundesregierung nichts wissen

2                  Cold War On Economics

Und doch könnte die Lausitz symbolhaft für den Industriestandort Deutschland, für die Wettbewerbsfähigkeit Europas stehen.

Wir sind stolz auf unseren Maschinenbau, unsere Automobil– unsere Chemieindustrie. Doch Europa ist nicht nur bei der Digitalisierung schwach aufgestellt.

Auf die Disruptionen durch den fortschreitenden Klimawandel, einen sich zuspitzenden Kampf zwischen China und den USA um eine globale ökonomische Dominanz hat Europa keine Antwort gefunden – oder gibt falsche, rückwärtsgewandte Antworten.

Dieser Tage gibt es widersprüchliche Tweets, ob Donald Trump mit Xi Jinping zu einen Deal in Handelsfragen kommt. Wer glaubt, wir stünden bloß vor einem Handelskrieg zwischen China und den USA, zwischen Europa und den USA, zwischen Korea und den USA irrt. Der Konflikt ist viel umfassender.

Es geht schon lange nicht mehr um Handel. Es geht um ökonomische Dominanz.

Bei Trump heißt das America First.

Xi Jinping meint das Gleiche mit China 2025.

Die USA

  • verteidigen mit Steuerdumping ihre globale Vorherrschaft in der Finanzindustrie ebenso wie in der IT-Branche.
  • haben sich durch Fracking zum Öl- und Gas-Swingproducer gemacht. Ihre Sanktionen gegen Russland und den Iran zielen darauf, den Marktzugang für Konkurrenten zu blockieren. Stichwort Nord Stream 2.
  • subventionieren ihre nicht wettbewerbsfähige Agrarindustrie mit Milliarden.
  • Die wenig wettbewerbsfähige produzierende US-Industrie wird mit Zöllen und erpressten Handelsabkommen wie NAFTA geschützt.
  • Multilaterale Handelsabkommen werden gekündigt und sollen durch bilaterale ersetzt werden, bei denen die USA in der Regel die größere Verhandlungsmacht hat. Die Welthandelsorganisation wird ausgebremst durch eine Blockade bei der Besetzung der Schiedsstellen.

China hingegen

  • hat zehn Bereiche identifiziert, in denen es Weltmarktführerschaft anstrebt – das für gilt batterieelektrische, autonome Fahrzeuge über die Luftfahrtindustrie bis zu Solar- und Windenergie.
  • verteidigt öffentlich den Multilateralismus und schottet gleichzeitig seinen eigenen Markt ab
  • eignet sich anhaltend Technologie und Wissen europäischer Unternehmen an – und blockiert Wissenstransfers dieser Unternehmen aus China
  • investiert in strategische Assets in Europa und den USA sowie in die Infrastruktur von Ländern in Asien und Afrika im Rahmen der Belt an Road Initiative
  •  versucht durch massive Investitionen in Erneuerbare Energien und Effizienz seine Energieimportabhängigkeit zu mindern – und exportiert im Rahmen der Belt and Road Initiative massenhaft Kohlekraftwerke

Haben Sie jemals etwas von einer vergleichbaren europäischen wirtschaftspolitischen Strategie gehört? Ich nicht.

Angesichts eines neuen wirtschaftlichen Kalten Krieges zwischen China und den USA ist der größte Binnenmarkt der Welt, ist Europa, strategisch auf Tauchstation.

Schlimmer noch. Deutschland und Europa sind dabei, die Weichen in die falsche Richtung zu stellen. Europa versucht überkommene Strukturen zu erhalten. Ja, es dreht eigene Innovationen zurück.

Das gilt in der Energie- und Klimapolitik. Das gilt aber gerade auch für Deutschlands Vorzeigebranche die Automobilindustrie.

Es ist ein industriepolitisches Desaster. Der Strukturkonservativismus untergräbt die Wettbewerbsfähigkeit Europas.

