Reisebericht Japan & Südkorea: Wertepartner mit eigenen Interessen

Reise des Auswärtigen Ausschusses nach Japan und Korea: Vom 11. bis zum 16. Februar reiste eine Delegation des Auswärtigen Ausschusses nach Japan und (Süd-) Korea. Teilnehmer waren Sevem Dagdelem (Linke), Thomas Erndl (CDU/CSU, Delegationsleiter), Jürgen Hardt (CDU/CSU), Uli Lechte (FDP) Mathias Moosbach (AfD), Michelle Müntefering (SPD), Nils Schmid (SPD) und Jürgen Trittin (Grüne).

Zusammenfassung

  • Sowohl Japan wie Korea haben die Bemühungen der Bundesregierung wie des Bundespräsidenten zur verstärkten Zusammenarbeit mit den Staaten des Indo-Pazifiks aufmerksam verfolgt und begrüßen sie.
  • Japan wie Südkorea sind stabile Demokratien mit einer funktionierenden Gewaltenteilung. Sie teilen nicht nur unsere Werte, sondern sind von einer vergleichbaren Interessenlage wie Deutschland geprägt. Japan, Korea und Deutschland verdanken ihren Wohlstand ihrer Einbindung in eine globalisierte Weltwirtschaft, sind aber in ihrer militärischen Sicherheit auf Bündnisse – vor allem mit den USA – angewiesen.
  • Die Herausforderungen durch den Angriff Russlands auf die Ukraine und der Aufstieg Chinas samt seinem zunehmend robusten Auftreten vor allem im Indo-Pazifik haben in allen drei Staaten die Suche nach neuen und stärkeren Allianzen befördert.
  • Japan, Korea wie Deutschland verstärken die Zusammenarbeit mit den USA – aber haben kein Interesse an einer Bipolarität zwischen China und den USA. Ihnen ist gemeinsam, dass sie sich in einer multipolaren Welt behaupten wollen und dafür plurilaterale Bündnisse mit Dritten suchen, umso die regelbasierte Weltordnung zu sichern.
  • Hinter dem Wort von der Wertepartnerschaft verbergen sich handfeste Interessen, die eine verstärkte Kooperation zwischen Europa und dem Indo-Pazifik nahelegen, die auch die Kooperation mit semi-demokratischen wie auch autoritären Gesellschaften einschließt. Dies gilt insbesondere für ASEAN-Staaten wie Vietnam oder Malaysia.
  • Die ähnliche geostrategische Interessenlage beinhaltet dabei durchaus unterschiedliche Interessen zwischen Japan, Korea und Deutschland. Alle drei sind nicht nur Partner, sondern auch Konkurrenten auf dem Weltmarkt, die etwa durch Standard- und Normsetzung ihre Märkte gestalten.
  • Zwischen Japan und Korea steht zudem, bei aller pragmatischen Zusammenarbeit in Sicherheitsfragen, die nicht aufgearbeitete Geschichte mit den Verbrechen Japans während der Besatzung bis 1945. Innenpolitisch motivierte nationalistische Erzählungen in Japan – aber auch in Korea – verstärken diese Kluft.
  • Japan sieht eine Verschärfung der Lage in der Straße von Taiwan mit großer Sorge. Korea sieht in Taiwan eher ein konkurrierendes Sicherheitsinteresse, das die USA vom Schutz Koreas ablenken könnte.
  • Japan wie Korea versuchen, ihre Wirtschaft zu diversifizieren und zu relokalisieren, um ihre – gegenüber Deutschland so sogar höhere – Export- und Marktabhängigkeit zu mindern. Beide setzen auf Kooperation mit den USA bei der Produktion hochmoderner Halbleiter, um den Vorsprung vor China auszubauen. Das Hochfahren der Produktion von Standardchips ist dagegen eher geeignet, die Abhängigkeit von Taiwan im Falle einer gewaltsamen Vereinigung zu mindern.
  • Japan wie Korea sehen in dem Krieg Russlands gegen die Ukraine eine massive Bedrohung der internationalen Ordnung und beteiligen sich an den Sanktionen Europas und der USA. Japan sieht den Krieg als unmittelbare Bedrohung – die Rückgabe der Kurilen ist so unwahrscheinlicher geworden. Korea sieht in Russland einen der großen Unterstützer Nordkoreas, aber versucht sich in einer Politik des Pragmatismus.
  • Die Rolle von Russland wie China gegenüber Nordkorea sehen beide Staaten als begrenzt unterstützend an. Eine Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel ist in weiter Ferne. China wie Russland wollen die Nuklearambitionen Nordkoreas begrenzen, aber auf keinen Fall einen Zusammenbruch des Systems. Dies würde die Gefahr gerade für China beinhalten, dass amerikanische Truppen an ihrer Grenze stünden.
  • Japan wie Korea sind von den durch Russlands Krieg gestiegenen fossilen Energiepreisen betroffen. Japan bezieht noch Öl und Gas aus Russland. Beide Staaten haben noch keinen klaren Weg zur Dekarbonisierung eingeschlagen. Monopolistische, staatsnahe Strukturen der Energiewirtschaft bremsen und blockieren einen Ausbau der Erneuerbaren Energien.
  • Das Bekenntnis beider Staaten zur Atomenergie ist mehr Ankündigung, als dass es sich in tatsächlichen Investitionen niederschlägt. Zumindest in Korea gibt es Bezüge zur Diskussion um eine eigene atomare Bewaffnung.

