SPIEGEL-Interview: „Man koaliert nicht mit Personen, sondern mit Parteien“

SPIEGEL: Herr Trittin, was halten Sie von der Operation „Breilibü“, dem Versuch, zur Bundestagswahl 2017 ein „breites linkes Bündnis“ aus SPD, Grünen und Linken zu schmieden?

Trittin: Man sollte diese Option nicht aus den Augen verlieren. Wir regieren in dieser Konstellation bereits in Thüringen. Es ist nicht ausgeschlossen, dass es im Herbst auch in Berlin, womöglich gar in Mecklenburg-Vorpommern zu R2G, also Rot-Grün-Rot, kommt. Die aktuellen Umfragen geben derzeit im Bund allerdings keine Mehrheit für ein solches Bündnis her. Was mich am meisten daran stört, ist der Name.

SPIEGEL: Breilibü?

Trittin: Ich mag den Ausdruck nicht, weil er assoziiert, dass alle Beteiligten dasselbe wollen. Das stimmt aber nicht. Wir wollen etwa die dreckigen Kohlekraftwerke in Brandenburg schließen, die Linkspartei möchte sie verstaatlichen und ausbauen. SPIEGEL: Welchen Begriff schlagen Sie vor? Trittin: „Bündnis für Ökologie und Gleichheit“ fände ich gut.

SPIEGEL: Kann man jetzt nicht so gut abkürzen, aber gut.

Trittin: Ja, aber der Ausdruck Breilibü hat eine ganz schlimme Vorgeschichte. Er geht zurück auf die Achtzigerjahre, als man in der Friedensbewegung sagte: Hauptsache, alle sind gegen die Nachrüstung. Da waren aber in Wahrheit auch sehr unappetitliche Leute dabei, die einfach nur gegen die Amerikaner waren und sich heute bei den Montagsdemos wiederfinden.

SPIEGEL: Wie nahe sind sich SPD, Grüne und Linke derzeit?

Trittin: Die Zahl der bilateralen Gespräche und Kreise, die über Rot-Grün-Rot reden, hat zugenommen. Noch wichtiger ist, dass die Vorsitzenden von Fraktionen und Parteien miteinander reden – über Gemeinsames wie Trennendes. Im Südsudan droht etwa gerade ein offener Bürgerkrieg auszubrechen. Die Bundeswehrsoldaten vor Ort haben eine kriegsbremsende Funktion, die können und dürfen wir nicht abziehen. Das ist ein Problem für die Linke. Gleichzeitig bricht Sigmar Gabriel seine eigenen Rüstungsexport-Rekorde. Jede der drei Parteien muss prüfen, wo sie sich bewegen muss. Man kann ja nicht immer nur sagen: Die anderen müssen sich ändern.

SPIEGEL: Was müssten die Grünen tun?

Trittin: Wir haben einen wichtigen Schritt gemacht. Mit unserer Finanzpolitik haben wir Klarheit geschaffen: Wir haben die Phase eines unkritischen Übernehmens gewisser neoliberaler Grundideen überwunden. Das ist eine Veränderung bei den Grünen und ein Schritt in die richtige Richtung.

SPIEGEL: Das aktuelle Steuerkonzept ähnelt stark Ihrem linken Konzept von 2013, für das Sie vom Realo-Flügel Ihrer Partei kritisiert wurden. Fühlen Sie sich bestätigt?

Trittin: Ich sehe überwiegend Kontinuität und keinen Wandel. Es war immer breiter Konsens in der Partei, dass ökologische und soziale Investitionen solide finanziert werden müssen. Wir Grünen gehören nicht zu denen, die das gern über Schulden machen. Also muss es über leistungsgerechte Besteuerung geschehen. Den Gedanken hatten wir 2009 und 2013 auch schon.

SPIEGEL: Ihr Wahlergebnis blieb 2013 allerdings weit unter den Erwartungen, die viele hatten.

Trittin: Auch unter meinen.

SPIEGEL: Es hieß, dass vor allem Ihr linkes Steuerkonzept schuld gewesen sei.

Trittin: Die Hauptursache für das maue Ergebnis war eine andere: Wir hatten keine wirkliche Machtoption. Wir haben einen Wahlkampf zur Regierungsübernahme geführt, obwohl Rot-Grün ab Mai, Juni 2013 gar nicht mehr in Reichweite war. Deswegen haben uns nicht so viele gewählt.