Die grünen Vorschläge, aus der Kohle bis 2030 auszusteigen, ab 2030 keine Pkws mit fossilem Verbrennungsmotor mehr zuzulassen, könnten Europa dagegen wieder zu einem ernsthaften Player im kalten Wirtschaftskrieg werden lassen.

3                  Energiepolitik in Zeiten der Klimakrise

Die Klimakrise liefert hinreichend Gründe für eine andere Energiepolitik.

Die CO2-Konzentration in der Atmosphäre hat den höchsten Stand erreicht, den es seit 800 000 Jahren nicht gegeben hat. Seit es die Menschheit gibt, war sie nicht so hoch. Der Anstieg fällt zusammen mit dem Beginn der industriellen Revolution.

Seit dem 19. Jahrhundert ist der physikalische Effekt bekannt, wonach mit der Konzentration des CO2 in der Atmosphäre die Menge der nicht in den Weltraum zurückreflektierten Sonnenstrahlung wächst. Es wird heißer.

Es gibt einen kausalen Zusammenhang zwischen den Treibhausgasen und der Klimakrise.

Dies hat Folgen. Steigen die globalen Temperaturen um mehr als 2 Grad – zurzeit erscheinen 2,6 Grad wahrscheinlich – drohen mehr Dürren, mehr Überschwemmungen, mehr Malaria sowie ein beachtlicher Anstieg des Meeresspiegels.

Die Internationale Organisation für Migration rechnet dann mit über 150 Mio. Klimaflüchtlingen pro Jahr.

Sir Nicholas Stern, früher Chefökonom bei der Weltbank und heute Professor an der London School of Economics, hat berechnet, dass uns das zwischen 5 und 20 % des weltweiten GDPs kosten kann.

Die Begrenzung auf 1,5 Grad ist ambitioniert, wie man im aktuellen Sonderbericht des IPCC nachlesen kann. Aber sie ist allemal günstiger.

Es gibt noch andere gute Gründe. So wollen großen Investoren wie die Allianz und sogar Blackrock – die bezahlten bisher Friedrich Merz raus aus der Kohle.

Sie wissen, wird die globale Erhitzung auf 1,5 bis 2°C begrenzt, müssen vier Fünftel der heute bekannten Vorräte an Öl, Kohle und Gas unter der Erde bleiben. Wenn  80 % der fossilen Vorräte nicht verbrannt werden können, dann sitzen sie auf einem Haufen totem Kapital. Allein die an Börsen gelisteten Unternehmen haben 7 Billionen $ in Fossile Energien versenkt.

Platzt diese Carbon Bubble,werden Milliarden Abschreibungen bei Banken und Anlegern fällig.

Deshalb wird es zu einem Kohleausstieg kommen – entweder politisch gestaltet und sozial abgefedert oder durch einen Crash.

Entsprechend verändert haben sich die globalen Investitionsströme im Energiesektor.

Hierzu hat die vor 20 Jahren von Rot-Grün in Deutschland auf den Weg gebrachte Energiewende einen entscheidenden Beitrag geliefert.

2014 gewannen Erneuerbare Energien zum ersten Mal das Rennen gegen fossile Energien. Mit 143  Gigawattwurden erstmals mehr erneuerbare als fossile Kapazitäten installiert. Kohle, Öl und Gas kamen nur auf 141 Gigawatt.

Und der Trend hält an. Wind, Sonne und Wasser werden immer wettbewerbsfähiger. Sehr konservativen Schätzungen zu Folge sollen die Erneuerbaren 60% der Stromerzeugung weltweit ausmachen. Und zwei Drittel aller Investitionen in diesem Bereich auf sich vereinen.

Diese Entwicklung ist im Wesentlichen vor über zehn Jahren in Deutschland eingeleitet worden.

Eine wirkliche deutsche Vorreiterrolle wurde beim Erneuerbaren Energien Gesetz beschritten. Und dieser deutsche Sonderweg war gut für die Welt.

Die degressive Einspeisevergütung hat die Kosten für Wind- und Sonnenenergie um gut 90 % reduziert.

