Reisebericht Brüssel: Threat or Challenge? Globale EU-Strategie und NATO-Gipfel

Im Juni besuchte ich Brüssel im Rahmen einer Einzeldienstreise. Das Ziel des Besuchs war, sich über die Vorbereitungen für den kommenden NATO-Gipfel in Warschau zu informieren, sowie über den Stand der vor dem Abschluss stehenden Globalen Strategie der Europäischen Union.

Gesprächspartner*innen waren Vertreter*innen der NATO wie der der Europäischen Kommission (KOM), dem Europäischen Auswärtigen Dienst (EAD) und dem Generalsekretariat des Rates sowie Vertreter*innen von Think Tanks und NGOs.

Zusammenfassung

  • NATO und die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union (GSVP) sprechen von Herausforderungen wie Gefahren im Osten und im Süden, denen begegnet werden muss. Sie bewerten diese jedoch graduell unterschiedlich und begegnen ihnen im Militärischen mit einer klammheimlichen Arbeitsteilung, NATO im Osten, EU im Süden.
  • Die Antwort der NATO auf die Verletzung der Prinzipien der Grundakte von Helsinki durch Russland ist eine höchst konventionelle. Die Revitalisierung der kollektiven Verteidigung, Rückversicherungsmaßnahmen sowie symmetrische Aufrüstung dominieren.
  • Anders als die NATO spricht die Globale Strategie in Bezug auf Russland von einer Herausforderung nicht von einer Gefahr. Hauptgefahr sei der Staatszerfall und Terrorismus im Süden. Ihm zu begegnen bedarf es internationaler Kooperation sowie zivil-militärischer Lösungen.
  • Die Globale Strategie dient eher der Selbstverständigung und erfordert noch wesentlich Maßnahmen zur Implementierung. Deshalb steht nur ein Begrüßen auf dem Europäischen Rat zu erwarten.
  • Die Bemühungen um eine Ausweitung des militärischen Engagements vor und in Libyen halten an. Sie drohen zusammen mit Operationen von europäischen Spezialkräften die Bemühungen der UN um eine innerlybische Konsolidierung zu unterlaufen und die Spaltung des Lands zu vertiefen.
  • In Warschau wird es eine gemeinsame Erklärung NATO-EU geben.
  • In Kommission und Rat wird ängstlich auf einen möglichen Brexit am 23. Juni geschaut.

NATO-Gipfel

Beobachter*innen berichteten uns, dass die NATO derzeit völlig absorbiert sei von der Vorbereitung für den Gipfel in Warschau. Das Ziel sei es, den Gipfel von Wales im Rückblick zum Erfolg zu erklären. Mit Blick auf die Abschlusserklärung kündigte man uns im NATO Hauptquartier allerdings bereits einen Minimalkonsens an. Es werde versucht, eine Balance zwischen den unterschiedlichen Gefahrenperzeptionen und Interessen den Mitgliedstaaten zu finden. Dieser Konsens laute: deterrence und dialogue.

Die Darstellung der parallelen Herausforderungen im Süden und im Osten sei künstlich und vor allem nach innen gerichtet. Man räumte ein, dass der Instrumentenkasten der NATO nur bedingt auf die Herausforderungen im Süden passe. Daher sei die NATO im Süden auch nicht der „first responder“. Während Abschreckung dort nicht funktioniere, könne man mit dieser Politik im Osten ein Teil der Lösung sein. Diese Ansicht wurde nicht überall im Hauptquartier geteilt. An anderer Stelle räumte man in Bezug auf Russland ein, dass die Gefahrenperzeption unter den Mitgliedern auseinanderginge. Auf Abschreckungsmaßnahmen zu verzichten, hätte die Allianz vor eine Zerreißprobe gestellt. Die Eskalationsspirale im Osten sei ein gefährliches Spiel. Man baue auf die russische Rationalität.

Die Wiedereinberufung des NATO-Russland-Rates sei innerhalb der Allianz lange nicht konsensfähig gewesen. So wurde das Gremium uns gegenüber von einem Gesprächspartner auch als Placebo beschrieben. Erst dem deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier und seinem amerikanischen Amtskollegen John Kerry sei letzten Herbst die Wende gelungen. Die Bilanz des ersten Treffens sei positiv. Man habe über die Ukraine, über Transparenz und Risikominimierung und über Afghanistan gesprochen. Zukünftig müsse dort auch die Raketenabwehr thematisiert werden. Auch nach dem Atom-Abkommen mit dem Iran stehe das Projekt nicht zur Disposition. Die Zielsetzung müsse besser kommuniziert werden und es wären Transparenzmaßnahmen für Russland notwendig. Russland selbst definiere sich in Gegnerschaft. Man mache sich keine Illusionen. Im NATO Hauptquartier rechnet man mit einem Verbleib Putins im Amt bis mindestens 2024.