Japan

Die innenpolitische Situation in Japan ist von der Rückkehr der Inflation – zum ersten Mal seit vielen Jahren – geprägt. Dies verschärft Verteilungskonflikte insbesondere, da gut 40 % der Beschäftigten – vor allem Frauen – prekär beschäftigt sind.

Japan ist eine überalterte Gesellschaft. Der Trend, dass gerade gut ausgebildeter Japanerinnen nicht mehr heiraten, um nicht in eine tradierte Abhängigkeit zu geraten, wird dies verschärfen. Es zeigt sich, dass eine patriarchalische Gesellschaft und eine fehlende Kinderbetreuung die Frauenbeschäftigung bremsen und zur Wachstumsbremse werden.

Japan hat zum ersten Mal eine nationale Sicherheitsstrategie vorgelegt. Ohne die Verfassung zu ändern, stellt sie den Abschied von der Politik der bloßen Selbstverteidigung dar. Zum ersten Mal wird die Möglichkeit eines Counterstrikes eröffnet, etwa durch Mittelstreckenraketen. Diese Neuorientierung wird auch von großen Oppositionsparteien mitgetragen – aber von der kommunistischen Fraktion abgelehnt.

Um dies umzusetzen will Japan seine Rüstungsausgaben auf 2 % des BIP verdoppeln. Viele der Waffen wird es im Ausland kaufen müssen, da es nicht über eine Rüstungsindustrie verfügt. Ob diese 2 % durch neue Schulden oder Steuererhöhungen finanziert werden, ist eine offene Frage innerhalb der regierenden Liberal Democratic Party (LDP).

Die Frage einer Trendwende der ultralockeren Geldpolitik der Bank of Japan (BOJ) angesichts der Inflation ist offen. Japan hat eine extrem hohe Staatsverschuldung – allerdings hält die BOJ die Masse der Staatsanleihen.

Japan hat als Antwort auf die globalen Herausforderungen ein Ministerium für Wirtschaftliche Sicherheit (Frau Takaichi, vergleichbar Staatsministerin beim Ministerpräsidenten). In den Bereichen Lieferketten, Geheimpatente, kritische Infrastruktur und Spitzentechnologie soll die wirtschaftliche Sicherheit gestärkt werden.

In den Lieferketten wurden 11 Bereiche identifiziert, in den Japan Gefahren sieht – darunter Düngemittel (RUS, BLR) und Antibiotika (CHN). Japan investiert zusammen mit den USA in die Produktion von Hightech-Chips, um einen Vorsprung gegenüber China zu halten. Aber mit TSMC (Taiwan Semiconductor Manufacturing Company) hat es sich auch die Produktion von Standardchips für die Verbraucherelektronik und Autoindustrie gesichert und beugt so eine Krise um Taiwan vor.

Schlechter aufgestellt ist Japan in der Energieinfrastruktur. Selbst das vereinzelte Hochfahren der nach Fukushima stillgelegten Atomkraftwerke konnte die massive fossile Importabhängigkeit nicht mindern. Der Weg zu einer Dekarbonisierung ist noch weit. Obwohl Japan das Sanktionsregime gegen Russland mitträgt, bezieht es weiter Öl und Gas aus Russland. Zwar forcierte die Atomindustrie den Neubau von Atomkraftwerken. Dies ist aber eine Perspektive für Jahrzehnte mit offenen Finanzierungsproblemen. Der Druck stillgelegte Altreaktoren wieder ans Netz zu nehmen, dürfte hingegen wachsen.