In Deutschland sind öffentlich alle für die Energiewende – selbst die, die sie täglich ausbremsen. Aber viele Menschen investieren für sie Geld. Bauern, Genossenschaften, Bürgerfonds, Stadtwerke-  und nicht die großen Energiekonzerne – haben Milliarden in Erneuerbare Energien investiert. 40% des erneuerbaren Stroms in Deutschland sind weitgehend konzernfrei.

Die Energiewende ging viel schneller als geplant. Ursprünglich sollten 2020 beim Strom 20% erneuerbar produziert werden. Dieses Ziel wurde schon 2012 übertroffen – heute liegen wir bei fast 40%.

So sparen Erneuerbare erheblich mehr Treibhausgase ein, als alle PKWs emittieren.

Diese Entwicklung in Deutschland machte Erneuerbare global wettbewerbsfähig. Heute ist die globale Referenzgröße für die Kosten einer Kilowattstunde die Windenergie – mit der Photovoltaik dicht auf den Fersen.

Die Zukunft der globalen Stromerzeugung ist erneuerbar.

  • Während Wind und Sonne die Kilowattstunde heutzutage für unter 5 Cent liefern können,
  • kostet eine Kilowattstunde aus einem hocheffizienten Gaskraftwerk zwischen 7 und 8 Cent.
  • Neue Kohlekraftwerke kommen wegen der längeren Abschreibungszeiten auf Kosten zwischen 8 und 11 Cent.
  • Atomkraftwerke landen bei über 20 Cent

Fossil und Fissil sind nicht wettbewerbsfähig. Erneuerbare sind die Antwort auf den wachsenden Energiehunger der Welt.

Dieser Boom findet allerdings nicht mehr in Deutschland statt, und auch nicht mehr in Europa, sondern im an Öl und Gas reichen Texas. Er startet in der kanadischen Öl-Provinz Alberta. Er prägt China ebenso wie Indien.

Auch wenn Präsident Trump als oberster Klimaleugner die globale Erwärmung für eine Erfindung der Chinesen hält – die US-Emissionen sind de facto rückläufig, weil Gas Kohle ersetzt und weil in den Staaten die Windenergie boomt.

Sie boomt so, dass die USA den einstigen Marktführer bei Windkraft, Deutschland, inzwischen überholt haben.

Kein Wunder. 2017 investierten die USA rund 60 Mrd. $ in Erneuerbare Energien, China sogar 140 Mrd. $. Während China seine Investitionen um ein Viertel steigerte, sanken sie in Deutschland um ein Viertel – auf 14,6 Mrd. $.

Anders gesagt: China investiert heute zehnmal und die USA viermal so viel in Erneuerbare als der ehemalige Vorreiter Deutschland.

Und Deutschland muss damit rechnen, demnächst auch von Indien überholt und auf Platz 4 verwiesen zu werden.

Bei der Fotovoltaik hat Deutschland schon das Feld geräumt. Nun ist die Bundesregierung dabei, die Führungsrolle bei einer weiteren globalen Schlüsselindustrie zu verspielen.

Von 2016 auf 2017 stagniert die Nutzung der Erneuerbaren EU-weit bei 30%. Die jeweilige Bilanz der Mitgliedsstaaten ist dabei sehr unterschiedlich. 2016 nutzte bspw. der europäische Spitzenreiter Schweden bereits zu 53% Erneuerbare, während der Anteil der Erneuerbaren am Bruttoenergieverbrauch etwa in den Niederlanden, Luxemburg, Belgien und Irland unter 10% lag. In Deutschland bei 15%. [6]

Doch seit zwei Jahren gehen die Investitionen in Deutschland zurück. Ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, an dem sich diese Investitionen auszahlen, wo es sich lohnt, den eigenen Strom vom Dach selbst zu verbrauchen, weil er billiger ist als von den Stadtwerken, da tritt die Bundesregierung auf die Ausbaubremse.

