Legal, illegal, scheißegal?

Verabschiedet sich Deutschland vom Völkerrecht?

Am Samstag, den 14. April war es so weit. Über 100 der von Donald Trump per Tweet angekündigten „smarten Raketen“[1] schlugen in Syrien ein. Sie zerstörten drei Gebäude, die angeblich Kapazitäten für die Herstellung von Chemiewaffen beherbergten. Die per Tweet bedrohten Russen waren vom Pentagon vorher unterrichtet worden und hatten sich in Sicherheit gebracht.

Frankreich und Großbritannien beteiligten sich an den Luftschlägen. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen hätte gerne mitgemacht. Was „Großbritannien aus der Luft beigetragen hat, könnten wir auch leisten“. Es klingt fast enttäuscht, wenn sie hinzufügt: „Wir sind diesmal nicht gefragt worden.“[2]

Der deutsche Außenminister Heiko Maas hatte anfangs noch nicht ausschließen wollte, sich an solchen Operationen zu beteiligen. Doch dann erklärte Angela Merkel, dass Deutschland dies nicht tun werde. Umso erstaunlicher war es, von ihr nach den Luftanschlägen zu hören, diese seien „erforderlich und angemessen“[3]. Wenn etwas erforderlich und angemessen ist, warum macht man dann nicht mit? Die Antwort ist einfach: die Raketen waren weder erforderlich noch angemessen.

Weder erforderlich noch angemessen

In Syrien sind über 30 Giftgaseinsätze in den vergangenen Jahren dokumentiert – trotz eines ähnlichen Luftschlags vor einem Jahr. Erforderlich? Offensichtlich war er jedenfalls nicht zielführend. Und angemessen? Zuzuschlagen, bevor die entsandten OPCW-Kontrolleure angereist sind, ist das Gegenteil von angemessen. Das verletzt massiv den Grundsatz, militärische Mittel nur als ultima ratio – als letztes Mittel – einzusetzen.

Nein, der Militärschlag hat keinem Menschen in Syrien geholfen; er hat die Fähigkeit Chlorgas herzustellen und einzusetzen nicht eingeschränkt und dürfte nur eine bescheidene abschreckende Wirkung gehabt haben. Es war eine Strafaktion, im Wesentlichen geschuldet der innenpolitischen Situation der USA.

Zu einem schweigt die Regierung übrigens weitgehend. Zu der Frage, ob eine solche Strafaktion legal ist. Ob sie mit dem Völkerrecht vereinbar ist. Auch Nachfragen an den Außenminister im Auswärtigen Ausschuss ergaben keine Aufklärung.

Jetzt ist der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages der Bundesregierung zuvorgekommen. Er sagt klipp und klar: das war „völkerrechtswidrig“. „Die Verletzung einer Völkerrechtsnorm durch einen Staat begründet keinen ‚Blankoscheck für unilaterale Zwangsmaßnahmen‘ seitens einer ‚Koalition der Willigen’“. Auch die Umsetzung unserer Schutzverantwortung (R2P) erfordert ein Mandat des Sicherheitsrates.

Und trotzdem unterstützt die Bundesregierung diese Koalition der Willigen bei einem Angriff auf einen souveränen Staat. Denn das ist Syrien nach dem Völkerrecht. So bitter das ist.

Echos von Irak 2003

Das ist eine dramatische Veränderung deutscher Außenpolitik. Es ist ein gewaltiger Rückschritt.

Als die USA 2003 im Irak intervenierten – ohne die Ergebnisse der Inspekteure abzuwarten, ohne Mandat der Vereinten Nationen und mit einer konstruierten Verbindung zu den Anschlägen vom 11. September – da hat die rot-grüne Bundesregierung Nein gesagt. Damals beriefen sich die USA auf die UN-Resolutionen vom 12. September 2001 und die darauf erfolgende Ermächtigung für den US-Präsidenten, die Attentäter vom 11. September 2001 zu verfolgen. Das war schon damals haltlos. Deshalb lehnten SPD wie Grüne diesen Krieg ab. Mal hemdsärmelig auf dem Marktplatz von Goslar (Schröder), mal feinsinnig à la „I am not convinced“ (Fischer).

Von diesem klaren Bekenntnis zum Völkerrecht hat die SPD sich durch Heiko Maas verabschiedet. Ein sozialdemokratischer Außenminister erklärt seine Unterstützung für die US-Praxis. Was wäre wohl seine Haltung 2003 gewesen? Die gleiche wie damals Angela Merkel, die auch mit Bush in den Irak wollte?

Dabei ist die Lage eindeutig. Die Charta der Vereinten sieht ein allgemeines Gewaltverbot vor (Art. 2, Ziff. 4). Der Einsatz militärischer Mittel ist nur zum Zwecke der individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung im Falle eines bewaffneten Angriffs (Art. 51) oder aber zur „Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“ (Art. 42) im Rahmen eines Mandats des Sicherheitsrats nach Kapitel 7 der UN-Charta zulässig.[4]

Im konkreten Fall Syrien hat der Sicherheitsrat das sogar angekündigt. In der UN-Resolution 2118 (2013) heißt es unter Ziffer 21, dass er bei Verstößen Maßnahmen nach Kapitel 7 „verhängen“ werde.[5] Genau das aber hat der Sicherheitsrat nicht unternommen, sondern er hat Kontrolleure zur Aufklärung entsandt.

