Wir sollten nicht jedes Märchen der Superreichen-Lobby glauben

Interview mit der Rhein-Neckar-Zeitung vom 4. August 2016. 

Herr Trittin, Winfried Kretschmann erteilt einer Steuerdebatte „in Zeiten sprudelnder Steuereinnahmen“ eine Absage. Warum halten Sie die Forderung nach einer Vermögenssteuer dennoch gerade jetzt für richtig?

Unter den G20 hat Deutschland den letzten Platz bei Investitionen in Infrastruktur. Es fehlen laut Städtetag über 100 Milliarden zum Erhalt von Straßen, Schienen, Brücken, Schulen. Gleichzeitig findet über eine ungerechte Besteuerung eine Umverteilung von unten nach oben statt. Ungleichheit befördert Finanzkrisen und erhöht den Wachstumszwang. Mit dem neuen strömungsübergreifenden Steuerkonzept wollen wir Grünen dies stoppen und die Finanzierung wichtiger gesellschaftlicher Aufgaben wie Investitionen in Bildung, Klimaschutz und Infrastruktur gerechter gestalten. Hierzu gehört der Abbau ökologisch schädlicher Subventionen, die Abschaffung der Abgeltungssteuer und eine stärkere Besteuerung von Vermögen.

Droht keine unzumutbare Belastung der Familienbetriebe?

Wer, wie Grüne in Baden-Württemberg, Vermögen ausschließlich über die Erbschaftssteuer stärker besteuern will, muss für ein höheres Aufkommen Mittelschicht und Mittelstand heranziehen. Das lehne ich, wie viele Grüne, ab. Eine Vermögenssteuer hingegen trifft mit weniger als ein Prozent der Bevölkerung die Superreichen. Sie tangiert auch nicht deren Investitionsfähigkeit. Schon seit über einem Jahrzehnt liegt die Nettoinvestitionsquote unter zehn Prozent. 90 Prozent des Gewinns werden angelegt, aber nicht investiert. Wir sollten nicht jedes Märchen glauben, das die Lobby der Superreichen erzählt, auch wenn sie sich selbst Familienunternehmer nennen.

Machen die Grünen nicht doch „den gleichen Fehler noch einmal“, der auch 2013 im Wahlkampf schadete?

Wir sollten nicht noch einmal den Fehler machen, aus den eigenen Reihen dem politischen Gegner vor der Bundestagswahl die Zitate für deren Wahlkampf zu liefern.

Stehen die Südwest-Grünen mit ihrer Ablehnung isoliert – als „Waziristan“, wie Sie einst spotteten?

In der Kommission der Partei, die das neue Steuerkonzept entworfen hat, haben mehrere Grüne aus dem Ländle mitgearbeitet. Ich finde mich darin gut wieder. Auch das ist nichts Neues – ging doch schon 2013 die Forderung, den Spitzensteuersatz auf 49 Prozent zu erhöhen, auf den damaligen Koalitionsvertrag in Baden-Württemberg zurück. Die 49 Prozent stehen – mit einem aktualisierten Grenzwert – auch im neuen Konzept.

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