Es begann mit dem Verbot für Freiflächen-Fotovoltaik, ging über die Sonnensteuer und den Deckel für Windausbau im Norden bis dahin, dass jetzt die im Koalitionsvertrag vereinbarte Ausschreibung nicht auf den Weg gebracht wird. Nun soll der Ausbau der Windenergie durch neue bürokratische Schikanen gebremst werden.

Mit fatalen Folgen: Die einst neu entstandenen 400.000 Arbeitsplätze im Sektor der Erneuerbaren Energien sind bereits auf 330.000 abgeschmolzen.

Über 100.000 Arbeitsplätze sind in der Solarindustrie – brutto – verloren gegangen. 2010 waren in der Solarbranche in Deutschland 133.000 Menschen beschäftigt. 2016 waren es noch 32.000. In der Windindustrie sind es auch schon über 10.000 Verluste – Tendenz steigend.

Die Menschen in Deutschland werden hier um den Lohn ihrer Mühen gebracht. Denn es sind die deutschen Stromkunden, die die EEG-Umlage finanzieren, die die globalen Innovationskosten schulterten und schultern.

Global boomen Erneuerbare Energien – nur Deutschland, das Land, das diese Entwicklung ermöglicht hat, steht abseits.

Und auch Europa schaut größtenteils zögerlich vom Rand aus zu.

4                  Autoindustrie – von der Schlüsselindustrie zum Zulieferer

Die Autoindustrie ist heute in Deutschland, ja in Europa, eine Schlüsselindustrie mit Hunderttausenden von Beschäftigten und gewaltigen Beiträgen zur Wertschöpfung.

Natürlich  braucht es aus Klimaschutzgründen endlich eine Wende im Verkehrssektor. Denn während die in anderen Bereichen verursachten CO2-Emissionen seit 1990 rückläufig sind, steigen sie im Verkehrsbereich an. Effizienzgewinne werden durch höheres Gewicht und höhere Leistung konterkariert. Selbst die bescheidenen Senkungen im PKW-Bereich werden durch steigende Emissionen im Güterverkehr überkompensiert.

Doch die Autoindustrie ist nach wie vor weniger mit der Minderung dieser Emissionen beschäftigt als vielmehr mit deren Manipulation von Testverfahren. Die Fahrzeuge stoßen mehr Schadstoffe aus als zugelassen. Und sie verbrauchen bis zu einem Viertel mehr als angegeben.

Diesel-Skandal und Fahrverbote haben zu keinem Umdenken der deutschen Autobauer geführt. Die deutsche Automobilbranche ist seit Jahren mit Pippi Langstrumpf unterwegs: „Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt“.

Jahrzehntelang hat sie auf den Diesel im PKW gesetzt. Doch die großen, wichtigen Absatzmärkte wollen diese Technik nicht.

  • Die USA haben 3% Dieselanteil
  • China 1%
  • Japan unter 1% Marktanteil
  • Brasilien fährt mit Benzin und Zuckerrohr
  • Indien hat bis Ende 2015 ein Zulassungsverbot für Diesel über 2 Liter Hubraum erlassen

Obwohl sich also die wichtigsten Märkte der Welt vom Diesel abgewendet haben, und trotz Luftverschmutzung und Fahrverbotszonen, subventioniert die Bundesregierung diese Technologie mit Milliarden.

Begründet wird dies mit Effizienzvorteilen des Diesels. Nur leider ist dies ein Märchen. Die C02-ärmsten Autos auf dem deutschen Markt sind Fahrzeuge mit Hybrid-Antrieb.

Die Diesel-Subventionen blockieren die Weiterentwicklung der Elektromobilität. Diese steckt in Deutschland vergleichsweise noch in den Kinderschuhen. Und das hat negative Auswirkungen aufs Klima, blockiert aber vor allem Investitionen und Marktanteile.