SPIEGEL: Laut dem neuen Konzept sollen die Steuern nur für diejenigen steigen, die mehr als 100 000 Euro pro Jahr verdienen. Vor vier Jahren lag die Grenze bei 60 000 Euro. Sind die Grünen milder geworden?

Trittin: Nein, ich würde sogar sagen, dass es ein mutiges Programm ist. Es legt den Fokus auf Dinge, die der Gemeinschaft richtig Geld bringen, die Abschaffung der Abgeltungsteuer etwa. Oder dass wir die Subventionen für Diesel und für die chemische Industrie zurückfahren wollen. Das ist bei uns völlig unumstritten.

SPIEGEL: Beim Thema Vermögensverteilung können sich die Grünen aber nur darauf einigen, dass es ein Problem gibt. Und nicht darauf, wie es zu beseitigen ist.

Trittin: Alle Grünen wollen eine höhere und verfassungskonforme Besteuerung von Vermögen. Ich habe Zweifel, ob das allein mit dem Modell der Erbschaftsteuer funktioniert. Deswegen ist der Ansatz einer Vermögensteuer wichtig. Was wir einführen wollen, ist eine Superreichensteuer, die nur für das reichste Prozent der Bevölkerung fällig wird.

SPIEGEL: Würden Sie das Konzept als links bezeichnen?

Trittin: Es ist erst mal ein ökologisches Konzept. In meinem Verständnis geht Ökologie immer mit einer Begrenzung von Marktkräften einher. Nur so kann man Gemeingüter wie Luft oder Flüsse schützen. In der politischen Geografie hierzulande beschreibt man das mit links. In den USA würde man das „liberal“ nennen. Diesen Begriff finde ich treffender, weil er den Unterschied zur tradierten Linken deutlich macht, der die Ökologie immer herzlich egal war.

SPIEGEL: Würden Sie Ihrer Partei raten, wie im Jahr 2013 einen Steuerwahlkampf zu führen?

Trittin: Nein. Steuern sind Mittel zum Zweck, kein Selbstzweck. Um umzusteuern, müssen wir die Mittel mobilisieren, die wir für eine ökologische und soziale Modernisierung Deutschlands brauchen. SPIEGEL: Sie haben vorige Woche in der „FAZ“ Ihren Parteikollegen Katrin Göring-Eckardt und Cem Özdemir vorgeworfen, sie würden den Unternehmensverbänden nach dem Mund reden. Begründung: Sie hätten sich gegen einen Steuerwahlkampf ausgesprochen.

Trittin: Nein, ich habe sie zitiert. Entscheidend ist, dass wir nicht aus Angst vor Lobbydruck handeln.

SPIEGEL: Schaden Ihrer Partei solche Attacken nicht?

Trittin: Ich glaube, wenn man sich sozialer Gerechtigkeit verpflichtet fühlt, darf man sich von den Lobbyorganisationen der Superreichen und Großkonzerne nicht einschüchtern lassen.

SPIEGEL: Ihr Parteikollege Winfried Kretschmann sagt nun, im Gegensatz zu 2013 habe heute niemand bei den Grünen mehr vor, fünf verschiedene Steuern zu erhöhen. Ist seine Wahrnehmung korrekt?

Trittin: Wenn ich das Papier durchzähle und den Abbau von Steuersubventionen mitrechne – wie besagte Lobbyverbände es tun werden -, komme ich auch in diesem Konzept auf mehr als fünf unterschiedliche Steuerarten.

SPIEGEL: War die große Steuerreform von Rot-Grün im Jahr 2000 mit der Absenkung des Spitzensteuersatzes im Rückblick ein Fehler?

Trittin: Der schlimmste Fehler, den unsere Regierung damals gemacht hat, war, dass man reinvestierte Gewinne bei Firmenverkäufen komplett steuerfrei gestellt hat. Insgesamt wurde der Eindruck erweckt, dass man nur den Leuten etwas zumutet, die eh schon viel tragen müssen, und nicht denen, die viel tragen können. Das hat die Mehrheitsfähigkeit von Parteien links der Mitte gefährdet. Seitdem laufen die Leute schreiend weg, wenn Sie das Wort Reformen aussprechen. In meiner Jugend war das noch ein linker Begriff, positiv besetzt. Diese Umdeutung haben wir mitverschuldet.

