Vom Optimismus des Willens

Für ein gutes 2019

Liebe Frau Pfarrerin Sippel,
liebe Gemeinde,
liebe Pankowerinnen und Pankower,

Als mich Uta Armbruster-Held fragte, ob ich zum Altjahresabend in der Kirche Alt-Pankow sprechen würde, war ich überrascht.

Vor fast 50 Jahren, durch die Konfirmation gerade „kirchenmündig“ geworden, beendete ich meine Mitgliedschaft in der Kirche. Ich verließ die evangelisch-protestantische Gemeinde in Bremen-Vegesack – Aus Protest gegen die Haltung der damaligen Amtskirche zum Krieg der USA in Vietnam.

Ich fand die Haltung zum Massaker von My Lai, wo 1968 wohl 504 Menschen massakriert worden waren, unerträglich.

Das würde der heutigen evangelischen – und auch der katholischen – Kirche nicht passieren.

Die Kirche von heute ist nicht die Kirche von damals.

Und die Kirchengemeinde Alt-Pankow schon gar nicht. Von den Traditionen der Bekennenden Kirche über den Friedenspreis Pankow bis zum Runden Tisch Pankow – hier wird ein Glaube praktiziert, der sich der Mitmenschlichkeit, der Demokratie und der Ermächtigung der Zivilgesellschaft verpflichtet sieht.

Und deshalb ist es eine große Ehre für mich hier sprechen zu dürfen. Vielen Dank

1                   2018

Altjahresabend das klingt schwer. Das Jahresende lässt innehalten. Schauen wir zurück, fällt jedem von uns etwas anderes zu 2018 ein.

Schönes – die Geburt von Kindern, Begegnungen mit Menschen. Manches Schwere, der Verlust eines nahen Menschen, eine Krankheit.

Da scheue ich mich, aus den politischen Ereignissen eine geschlossene Kette wichtiger Ereignisse aufzuzählen.

Aber ich will an Albrecht von Luckes letztjährige Prognose vom „Schicksalsjahr für die Demokratie“ anknüpfen.

Ja, die Demokratie stand und steht vor neuen Herausforderungen.

In den USA hat eine gespaltene Gesellschaft die demokratischen Institutionen blockiert. Hier bedroht Donald Trump die Gewaltenteilung. In Brasilien war die Forderung nach Selbstjustiz, Folter und Diktatur keine Hinderungsgrund Jair Messias Bolsonaro zum Präsidenten zu wählen.

Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit.

Sie ist nicht unumkehrbar.

Die Demokratie lebt vom Engagement der Demokraten. Demokratie lebt von uns.

Auch dafür gibt es Beispiele aus dem Jahr 2018. In Chemnitz veranstalteten nach einem Tötungsdelikt Hooligans und Neonazis eine Hetzjagd auf Menschen, um ihnen zu zeigen „wer in der Stadt das Sagen hat“ – so der Aufruf von Kaotic Chemnitz.

Es war nicht der erste Pogrom in Sachsen – denken wir an Leipzig-Connewitz 2016. Und es war nicht das erste Mal, dass die Landesregierung den rechten Hintergrund klein redete. Vom Herrn Maaßen, der die Hetzjagd einfach leugnete, zu schweigen.

Aber es passierte etwas anderes. Die Demokraten standen auf. Gut 65.000 Menschen folgten dem Aufruf von Feine Sahne Fischfilet, den Toten Hosen und anderen. Sie gingen in Chemnitz gegen den Rassismus auf die Straße.

Das Motto lautete #Wirsindmehr – und sie waren mehr.

Wie bei der Viertelmillion die unter dem Schlagwort #Unteilbar am 13. Oktober für Solidarität und gegen Ausgrenzung auf die Straße gingen.

Das Ende der Demokratie ist kein Schicksal. Wir können es aufhalten – das ist eine der Lehren von 2018.

2                   Klima

Sie sehen, ich möchte Mut machen für das neue Jahr, das wir in wenigen Stunden begrüßen.

Mut – keinen Übermut. Mut heißt sich der Realität zu stellen und sie Schritt für Schritt zu verändern.

Nur mit dem Mut zur Veränderung werden wir unsere Welt erhalten, werden wir das bewahren, was viele Schöpfung nennen.

Die Realität dieses Jahres waren ausgetrocknete Flüsse in Deutschland und verdorrte Felder. Waren Überschwemmungen in Mallorca wie in Italien.

Die heißesten zehn Jahre haben in den letzten 20 Jahren stattgefunden. Auch dieses Jahr wurde ein neuer Rekord beim Ausstoß an Treibhausgasen erreicht. Noch nie war die CO2-Konzentration so hoch. Wir nutzen unsere Atmosphäre als Müllkippe.