Zwar hat sich die Zahl der Neuzulassungen reiner Elektroautos von 28 im Jahr 2003 auf knapp über 25 Tausend in 2017 erhöht.[7] Von dem bis 2020 angestrebten Ziel von insgesamt einer Million Neuzulassungen ist das jedoch unerreichbar weit entfernt.

Zwar liegt Deutschland damit EU-weit noch vorn,[8] ist aber weit abgeschlagen hinter China, dem global größten Fahrzeugmarkt und größten Absatzmarkt für Elektrofahrzeuge, gefolgt von den USA.

Und China hält den größten Weltmarktanteil an der Produktion – 41% im Jahre 2017. Deutschland lag abgeschlagen mit 18% auf dem dritten Platz.[9]

Die ganze Dramatik zeigt sich bei einem Blick auf den chinesischen Markt. Dort werden in diesem Jahr 700.000 E-Fahrzeuge und Plug-In-Hybrids gebaut. Von deutschen Unternehmen stammen – Null.

Und wenn Daimler in Beijing Ende 2019 ihr erstes Elektrofahrzeuge produziert, dürfen sie es nicht unter dem Namen Mercedes vermarkten. China will ihnen keinen Branding-Vorteil zugestehen.

Alle deutschen Automobilhersteller haben inzwischen technische Standards in China akzeptiert, wonach in ihren E-Autos nur Batteriezellen des chinesischen Herstellers CATL verwendet werden.

Ein globales Monopol beginnt sich so heraus zu bilden. Denn warum sollten deutsche Hersteller in ihren Europa- und US-Fahrzeugen andere Batterien einbauen als in China?

Und anstatt in Europa Standards für Marktoffenheit zu setzen und selber in Batterieforschung und -produktion zu investieren, ist die Autokanzlerin dankbar, wenn CATL  in Thüringen ein Zweitwerk errichtet.

Die deutsche Autoindustrie ist dabei zur Zulieferindustrie für China zu mutieren.

Und die Bundesregierung trinkt noch den Kakao, durch den sie gezogen wird – um Kurt Tucholsky zu bemühen.

Wie weit das geht, zeigt die Entwicklung beim Autonomen Fahren. Zwar darf BMW das Intelligent Connected Vehicle in China auf der Straße testen. Es heißt in China korrekt so, denn mit Autonomen Fahren hat dies in China wenig zu tun, dafür mit totaler Kontrolle des Fahrzeuges durch den Staat. Wo das Fahrzeug ist, wie schnell und mit wem, das alles weiß die staatseigene Cloud.

BMWs Erkenntnisse aus diesen Versuchsfahrten müssen aber in China verbleiben. Sie dürfen nicht im BMW-eigenen Rechenzentrum in München verarbeitet werden.

Statt sich darum zu kümmern subventioniert Deutschland lieber weiter den Diesel. So haben  wir heute mehr als zehn Jahre Rückstand bei der Elektromobilität.

Wir Grüne wollen die Subventionen abschmelzen und ab 2030 keine neuen Autos mit Verbrennungsmotor mehr zulassen.

Nur so macht man der Industrie Beine, diesen Rückstand endlich aufzuholen. Denn setzt Deutschland auch in Zukunft weiterhin aufs falsche Pferd, wird das fatale Folgen für die Umwelt haben, aber auch für den Arbeitsmarkt.

Denn der von deutschen Dieselkonzernen zehn Jahre verschleppte Einstieg in die Elektromobilität kann 75.000 Arbeitsplätze in der Autoindustrie kosten.

Ein rasanter Strukturcrash statt einem nachhaltigem Strukturwandel wäre das Ergebnis.

Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Transitionserfahrungen weiter Teile Ostdeutschlands, und auch Leipzigs, kann das niemand wirklich wollen.

5                  Strukturkonservativ oder Zukunftsfähig

Wenn Industriepolitik, wenn Wettbewerbsfähigkeit, wenn Arbeitsplätze dafür sprechen, in Klimaschutz, Energiewende und Verkehrswende  zu investieren – warum passiert das nicht?

