Reisebericht Teheran 2015: Iran in neuer Rolle

Am 17.10.2015 fand in Teheran ein Meeting der Core Group der Münchener Sicherheitskonferenz (MSC) statt. An ihm nahmen Vertreter aus 20 Ländern, darunter Parlamentarier, teil. Die Tagung wurde parallel zum Besuch von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier veranstaltet, der neben dem Iran noch Saudi-Arabien und Jordanien besuchte.

Leider war es weder gelungen, dass Vertreter der USA noch Russlands an dieser Sitzung teilnahmen. Im ersten Fall scheiterte dies an Visaproblemen.

Atomabkommen

Die Tagung fand pünktlich zum Inkrafttreten des Atomabkommens der Europäer, der USA, Chinas und Russlands mit dem Iran (Joint Comprehensive Plan of Action [JCPOA]) statt.

Es herrschte bei den Teilnehmern die Überzeugung, dass dieses Abkommen die Beziehungen Irans mit Europa, aber auch den USA, auf eine neue Grundlage stellen könne. Fast alle Teilnehmer betonten, dass die Umsetzung des JCPOA ebenso schrittweise erfolgen müsse wie die Aufhebung von Sanktionen.

Von Seiten der Wirtschaft wie des Irans wurde die Befürchtung geäußert, dass durch einseitige Maßnahmen von Bundesstaaten der USA oder aber auch nach einem Wechsel der Administration dieser Prozess wieder in Frage gestellt werden könnte. Insbesondere der Bankensektor fürchtet solche einseitigen Maßnahmen. Hierauf hat Europa noch keine Antwort gefunden.

Dass es hier auch Störmanöver von iranischer Seite geben könne, wurde gerade von den Europäern betont. Verwiesen wurde auf den jüngsten Raketentest des Irans. Dieser verstoße zwar nicht gegen das JCPOA, wohl aber möglicherweise gegen UN Resolution 1929 (2010). Es sei außerdem fraglich ob es klug war, ihn jetzt durchzuführen. Dadurch würden die Gegner des Abkommens im US-Kongress wie in Israel gestärkt.

Demokratie und Menschenrechte

Die im Zuge des Abkommens vielfach geäußerte Erwartung, dass es auch zu einer Verbesserung der Menschenrechtslage im Iran kommen könne, hat sich noch nicht erfüllt. Nach wie vor gibt es eine hohe Zahl von Hinrichtungen – und eine massive Unterdrückung gerade der Kräfte, die 2009 auf die Straße gegangen sind.

Diese Repression steht in einem scharfen Kontrast zu einer lebendigen Zivilgesellschaft, die auch im Straßenbild von selbstbewussten und offenkundig hochqualifizierten Frauen geprägt wird. Es war der Druck dieser Zivilgesellschaft, der Rohani an die Macht und die Veränderung des Verhältnisses zu Europa und den USA bewirkt hat. Es bleibt also bei der bigotten Doppelmoral, die ich auch schon 2007 angetroffen habe (https://www.trittin.de/2007/10/06/reisebericht-libanoniran/)

Dennoch erwartete niemand, dass es vor den Wahlen im nächsten Frühjahr zu nennenswerten Liberalisierungen kommt. So müssen alle Kandidaten vom Wächterrat genehmigt werden, bevor sie kandidieren dürfen. Dieser sortiert alle aus, die verdächtigt sind mit der 2009-Bewegung zu sympathisieren. Bei den Wahlen zum Vorsitz des Wächterrats ist der liberal-konservative Akbar Hāschemi Rafsandschāni glatt durchgefallen.

Allerdings deutet sich an, dass der inhaftierte US-iranische Reporter Jason Rezaian von der Washington Post möglicherweise mit einer Entlassung rechnen kann – obwohl dies – so Außenminister Zarif „eine Entscheidung der Justiz“ sei.

