Adieu Fessenheim – Bonjour l’Avenir!

Aussteigen – um in die Zukunft einzusteigen

Liebe Bärbel Schäfer,
Liebe Gerda – schön mal wieder in Deinem Freiburg zu sein,
Sehr geehrter Herr Stücklin,
Sehr geehrter Herr Engelberger
Liebe Corinne Lepage,
meine Damen und Herren,

Heute ist in der Tat ein historischer Tag. Heute wird Fessenheim endlich dicht gemacht.

Auch wenn der Weg von Berlin nach Freiburg, insbesondere mit Mundschutz, nicht der kürzeste ist, bin ich gerne gekommen. Ich mag es, mal wieder abzuschalten.

Fessenheim war bis gestern Mitternacht das älteste noch in Betrieb befindliche Atomkraftwerk Frankreichs. Fessenheim war ein trinationales Atomkraftwerk mit Eigentümer*innen in  Frankreich, der Schweiz und DeutschlandTrinational waren auch die Gefahren, die von diesem Uraltreaktor ausgingen. Durch seine Lage wäre jeder Unfall einer gewesen, der das gesamte Gebiet rechts wie links vom Rhein betroffen hätte. 980.000 Menschen hätten evakuiert werden müssen. 

Diese Gefahr ist keine theoretische, wie wir seit Harrisburg 1979 wissen. Wie wir es am 26. April 1986 aus Tschernobyl erfuhren. Und sie wurde uns am 11. März 2011 in Fukushima noch einmal in aller Deutlichkeit vor Augen geführt, als dort drei Kernschmelzen stattfanden – ein Super-GAU, der, darin waren sich Sicherheitsforscher*innen einig, nie hätte eintreten können. Passierte aber. Atomkraft ist eine Hochrisikotechnologie.

Die deutsche Umweltministerin hat zwar mehrfach die Schließung von Fessenheim verlangt. Zu Recht. Aber Deutschland hat viel dafür getan, dass Fessenheim weiterläuft. Seine Brennstäbe kamen aus dem Emsland, aus der Brennelemente Fabrik in Lingen. Es ist ein Treppenwitz der Geschichte, dass Deutschland aus der Atomenergie aussteigt, aber die AKWs der Welt mit angereichertem Uran versorgt und auch waffenfähiges Material an die USA liefert.

Wir müssen die Atomfabriken in Lingen und Gronau endlich stilllegen.

Die Abschaltung von Fessenheim aber ist ein Beitrag für ein besseres Verhältnis zwischen Frankreich, Deutschland und der Schweiz. Es ist ein Tag für weniger Angst und mehr Gemeinsamkeit. Für mehr Europa.

Von Whyl nach Fessenheim

Vor 45 Jahren – vier Jahre vor Harrisburg – besetzten hier am Kaiserstuhl Bürger*innen den Bauplatz des Atomkraftwerk Whyl. Und sie hatten Erfolg. Acht Jahre später wurde der Plan eingestellt. Die Anti-Atom-Bewegung war geboren. 

Im Wendland machten sich Bäuer*innen und Bürger*innen auf Traktoren zum Gorleben-Treck auf. Hundertausende demonstrierten trotz massiver Polizeigewalt in Brokdorf und Grohnde gegen den Schnellen Brüter in Kalkar. Der Anfang vom Ende der Atomkraft – zumindest in Deutschland – begann ganz am Anfang.

Es musste die geballte Staatsmacht eingesetzt werden, um die Atomkraft in Deutschland durchzusetzen. Das Übermaß an Macht hat die Anti-AKW-Bewegung groß gemacht – und zur Gründung der Grünen geführt.

So hat die Atomkraft diese Machtprobe am Ende verloren. Eine Energie, die nur mit Gewalt gegen die Bevölkerung durchgesetzt werden konnte, scheiterte. Übrigens nicht nur in Deutschland – aber ausgehend von Deutschland.

Ende 2022 wird in Deutschland das letzte Atomkraftwerk vom Netz gehen. IsarNeckarwestheim oder Emsland lauten die Stationen.

