Dialog mit Russland

Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Rüstungsbegrenzung

Sehr geehrte Frau Präsidentin, liebe Elke Leonhard,
Exzellenz, sehr geehrter Herr Netschajew
meine sehr verehrten Damen und Herren,

ich bedanke mich für die Möglichkeit ein kurzes Grußwort zu halten.

Dialog

Und ich danke allen, die heute erschienen sind. Denn Sie sind ja der Beleg dafür, dass der deutsch-russische Dialog lebendig ist. Lebendig in schwierigen Zeiten. 

Dialog heißt nicht immer Übereinstimmung – so wie Verstehen nicht immer Verständnis heißt.

Aber Dialog beginnt mit dem gegenseitigen Zuhören.

Aber wie sonst sollte man Meinungsverschiedenheiten – und ich werde auf die zu sprechen kommen– wie sonst sollte man Meinungsverschiedenheiten diskutieren, als im Dialog miteinander? 

Wenn wir eine friedliche Lösung für den Konflikt in der Ostukraine wollen, wenn wir eine möglichst stabile Lösung in Syrien wollen, wenn wir Sicherheit in Europa wollen – dann müssen die Europäische Union und Russland, dann müssen Deutschland und Russland miteinander reden.

Das gilt für die Regierungen unserer Länder, das gilt für die Parlamente und die Abgeordneten, für die ich hier auch im Namen der deutsch-russischen Parlamentariergruppe spreche – und es gilt umso mehr für die unzähligen Volksdiplomaten, wie sie Jörg Bohse immer nannte. 

Frank-Walter Steinmeier hat recht: 

Die Frage, ob Russland Feind oder Freund ist, ist müßig. Russland ist unser Nachbar. 

Und Russland bleibt unser Nachbar – auch wenn es sich aus unserer Sicht in letzter Zeit reichlich schlecht benimmt.

Die Annektion der Krim, die fortgesetzte Agression in er Ukraine, untergräbt gerade Europas Friedensordnung, die einst die Sowjetunion mitbegründet hat. Die Charta von Helsinki und Paris war die Konsequenz der Geschichte Europas und seiner Kriege.

Nachbarn in Europa

Geschichte ist wichtig. Deutsche und Russen verbindet eine Geschichte mit schönen und schwierigen, dunklen und hellen Seiten. 

Katharina die Große, war eine anhaltische Prinzessin, die langen Kerls des Preußenregiments vom Alten Fritz waren Geschenke von Peter dem Ersten – als Antwort auf das Geschenk des Bernsteinzimmers. Beide sind übrigens verschwunden…

Russisch ist vermutlich die meistgesprochene Muttersprache unter Menschen, die nach Deutschland gekommen sind. Seit 320 Jahren bereits wird an der Universität in Halle bereits Russisch als Sprache unterrichtet. 

Deutschlands Modernisierung war Vorbild für Peter den Großen. Rilke war fasziniert von der Spiritualität der russischen Orthodoxie. Viele Deutsche schwärmten für russischen Weiten. 

Das deutsche Kaiserreich stürzte Russland und Europa in den ersten Weltkrieg. Und der deutsche Kaiser beendete ihn im Osten, in dem er Lenin im Zug nach Russland schickte. 

Ohne Kaiser keine Oktoberrevolution. Am Ende Revolution stand die Erschießung von Wilhelms Cousins Zar Nikolaus in Jekaterinburg. 

Wenn Deutschland und Russland sich zu gut verstanden, war das für andere Völker in Europa nicht immer ein Segen: 

Die Sowjetunion half trotz Versailler Vertrag Deutschland heimlich bei der Wiederaufrüstung der Reichswehr. 

Stalins Russland und Nazi Deutschland teilten gewaltsam Polen auf. 

Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen müssen Deutsche und Russen in ihrem Verhältnis immer eines berücksichtigen: Wir streben nach guter Nachbarschaft – aber im Gemeinsamen Haus Europa gibt es viele Nachbarn. 

Deutsche und Russen sind Nachbarn in einem gemeinsamen Europa der Völker.

Am Ende einer Nachbarschaft von Hitler und Stalin zu Lasten des Nachbarn Polens überfiel am Ende Deutschland die Sowjetunion. Dem deutschen Vernichtungskrieg fielen Millionen Menschen zum Opfer. 

Die Belege für die dunkelsten Seiten unserer gemeinsamen Geschichte finden sich noch heute an den Wänden des Reichstags-Gebäudes. Russische Inschriften von Soldaten der sowjetischen Armee, die es 1945 bis Berlin schafften und Deutschland befreite. 

Befreite „von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.“  

Für diese Befreiung gilt unser ewiger Dank Russland und allen anderen Ländern der Sowjetunion – wie den Alliierten im Westen

Deutschland wäre heute ein anderes ohne das Opfer ihrer vielen Soldaten.

Zusammenarbeit 

Uns verbindet, davon bin ich überzeugt, mehr als uns trennt. Russland ist der größte Energielieferant für Deutschland und Europa. 