Es ist der Strukturkonservatismus. Klimaschutz, Energiewende und Verkehrswende sind große Transformationen.

Strukturkonservative hassen Transformationen.

Ihnen geht es nicht um „conservare“ – also das Erhalten von Werten und Hinterlassenschaften – Land, Erde, Wald… Sondern um das Verteidigen von Pfründen.

Das ist Strukturkonservatismus.

Es reicht eben nicht, Heimat an sein Ministerium zu schreiben und die Migration zur Mutter aller Probleme zu erklären.

Wer Heimat wirklich schützen will muss handeln. Er muss sich auf den Weg der großen Transformation machen.

Weshalb Umweltschützer die wahren Konservativen sind.

Strukturkonservatismus findet sich nicht nur in der CDU und CSU. In diesen Fragen ist die SPD keinen Deut besser.

Politik wider besseren Wissens, wie sie die Bundesregierung seit Jahren an den Tag legt – hat immer eine gemeinsame Grundlage.

Sie dient den Interessen, von sehr dominanten großen Unternehmen, die jahrelang aus ihrer Marktstellung heraus überdurchschnittliche Gewinne machten oder machen – die aber befürchten, genau diese Markt- und Machtstellung zu verlieren.

So ging es den vier großen Energieunternehmen, dem Oligopol von RWE, Eon, Vattenfall und EnBW. Sie verweigerten sich der Energiewende, sie verloren über die Hälfte ihres Marktwertes und massiv an Marktanteilen. Der Aktienkurs von RWE verlor zuletzt im Konflikt um den Hambacher Wald übrigens 8,5%.

So droht es VW, Daimler und BMW zu gehen, die die Elektromobilität nicht verschlafen, sondern hintertrieben haben.

Marktdominanz macht nicht faul und bequem – sondern auch dreist.

Deshalb glaubten sie auf Innovation, auf Transformation verzichten zu können. Lobbyieren statt innovieren lautet ihr Rezept. Doch auf Dauer geht das schief.

Wenn nicht Ignoranz, sondern Wissen und Innovationen wieder Macht werden sollen, dann muss die Macht von Oligopolen durchbrochen werden.

Nun wird sie das nicht überraschen, dass Ihnen das so ein alter Linker wie Jürgen Trittin sagt.

Aber ich kann es auch in moderne Worte kleiden:

Digitalisierung und Energiewende sind Disruptoren, denen sich Deutschland stellen muss, sonst wird es Opfer der Disruption.

Deshalb heißt es raus aus der Kohle, raus aus dem Verbrennungsmotor, rein in Erneuerbaren Strom und rein in Erneuerbare Wärme, Umstieg auf Elektromobilität und intelligent vernetzte Verkehrssysteme.

Das ist das Paradoxon:

Wir müssen Disruption gestalten statt Oligopole zu erhalten.

Nur so haben wir die Chance im neuen Kalten Wirtschaftskrieg eine Rolle zu spielen.

Die Europäische Union sieht sich aktuell mannigfaltigen Herausforderungen gegenüber.  Die konkrete Ausgestaltung eines ökologisch, sozial und ökonomisch nachhaltigen Strukturwandels ist eine davon. Sie muss von der Europäischen Union gemeinsam angegangen und in den einzelnen Mitgliedsstaaten umgesetzt werden.

Denn die Klimakrise, aber auch die positiven und negativen Effekte globaler Handelsbeziehungen und weltweitem Wettbewerbs betreffen uns alle. Wer Globalisierung gestalten will, braucht Europa als handlungsfähigen Akteur. Und nicht die Blockade großer Konzerne, die den Markt unter sich aufteilen möchten.

Wenn wir Europa langfristig zusammenhalten wollen – politisch und sozial, ökologisch und wirtschaftlich-, dann müssen wir die Gesellschaften zusammenhalten.

Und zwar nicht durch die Rückkehr zu einem verstaubten Nationalismus und Populismus. Sondern mit echten Antworten für aktuelle Problemlagen und tatsächlich zukunftsgewandten Perspektiven.