Im Gespräch mit Außenminister Hayashi erläuterte dieser, dass der Erhalt der regelbasierten Ordnung sowie das Verhältnis zu China die beiden Schwerpunkte der japanischen G7-Präsidentschaft wie der Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat seien. Ausdrücklich wurden Wunsch und Wille Japans zu einer engeren Kooperation mit Europa und Deutschland unterstrichen. Beide Seiten hätte gemeinsame strategische und Sicherheitsinteressen.

Korea

Die koreanische Gesellschaft ist von einem extremen Leistungsdruck von frühen Lebensjahren an geprägt. Dies hat seine Ursache auch in einer großen Lohnspreizung innerhalb der Beschäftigten. Wer es schafft, bei großen Unternehmen wie Samsung oder Hyundai zu arbeiten, verdient vergleichbar wie eine*n Europäer*in. Andere müssen Zweit- und Dritt-Jobs annehmen, um über die Runden zu kommen. Auch in Korea arbeiten rund 40 % prekär.

Politisch ist das Land polarisiert. Der direkt gewählte Präsident Yoon hat im Parlament keine Mehrheit. Ob sich dies bei den kommenden Parlamentswahlen ändert, ist offen. Interessant ist, dass die Mitte-Links-Parlamentsmehrheit der DP (Democratic Party) eher die nationalistische Karte mit deutlicher Abgrenzung zu Japan spielt. Die Präsidentenpartei PPP (People Power Party) hingegen agiert neoliberal und sucht eher Entspannung mit Japan.

Das Land hat eine funktionierende Gewaltenteilung. Der grassierenden Korruption wird mit drakonischen Strafen begegnet, die auch ehemalige Staatspräsidentinnen oder Konzernchefs nicht schont. Yoon hatte sich hier als Generalstaatsanwalt einen Namen gemacht. Inzwischen aber werden von der Presse und der Parlamentsmehrheit massive Korruptionsvorwürfe gegen seine Frau erhoben.

Korea war aufgrund seines Konflikts mit der Demokratischen Volksrepublik Korea immer schon auf Wehrhaftigkeit orientiert. Die Rüstungsausgaben umfassen 4 % seines BIP. Es hat eine wettbewerbsfähige Rüstungsindustrie, die etwa den Panzer K2 nun auch nach Polen verkauft. Im Konflikt mit dem Norden sei klar, dass weder Russland noch China einen Sturz der Regierung wollten.

In der Bevölkerung spiegelt die Möglichkeit einer Wiedervereinigung keinen tiefen Wunsch wider. Es stehen eher Befürchtungen wegen der Kosten im Raum. Während die Anti-Japan-Rhetorik unter den jungen Koreaner*innen keine große Popularität genießt, wächst eher die Sorge vor China.

Außenminister Park Jin unterrichtete über die Kernpunkte der Ende 2022 verabschiedeten koreanischen Indo-Pazifik-Strategie – mit den Kernpunkten Cooperation, Inclusiveness, Trust. Korea sei auch weiterhin um stabile Beziehungen zu Peking bemüht. Es lehne eine Strategie der Entkopplung ab, bemühe sich aber um eine Intensivierung der Investitions- und
Handelsbeziehungen vor allem mit den ASEAN-Partnern bemühe.

Korea habe in den vergangenen beiden Dezennien vom Verhältnis zu China profitiert und sei in der Lage gewesen ‚diese Welle zu beherrschen‘ („to ride the wave“). Gleichzeitig gelte es die Sicherheitspartnerschaft mit den USA zu stärken. Japan sei der nächste Nachbar, aber sie seien keine Alliierten.

Die Lage um Taiwan sei von großer Bedeutung, da 70 % des Handelsvolumens durch diesen Raum laufe. Taiwan sei allerdings Partner und Konkurrent zugleich.

In allen Gesprächen wurde der hohe Wert der bilateralen Zusammenarbeit und die aktive Rolle Südkoreas auf der Seite der demokratischen Nationen in einer multipolaren Ordnung unterstrichen. Entsprechend hoch sind die Interessen und Erwartungen an die deutsche Ostasienstrategie

Die Vertreter in Korea ansässiger deutscher Unternehmen betonten zum einen die Chancen auf dem lukrativen koreanischen Markt. Korea ist zweitgrößter Käufer deutscher Waren in Asien. Sie beklagten aber auch hartnäckige Handelshemmnisse.

Die geoökonomische Risiken für die Wirtschaft in Ostasien ergeben sich aus den Abhängigkeiten von China sowie den Auswirkungen des US-China-Konflikts. Deshalb setzen gerade koreanischen Unternehmen wie Hyundai auf die Diversifizierung in der Rohstoffbeschaffung wie in ihren Lieferketten. Darauf werden auch ihre Lieferanten verpflichtet – etwa Conti.