Die Klimakrise trifft nicht erst unsere Kinder und Enkel. Sie ist schon da.

Wenn ich von wir spreche, dann meine ich uns Deutsche. Oft heißt es, wir können doch mit unserem Anteil von 2,2 % der Treibhausgasemissionen nicht alleine die Welt retten.

Richtig, aber wir können damit anfangen. Wir können vorangehen! Wir müssen unseren Anteil leisten.

Denn wir haben es nötig. Immer noch emittieren wir Deutsche fast ein Drittel mehr Treibhausgase als der Durchschnitt der Europäer. Und die Europäer liegen weit über dem, was wir ausstoßen dürfen, wollen wir die Klimakrise abwenden.

Aber warum empfinden wir das als Last? Warum sprechen wir von „Klimasünden“? Ist es ein Genuss, die Heißzeit herbeizuführen?

Natürlich nicht. Unser Duschwasser ist genauso warm, ob wir es mit Gas oder der Sonne erwärmen. Mein Computer läuft schon lange mit Wind- und Sonnenstrom. Und eine gut isolierte Wohnung ist genauso warm wie eine mit Ölheizung.

Und fahren wir nicht schon lange mit der ODEG oder dem ICE elektrisch und nicht mehr mit der Dampflok? Warum können wir uns nicht vorstellen, dass auch unsere Autos elektrisch fahren und nicht mehr mit Dieseln die Breite Straße mit Stickoxiden belasten?

Weil wir denkfaul sind? Das ist nur die halbe Wahrheit.

Wir werden auch verführt uns falsch zu verhalten. Dieselautos werden mit Milliarden subventioniert. Wer in gut isolierte Häuser investiert, hat davon keinen Vorteil.

Das müssen wir ändern. Verantwortliche Politik muss diese Rahmenbedingungen verändern.

Treibhausgase müssen einen Preis haben. Die Erhitzung unserer Erde darf nicht länger umsonst sein.

2019 müssen wir dafür sorgen, dass dies gelingt.

Es beginnt im Februar – da soll die Kohlekommission endlich Ergebnisse liefern. Wir brauchen einen Konsens darüber, wie wir Schritt für Schritt die Verstromung der Kohle so beenden, dass Deutschland seine Klimaschutzzusagen für 2030 einhält.

Es werden dabei keine Lichter ausgehen. Ein Land, das ein Zehntel seines Stroms netto exportiert, hat kein Versorgungsproblem.

Wir müssen das ohne Kündigungen organisieren. Wie so etwas geht, konnten wir 2018 sehen, als die letzte deutsche Steinkohlgrube geschlossen wurde.

Aber wenn wir nichts ändern, werden sehr viel mehr Arbeitsplätze verloren gehen. Was passieren kann, wenn technologische Änderungen verschlafen und blockiert werden, erlebt gerade unsere Autoindustrie.

Über das Ende des Verbrennungsmotors werden nicht Die Grünen, nicht die Deutsche Umwelthilfe und auch nicht Verwaltungsgerichte entscheiden.

Das Ende des Verbrennungsmotors ist entschieden. In China.

Dort wurden 2018 700.000 E-Autos produziert. Keins von einem deutschen Hersteller. In diesem Jahr wird es in China 1 Million sein. Vielleicht sind ein paar deutsche dabei.

Wenn Deutschland weiterhin Autos exportieren will, wenn Zehntausende in der Autoindustrie auch künftig Arbeit und Brot finden wollen, dann müssen wir diesen dramatischen Rückstand aufholen.

Dann müssen wir aufhören, Dieselautos zu subventionieren. Dann darf Berlin die neuen elektrischen Stadtbusse nicht mit mehr in Shenzen in China kaufen müssen.

2019 muss die Energiewende von der Stromwende zur Wärmewende, zur Verkehrswende werden.

Ich denke, Sie haben von einem Grünen nichts anderes erwartet, als ein Plädoyer für Klimaschutz.

Aber dies ist kein bloßes Umweltthema. Es ist mehr als ein Thema globaler Generationengerechtigkeit.

Es ist eine Frage von Krieg und Frieden.

3                   Frieden

Nein, noch haben wir keine Klimakriege. Aber die katastrophalen Dürren 2011 und 2012 haben in Syrien massiv zu Vertreibungen, Flucht und zur Verelendung beigetragen.

Klimawandel ist ein Krisentreiber und ein Kriegsverstärker. Bei fast allen neuen Kriegen spielt er eine Rolle.