Iran und seine Nachbarn

Sowohl in der Ministerdiskussion wie auch am Nachmittag stand vor allem der Krieg in Syrien und dem Irak im Mittelpunkt der Diskussionen.

Europa wurde vorgehalten, dass es sich erst wieder für diesen Konflikt interessiert habe, als die Flüchtlingszahlen es dazu gezwungen hatte. Südeuropäische Teilnehmer verwiesen zudem darauf, dass ihre Länder schon seit Jahren mit der Herausforderung zu kämpfen hätten. Aufmerksamkeit habe es aber erst gegeben, als die Flüchtlinge Deutschland in großer Zahl erreicht hätten.

Es gab eine gemeinsame Überzeugung, dass der Krieg in Syrien nicht militärisch zu gewinnen sein („there is no military solution“). Es bedürfe also einer politischen Lösung. Die aber schlösse militärische Maßnahmen nicht aus. Gerade im Kampf gegen den IS seien „military means necessary“.

Unterschiedlich wurden aber die militärischen Operationen eingeschätzt. Einhellig sah man eine große Verantwortung der USA, die mit dem Irak-Krieg die gesamte Region destabilisiert hätten. Gleichzeitig warfen iranische Teilnehmer den USA vor, den IS gar nicht zu bekämpfen sondern im Wesentlichen nur Aufklärungsflüge zu unternehmen.

Die deutsche Seite und insbesondere Außenminister Steinmeier drängte auf ein Format nach dem Vorbild der Iran-Verhandlungen: E3+3 plus Iran, Saudi-Arabien und Türkei. Dieses könne die Grundlage für eine UN-Sicherheitsratsresolution schaffen. Dabei sei klar, dass man zwar auch mit dem Regime in Syrien sprechen müsse, Assad könne aber nicht Teil einer Lösung sein.

Iran erklärte zum einen Assad zum Verbündeten. Teilnehmer aber machten auch deutlich, dass ihre Hauptsorge nicht der Person Assad gelte, sondern der Furcht, einen völligen Zusammenbruch des Staates wie in Libyen herbei zu führen. Die iranische Seite verwies mit Recht darauf, dass vieles, über das jetzt diskutiert werden, schon mal in Genf Gegenstand der Verhandlungen gewesen sei. Damals aber habe Europa dem Wunsch Saudi-Arabiens nachgegeben, den Iran auszuschließen.

Heute noch würde „der Westen“ Saudi-Arabien dabei unterstützen, den Jemen zu bombardieren, obwohl dieser Konflikt wenig mit Differenzen zwischen dem Iran und Saudi-Arabien zu tun habe, sondern in alten innerjemenitischen Konflikten wurzle.

Die Iraner bestritten, dass es so etwas wie einen Shia Crescent gebe, der von Syrien, Iran, Bahrein bis Saudi-Arabien und dem Jemen reiche. Die Wahrheit sei, dass dort seit Jahrhunderten Schiiten gelebt hätten, meist auch im Frieden mit den sunnitischen Nachbarn.

Deutlicher wurde die subjektive Bedrohungseinschätzung aus Sicht des obersten iranischen Sicherheitsrats beschrieben. Iran habe seit über 50 Jahren niemanden angegriffen. Aber sie seien immer wieder Ziel militärischer Angriffe gewesen, die im Falle Saddam Husseins sogar mit Giftgas geführt worden seien. Alle diese Aggressionen wären aus Europa und den USA unterstützt worden. Gegen diese Gefahren richteten sich die Rüstungsanstrengungen des Irans – nicht auf Beherrschung der Nachbarn.

Allerdings wurde auch nicht bestritten, dass sie sich als aktiver Unterstützer der der Schiiten im Irak, in Syrien und dem Libanon sehen und etwa mit der Hisbollah kooperieren.

Wirtschaft und Energie

Die Erwartungen auf wirtschaftliche Kooperation sind nach dem JCPOA sehr hoch. Ob sich diese tatsächlich erfüllen, wird sich erst nach Beginn des nächsten Jahres beurteilen lassen.