SPIEGEL: Viele Ihrer Parteifreunde bevorzugen – anders als Sie – inzwischen ein schwarz-grünes Bündnis im Bund. Nach der Wahl 2013 haben Sie selbst mit CDU und CSU über ein schwarz-grünes Bündnis verhandelt. Sind die Differenzen inzwischen verschwunden?

Trittin: Wir haben damals sehr ernsthaft sondiert, ob es eine Basis für eine schwarzgrüne Koalition gibt. Aber die politischen Widersprüche waren zu groß. Wir haben etwa verlangt, dass es beim Emissionshandel einen Mindestpreis für CO2 geben müsste. Dazu war die CDU partout nicht bereit. Wir erheben diese Forderung heute auch – und die Union ist noch immer nicht dazu bereit.

SPIEGEL: Sie halten eine schwarz-grüne Koalition auch 2017 nicht für realistisch?

Trittin: Im Moment ist die Diskussion über Rot-Grün-Rot oder Schwarz-Grün gleichermaßen theoretisch. Nach den gegenwärtigen Meinungsumfragen bewegen wir uns in beiden Fällen im Bereich von Unwahrscheinlichkeiten. Man sollte in jedem Fall seine Grundlinien immer im Kopf haben. Wenn sich die Union wie 2013 wieder einem Mindestpreis für CO2 verweigert, wenn sie wie damals in Brüssel neue Regeln für unsere Spritfresserautos durchsetzen will oder den Süden Europas weiter mit ihrer Austeritätspolitik kaputtsparen will, dann geht es eben nicht. Das waren die Punkte, an denen es 2013 knallte. Und dafür treten wir auch heute an – siehe das Papier zur Finanzpolitik. Wo die EU zu zerbrechen droht, muss man in Europa investieren, nicht sparen.

SPIEGEL: Und wenn CDU und CSU Ihnen in solchen Punkten doch entgegenkämen?

Trittin: Wer ein grünes Programm umsetzen will, ist immer willkommen. Der wirkliche Grund für das Scheitern von Schwarz-Grün war übrigens ein anderer. Für Frau Merkel war es einfach bequem, die SPD als Koalitionspartner zu nehmen. Die Sozialdemokraten wollten um jeden Preis regieren. Die IG Metall und die IG BCE wollten auch, dass die Genossen mitregieren, BDI und BDA ebenfalls. Sie alle wollten unbedingt verhindern, dass die unbequemen Grünen etwas zu sagen haben. Dafür, dass es 2017 anders sein wird, müssten sich CDU und CSU sehr weit bewegen.

SPIEGEL: Was macht Sie da so sicher?

Trittin: Ein Jahr nach der Bundestagswahl werden in Bayern Landtagswahlen sein. Die Vorfreude der CSU, sich auf ein Experiment mit uns Grünen einzulassen und als Folge in Bayern womöglich die absolute Mehrheit zu verlieren, weil ihre rechten Wähler zu Hause bleiben, erscheint mir arg begrenzt.

SPIEGEL: Vielleicht würde ein schwarz-grünes Bündnis 2017 allein dadurch viel leichter, weil dann nicht mehr der Querulant Jürgen Trittin als Verhandlungsführer am Tisch sitzt, sondern die netten Herren Özdemir oder Kretschmann. Letzterer betet ohnehin schon für die Kanzlerin.

Trittin: Politisch müsste sich die Union schon ein ganzes Stück auf uns zubewegen. Aktuell machen Winfried Kretschmann und seine Kollegen in Baden-Württemberg gerade die Erfahrung, was der Wechsel von der SPD zur CDU bedeutet: dass die kulturelle Umstellung doch sehr groß ist.

SPIEGEL: Was halten Sie von der These, dass die CDU Angela Merkels den heutigen Grünen inzwischen auch kulturell näher sei als die SPD des Sigmar Gabriel?

Trittin: Wenn Gabriel mal eine ruhigere, gerade Linie fährt, dann könnte man auch besser erkennen, was er für die SPD geleistet hat: Er hat den Schulterschluss mit den Gewerkschaften nach Franz Müntefering wieder hinbekommen. Er hat die SPD ein Stück nach links gerückt und sie in der Hinsicht stabilisiert. Aber es gibt bei manchen Grünen die Haltung, der Sigmar Gabriel sei ein Proll, den mögen wir nicht. Die Merkel hingegen sei ruhig, sachlich und so sympathisch. Jetzt lernt man plötzlich, dass es so einfach nicht ist.