Diese Kriege sind anders, als der, der vor 100 Jahren endete. In diesen 1. Weltkrieg war mein Großvater noch unter der Parole gezogen

„Jeder Stoß, ein Franzos
Jeder Schuss ein Russ“

Damals kämpften Nationen gegen Nationen. Heute kämpfen hochgerüstete Staaten gegen zerfallende Gesellschaften, es kämpfen Söldner, Terroristen, Spezialeinheiten, Gangster. Es gibt keine Trennung zwischen Innen und Außen, zwischen Kämpfern und Zivilisten. Und die Bevölkerung leidet. Sexualisierte Gewalt gegen Frauen und Mädchen wird systematisch als Mittel eingesetzt.

Gegen diese neuen asymmetrischen Kriege in Syrien, Somalia, Mali, dem Süd Sudan, der Zentralafrikanischen Republik oder Libyen hilft keine Abschreckung, auf die die NATO seit neuestem wieder setzt.

2018 endete mit einer „schockierenden Jahresbilanz“ von UNICEF zur Lage der Kinder in der Welt. „Vergewaltigung, Zwangsverheiratungen und Entführungen gehören inzwischen zu den ‘Standard-Taktiken’ in Konflikten wie in Syrien oder im Jemen.“

Dafür haben wir eine Verantwortung. Manchmal erschreckend direkt.

Die aktuell größte humanitäre Katastrophe spielt sich im Jemen ab – so die gemeinsame Einschätzung des Büros zur Koordination für Humanitäre Hilfe (OCHA) und des Departments for Peacekeeping Operations (DPKO) der Vereinten Nationen.

In 2017 waren im Jemen 4 Millionen Menschen von humanitärer Hilfe abhängig, 2018 waren es 8 Millionen und 2019 werden es 12 Millionen sein. 12 Millionen, deren nacktes Überleben von internationaler Hilfe abhängt – und davon ob diese Hilfe im Hafen von Hugaida angelandet werden kann.

Der Krieg gegen die Bevölkerung des Jemen wird von einer Koalition unter Führung Saudi-Arabiens und der Emirate geführt.

Saudi-Arabien galt der Bundesregierung als ein „Stabilitätsanker“. Dieser „Stabilitätsanker“ bombardierte im Jemen Meerwasserentsalzungsanlagen, Fußballstadien und Hospitäler.

An diese Kriegskoalition hat Deutschland noch in 2018 für eine halbe Milliarde Waffen geliefert – allein für Saudi-Arabien Rüstungsgüter von 250 Millionen.

Deutschland lieferte nicht nur Munition und Artillerie. Auf der Lürssen-Werft in Wolgast wurden jene 33 Küstenschutzboote auf Reede gelegt, die den Hafen von Hugaida blockieren können.

Wir können nichts machen? Doch Deutschland kann aufhören, neue Fluchtursachen zu schaffen.

Wir müssen aufhören, Waffen für Völkermord zu liefern.

Es gibt eine bequeme Rechtfertigung dafür: wenn wir es nicht machen, tun es andere. Diese Ausrede taugt nichts. Wenn wir das Morden beenden wollen, muss einer anfangen.

Wir müssen raus aus der Sandkastenmentalität wo einfach auf den anderen gezeigt wird. Erwachsene Politik geht anders.

Doch leider hat der Sandkasten Konjunktur. Unter dem Verweis, dass der andere angefangen hat, steuern NATO und Russland auf eine neue Phase nuklearen Wettrüstens zu.

Es ist nicht ausgeschlossen, dass nach 30 Jahren atomare Mittelstreckenraketen in Europa stationiert werden. Die USA wollen den INF-Vertrag, der das verhindern soll, 2019 kündigen.

Wie Bürgerinnen und Bürger sich dagegen wehren, können Sie hinten an der Wand dieser Kirche nachlesen.

Wo bleibt das Angebot an Russland, dass wir die in Büchel in Rheinland-Pfalz gelagerten Atomwaffen beseitigen, wenn die Iskander-Raketen in Kaliningrad abgezogen werden?

Schritte praktischer vereinbarter Abrüstung – so lautet die Alternative zum Wettrüsten.

4                   Europa

2018 jährte sich das Ende des 1. Weltkrieges. Auf das Scheitern der damaligen Nachkriegsordnung  im 2. Weltkrieg war das gemeinsame Europa die Antwort.

Die Europäische Union ist die Antwort auf zwei monströse europäische Katastrophen, die von Deutschland ausgingen.

Dieses gemeinsame Europa steht 2019 vor einer historischen Bewährungsprobe.

Das gemeinsame Europa wird kleiner, wenn am 29. März zu seinem und unserem Schaden Großbritannien die Europäische Union verlässt.

