Sophia kommt nicht mehr

Nepper – Schlepper – Bauernfänger

Wenn Menschen vor Krieg und Zerstörung fliehen, ist Abwehr und Abschreckung die erste Reaktion maßgeblicher Teile der Bundesregierung. Das wurde mit der härtesten Asylrechtsverschärfungen der letzten 20 Jahre klar. Nirgends jedoch wird das Credo „Abwehren statt Helfen“ so deutlich wie bei der EU-Militärmission im Mittelmeer.

Wie man mit Tatsachen die Unwahrheit verbreiten kann, beschreibt aktuell Umberto Eco in seinem Roman Nullnummer. Dass man auch mit Namen lügen kann, belegt der Rat der Europäischen Union. Was vorher schön bürokratisch EUNAVFOR MED genannt wurde – die Militärmission vor der Küste Libyens – heißt seit dem Beginn ihrer 2. Phase Operation Sophia.

Sophia kam im August auf der Fregatte Schleswig-Holstein zur Welt – das erste Kind, welches auf einem Schiff der Bundesmarine geboren wurde. Sophias Mutter war aus dem zerfallenen Somalia geflohen und hatte sich auf den gefährlichen Weg über das Mittelmeer gemacht. Hier wurde sie mit 452 Menschen von der Bundesmarine gerettet. Inzwischen haben deutsche Soldaten über 7500 Menschen im Mittelmeer gerettet. Eine großartige Leistung.

Doch schon die Vorgeschichte zu Sophias Rettung ist eine traurige. Bis zum Oktober 2014 gab es die italienische Mission Mare Nostrum zur Rettung von Flüchtlingen. Doch dann musste Italien – mit dem Problem von den anderen Europäern alleine gelassen – diese Mission beenden. Es war Innenminister De Maizière, der maßgeblich zum Ende der Rettungsmission Mare Nostrum beitrug. Er ging soweit, die Rettungsmission als „eine Art Beihilfe für das Vermögen von Menschenhändlern“  zu bezeichnen. Deshalb wurde Mare Nostrum durch eine Abwehrmission der EU namens Triton ersetzt.

In Folge dieser Entscheidung kamen nicht weniger Flüchtlinge übers Mittelmeer. Aber es ertranken Hunderte. Nach dem Tod von 700 Menschen an einem Tag schaltete Europa von der Abschreckung kurz auf Rettung um. Marine wurde zur Rettung ins Mittelmeer geschickt.

Doch ab April wurde wieder verstärkt auf Abwehr gesetzt. Die Mission EUNAVFOR MED soll neben Seenotrettung vor allem den Kampf gegen die Schlepper aufnehmen – zunächst auf dem Mittelmeer und dann auch an der libyschen Küste. Die Schwerpunktverschiebung schlägt sich in den Zahlen nieder. Es wurden weniger Menschen gerettet. Hatte die Bundeswehr in den zwei Monaten vor Beginn der Operation noch knapp 6.000 Menschen gerettet, waren es in den ersten zweieinhalb Monaten von EUNAVFOR MED nur noch 1.500.

Im Oktober 2015 startete nun Phase 2 der Militärmission, die den Kampf gegen Schlepper einläuten sollte. Deutschland stellt dazu Schiffe und bis zu 950 Soldatinnen und Soldaten bereit. Wir Grünen hatten diesen militärischen Aktionismus kritisiert. Um für ihren Antrag ein Mandat des Bundestags zu bekommen, setzen die Bundesregierung und die EU-Kommission uns Abgeordnete massiv unter Druck – und versprach schnelle Resultate im Kampf gegen Schlepper. Die Mission sei „ein wichtiges Mittel, um den mit äußerster Brutalität agierenden Banden das Handwerk zu legen“, betonte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen.

Es war schamlos übertriebene Bauernfängerei. Denn wenn das ernst gemeint war, dann ist der nun Operation Sophia genannte Bundeswehreinsatz ein Schlag ins Wasser. Jetzt musste die Bundesregierung auf meine Anfrage zugeben: „Seit Beginn der Phase 2 von EUNAVOR MED am 7. Oktober 2015 ist nach hier vorliegenden Erkenntnissen bislang eine der Schleusung verdächtige Person durch Kräfte der Operation an italienische Strafverfolgungsbehörden übergeben. Deutsche Einheiten waren hierbei nicht beteiligt.“

Ein einziger festgenommener mutmaßlicher Schleuser – das ist das magere Ergebnis des dringlich gemachten Einsatzes von Hunderten von Soldatinnen und Soldaten, unzähligen Kriegsschiffen, einem U-Boot und Drohnen. Wollte man mehr Sophias retten, sollten sich die Kräfte lieber darauf konzentrieren.

Doch die Operation Sophia soll stattdessen in Phase 3 treten. Europa will die Schlepper auch in Libyen, in den Küstengewässern und an Land bekämpfen. Noch fehlt es dafür an einem UN-Mandat und der Einladung einer „libyschen Regierung“. Zurzeit mühen sich Europa und Deutschland mit Nachdruck eine politischen Einigung in Libyen zu erreichen.

Sollte man dann in Phase 3 eintreten, ist dies nichts anderes als der Eintritt Europas in den libyschen Bürgerkrieg. Das würde mehr und nicht weniger Fluchtgründe schaffen. Aber es würde die Fluchtmöglichkeiten massiv beschneiden. Sophia kommt dann nicht mehr.

Wer Schlepper wirksam bekämpfen will, muss ihnen die Geschäftsgrundlage entziehen. Nur wenn es endlich legale Zugangswege nach Europa gibt, muss eine somalische Mutter nicht mehr ihr ganzes Vermögen an kriminelle Schleuser abgeben, um sich mit ihren Kindern auf eine lebensgefährliche Reise über das Mittelmeer zu machen. Dann ist Sophia willkommen.

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