Kerry und sein russischer Counterpart Sergej Lawrov würden täglich telefonieren. In Syrien herrsche zwischen beiden Staaten intensiver militärischer Kontakt. Doch das russische Interesse an einer Kooperation mit der NATO sei geringer als im Hinblick auf Syrien. Dennoch sei SACEUR offen für Kontakt zum russischen Generalstabschef. Man müsse in der Lage bleiben, auf windows of opportunity zu reagieren. Man wies aber auch auf die paradoxe Situation hin, dass einerseits mehr Kooperation mit Russland gewollt sei – nur nicht in der Praxis. Das Auswärtige Amt würde ein Engagement der NATO im Libyen-Konflikt mit der Begründung ablehnen, Russland nicht stören zu wollen. Das strategische Dilemma ergebe sich daraus, dass die NATO aus russischer Perspektive immer Teil des Problems sei. Rückblickend wurde die Kooperation mit Russland bei der Entsorgung der syrischen Chemiewaffen gelobt. Man sei damals ausgegangen, dass damit eine Ära besserer Zusammenarbeit eingeläutet werde.

EU-NATO Erklärung

Im NATO Hauptquartier wurde unterstrichen, dass sich die deutsche Delegation in der Vorbereitung des Gipfels entschieden für verstärkte EU-NATO Kooperation eingesetzt habe. Die getrennte Existenz der beiden sei der Situation nicht mehr angemessen. Auf dem Gipfel soll eine gemeinsame Erklärung verabschiedet werden, die eine road map für zukünftige Zusammenarbeit enthalten solle. Als Bereiche für diese Zusammenarbeit wurden uns hybride Bedrohungen, Cyber-Bedrohungen, die Ertüchtigung von Partnern und der maritime Bereich genannt. Da man auf die gleichen Kräfte zurückgreife, sollte der Einsatz dieser Kräfte so abgestimmt und so optimiert wie möglich erfolgen. Gleichzeitig wurde bestritten, dass die NATO sich zur EU Armee entwickle. Trotzdem hörten wir in Brüssel diesbezüglich auch kritische Stimmen. Eine Zusammenarbeit zwischen der NATO und der EU im Mittelmeer sei nicht unproblematisch.

Im NATO Hauptquartier wurde auf die problematischen Beziehungen zwischen der Türkei und Griechenland sowie zwischen Griechenland und Zypern hingewiesen. Die Türkei zeige sich aber kooperativ. In Zukunft müsse es für die Türkei möglich sein, sich stärker an GSVP Missionen beteiligen zu können.

Globale Strategie

Die Global Strategy wurde uns als gutes, aber (noch) nicht operationalisierbares Papier beschrieben. Es handle sich um ein „Think Tank kind of paper“. Das große Thema der Strategie sei Resilienz. Doch die Bindewirkung sei gering. Beobachter schätzen, dass das Papier eher nach innen gerichtet ist.

Man habe für Russland eine ausgeglichene Sprache gefunden. Das Land stelle eher eine Herausforderung (challenge) als eine Bedrohung (threat) dar. Ein isoliertes Russland sei letztlich gefährlicher.

Unsere Gesprächspartner*innen betrieben auch Erwartungsmanagement. Man sei nicht die USA oder China. Das Adjektiv „global“ im Titel der Strategie sei vor allem mit umfassend zu übersetzen. Man räumte zudem ein, dass der Instrumentenkasten in einfacheren Zeiten entworfen worden wäre.

Da nicht jeder Mitgliedsstaat willens sei, der Strategie ein endorsement auszusprechen, hoffe an stattdessen darauf, dass der Europäische Rat ihre Präsentation offiziell begrüße.

Libyen

Angesichts des Flüchtlingsabkommens mit der Türkei wünschen sich manche Mitgliedsstaaten einen entsprechenden Deal mit Libyen. Der italienische Botschafter sah in Libyen positive Signale und verwies dabei auf das gemeinsame Communiqué aus Wien und die Fortschritte bei der – inzwischen verabschiedeten – Resolution im UN Sicherheitsrat.