SPIEGEL: Weil es in der CDU auch noch andere Köpfe außer Merkel gibt?

Trittin: Nein, weil man nicht mit Personen koaliert, sondern mit Parteien. Und mit sozialen Milieus, mit wirtschaftlichen Interessen. Dann stellt man fest, dass für eine Partei der linken Mitte wie die Grünen die Schnittstellen mit den Sozialdemokraten und auch mit weiten Teilen der Linken einfach höher sind als mit der CDU und vor allem der CSU. Das ist so. Schwierig würde es aber mit beiden, mit Seehofer wie mit Sahra.

SPIEGEL: Mit wem wäre es denn leichter?

Trittin: Im Zweifel mit Sahra Wagenknecht. Ich bin der Auffassung, dass wir, wenn ich alle Themen zusammennehme, von Seehofer weiter entfernt sind. Auch wenn ich mich über manche Äußerungen von Wagenknecht ärgere, ist das Gesamtbild, das er abgibt, weit problematischer. Horst Seehofer ist ja kaum noch von Viktor Orbán zu unterscheiden.

SPIEGEL: Im Ehepaar Lafontaine-Wagenknecht sehen viele das größte Hindernis für ein rot-rot-grünes Bündnis. Sie haben Ende der Neunzigerjahre im Kabinett Gerhard Schröders Ihre speziellen Erfahrungen mit Oskar Lafontaine gemacht. Vor ein paar Monaten haben Sie ihn im Saarland besucht. Was war Ihr Eindruck von ihm?

Trittin: Wenn es eine politische Gelegenheit gäbe, ein Bündnis links der Mitte zu formen, würde Oskar das nicht um jeden Preis blockieren. Dafür ist er zu sehr Machtpolitiker. Aber die Einsicht, dass man seine Partei auf ein solches Bündnis vorbereiten muss, hat ihn noch nicht erfasst. Wenn ich meine Partei jeden Tag vor allem gegen SPD und Grüne auf die Bäume jage, muss ich irgendeine Leiter liefern, wie sie da heil wieder runterkommt. Ich kann nicht erwarten, dass die Mitglieder in selbstmörderischer Absicht einfach runterspringen und koalieren. Das tun die nicht.

SPIEGEL: Sind Sie in regelmäßigem Kontakt zu Lafontaine, oder war das ein einmaliger Besuch?

Trittin: Ich versuche meine Gesprächsfäden zu halten, aber ich reise nicht dauernd ins Saarland. Das war schon was Besonderes. Ich hatte zehn Jahre nicht mit ihm gesprochen. Wir sind damals, als er all seine Ämter hinwarf, ja nicht gerade im Frieden auseinandergegangen.

SPIEGEL: Haben Sie ihm gesagt, er solle sich endlich einen Ruck geben?

Trittin: Nein, wir haben miteinander gesprochen. Nun weiß jeder von dem anderen besser, wie es funktionieren könnte und wo es hakt. Das war Sinn des Ganzen. Aber es gab keine Appelle.

SPIEGEL: Wie wichtig ist der Kanzlerkandidat für ein rot-rot-grünes Bündnis?

Trittin: Die Frage wird die SPD entscheiden müssen. Falls ich aber einen Rat geben darf: Wenn die SPD Erfolg haben will, sollten ihre Spitzenleute nicht den Eindruck erwecken, nach dem Motto: „Lass mich hintern Baum, und verlier du doch die nächste Bundestagswahl.“ So gewinnt man keine Wahlen.

SPIEGEL: Ist die Wahl des Bundespräsidenten im nächsten Jahr denn eine Chance, ein rot-rot-grünes Signal zu senden?

Trittin: Man könnte zumindest deutlich machen, dass man bei der Wahl zum höchsten Amt im Staat nicht zwingend auf die CDU angewiesen ist. Das wäre ein gutes, politisches Signal über die Offenheit der Bundestagswahl. Und es darf auch was Grünes sein.

SPIEGEL: Winfried Kretschmann?

Trittin: Er wäre definitiv geeignet, wie andere auch. Ich halte jedoch nichts davon, Menschen durch Namedropping dem Mobbing in ihren jetzigen Ämtern auszusetzen.

SPIEGEL: Herr Trittin, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

 

Foto: Dirk Enters, DGAP e.V.

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