Was sich wohl nicht erfüllen wird, ist die Hoffnung im großen Stil Atomkraftwerke zu bauen oder gar in der Region zu exportieren. Dem stehen die hohen Kosten und die feindliche Nachbarschaft entgegen.

In der Energiepolitik will der Iran massiv in die Förderung von Öl und Gas investieren. Es ist die Rede von 185 Mrd. US Dollar in über 50 Projekte der gesamten Wertschöpfungskette. Die Frage, ob nicht in Folge des 2°C-Ziels höchstens ein Drittel der Kohlenwasserstoffe gefördert werden dürfe, löste Unverständnis aus. Gleichzeitig wurde betont, dass der Iran nicht wieder bei jenen 45 % des GDP landen wolle, die der Gas- und Ölexport vor den Sanktionen erbracht hätte. Man strebe an, bei den heutigen 29 % zu bleiben.

Wie dies mit einer Steigerung der Produktion zu vereinbaren ist, wurde nicht deutlich. Es ist offensichtlich, dass der Iran noch die Chance hat, sich das Problem, vor dem Russland jetzt steht, durch eine kluge Wirtschaftspolitik erst gar nicht einzuhandeln: Dass man nämlich eine rohstoffdominierte Wirtschaft mühsam wieder diversifizieren muss. Es besteht die Chance, dass die gegenwärtige Diversifizierung erhalten wird. Dies setzt aber wirtschaftliche Kooperation gerade mit Europa voraus.

Kein Input hatte die iranische Seite beim Thema erneuerbare Energien, obwohl es dafür geografisch hervorragende Voraussetzungen gibt. Auch in diesem Bereich gibt es zukünftig gute Möglichkeit für politische wie wirtschaftliche Zusammenarbeit.

Teilnehmer

Wolfgang Ischinger, Ambassador, Chairman of the Munich Security Conference, Munich

Dr. Mostafa Zahrani, Director General, Institute for Political and International Studies, Tehran

Professor Ali Akbar Salehi, Head of the Atomic Energy Organization, Islamic Republic of Iran, Tehran

Helga Maria Schmid, Deputy Secretary General, European External Action Service, Brussels

Seyyed Abbas Araghchi, Deputy Foreign Minister for Asia, Oceania and the Commonwealth, Islamic Republic of Iran, Tehran

Jean Marie Guéhenno, President and Chief Executive Officer, International Crisis Group, New York, NY

Dr. Frank Walter Steinmeier, Federal Minister of Foreign Affairs, Federal Republic of Germany, Berlin

Dr. Mohammed Javad Zarif, Minister of Foreign Affairs, Islamic Republic of Iran, Tehran

Dr. Seyed Kamal Kharazi, Head of the Strategic Council on Foreign Relations, Islamic Republic of Iran, Tehran

Dr. Ali Akbar Velayati, Head of the Center for Strategic Research, Islamic Republic of Iran, Tehran

Gebran Bassil, Minister of Foreign Affairs, Lebanese Republic, Beirut

Salim Al-Jabouri, Speaker, Council of Representatives, Republic of Iraq, Baghdad

Prof. Dr. Volker Perthes, Director and Chief Executive Officer, German Institute for International and Security Affairs; Facilitator for the intra-Syrian Military, Security and Counterterrorism Thematic Working Group initiated by the UN Special Envoy for Syria, Berlin

Mario Mehren, Chairman of the Board of Executive Directors, Wintershall Holding GmbH, Kassel

Amir Hossein Zamaninia, Deputy Minister of Oil, Islamic Republic of Iran, Tehran

Prof. Dr. Friedbert Pflüger, Director of the European Centre for Energy and Resource Security, King’s College, London

Ali Shamkhani, Rear Admiral, Secretary, Supreme National Security Council, Islamic Republic of Iran, Tehran

Dr. Norbert Röttgen, Chairman Foreign Committee, Deutscher Bundestag, Berlin

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