Gesprächspartner*innen

Japan

Ministerien

  • Yoshimasa HAYASHI, Außenminister
  • Kenji YAMADA, Abgeordneter des UH (LDP), Staatsminister im Außenministerium
  • Sanae TAKAICHI, Ministerin für Wirtschaftssicherheit

Abgeordnete des Auswärtigen Ausschuss des japanischen Unterhauses

  • Hitoshi KIKAWADA, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusse, LDP
  • Keisuke SUZUKI, Vorstandsmitglied LDP
  • Ikuko NAKAGAWA, Vorstandsmitglied, LDP
  • Kozaburo NISHIME, Vorstandsmitglied, LDP
  • Hisashi TOKUNAGA, Vorstandsmitglied, CDP
  • Yuichiro WADA, Vorstandsmitglied, Ishin
  • Minoru KIUCHI, Vorsitzender, LDP
  • Atsushi SUZUKI, DPP
  • Keiji KOKUTA, KPJ

Sonstige Abgeordnete des japanischen Unter- und Oberhauses (UH/OH) mit Schwerpunkt Außen- und Sicherheitspolitik

  • Takako SUZUK, UH, LDP, ehem. Staarsministerin im Außenministerium
  • Masahisa SATO, OH, LDP, ehem. Vorsitzender der Außen-AG OH
  • Katsuya OKADA, UH, CDP, ehem. Außenminister
  • Shinji OGUMA, UH, CDP
  • Hitoshi AOYAGI, UH, Ishin
  • Shintaro ITO, UH, LDP, Leiter intern. Abteilung der LDP
  • Minoru KIHARA, UH, LDP, Generalsekretär der LDP Research Commission on National Security
  • Keitaro OHNO, UH, LDP, Generalsekretär des Headquarter for the Promotion of Economic Security
  • Gen NAKATANI, UH, LDP, Special Advisor to the PM on Human Rights, Vositzender des Diet Members’ Council for Comprehensive Security
  • Shinichi ISA, UH, Komei, Staatsminister im Arbeits-/Gesundheitsministerium
  • Mito KAKIZAWA, UH, LDP
  • Hideki NIIZUMA, OH, Komei
  • Taisuke ONO, UH, Ishin
  • Taku OTSUKA, UH, LDP
  • Natsuo YAMAGUCHI, OH, Komei
  • Shigeharu AOYAMA, UH, LDP

Deutsche Botschaft in Japan

  • Clemens VON GOETZE, Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Japan
  • Claudia SCHMITZ, Botschaftsrätin I. Klasse, Referatsleiterin Politik
  • Anna WALLBRECHT, Oberregierungsrätin, Stellv. Abteilungsleiterin Wirtschaft
  • Gunnar MICHEEL, Legationsrat I. Klasse, Referent Politik

The Japan Institute of International Affairs (JIIA)

  • Tomiko ICHIKAWA, Generalsekretärin des JIIA
  • Tetsuo KOTANI, leitender Wissenschaftler für Sicherheitspolitik des JIIA

Deutsche Korrespondent*innen und Vertreter*innen

  • Sven SAALER, Friedrich-Ebert-Stiftung, Büro Tokyo
  • Rabea BRAUER, Konrad-Adenauer-Stiftung, Büro Tokyo
  • Marcus SCHÜRMANN, Leiter der Auslandshandelskammer Japan (AHK)
  • Jürgen MAURER, Korrespondent von Germany Trade and Invest (GTAI)

Korea

Ministerien

  • Jin PARK, Außenminister

Deutsche Botschaft Südkorea

  • Michael REIFFENSTUEL, Botschafter
  • Hans Christian WINKLER, politscher Berater in der Botschaft
  • Arne KÜPER, Berater für wirtschaftliche Angelegenheiten

Koreanisch-Deutschen Freundschaftsgruppe

  • Sang min LEE, Vorsitzende, LSM

Auswärtigen Ausschuss der Nationalversammlung

  • Tae Ho KIM, Vorsitzender, KTH
  • Jae Jung LEE, stellvertretende Vorsitzende, LJJ

Leiter der Politische Stiftungen in Seoul

  • Thomas YOSHIMURA, Leiter Konrad-Adenauer-Stiftung, Büro Seoul
  • Bernhard SELIGER, Leiter Hanns-Seidel-Stiftung, Büro Seoul
  • Henning EFFNER, Leiter Friedrich-Ebert-Stiftung, Büro Seoul

Think Thanks

  • Dong-min LE, Assistant Professor an der Dankook University
  • Jeong-min KIM, NK News
  • Du-yeon KIM, Center for a New American Security (CNAS)

 

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