Im EAD wurde weniger Optimismus verbreitet. Man rechne nicht mit einer Unterstützung für die Einheitsregierung aus Tobruk. Ziel sei es weiterhin, General Haftar einzubinden. Allerdings würde das von den Regionalmächten verhindert.

Aus den Reihen der europäischen Militärs hörten wir, dass Operation EUNAVFOR med („Sophia“) keinen Beitrag zur Lösung der Flüchtlingskrise leiste.

Syrien

Unsere Gesprächspartner*innen im NATO Hauptquartier sehen eine politische Lösung unter anderem dadurch blockiert, dass die Parteien weiterhin davon ausgehen, ihre Verhandlungspositionen durch militärische Gewinne noch verbessern zu können. Man rechnet dort mit mindestens weiteren sechs Monaten offener Kampfhandlungen. Um einen Waffenstillstand dauerhaft durchzusetzen und die Parteien zu entwaffnen, sagte man uns zunächst, bedürfe es eines Patchwork an Akteuren. Doch dann wurde präzisiert, dass man weder die UN noch die EU für fähig halte, diese Aufgaben zu übernehmen. NATO oder niemand. Während UN Friedenstruppen oft nicht einmal über eine gemeinsame Sprache verfügten, handle es sich bei der NATO um eine Industrienormorganisation, die sich durch ihre Kompatibilität auszeichne.

Im EAD wurden andere Schwerpunkte gesetzt. Der Konflikt in Syrien sei nicht zu lösen solange sich die Nachbarländer nicht einig wären. Man verwies dabei besonders auf Saudi Arabien und den Iran. Innerhalb Syriens versuche die EU die Opposition zu unterstützen.

Aktuelle Fragen

Georgien

Im NATO Hauptquartier wurde darauf verwiesen, dass es keinen Konsens für eine Aufnahme Georgiens gäbe. Russland fühle sich von der Aussicht auf NATO-Osterweiterung und – schlimmer noch – EU-Osterweiterung mehr bedroht als von transatlantischer Militärtechnologie. Damit sei die Helsinki-Schlussakte zugunsten einer modifizierten Breschnew-Doktrin de facto aufgehoben.

Im EAD wurde uns mit Enttäuschung von den gescheiterten Verhandlungen zur Visaliberalisierung für Georgien berichtet. Die georgische Regierung wurde als kompetent beschrieben. Sie habe pragmatisch einen guten Reformkurs verfolgt. Die Regierung habe Anforderungen der Europäischen Union erfüllt. Doch nun blockierten Deutschland zusammen mit Frankreich und Italien die zugesagte Visafreiheit – aus rein innenpolitischen Motiven. Damit würde ein zweijähriger Prozess ausgebremst.

Iran Abkommen

Unsere Gesprächspartner*innen im EAD zeigten sich besorgt im Hinblick auf das Atomabkommen mit dem Iran. Bisher würde nur die iranische Seite ihren Teil des Abkommens einhalten. Banken würden sich nach wie vor amerikanischen Sanktionen befürchten. Zwar seien die Sekundärsanktionen aufgehoben, doch die Primärsanktionen bestünden weiterhin. Bereits jetzt mache der Religionsführer Stimmung gegen das Abkommen. Es bestehe die Gefahr einer Eskalationsspirale.

 

Gesprächspartner*innen

Dr. Stefanie Babst, Head, Strategic Analysis Capability to the NATO Secretary General and Chairman of the NATO Military Committee

Alfredo Conte, Referatsleiter Strategieplanung Europäischer Auswärtiger Dienst

Alessandro Cortese, PSK-Botschafter Italien

Dr. Riina Kionka, Hauptberaterin für Außenpolitik Kabinett Ratspräsident Donald Tusk

Dr. Hans-Dieter Lucas, Ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland im Nordatlantikrat

Irene Plank, Deputy Director, Private Office of the Secretary General

Lt. Gen Esa Pulkkinen, Director General EU Military Staff (EUMS)

Oliver Rentschler, Stellv. Kabinettschef von Federica Mogherini

Michael Rühle, Head, Energy Security Section, Emerging Security Challenges Division

Helga Schmid, Deputy Secretary General Europäischer Auswärtiger Dienst

Jan Techau, Director Carnegie Europe

 

Verwandte Artikel

Kommentar verfassen

Artikel kommentieren


* Pflichtfeld