Frankreich hadert noch mit sich selbst. Wer von jetzt über 70% Atomstrom bis 2035 auf 50% reduzieren will, ist nicht sehr ambitioniert. Doch auch Frankreich ist nicht in der Lage, seine alten AKWs durch neue zu ersetzen. Das Desaster des Reaktors im finnischen Olkiluoto schwebt über der französischen Atomindustrie. Der Reaktor hatte nicht nur mehr als ein Jahrzehnt Bauverzug. Er kostete auch dreimal so viel wie kalkuliert. Hätte Frankreichs Regierung nicht eingegriffen, wäre Areva in Konkurs gegangen

Atomkraft ist nicht nur gefährlich – es ist ein schlechtes Geschäftsmodell. Wer zu lange darauf setzt, verpasst die Zukunft. Die Zukunft aber ist erneuerbar. Doch bevor ich darauf blicke, möchte ich einer Frage nachgehen.

Warum ist man eigentlich eingestiegen?

Als sich die Grünen gründeten, waren alle anderen deutschen Parteien für Atomkraftwerke. Der damalige Bundeskanzler Helmut Schmidt sah in ihr einen Weg, aus der Abhängigkeit vom Öl zu kommen. Und der SPD-Linke Erhard Eppler sah in der Atomkraft einen Weg, den Hunger in der Welt zu überwinden. Das versprechen heute andere Technologien wie etwa die Gentechnik der Bayer-Monsantos.

Aber der Einstieg in die Atomkraft hatte wenig mit Energiepolitik und noch weniger mit der Versorgung der Bevölkerung zu tun. Am Beginn des Einstiegs in die Atomenergie stand Eisenhowers „Atoms for Peace“, eine Rede, die er am 8. Dezember 1953 vor der UN-Vollversammlung in New York City hielt. Beim Einstieg in die Atomenergie ging es um eine politische Vorgabe der USA und der angehenden europäischen Atommächte der 1950er Jahre

Sie hatte das Ziel, die zivile und militärische Nutzung der Atomkraft weltweit zu kontrollieren. Daraufhin gründete sich die IAEA, die fortan den Missbrauch von Spaltmaterial zum Bau von Atombomben verhindern sollte. Es ging nicht um Energieversorgung, sondern um die Verhinderung von Proliferation.

Den keine Atomwaffen besitzenden Mächten wie Deutschland und Japan aber ging es darum, Zugriff auf diese Technologie zu haben – weshalb Deutschland das Recht auf Urananreicherung im Atomwaffensperrvertrag verankerte. Wovon heute der Iran profitiert

Heute planen vor allem die Länder neue Atomkraftwerke, die ein strategisches Interesse an Atomwaffen haben, oder sagen wir mal vorsichtig, ein Interesse an der Atombombe nicht völlig überzeugend verneinen. Das ist Ägypten, das ist die Türkei, das ist Brasilien… es gibt viele Irans.

Vor allem aber zeigt dies: Es gibt keine chinesische Mauer zwischen ziviler und militärischer Nutzung von Atomenergie. 

Insgesamt aber ist die Atomkraft in der Welt auf dem absteigenden Ast. Und das ist gut so und extrem wichtig. Stattdessen erleben wir den

Boom der Erneuerbaren 

Und das ist gut für das Klima.

Die Energiewende, begonnen in Deutschland mit dem Ausstieg aus der Atomenergie und dem Erneuerbaren Energien-Gesetz, hat die Erneuerbaren global so billig gemacht, dass nunmehr im sechsten Jahr in Folge weltweit mehr erneuerbare Kapazitäten ans Netz gingen als fossile und fissile.[1]

Global boomen in der Stromerzeugung Erneuerbare Energien. In China wurde mehr als zehnmal so viel wie in Deutschland, in den USA das Sechsfache investiert. Seit 2015 werden jedes Jahr über 300 Mrd. US-Dollar in Erneuerbare Energien investiert. [2]

Während dessen hat die Atomenergie global Wachstumsflaute. Die Windstromproduktion wuchs im Jahr 2018 um 29%, die aus Solar um 13%. Während die Erneuerbaren 156 GW neue Kapazität ans Netz brachten, schaffte die Atomindustrie ganze 9 GW. In den USA wurde seit Harrisburg kein neues Atomkraftwerk mehr in Auftrag gegeben. In Europa, unter Einschluss Frankreichs, können die bestehenden Neubauprojekte nicht einmal den heutigen Bestand an Atomkraft sichern. Nur in China gibt es noch einen Netto-Zubau.