Das hat eine Geschichte. Schon Anfang der Siebziger Jahre leiteten die Bundesrepublik und die Sowjetunion schon mit der Entspannungspolitik das Ende des Kalten Krieges ein. Unterlegt war dies schon mit einer – schon damals von den USA bekämpften – wirtschaftlichen Zusammenarbeit: Röhren gegen Gas.

Dieser Tage stellen wir fest, dass Nord Stream 2 kommen wird – allen Drohungen der USA zum Trotz. Dies erhöht die Versorgungssicherheit Europas – aber es verlängert seine fossile Abhängigkeit. 

Wir wollen das ändern. Wir wollen, dass Deutschland endlich seine Energie zu 100% aus Erneuerbarer Energie bezieht.

Wir wollen 2050 klimaneutral sein.

Aber noch aus einem anderen Grund ist dies ein Zustand, der überwunden werden sollte. Im Interesse Russlands.

Russland ist nicht nur – siehe die tauenden Permafrostböden Sibiriens – ein Opfer des Klimawandel. Eine Volkswirtschaft, die zu mehr als der Hälfte des Bruttonationalprodukts von Rohstoffexporten abhängt, die diese Exporte im Kern über staatsnahe Monopole abwickelt, eine solche Volkswirtschaft ist nicht nachhaltig.

Die Wachstumsschwäche hat dazu geführt, dass nunmehr im sechsten Jahr die Realeinkommen sinken. 

Die daraus resultierende Unzufriedenheit wird sich auf Dauer weder mit Repression noch mit Aggression nach außen beseitigen lassen.

Russland exportierte im letzten Jahr für 34 Milliarden US-Dollar Waren nach Deutschland, und importierte für 25 Milliarden. Wir sind somit drittgrößter Export- und zweitgrößter Importpartner. Davor liegt übrigens immer mit großem Abstand China. Das muss nicht so bleiben, wenn es nach mir geht.

Wir wollen die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Russland. Die Verschärfung der russischen Wirtschaftskrise ist nicht im Interesse Europas. Genau darauf aber zielen die im US-Kongress vorgeschlagenen neuen US-Sanktionen. 

Europa hat kein Interesse an einem failed Russia mit Atomwaffen.

Deshalb bedarf es einer Diversifizierung der russischen Ökonomie. Wie man das macht, kann man in Norwegen, in den Emiraten studieren.

Gewiss. Diversifizierung hat auch Auswirkungen auf das System politischer Herrschaft. Diversifizierung von Wirtschaft heißt auch Diversifizierung von Macht. 

Aber diese Diversifizierung ist im Interesse Russlands – denn niemand darf glauben, dass Präsidenten ewig leben.

Neue Bipolare Welt

Wir steuern auf eine bipolare Welt zu – nicht mehr zwischen den USA und Russland. Der neue Kalte Wirtschaftskrieg findet zwischen den absteigenden USA und dem aufsteigenden China statt.

Europa wie Russland haben damit ihre Erfahrungen gemacht – auch gemeinsame Erfahrungen. Beide sind bis heute nicht in der Lage die Zerstörung des JCPOA, des Atomabkommens mit dem Iran, durch die USA zu verhindern.

Die Idee aber, in den Leerräumen, den Vacui, den diese Bipolarität lässt, militärisch noch einmal Großmacht zu simulieren, wie es Russland etwa in Syrien getan hat, überfordert Russland dauerhaft. Sein Bruttoinlandsprodukt liegt etwa auf dem Niveau von Spanien.

Russland hat keine Chance bei einem Rüstungswettlauf mit den USA oder China – nicht einmal mit Europa.

Statt also die Kündigung des INF-Vertrages durch Trump mit klammheimlicher Freude zu genießen, sollte es ein Interesse an Rüstungsbegrenzung haben. 

Wer meint, wegen China auf Mittelstreckenraketen nicht verzichten zu können, sollte der nicht auf eine ähnliche Bedrohung im Westen verzichten?

Die Idee, dass Russland auf die Stationierung dieser Raketen in Europa ebenso verzichtet wie auf die Iskander-Raketen in Kalinigrad wenn Europa seine taktischen Atomwaffen aus Büchel und anderswo abzieht und auf die US Missile Defense in Ostereuropa verzichtet ist doch im gemeinsamen Interesse Russlands wie Europas.

Es ist Zeit über Abrüstung und Rüstungsbegrenzung zu sprechen.

Das ist ein Dialog, der sich lohnen könnte.

Sapere Aude

Es gibt ein gern zitiertes Gedicht von Tjuttschew  in Russland, das beginnt mit: „Mit dem Verstand ist Russland nicht zu begreifen, mit der Elle nicht zu durchmessen…“ …

Knapp 70 Jahre früher hatte aber Immanuel Kant im heutigen Kaliningrad schon den Leitspruch der Aufklärung ausgegeben: „Sapere Aude“ – habe Mut, dich deines Verstandes zu bedienen.

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen und uns allen einen fortgesetzten, intensiven, gerne auch kritischen offenen Dialog miteinander.

Damit das gegenseitige und vielleicht auch das eigene Verstehen wächst!

Vielen Dank!

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