Rückkehr des Faustrechts

Trotz der klaren Rechtslage hat die CDU den Versuch einer Begründung unternommen. Der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses Norbert Röttgen erklärte im Plenum das geschriebene Recht einfach zum „nicht mehr […] aktuellen völkerrechtlichen Stand“. Weil es im Sicherheitsrat fünf Vetomächte gäbe und Russland von seinem Vetorecht Gebrauch gemacht hätte, so hielt er den Grünen vor, sei „das Völkerrecht … unwirksam.“[6]

Das ist schon abenteuerlich. Weil eine Vetomacht von seinem Vetorecht im Sicherheitsrat Gebrauch macht, tritt das Völkerrecht „außer Kraft“ und eine Zufallskoalition – von anderen Vetomächten – setzt sich an die Stelle des Sicherheitsrats. Das ist nichts anderes als die Wiedereinführung des Faustrechts in die internationalen Beziehungen.

Doch es geht weiter. Man stelle sich einmal vor, auf eines der nicht seltenen Vetos der USA zugunsten Israels würde eine Koalition der Willigen wegen der israelischen Politik in den besetzten Gebieten massive Sanktionen verhängen. Es käme niemand auf die Idee, dass dies durch das Völkerrecht gedeckt wäre.

Die Idee, anstelle des Sicherheitsrats zufällige Koalitionen der Willigen zu setzen, führt zu einer vollständigen Entrechtlichung des Völkerrechts – mit fatalen Konsequenzen.

Generalversammlung

Der Vorschlag der Grünen, die UN-Generalversammlung möge sich in einer Situation der Blockade des Sicherheitsrats unter Berufung auf die Resolution 377 A (V) Uniting for Peace von 1950[7] selbst ermächtigen, vermeidet zwar die Koalition der Willigen, ist aber kein erfolgsträchtiger Weg.

Der Vorschlag ist nicht praktikabel. Und: wäre dieses Uniting for Peace praktikabel, dann wäre es gefährlich.

Die Situation ist heute eine andere als in der bipolaren Welt des Koreakriegs, in der der Westen auf eine Mehrheit in der Generalversammlung hoffen durfte. Der Vietnamkrieg, die Installierung von Diktaturen in Lateinamerika ebenso wie die Intervention im Irak haben die Legitimation der USA massiv erschüttert. Die Praktiken der einstigen Kolonialmächte wie Frankreich und Großbritannien wirken in Syrien wie Libyen bis heute nach. Der dreißigjährige Krieg im Kongo dauert an, auch wegen der räuberischen Praktiken internationaler Konzerne.

Kurz: es gibt einen himmelschreienden Widerspruch zwischen den westlichen Werten und der Politikpraxis Europas und Nordamerikas. Der Westen ist eine moralisch desavouierte Größe, der Werte regelmäßig kurzfristigen Interessen unterordnet. In einer multipolaren Welt gerät er nun auch mit seinen Interessen untereinander in Konflikt und steuert auf einen Handelskrieg zu.

Jeder Versuch dieser Staaten, in die Souveränität anderer Staaten mit militärischer Gewalt einzugreifen, hat den strengen Geruch der Doppelmoral und der egoistischen Interessen.

Zumal im Falle Syrien die USA, Frankreich und abgeschwächt auch Deutschland lange Zeit einen Sturz ihres ehemaligen Verbündeten Assad auf dem Umweg über die Golfstaaten aktiv betrieben. Frankreich hat sich bis heute nicht völlig von dieser Idee verabschiedet. Deshalb wehren sich nicht nur Autokratien gegen alles, was auch nur den Anschein eines regime changes hat. Im konkreten Fall würde es also mehr als schwer, eine ausreichende Mehrheit in der Generalversammlung zu erhalten.

Und selbst wenn, wäre das erstrebenswert? Was wäre die Konsequenz?

Der Sicherheitsrat ist blockiert, weil die ständigen Mitglieder über Kreuz liegen. Eine Umgehung des Sicherheitsrates kann dieses Problem nicht heilen. Wenn die Generalversammlung gegen Russland eine umfassende Militärintervention in Syrien mandatiert, ziehen die Vereinten Nationen dann gegen die Atommacht Russland in den Krieg?

Die Geschichte hat gezeigt, jede Umgehung des UN-Sicherheitsrates ist nur vermeintlich ein Ausweg. Tatsächlich ist es immer ein Irrweg, der die Konflikte weiter verlängert. Am Ende sind die Vereinten Nationen die einzige Organisation, die zur Lösung betragen kann. Das ist ein langwieriger, schmerzhafter Prozess. Aber es gibt keine bessere Alternative.

Die UNO ist unser letztes Bollwerk gegen die Anarchie im internationalen System. Wir sollten sie nicht noch zusätzlich schwächen.

Geradezu abenteuerlich aber wird es, wenn die Bereitschaft zu völkerrechtswidrigen Raketen auf Syrien ausgerechnet als Bewerbung für einen nichtständigen Sitz im Sicherheitsrat dienen soll, wie bei Ursula von der Leyen.[8]

[1] https://twitter.com/realdonaldtrump/status/984022625440747520

[2] BamS 22.04.18

[3] http://www.spiegel.de/politik/ausland/syrien-angela-merkel-befuerwortet-westliche-luftangriffe-a-1202925.html

[4] https://www.unric.org/de/charta

[5] http://www.un.org/depts/german/sr/sr_13/sr2118.pdf

[6] dipbt.bundestag.de/dip21/btp/19/19025.pdf

[7] http://www.un.org/ga/search/view_doc.asp?symbol=A/RES/377(V)

[8] BamS vom 22.04.18

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