Das hat einen Grund: Atomkraft ist einfach nicht wettbewerbsfähig.

Die Ewigkeitskosten für jede Gigawatt-Stunde Atomstrom sind höher, als jede Gigawattstunde erzeugt durch Kohle, Öl, Gas und viel höher als die aus Wasserkraft, Wind und Sonne.

Es geht um mehr, als um Ewigkeitskosten. Die Referenzgröße für die Kilowattstunde Strom wurde in Katar für einen 25 Jahres-Vertrag im Rahmen einer Ausschreibung erzielt – für 1,47 Cent pro KWh Sonnenstrom. Das sind Zahlen, von denen Betreiber*innen von Kohle, Gas- oder Ölkraftwerken nicht einmal träumen können. Von Atom ganz zu schweigen. Ein neues Atomkraftwerk könnte nicht einmal zum Zehnfachen des Preises liefern.

Die einzigen, die von der Atomkraft profitieren, sind die Betreiber*innen – oder Baukonzerne wie Bilfinger, die jetzt am hochsubventionierten Hinkley Point C mit bauen.

Liebe Corinne Lepage, ich habe auf Twitter verfolgt, welche Welle des Protestes Dein Auftritt hier heute in Freiburg ausgelöst hat. Die Trolle der Atomindustrie versuchten sich im Vorlesen des alten Märchens vom Klimaschutz durch Atomkraft. Doch Märchen sind Märchen – auch wenn Erwachsene an sie glauben. Natürlich gibt es überhaupt keine CO2-freie Stromerzeugung. Das gilt für den Beton und den Stahl in AKWs, Windrädern, Staudämmen. Aber auch für die CO2-Emissionen im Uranabbau. 

Als in Deutschland der Konsens zum Atomausstieg 2001 unterschrieben wurde, lieferten die 19 deutschen Atomkraftwerke knapp ein Viertel unseres Stroms. Erneuerbare waren mit 4% dabei. 2020 sollten die Erneuerbaren 20% des Stroms liefern. Dieses Ziel wurde bereits 2012 übertroffen. Heute in 2020 wird gut die Hälfte Stroms in Deutschland erneuerbar erzeugt. Erneuerbare haben die Leistung der Atomkraftwerke um mehr als das Doppelte kompensiert.

Die Energiewende hat nicht nur die Kapazitäten unserer Atommüllproduzent*innen überkompensiert. Sie hat in gleichem Umfang fossile Kapazitäten ersetzt. Aber ist das genugNein. Wir haben beim Klimaschutz noch einen weiten Weg vor uns. Denn Deutschland hat zwar viel CO2 eingespart, aber ist immer noch der größte Emittent in Europa. Die Klimakrise macht keine Kompromisse.

Mehr als die Hälfte der durch die Menschen verursachten Verbrennung von fossilen Rohstoffen erzeugten Emissionen sind in den letzten drei Jahrzehnten, seit 1990, in die Atmosphäre gelangt. Mehr als die Hälfte – seit der Verabschiedung der Klimarahmenkonvention. 2018 berichtete die Internationale Energie Agentur (EIA) von einem Allzeithoch von 33,1 Gigatonnen Emissionen pro Jahr. Die Erdatmosphäre hat die höchste CO2-Konzentrationder letzten 3 Mio. Jahre.

Aus heutiger Sicht ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir +3 ° erreichen deutlich höher, als dass wir unter 2 ° bleiben. Einzelne Länder haben Wachstum und Treibhausgasemissionen entkoppelt, doch noch immer ist der globale Primärenergiebedarf fossil.

Kann uns dabei die Atomkraft helfen? Neben all ihren Risiken eher nicht. Sie ist zu mickrig. Atomkraft liefert gerade einmal 4,4% der weltweiten Endenergie. Sie scheitert an der 5% Hürde.Ein Umstellen der Weltwirtschaft vom Auto, Flugzeug, Schiff bis zum Heizen und der Industrie auf Atomstrom würde nicht nur Jahrzehnte brauchen, die wir nicht haben. Es würde mehr als zehnmal so teuer wie der Ausbau Erneuerbarer Energie und der Entwicklung einer Strategie für grünen Wasserstoff.