Im Mai 2019 findet die Wahl zum Europäischen Parlament statt. Es steht zu befürchten das Nationalisten gestärkt daraus hervorgehen. Es ist offen, ob es eine handlungsfähige, pro-europäische Mehrheit im Parlament gibt.

Man muss Emanuel Macron nicht mögen. Aber Deutschland darf Frankreich nicht hängen lassen, wie es schon Italien hängen ließ. Ohne Frankreich – und auch ohne Italien, ohne Polen – gibt es kein gemeinsames Europa mehr.

Wollen wir das historische europäische Friedensprojekt Europa nicht gefährden, müssen wir Europa zusammenhalten.

Europa zusammenhalten heißt die europäische Gesellschaft zusammenhalten.

Dann sind Italiens, Spaniens und Griechenlands Arbeitslose auch unsere Arbeitslose. Dann ist die Investitionsschwäche im Süden auch unser Problem.

Dann muss Deutschland aufhören, Europa a la carte zu praktizieren. Mit anderen Worten:

Mit deutscher Rosinenpickerei muss Schluss sein.

  • Für den Euro sein, aber gleichzeitig erwarten, dass jeder einzelne Mitgliedstaat mit den Folgen der globalen Finanzkrise von 2008 alleine klarkommt.
  • Wir nicht eine europäische Verteilung von Flüchtlingen fordern, und dann von den im Mittelmeer geretteten Menschen in diesem Jahr ganze 125 aufnehmen, während Spanien 52.621, Griechenland 29.567 und Italien 22.935 aufnahmen.

Europa wird nur wieder eine Hoffnung, wenn es ein Europa des Schutzes ist.

Das ist mehr, als eine gemeinsame Grenzpolizei.

  • Das ist ein Europa, das seine eigenen Werte ernstnimmt und das Sterben im Mittelmeer beendet, das nicht wegschaut, wenn in Ungarn, in Polen die Demokratie untergraben wird.
  • Das ist ein europäisches Investitionsprogramm in Klima und Infrastruktur – ein Green New Deal um die Arbeitslosigkeit vor allem in Südeuropa zu reduzieren, wo allein 1/3 der unter 25 jährigen keinen Job haben.

Dafür lohnt es sich im kommenden Jahr zu streiten.

5                   Auf ein Neues: 2019

Wird es in 2019 einen Kohleausstieg, eine Verkehrswende, einen Stopp von Waffenexporten, wird es mehr Europa geben? Ich weiß es nicht.

Vielleicht das eine oder andere, aber das meiste wohl eher nicht. Aber wir dürfen nicht aufhören danach zu streben.

Als sich am Ende der siebziger Jahre auf den besetzten Bauplätzen Westdeutschlands die ersten Windräder drehten, wurden wir ausgelacht. „Damit wollt Ihr Strom machen?“ hieß es.

Heute liefern die Dinger gut 40 % unseres Stroms. Sie beschäftigen in Deutschland gut 100.000 Menschen. Windturbinen boomen weltweit von China bis Texas.

Ich wünsche uns für das kommende Jahr den Optimismus des Willens.

Oder um es mit Antonio Gramsci zu sagen: Wir brauchen „nüchterne, geduldige Menschen, die nicht verzweifeln angesichts der schlimmsten Schrecken und sich nicht an jeder Dummheit begeistern.“

Gramsci forderte einen

„Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens.“ [1]

Ich finde, das ist ein guter Vorsatz für das neue Jahr. Gramsci forderte dies übrigens im Gefängnis sitzend.

Was aber ist der Optimismus des Willens?

Sich nicht damit abzugeben, wie es ist. Zu verändern um zu bewahren.

Vielleicht kann ein anderer Gefängnisinsasse uns dies erläutern – einer der anders als Gramsci das Gefängnis nicht überlebte. Dietrich Bonhoeffer wurde am 09. April 1945 in Flossenbrügg ermordet:

Optimismus ist in seinem Wesen keine Ansicht über die gegenwärtige Situation, sondern er ist eine Lebenskraft, eine Kraft der Hoffnung, wo andere resignieren, …. eine Kraft, Rückschläge zu ertragen, eine Kraft, die die Zukunft niemals dem Gegner lässt, sondern sie für sich in Anspruch nimmt. [2]

Nehmen Sie die Zukunft für sich in Anspruch. Es ist Ihre.

In diesem Sinne wünsche ich mit Gramsci und Bonhoeffer ein gutes 2019.

Vielen Dank


[1]                Gefängnishefte, H. 28, §11, 2232

[2]                https://gutezitate.com/zitat/178181

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