TTIP & CETA: Mittelstand braucht Rechtsstaatlichkeit – keine private Geheimjustiz

Mit dem Abschluss der Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit Kanada (CETAS) stehen die Verhandlungen über ein Transatlantisches Investitions- und Handelsabkommen (TTIP) an einem Scheideweg. Denn CETA – so will es die EU-Kommission – soll TTIP präjudizieren. Die Diskussion um TTIP wird von seinen Befürwortern ideologisch hoch aufgeladen geführt. Aus dem Umstand, dass gemeinsamer Handel gegenseitige, gemeinsame Vorteile haben kann, werden Wachstumschancen behauptet, die einer wissenschaftlichen Überprüfung kaum standhalten.

Die realen ökonomischen Vorteile werden recht überschaubar bleiben. Es gibt dennoch gute Argumente für ein solches Abkommen. Eine engere Verknüpfung der beiden größten Wirtschaftsräume der Welt festigt die transatlantische Verbindung, die sich bisher überwiegend im Rahmen des Militärbündnisses
NATO abspielte. Wichtiger noch: ein auch für Dritte offenes Handelsabkommen
zwischen Europa und den USA kann dem festgefahrenen multilateralen Prozess im Rahmen der Welthandelsorganisation neuen Schwung geben. Doch um Vorreiter zu werden, müsste ein solches Abkommen Vorbildcharakter haben. Davon sind CETA und TTIP bei jetzigem Stand sehr weit entfernt. Das liegt weniger am Chlorhuhn, für das die Europäer die hoch problematische Alternative anbieten, die Hühner durch massenhafte Vergabe von Antibiotika noch lebend salmonellenfrei zu halten. Es liegt auch nicht an der zu Recht ausgeklammerten Frage der Kulturpolitik. Ein vorbildliches Abkommen, dürfte nicht nur keine sozialen, ökologischen und Verbraucherstandards absenken, sondern müsste anstreben, höhere zu erreichen. Deshalb ist es bedauerlich, dass die Finanzdienstleistungen ausgeklammert sind, weil die Europäer ihre laxeren Regeln nicht zugunsten der strikteren Regulierung in den USA aufgeben wollen.

Doch gerade, wenn sich so große Demokratien zusammen finden, die gemeinsam stolz auf die Herrschaft des Rechts sind, dann haben CETA und TTIP einen gemeinsamen Wegfehler, der sie nicht nur ihres Vorbildcharakters
beraubt, sondern diese Abkommen grundsätzlich in Frage stellt. Beide Abkommen zielen auf die Etablierung eines privaten Streitbeilegungsmechanismus für Streitigkeiten zwischen Investoren und Staat (Investor-State-Disput-Settlement, ISDS). Der Skandal, dass Vattenfall vor einer geheimen Schiedsstelle Deutschland wegen des Atomausstiegs auf Schadensersatz verklagt, soll so zur Regel werden. Der Fall ist besonders bizarr, weil zum einen Vattenfall selbst den Atomkonsens mit unterzeichnet hat. Und weil seinen Mitbewerbern dieser Weg verbaut ist – sie müssen über die Verwaltungsgerichte bis zum Bundesverfassungsgericht gehen. Das mit solchen Klagen der Gesetzgeber erpresst werden kann, Regulierung innerhalb des Verfassungsrahmens zu unterlassen, ist offenkundig. Noch größer dürfte das Erpressungspotential großer Unternehmen gerade gegenüber Behörden sein, die Recht anwenden, mit Schadensersatzdrohungen davon abzuhalten.

Das ist eine Bedrohung für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit. In solch geheim
tagenden Schiedsstellen sprechen genau jene Anwälte Recht, die in ihrem sonstigen Leben von Aufträgen der Wirtschaft leben. Sie sind nicht richterlich unabhängig. Solche Verfahren sind vielleicht das kleinere
Übel in Abkommen mit Staaten, wo es überhaupt keine rechtsstaatliche Justiz gibt. In Rechtsräumen, in denen das Grundgesetz das Recht auf Eigentum und Gewerbefreiheit garantiert, das Bundesverfassungsgericht darüber wacht und die Einhaltung des Binnenmarktes wie der europäischen Grundrechtecharta durch den Europäischen Gerichtshof überwacht wird, ist es ebenso deplatziert wie im Rechtsstaat USA mit seiner Verfassung und seinem Obersten Gerichtshof.

Investor-Staat- Schiedsverfahren sind im Rechtsstaat nicht nur überflüssig, sie schaffen eine parallele Geheimgerichtsbarkeit hinter dem Rücken der öffentlichen Justiz. Deshalb ist Bundeswirtschaftsminister Gabriel Recht zu geben, wenn er am 25. September im Bundestag sagte: »Ich will nicht, dass wir eine parallele Geheimgerichtsbarkeit schaffen.« Er hat ein gutes Argument auf seiner Seite – im Handelsabkommen USA-Australien gibt es diese Mechanismen auch nicht. Denn diese geheime Paralleljustiz ist nicht für alle Unternehmen gleich leicht zugänglich. Ihre Verfahren sind so teuer, dass sie für kleine
und mittelständische Unternehmen nicht nutzbar sind. Großkonzerne können das. Ein Freihandelsabkommen, dass aber vor allem großen Unternehmen nutzt, verliert jeden Vorbildcharakter. Es verliert auch jeden Vorteil gerade für die deutsche mittelständische Industrie.

Dennoch will die Große Koalition CETA und TTIP zusammen mit einer parallelen Geheimgerichtsbarkeit auf Biegen und Brechen durchsetzen. Dagegen wehren sich immer mehr Menschen. Mit Recht. Sie sind keine Gegner freien Handels. Aber sie wissen: Nur fairer Handel ist freier Handel. Wer Demokratie erpressbar macht, die Justiz umgeht und Großkonzerne einseitig begünstigt, spielt nicht fair. Er spielt foul.

Dieser Beitrag ist am 28.11.2014 im Hauptstadt Insider erschienen. 

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