Vor allem aber ersetzt der Glaube an die Atomkraft eines nicht: Den Ausstieg aus Öl, Kohle und Gas. Für das 2 °- Ziel müssen Vierfünftel, müssen 80%, der bekannten Ressourcen an Öl, Gas und Kohle unter der Erde bleiben. Und dies muss vor 2050 gelingen.

Das ist eine riesige Herausforderung. Denn auf den Finanzmärkten läuft eine Wette gegen das Pariser Klimaabkommen. Allein 2018 wurden jenseits der Stromerzeugung 730 Mrd. $ in Öl und Gas investiert. Exxon kommt auf ein Absatzplus von 25% im nächsten Jahrzehnt. In den fossilen Reserven der Welt sind allein bei gelisteten Unternehmen rund 7 Billionen $ gebundenen Kapitals. Und es gibt die Gegenwette. Institutionelle Investoren wie Blackrock und Allianz raten von Investitionen in fossile Industrien ab. Sie haben in der Coronakrise starke Argumente in die Hand bekommen. Dieses Jahr werden wir den wohl größten Rückgang der Treibhausgase aller Zeit erleben. Die Internationale Energie Agentur rechnet mit einem Minus von 8% weltweit.

Die globale Energienachfrage aber wird nur um 6% sinken. Die Treibhausgase sinken stärker als die nachgefragte Energie. Der Grund dafür ist nicht die Atomenergie. Ihre Produktion sinkt ebenfalls. Aber am stärksten sinkt der Verbrauch von Kohle um fast 8% und von Öl um gut 9%. Dieser Tage gehen wegen des Nachfrageeinbruchs bei Erdgas reihenweise Fracking-Firmen in Konkurs.

In der Coronakrise legte nur eine Energie zu. Die Erneuerbaren wachsen trotz Rezession um 1,5%. Die Chancen, dass Blackrock und Allianz die Wette gewinnen und Exxon und Total verlieren, sind also da. 

Paris

Doch diese Wette wird nicht durch den Markt entschieden. Über die Wette gegen Paris wird in diesem Jahrzehnt entschieden. Europa spielt hier eine Schlüsselrolle. 

Politik muss für die richtigen Rahmenbedingungen sorgen. Dafür brauchen wir keine nostalgischen Diskussionen über eine nicht wettbewerbsfähige Hochrisikotechnologie. Wir brauchen einen Green DealEuropa muss vor 2050 klimaneutral werden. Die Vertragsstaaten von Paris – Deutschland, Frankreich wie die Schweiz – müssen sich zu ambitionierteren Klimazielen 2030 verpflichten. Hier müssen wir – Französ*innen, Deutsche und Schweizer*innen – zusammen an einem Strick ziehen. Wir dürfen keine Zeit und kein Geld verschwenden. Wir müssen darein investieren, was uns schnell aus der fossilen Abhängigkeit befreit. Das sind die Erneuerbaren Energien. Vom heutigen Tag muss das Signal eines neuen Anfangs ausgehen.

Raus aus Atom – rein in die Erneuerbaren.

Der Whyl-Aktivist und langjährige BUND-Vorsitzende hier am Oberrhein, Axel Meyer, hat einen Vorschlag gemacht: Nämlich drei Flaschen Champagner zu köpfen

  • Die erste heute,
  • die zweite, wenn die Brennelemente aus dem Zwischenlager abtransportiert wurden, 
  • die dritte, wenn der Atommüll von Fessenheim wirklich nicht mehr strahlt – in etwa einer Million Jahre.[3]

Ich finde, wir schieben eine vierte Flasche dazwischen: Wenn endlich 100 Prozent Energie erneuerbar erzeugt werden. Und die wollen wir vor 2050 trinken.

In diesem Sinne: 

Adieu Fessenheim – bonjour l’avenir!


[1]Seit 2014 wächst die Erneuerbare Kapazität stärker als die fossile https://www.irena.org/newsroom/pressreleases/2019/Apr/Renewable-Energy-Now-Accounts-for-a-Third-of-Global-Power-Capacity

[2]Global Energy Briefing 187, S. 15

[3]https://taz.de/Atomkraftwerk-Fessenheim/!5663140/

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