Ich gebe Ihnen ein Beispiel:

In Europa waren im August 2018 fast 15 % der unter 25-Jährigen arbeitslos. In Griechenland fast jeder zweite junge Mensch, in Spanien und Italien etwa jeder Dritte.[10] Die studierte Ingenieurin in Spanien. Der ausgebildete Lehrer in Italien. Der griechische Teenager ohne Perspektive. Das sind auch unsere Arbeitslosen.

Ein Europa, das jungen Menschen keine Perspektive bietet, wird auseinanderfliegen.

Dafür müssen wir mehr in Europa investieren. Deutschland kann hier mit seinem riesigen Haushaltsüberschuss mit gutem Beispiel vorangehen.

Wir Grüne wollen mit einem „Green New Deal“, einer großen Investitionsoffensive, in die Zukunft Europas investieren – vor allem in Infrastruktur wie Strom-, Gas- und Kommunikationsnetze – und eine ökologische Modernisierung. Nur so können wir die Arbeitslosigkeit in der Peripherie überwinden. Das muss solide finanziert werden und dazu gehört auch, dass bisher legale Steuerschlupflöcher endlich geschlossen werden.

Das führt uns zurück zu Deutschland. Ich finde, Deutschland sollte wieder Vorreiter werden – Vorreiter einer umfassenden Transformation:

  • Wir müssen den Deckel vom Ausbau der Erneuerbaren reißen. Wir brauchen neue Ausschreibungen.
  • Der Ausstieg aus der Kohle muss kommen. Und zwar schnell, demokratisch und sozial verträglich.
  • Wir brauchen ein Förderprogramm für die energetische Gebäudesanierung – würde wir dies konsequent betreiben, könnten wir 2030 so viel Gas einsparen, wie wir heute aus Russland importieren.
  • Beim EU-Emissionshandel muss Deutschland einen Mindestpreis für CO2-Emissionen einführen.
  • Wir brauchen mehr Elektromobilität und weniger Diesel auf den Straßen. Dazu zählt auch, die Dieselsteuer auf das Niveau der Benzinsteuer anzuheben. Bis 2030 sollte der fossile Verbrennungsmotor passé sein.

Wir können mit mutiger Transformation nur gewinnen – beim Klimaschutz, in unserer Wettbewerbsfähigkeit und mit unseren Arbeitsplätzen.

Dies gilt für Deutschland, und für Europa.

Vielen Dank.


[1]              https://deutsche-einheit-1990.de/ministerien/muner/verschmutzung/

[2]              https://www.deutschlandfunk.de/moelbis-im-ehemals-dreckigsten-dorf-der-ddr.697.de.html?dram:article_id=299544

[3]              IHK Leipzig: 1991 ca. 305.000 Erwerbstätige1 (Selbstständige und Arbeitnehmer), 2014 ca. 323.000 (2014 Einwohnerzahl ca. 5.000 Bewohner)

[4]              https://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/kohleausstieg-die-lausitz-ist-anders-1.3993862

[5]              https://www.braunkohle.de/126-0-Beschaeftigtenzahlen.html, eine Studie der Grünen kommt auf 7.870 direkt und indirekt Beschäftigte in 2016: https://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/themen_az/energie/PDF/APBK-Kurzstudie.pdf

[6] https://ec.europa.eu/eurostat/tgm/table.do?tab=table&init=1&language=de&pcode=t2020_31&plugin=1

[7]              https://de.statista.com/statistik/daten/studie/244000/umfrage/neuzulassungen-von-elektroautos-in-deutschland/

[8]              https://de.statista.com/statistik/daten/studie/245784/umfrage/anzahl-der-verkaeufe-von-elektroautos-nach-laendern/

[9] https://www.mckinsey.de/branchen/automobil-zulieferer/electric-vehicle-index

[10]            https://de.statista.com/statistik/daten/studie/74795/umfrage/jugendarbeitslosigkeit-in-europa/

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