- Laut den letzten Umfragen sind die Grünen die 2. Partei in Deutschland. Gleiches geschah bei den letzten Landeswahlen in Bayern und Hessen. Glauben Sie, dass diese Resultate an einem vorläufigen Zusammenbruch der CDU-SPD liegen oder gibt es tiefgreifende Veränderungen in der deutschen Gesellschaft und der deutschen Politik?
Wir erleben gerade das Ende der Volksparteien. Nach dem zweiten Weltkrieg war unser Parteiensystem lange dadurch charakterisiert, dass es zwei große Parteien gab, die milieu- und konfliktlinienübergreifend Wähler an sich binden konnten. Diese Zeiten sind vorbei. Ich glaube, dass wir am Ende des Tages in Deutschland drei oder vier mittelgroße Parteien haben werden. Dabei werden aber Lager weiterhin eine Rolle spielen.
2. Am 6.Dezember entscheidet die CDU über ihre neue Führung. Zwei der wichtigsten Kandidaten sind: Annegret Kramp-Karenbauer (AKK) und Friedrich Merz. Was würde die Wahl von AKK oder Merz das für die CDU und das Schicksal von Merkel und der Großen Koalition bedeuten?
Alle beiden Kandidaten haben das gleiche Problem wie auch Jens Spahn: In Deutschland ist eine Koalition unter Demokraten nur möglich, wenn sie lagerübergreifend ist. Das geht immer mit einer Abschwächung des politischen Profils einher. Derzeit profilieren sich beide Kandidaten mit markigen Aussagen, aber am Ende des Tages müssen sie der eigenen Klientel erklären, dass man um der Demokratie willen das jeweilige Programm nicht in Reinform umsetzen kann. Frau Merkel wird sich mit beiden Kandidaten arrangieren können. Ich glaube eher, dass der Fortbestand der Großen Koalition von der SPD abhängt. Sie ist zerrissen zwischen dem Frust über die Große Koalition und der Panik vor Neuwahlen. Noch überwiegt das letzte. Im Herbst nächsten Jahres sind weitere Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen, danach wissen wir mehr.
3. Könnten die Grünen – ohne neue Bundestagswahlen vor 2021 (z.B. Mitte-Ende 2019) mit der CDU regieren?
Es gilt bei einer neuen Wahl den Kampf um eine Mehrheit links der Mitte erneut aufzunehmen. Angesichts der Demoralisierung der SPD sowie der Spaltung der Linken bin ich da jedoch wenig optimistisch. Am Ende des Tages entscheiden jedoch die Wählerinnen und Wähler.
4. Ihre Partei hat kürzlich eine Konferenz über Europa organisiert. Was sind Ihre wichtigsten Schlussfolgerungen? Ist die gleiche Dynamik, die die Grüne Bewegung in Deutschland, auch in anderen europäischen Ländern zeigt? Was würde für die EU und Griechenland bedeuten, wenn die Grünen in einer zukünftigen Regierung in Deutschland beteiligen würden?
Wir Grünen sind die einzige pro-europäische transnationale Partei in Deutschland. Mit uns gibt es keine Austeritätspolitik, keinen Ausverkauf unseres Klimas zugunsten der Diesel- und Kohlelobby und keine soziale Spaltung Europas. Denn die EU gehört historisch zum Wertvollsten, was dieser Kontinent je geschaffen hat. Derzeit steht er jedoch vor sehr großen Herausforderungen. Die Wurzel allen Übels ist der Nationalismus. Immer mehr Mitgliedsländer werden von rechten und rassistischen Parteien regiert, die das Heil des Nationalismus predigen. Wo das endet, wissen wir 100 Jahre nach dem Ende des ersten Weltkrieges alle. Hinzukommen weitere Herausforderungen, wie die Nachwehen der Finanzkrise, die Klimakrise, der Brexit, die Versorgung und Unterbringung von Geflüchteten, der Krieg in Syrien, Trumps weltweites Spaltertum oder der Einfluss Chinas in der EU. Doch gerade die junge Generation lässt sich davon in ihrer Begeisterung für Europa nicht abbringen, das hat unsere Konferenz gezeigt. Wenn man sucht, findet man viele junge „Changemaker*innen“, die soziale und ökologische Projekte voranbringen und die für Europa kämpfen. Da wächst eine Generation junger Europäer*innen heran, die Europa als das sieht, was es wirklich ist: ein Friedensprojekt.
5. Griechenland hat sein drittes Unterstützungsprogramm abgeschlossen. Nachdem Ausstieg aus dem Programm , haben viele Griechen Erwartungen nach Sozialleistungen. Leider ist die Befriedigung aller dieser Erwartungen (von der Griechischen Regierung) wohl inkompatibel mit der vereinbarten Haushaltszielen nach dem Memorandum. Die Italienische Regierung hat einen entgegengesetzten politischen Ursprung aus der Griechischen Regierung. Trotzdem will die Italienische Regierung ähnliche Volks- Forderungen befriedigen. Was könnte diese Entwicklung in der EU bewirken, zur gleichen Zeit dass die globale Wirtschaftskrise sich zu verschärfen scheint ?
Eines haben wir in den letzten Jahren lernen müssen:Sparpolitik spart nicht. Angela Merkels Austeritätspolitik hat die Schulden in den europäischen Krisenstaaten vergrößert, nicht vermindert. Sie hat den Populismus begünstigt. Wenn man sich die Verschuldung in Ländern wie Irland,Spanien, Portugal oder Griechenland anschaut, sieht man, dass die Schulden der Haushalte, der Unternehmen und der Banken die Länder in die Krise treiben. Erst in ihrem Gefolge steigen die Staatsschulden-Quoten. Richtiger wäre es, Griechenland mehr als die Hälfte seiner Schulden zu erlassen. Vor allem aber muss investiert werden. In Infrastruktur, in Erneuerbare Energien, in Klimaschutz. Nur so kann das Land aus eigener Kraft auf die Beine kommen.Hinzukommen hausgemachte Probleme im Steuersystem beispielsweise. Bis heute ist die griechische Regierung nicht willens oder nicht in der Lage, die wirklich Reichen im eigenen Land angemessen zu besteuern. Italiens Regierung verschärft dagegen mit ihrer Politik, auf der eine Seite Steuern für Reiche durch eine Amnestie zu erlassen und auf der anderen Seite neue Ausgaben, die Gesamtverschuldung.Da dadurch die Zinsen ansteigen werden, schwächt sie so die Investitionsfähigkeit der italienischen Volkswirtschaft. Das wird kaum gut gehen.
Das ganze Interview im Original finden Sie hier.
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